Kurt Hildebrandt

Kurt Hildebrandt

Kurt Florentin Hildebrandt (* 12. Dezember 1881 in Florenz; † 20. Mai 1966 in Kiel) war ein deutscher Psychiater und Philosoph. Zunächst Arzt an den Wittenauer Heilstätten und Mitglied im George-Kreis, wurde der überzeugte Rassist in der Zeit des Nationalsozialismus auf eine Professur für Philosophie berufen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Hildebrandt wurde als Sohn des Predigers der deutschen Gemeinde in Florenz geboren. Die Schule besuchte er in Magdeburg an der der Klosterschule Unsere Lieben Frauen. Anschließend studierte er, motiviert durch Charles Darwin und die moderne Biologie, Medizin und Naturwissenschaften in München und Berlin unter anderem bei Emil Kraepelin und Ernst Rüdin mit dem Staatsexamen 1905. Die medizinische Promotion erfolgte 1906. Seine erste Stelle hatte er in der Nervenheilanstalt Dalldorf im Norden Berlins. In dieser Zeit bildete er mit Carl Petersen, Friedrich Wolters und Berthold Vallentin die „Schönhauser Wohngemeinschaft“ in Berlin, eine Untergruppe des George-Kreises. Während des Krieges war er in einem Lazarett in Saarbrücken in der Nervenabteilung tätig. Sein neben der medizinischen Tätigkeit betriebenes Studium der Philosophie schloss Hildebrandt in Marburg ab, wo er bei Paul Natorp mit einer Arbeit über „Nietzsches Wettkampf mit Sokrates und Platon“ 1921 ebenfalls promoviert wurde.

Hildebrandt war in den 1920er Jahren an den Wittenauer Heilstätten als Oberarzt und Psychiater in einem Vorort von Berlin tätig. Der Versuch einer Habilitation in Berlin 1928 mit dem Thema Platons Weltverneinung und Weltbejahung scheiterte trotz Zuspruch der Philosophen um Ernst Troeltsch, Max Dessoir und Eduard Spranger, welche die Aufnahme eines Vertreters aus dem George-Kreis begrüßten, am Einspruch der Philologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff und dessen Schüler Werner Jaeger, die Hildebrandt zu geringe fachliche Kenntnisse vorwarfen. Jaeger sprach in seinem Gutachten von einem „Dilettanten“ ohne „wissenschaftliche Schulung“.[1] Hildebrandt selbst führte den Widerstand – wohl nicht ganz zu Unrecht – auf einen Aufsatz aus dem Jahr 1910 zurück, in dem er die Übersetzungsprinzipien von Wilamowitz für antike philosophische Texte angegriffen hatte, insbesondere dass dieser sich nicht an die sprachlichen und formalen Eigenschaften des Kunstwerks halte: „In diesen übersetzungen ist aber nicht Aischylos, nicht Sophokles – nur Wilamowitz“.[2] Im Hintergrund stand auch die innerfachliche Kontroverse um die Methoden der Geistesgeschichte, die in den Werken des George-Kreises prominent angewandt wurden, und die Frage, ob die Beschäftigung mit Platon an der Universität ausschließlich den dortigen Klassischen Philologen vorbehalten bleiben sollte.[3] Mit Hilfe des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker, der den George-Kreis verschiedentlich förderte und mit einigen Mitgliedern – darunter Hildebrandt – persönlich in Kontakt stand, erhielt er 1928 dennoch einen Lehrauftrag als Honorarprofessor für Philosophie.[4]

Im Jahr 1932 wurde er ärztlicher Direktor der Heilanstalt Herzberge. Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ erhielt Hildebrandt 1934 ohne Habilitation eine Stelle als Ordinarius für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Der neue, nationalsozialistische Rektor Karl Lothar Wolf, selbst Physiker, wollte einen Hochschullehrer, der eine Brücke zwischen Naturwissenschaft und Philosophie auch im Sinne der neuen Ausrichtung der Universität schlagen konnte. Die Berufung wurde von Heidegger, mit dem Wolf in engem Kontakt stand, befürwortet, während Baeumler die Vermutung äußerte, dass Hildebrandt auch nach dem Tod Georges wohl eher den Vorstellungen seines „Meisters“ folgen werde als den Idealen des Nationalsozialismus.[5] Hildebrandt war in der Folge Mitherausgeber der von Wolf neu gegründeten Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft. Er wurde im April 1933 Mitglied der NSDAP (Nr. 3.471.682) und des NSLB (Nr. 287.372) sowie später auch der NSV. Als Psychiater war er zudem Mitglied der Reichsärztekammer Schleswig-Holstein.

Hildebrandt wurde 1945 emeritiert, setzte aber seine schriftstellerische Tätigkeit bis kurz vor seinem Tod fort.

Werk

Hildebrandt hatte schon früh Kontakte zu Stefan George und seinem Kreis. Im Jahr 1910 veröffentlichte er „Hellas und Wilamowitz“ (s.o.) sowie 1912 „Romantisch und Dionysisch“ in Georges „Jahrbuch für geistige Bewegung“. Hildebrandt übersetzte mehrere Platon-Texte und versah sie mit Einleitungen, die auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg (bei Kröner und Reclam) Bestand hatten. Im Jahr 1920 kamen die Schriften „Norm und Entartung des Menschen“ und „Norm und Verfall des Staates“ heraus. Mit diesen Schriften zur Rassenhygiene und Ganzheitslehre rief er auch im George-Kreis, so bei Edgar Salin und Edith Landmann heftigen Widerstand hervor. Andererseits fand er auch Zustimmung, so bei George selbst, bei Friedrich Gundolf und Friedrich Wolters.[6] Hildebrandt wollte – im Gegensatz zu den „Nordisten“ unter den Rassetheoretikern – eine Kulturrasse schaffen, indem ungeeignete Geschlechter oder Rasselinien durch „strenge Isolierung“ oder „starke Ausmerze“ von der Beteiligung am Staat ferngehalten werden.

„Den übrigen Gruppen stehen durch Erziehung die höheren Berufe zur Bewerbung offen und aus ihnen werden nach der erst später bewährten Eignung die führenden Träger des Staates ausgewählt. Die Scheidung der beiden Gruppen darf nicht streng sein. Frühere Irrtümer, neue Blutmischung, veränderte Ziele des Staates, Entartung machen Verschiebung nach hüben und drüben notwendig. Die Scheidung darf aber auch nicht zu locker sein, denn der Andrang nach höheren Stellen ist ohnehin so groß, daß es nicht im Interesse des Staates liegt, diesen zu fördern.“[7]

Gegen die biologische Rassentheorie von Hans F. K. Günther stellte Hildebrandt die Kategorie der Nation als geistige Gemeinschaft. „Die nationale Idee ist der Rassenzusammengehörigkeit übergeordnet.“[8]

Er betonte, dass seine Rassetheorie auf objektiven Prinzipien in Hinblick auf Mittel und Methode abstellte und keine Ziele der Züchtung vorgab. „Ohne Maßstab, ohne Normbild haben die Bestrebungen der Menschenzüchtung und der Rassenhygiene weder Halt noch Sinn.“[9] Hildebrandts Rassismus ist nicht ausdrücklich antisemitisch. Er hielt sogar eine „Beimischung“ kultivierter westeuropäischer Juden für die Entwicklung einer Kulturnation für vorteilhaft, während er eine „Heiratsgemeinschaft“ mit „Ostjuden“, Franzosen oder „Negern“ ablehnte.[10]

Politisches Thema von Hildebrandt war die Ablehnung des liberalistischen Individualismus und die Suche nach einer geistigen Erneuerung in der Gemeinschaft im Sinn eines deutschen „Griechentums“. Er verteidigte die ursprüngliche Leibhaftigkeit des ganzen Menschen gegen alle Mechanisierung des Lebens und wollte die Entgegensetzung von Natur und Geist überwinden. Neben George waren Nietzsche und Platon seine Orientierungspunkte, wobei er Platon Nietzsche noch vorzog, weil er bei letzterem eine zu große dionysische Hybris und Selbstvergötterung sah.[11] Es sind Heroen, die den Kampf für einen wohlgeordneten Staat führen und damit die Überwindung der Entartung ermöglichen. „Die Ablehnung des Individualismus ist das Gegenteil der Ablehnung des großen Einzelmenschen. Der Heros ist Schöpfer und Keimzelle des Staates.“[12] Hildebrandts Schriften sind eine Verknüpfung von naturwissenschaftlichen Einsichten mit den Gedanken des George-Kreises und haben das Ziel der „Widerlegung des modernen Mechanismus“.[13] Seine in diesem Sinne geschriebene Platon-Interpretation, die auf dem Habilitationsversuch beruhte, wurde 1935 von seinem Kieler Kollegen Hans-Georg Gadamer positiv besprochen, der feststellt, dass „aus dem Kreis des Dichters Stefan George die wichtigsten Anstöße für ein neues Verständnis Platons gekommen“ sind.“ […] „So unmittelbar politisch, wie in dieser (1932 abgeschlossenen) Darstellung, ist das platonische Werk bisher noch nie gesehen worden.“ […] „Die Gestaltwerdung der Philosophie im platonischen Dialog ist ein‚ immer neue Deutung forderndes Geheimnis’ durch alle Ferne nah wie alles leibhaft Gestaltgewordene. So muß eine solche Verleiblichung von Platons politischer Gestalt, die ihrerseits etwas von der fernen Nähe des Gestaltgewordenen hat, die Urgestalt der Philosophie selber zu neuer Antwort fordern.“[14]

In den Kieler Jahren schrieb Hildebrandt eine überarbeitete Fassung seine beiden Schriften aus dem Jahr 1920 und veröffentlichte von 1936 bis 1939 einige Artikel in „Rasse“, der Monatszeitschrift der Nordischen Bewegung. Im weiteren widmete er sich verstärkt den deutschen literarischen Klassikern Hölderlin und Goethe sowie Leibniz. Dazu leistete er einen Beitrag für den von August Faust im Rahmen der Aktion Ritterbusch 1941 herausgegebenen Sammelband „Das Bild des Krieges im Deutschen Denken“.

Nach Kriegsende wurde Hildebrandts Schrift Die Idee des Krieges bei Goethe, Hölderlin, Nietzsche (Kohlhammer, Stuttgart & Berlin 1941) in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[15] In der Deutschen Demokratischen Republik folgten auf diese Liste noch Norm und Entartung des Menschen (Sibyllen-Verlag, Dresden 1920) und Norm, Entartung, Verfall, bezogen auf den Einzelnen, die Rasse, den Staat (Kohlhammer, Stuttgart 1939).[16]

Schriften

  • Norm und Entartung des Menschen, Dresden 1920
  • Norm und Verfall des Staates, Dresden 1920
  • Nietzsches Wettkampf mit Sokrates und Plato, Dresden 1922
  • Nietzsche als Richter unserer Zeit, Breslau 1923 (mit Ernst Gundolf)
  • Gedanken zur Rassenpsychologie, Stuttgart 1924
  • Wagner und Nietzsche im Kampf gegen das 19. Jahrhundert, Breslau 1924
  • Gesundheit und Krankheit in Nietzsches Leben und Werk, Berlin 1926
  • Staat und Rasse. Drei Vorträge, Breslau 1928
  • Ueber die Umformung gesehener Figuren durch wechselnden figuralen Zusammenhang. Diss, Greifswald 1933
  • Individualität und Gemeinschaft, Berlin 1933
  • Platon. Der Kampf des Geistes um die Macht, Berlin 1933
  • Norm, Entartung, Verfall bezogen auf den Einzelnen, die Rasse, den Staat, Berlin 1934, 2. Aufl. 1939
  • Vaterländische Reden, Leipzig 1935
  • Hölderlin. Philosophie und Dichtung, Stuttgart 1939, 3. Aufl. 1943
  • Goethe. Seine Weltweisheit im Gesamtwerk, Stuttgart 1941, 3. Aufl. 1942
  • Goethes Naturerkenntnis, Hamburg 1947
  • Leibniz. Reich der Gnade, Den Haag 1953
  • Platon. Logos und Mythos, Berlin 1959
  • Das Werk Stefan Georges, Hamburg 1960
  • Ein Weg zur Philosophie, Bonn 1962
  • Erinnerungen an Stefan George und seinen Kreis, Bonn 1965
  • Frühe Griechische Denker. Eine Einführung in die vorsokratische Philosophie, Bonn 1968

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Christian Tilitzki: Die Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Akademie, Berlin 2002, 336.
  2. Kurt Hildebrandt: Hellas und Wilamowitz. Zum Ethos der Tragödie. In: Jahrbuch für die geistige Bewegung 1, 1910, S. 64–117. Zur Diskussion siehe: Josefine Kitzbichler, Katja Lubitz, Nina Mindt: Theorie der Übersetzung antiker Literatur in Deutschland seit 1800, de Gruyter, Berlin 2009, 209-220.
  3. Dazu Carola Groppe, Die Macht der Bildung. Das deutsche Bürgertum und der George-Kreis 1890–1933, Böhlau, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 557–559.
  4. Zur Förderung durch Becker Carola Groppe, Die Macht der Bildung. Das deutsche Bürgertum und der George-Kreis 1890–1933, Böhlau, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 559.
  5. Christian Tilitzki: Die Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Akademie, Berlin 2002, 624.
  6. Stefan Breuer: Ästhetischer Fundamentalismus und Eugenik bei Kurt Hildebrandt, in: Bernhard Böschenstein u.a. (Hrsg.): Wissenschaftler im George-Kreis: die Welt des Dichters und der Beruf der Wissenschaft, de Gruyter, Berlin 2005, 291-310, 292-293.
  7. Kurt Hildebrandt: Norm und Verfall des Staates, Celle 1926, 140, zitiert nach Stefan Breuer: Ästhetischer Fundamentalismus und Eugenik bei Kurt Hildebrandt, in: Bernhard Böschenstein u.a. (Hrsg.): Wissenschaftler im George-Kreis: die Welt des Dichters und der Beruf der Wissenschaft, de Gruyter, Berlin 2005, 291-310, 300.
  8. Kurt Hildebrandt: Staat und Rasse. Drei Vorträge, Breslau 1928, 12-13, zitiert nach: Christian Tilitzki: Die Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Akademie, Berlin 2002, 431.
  9. Kurt Hildebrandt: Staat und Rasse. Drei Vorträge, Breslau 1928, 32, zitiert nach: Christian Tilitzki: Die Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Akademie, Berlin 2002, 428.
  10. Kurt Hildebrandt: Gedanken zur Rassenpsychologie, Stuttgart 1924, 15-16, zitiert nach: Christian Tilitzki: Die Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Akademie, Berlin 2002, 435.
  11. Kurt Hildebrandt: Wagner und Nietzsche im Kampf gegen das 19. Jahrhundert, Breslau 1924, ab 495, nach: Volker Gerhardt, Reinhardt Mehring, Jana Rinder: Berliner Geist. Eine Geschichte der Berliner Universitätsphilosophie. Mit einem Ausblick auf die Gegenwart der Humboldt-Universität, Berlin 1999, 251.
  12. Kurt Hildebrandt: Individualität und Gemeinschaft, Berlin 1933, 9-10, zitiert nach: Volker Gerhardt, Reinhardt Mehring, Jana Rinder: Berliner Geist. Eine Geschichte der Berliner Universitätsphilosophie. Mit einem Ausblick auf die Gegenwart der Humboldt-Universität, Berlin 1999, 250-251.
  13. Hildebrandt: Erinnerungen an Stefan George und seinen Kreis, Bonn 1965, 124.
  14. Hans-Georg Gadamer: Rezension zu Platon. Der Kampf des Geistes um die Macht. In: Deutsche Literaturzeitung 56 (1935), 331-336, zitiert nach: Hans-Georg Gadamer: Griechische Philosophie Band 1 = Gesammelte Werke Band 5, Mohr Siebeck, Tübingen 1985, 331-338.
  15. http://www.polunbi.de/bibliothek/1948-nslit-h.html
  16. http://www.polunbi.de/bibliothek/1953-nslit-h.html

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