- Vertretung (Deutschland)
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In der Rechtswissenschaft versteht man unter Vertretung bzw. Stellvertretung das rechtsgeschäftliche Handeln einer Person (Vertreter bzw. Stellvertreter) für eine andere Person (Vertretener), welche die rechtlichen Folgen dieses Handelns treffen. Die Vertretung kann vom Vertretenen gewollt sein (gewillkürte Vertretung) oder vom Gesetzgeber angeordnet sein (gesetzliche Vertretung). Das Recht der Stellvertretung ist in Deutschland im Wesentlichen in den §§ 164 ff. BGB geregelt.
Inhaltsverzeichnis
Zweck der Stellvertretung
Das Bedürfnis einer Person, andere für sie selbst rechtsgeschäftlich handeln zu lassen, kann verschiedenen Motiven entspringen. Zum einen ist vor dem Hintergrund der Spezialisierung und Komplexität der Arbeitsabläufe in der Wirtschaft die Notwendigkeit der Arbeitsteilung zu sehen. Dies gilt nicht nur für rein tatsächliche Verrichtungen, sondern auch für Rechtshandlungen. So ist etwa der Abschluss eines Vertrages durch einen Stellvertreter mit einem Dritten dann wünschenswert, wenn der Geschäftsherr (Vertretener) selbst nicht vor Ort sein kann oder will (wie etwa beim einfachen Ladenverkauf im Supermarkt) oder das Geschäft rechtlich kompliziert ist und dieser deshalb lieber auf eine erfahrene Person vertraut.
Zum anderen ist die Stellvertretung dann vonnöten, wenn eine Person aus bestimmten Gründen selbst nicht handlungsfähig oder nicht (voll) geschäftsfähig ist. Denn da sie gleichwohl rechtsfähig ist, muss sie auch rechtlich handlungsfähig sein. So werden juristische Personen wie die GmbH oder AG erst durch ihre Geschäftsführer bzw. ihren Vorstand überhaupt rechtlich handlungsfähig. Minderjährige werden ebenfalls durch ihre gesetzlichen Vertreter, regelmäßig die sorgeberechtigten Eltern, ggf. durch einen Vormund rechtlich vertreten.
Voraussetzungen wirksamer Stellvertretung
Schlüssel zum Verständnis der Stellvertretung sind die Begriffe der Willenserklärung und der Vertretungsmacht, wobei die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht als Vollmacht bezeichnet wird. Wie aus § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB hervorgeht, ist das stellvertretende Handeln nur dann wirksam, wenn
- eine Stellvertretung zulässig ist,
- der Vertreter eine eigene Willenserklärung abgibt,
- im Namen des Vertretenen und
- mit Vertretungsmacht.
Zulässig ist eine Stellvertretung nicht bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften (Eheschließung, Testament u. v. m.) oder bei einer Vereinbarung der Parteien dahingehend, dass die Stellvertretung ausgeschlossen ist (sog. gewillkürte Höchstpersönlichkeit) oder bei sog. Realakten (Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung).
Wird statt einer eigenen nur eine fremde Willenserklärung (des Vertretenen selbst) abgegeben, so liegt ein Fall der bloßen Botenschaft vor. Entscheidend ist, ob der Erklärende einen eigenen Entscheidungsspielraum hat. Maßgeblich ist dabei das Auftreten nach außen. Hat der Vertreter eine eigene Willenserklärung abgegeben, so muss diese jedoch auch wirksam sein. Für eine wirksame Willenserklärung müssen mehrere Elemente gegeben sein. Wichtig ist jedoch, dass der Vertreter (anders als der Bote) zumindest beschränkt geschäftsfähig sein muss (§ 165 BGB); er muss nach § 104 BGB wenigstens das siebte Lebensjahr vollendet haben. Willenserklärungen von Kindern unter sieben Jahren sind daher nach § 105 Abs. 1 BGB nichtig, also von Anfang an nicht existent. Eine Vertretung ist dann nicht möglich.
Der Vertreter muss die Erklärung im fremden Namen abgeben. Dabei kann die Person des Vertretenen genannt werden, muss sie aber nicht. Es muss sich nur aus den Umständen ergeben, dass der Vertreter für einen anderen handeln will. Gibt jedoch der Vertreter die Willenserklärung nicht im Namen des Vertretenen ab oder ist dem Dritten zumindest nicht aufgrund der Umstände erkennbar, dass er für einen anderen tätig ist, so wird der Vertreter so behandelt, als hätte er für sich selbst gehandelt (§ 164 Abs. 2 BGB). Die Willenserklärung wirkt also allein für und gegen ihn selbst. Von der Notwendigkeit, erkennbar für einen anderen handeln zu wollen (Offenkundigkeitsgrundsatz) gibt es jedoch Ausnahmen. So zum Beispiel bei Bargeschäften des täglichen Lebens, wenn also täglich übliche Geschäfte vorliegen, bei denen der Kaufpreis sogleich entrichtet wird. Denn hier ist es dem Geschäftspartner (z.B. dem Bäcker) egal, wem er die Ware (z.B. Brötchen) verkauft. Auch bedarf es der Offenkundigkeit nicht bei unternehmensbezogenen Geschäften, wonach im Zweifel der Betriebsinhaber Vertragspartner werden soll.
Schließlich muss auch eine Vertretungsmacht vorliegen. Diese kann rechtsgeschäftlich erteilt werden. Dies ist grundsätzlich formfrei möglich. Handelt der Vertreter ohne Vertretungsmacht, so ist er Haftungsansprüchen des Vertragspartners ausgesetzt (§ 179 BGB), wenn der Vertretene nicht nachträglich genehmigt (§ 177 Abs. 1 BGB) oder sich die Willenserklärung nicht aus anderen Gründen zurechnen lassen muss (Zurechnung etwa bei Anscheinsvollmacht oder Duldungsvollmacht).
Abgrenzung und Sonderfälle
- Keine typische Stellvertretung i. S. d. §§ 164 ff. BGB bildet die sogenannte Schlüsselgewalt des § 1357 BGB, denn hierbei verpflichtet der handelnde Ehegatte nicht nur den anderen Ehegatten, sondern zugleich auch sich selbst, ohne dass dem Vertragspartner die Ehe bekannt sein muss.
- Dagegen liegt in dem Fall, dass das Organ einer juristischen Person für diese rechtsgeschäftlich tätig wird, echte Stellvertretung vor, auch wenn das Organ Teil der juristischen Person ist. So ist beispielsweise der Vorstand einer Aktiengesellschaft gesetzlicher Vertreter der Aktiengesellschaft, vgl. § 78 Abs. 1 S. 1 AktG.
- Sonderfall des verbotenen Insichgeschäfts gem. § 181 BGB: Dem Vertreter ist es grundsätzlich nicht gestattet, als Vertreter zugleich im eigenen Namen zu handeln (1. Alt.) oder gleichzeitig als Vertreter eines Dritten (2. Alt.) ein Rechtsgeschäft vorzunehmen. Der Vertreter kann allerdings von dem jeweiligen Geschäftsherrn von diesen Beschränkungen befreit werden, wie dies etwa bei Geschäftsführern einer GmbH häufig geschieht.
- Bei der mittelbaren Stellvertretung schließt der Handelnde zwar ein Rechtsgeschäft im Interesse eines anderen, nicht jedoch in dessen Namen ab. Folglich liegt gerade kein Fall echter Stellvertretung vor. Der Begriff ist insofern missverständlich. Die mittelbare Stellvertretung ist insbesondere im Rahmen der Drittschadensliquidation von Bedeutung.
Schutzgedanke
§ 164 BGB ist exemplarisch für das gesamte Stellvertreterrecht und spiegelt die Risiken wider, welche der Stellvertretung immanent sind. Einerseits soll der Dritte geschützt werden, dem beispielsweise die Identität eines künftigen Vertragspartners wichtig sein kann. Andererseits ist auf die Interessen des Vertretenen Rücksicht zu nehmen. Dieser darf angesichts der enormen Missbrauchsmöglichkeiten nicht durch das Handeln eines Vertreters verpflichtet werden, welches er nicht in irgendeiner Weise zurechenbar veranlasst hat.
Siehe auch
Weblinks
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