Schulpflicht (Deutschland)

Schulpflicht (Deutschland)

Die Schulpflicht in Deutschland ist eine gesetzliche Regelung, die ab einem bestimmten Alter Kinder, Jugendliche und Heranwachsende bis zu einem bestimmten Alter, dazu verpflichtet, eine Schule zu besuchen.

Königliche Verordnung zur Einführung der Allgemeinen Schulpflicht in Preußen, 1717
Bildungsgänge im deutschen Bildungssystem

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

In der Reformation wird die Forderung laut, allgemeine Schulen für Jungen und Mädchen einzurichten. Grundlegend ist Martin Luthers Schrift An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen (1524). Diese Forderung fand naturgemäß in den protestantischen Landesteilen Gehör, also in den meist evangelischen Reichsstädten und in den lutherischen Fürstentümern. Besonders im Südwesten des Reiches war man, unter der Federführung der bedeutenden evangelischen Reichsstadt Straßburg im Elsass, die bis zur Eroberung durch Frankreich (1681) zum Reich gehörte und seit der Zeit des bedeutenden Humanisten Johannes Sturm ein in ganz Europa als vorbildlich gerühmtes Schulwesen besaß, in dieser Frage besonders weit voraus. Unter Straßburger Einfluss führte das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken 1592 als erstes Territorium der Welt (und damit auch Deutschlands) die allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Knaben ein.[1] Straßburg selbst folgte 1598 mit einem entsprechenden Gesetz. Gesetzliche Bestimmungen zur Schulpflicht wurden dann in vielen protestantischen Fürstentümern eingeführt und finden sich in fast allen evangelischen Kirchenordnungen der Zeit. In Württemberg wurde bereits in der großen Kirchenordnung von 1559 eine Schulpflicht festgelegt. Diese betraf allerdings nur den männlichen Teil der Bevölkerung. Die allgemeine Schulpflicht wurde erst 1649 eingeführt, während sie in Sachsen-Gotha bereits 1642 und in Braunschweig-Wolfenbüttel seit 1647 bestand.[2]

In der Zeit der Aufklärung wurde die Entwicklung beschleunigt. Von geschichtlicher und auch für das Ausland beispielgebender Bedeutung ist die Entwicklung in Preußen. Principia regulativa des Königs Friedrich Wilhelm I. vom 28. September 1717, für ganz Preußen durch das Generallandschulreglement Friedrichs des Großen von 1763 bestätigt.

In den katholisch gebliebenen Landesteilen Deutschlands verlief die Durchsetzung dieser Forderungen äußerst zäh. Obwohl der aufgeklärte Bildungsreformer Heinrich Braun die allgemeine Schulpflicht im Kurfürstentum Bayern bereits 1771 verordnet hatte, konnte erst 1802 eine sechsjährige gesetzliche Unterrichtspflicht durchgesetzt werden.

Aber auch im evangelischen Sachsen begann erst 1835 mit dem Volksschulgesetz die achtjährige Schulpflicht.

Besonders in der Landbevölkerung stieß die Schulpflicht zunächst auf Widerstand. Die in kleinbäuerlichen Betrieben notwendige Arbeitskraft der Kinder wurde erheblich wichtiger als deren Schulbildung angesehen. So kam es z. B. in der Eifel, nachdem diese 1815 preußisch wurde, in den beiden folgenden Jahrzehnten mehrmals zu heftigen Protesten der Landbevölkerung gegen den Schulbesuch der Kinder.

Wenn im bisher gesagten von Schulpflichtgesetz die Rede ist, muss immer mitgedacht werden, dass der Staat bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts diese gesetzlich geforderte Schulpflicht gar nicht durchsetzen konnte. Schulpflichtgesetze waren eher Absichtserklärungen. Der Staat verfügte auch nicht über ein flächendeckendes Schulsystem, das allen potentiellen Schülern einen ordnungsgemäßen Schulbesuch ermöglicht hätte.

Es fehlten Schulgebäude, Lehrer und vor allem eine staatliche Kultusbürokratie. Durch das regelmäßig erscheinende Monatsblatt für Bauwesen und Landesverschönerung in Bayern standen im Königreich bereits ab 1821 Planzeichnungen für den Bau von Schulgebäuden zur Verfügung. Durch den Herausgeber und Architekten Gustav Vorherr waren die Gemeinden somit in der Lage unterschiedliche Schulhaustypen bedarfsorientiert und kostengünstig auszuführen.

In anderen Teilen Deutschlands wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts systematisch daran gearbeitet, schrittweise bessere Voraussetzungen zu schaffen. Eine Ausnahme bildeten unter anderem die kleineren, fortschrittlichen Herzogtümer Thüringens, wie Sachsen-Gotha, wo unter Ernst dem Frommen und dem Pädagogen Andreas Reyher vorbildliche Voraussetzungen wie Schulbauten, Lehrerseminare, Unterrichtspläne, Schulbuchdruck und Kultusbürokratie geschaffen wurden. Es gab das Sprichwort, dass des Herzogs Bauern gebildeter seien als anderswo der Adel.

Die Schulpflicht galt zunächst nur für Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit. Erst in den 1960er Jahren wurde sie für ausländische Kinder eingeführt. Für Asylbewerberkinder wurde sie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen erst 2005 eingeführt. Zuvor bestand höchstens ein Schulbesuchsrecht.

Aktuelle Rechtslage

In Deutschland ist die Schulpflicht nicht im Grundgesetz (GG) oder einem anderen Bundesgesetz geregelt, sondern – aufgrund der Kulturhoheit der Länder – in den einzelnen Landesverfassungen. Die Länder sind hierzu durch das Grundgesetz ermächtigt. So steht in Art. 7 Abs. 1 GG: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates“, woraus sich nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch das Recht der Länder ergibt, durch Landesgesetze die Schulpflicht zu bestimmen. Dies kann auch aus dem nachfolgenden Absatz (Art. 7 Abs. 2 GG) abgeleitet werden, der den Eltern das Recht einräumt, über den Besuch des Religionsunterrichts zu bestimmen. Diese Regelung schützt im Umkehrschluss die freie Verfügung der Eltern über den Schulbesuch ihrer Kinder nicht vor landesgesetzlichen Eingriffen in anderen Bereichen als dem Religionsunterricht.

Es wird unterschieden zwischen der Vollzeitschulpflicht und der Berufsschulpflicht:

Vollzeitschulpflicht

Die Vollzeitschulpflicht erstreckt sich in der Regel auf neun Schulbesuchsjahre, in einigen Bundesländern bis zum Abschluss des zehnten Schulbesuchsjahres.
Der Anzahl der Schulbesuchsjahre ist hierbei nicht mit der Nummer der besuchten Jahrgangsstufe zu verwechseln: Für einen Schüler, der z. B. zweimal eine Klassenstufe wiederholen musste, endet die Vollzeitschulpflicht nach 10 Schulbesuchsjahren danach bereits zum Ende der 7. bzw. 8. Klasse. Übersprungene Klassen hingegen werden anerkannt, so dass die Vollzeitschulpflicht hier nach Klasse 9 bzw. 10 enden kann trotz erst beispielsweise sieben erfolgter Schulbesuchsjahre.

Berufsschulpflicht

Die so genannte Berufsschulpflicht beginnt nach Ablauf der Vollzeitschulpflicht.
Die Berufsschulpflicht kann entweder durch die Teilnahme an einer Berufsausbildung, durch den Besuch von Bildungsgängen an einer Berufsbildenden Schule, durch den Besuch der Sekundarstufe I oder der Sekundarstufe II einer Allgemeinbildenden Schule oder in einigen deutschen Bundesländern wie Baden-Württemberg durch den Besuch der so genannten Berufssschulstufe (früher Werkstufe) an einer so genannten Sonderschule erfüllt werden. (Stand Mai 2011). Inwieweit dies mit der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vereinbar ist, wird überprüft.
In der Regel wird die Berufsschulpflicht mit dem Abschluss einer Berufsausbildung bzw. mit Ablauf des zwölften Schulbesuchsjahres enden.

Die näheren Details und weitere Alternativen zum Nachkommen der Berufsschulpflicht unterscheiden sich hierbei in den einzelnen Bundesländern.

Eintritt der Schulpflicht, Stichtagsregelungen

Für alle Kinder, die bis zum 30. Juni eines Jahres das 6. Lebensjahr vollenden, beginnt die Schulpflicht am 1. August; Abweichungen hiervon bestehen:

* In Bayern ist der Stichtag für die Einschulung ab dem Schuljahr 2010/11 der 30. September. Kinder, die nach diesem Stichtag 6 Jahre alt werden können eingeschult werden, wenn zu erwarten ist, dass sie voraussichtlich mit Erfolg am Unterricht teilnehmen können. Kinder, die nach dem 31. Dezember 6 Jahre alt werden benötigen ein schulpsychologisches Gutachten, das die Schulfähigkeit bestätigt.
* In Baden-Württemberg ist der 30. September der Stichtag.
* In Berlin werden alle Kinder mit Beginn eines Schuljahres (1. August) schulpflichtig, die dort das 6. Lebensjahr bereits vollendet haben oder noch bis zum 31. Dezember vollenden. Ab dem Schuljahr 2010 können schulpflichtige Kinder allerdings auf Antrag der Eltern um ein Jahr zurückgestellt werden, wenn der Entwicklungsstand des Kindes eine bessere Förderung in einer Einrichtung der Jugendhilfe erwarten lässt [3].
* In Niedersachsen soll ab 2009 in drei Schritten bis 2012 der Stichtag für das Einschulungsalter vom 30. Juni auf den 30. September verlegt werden. [4] Um den Schulträgern und Eltern genügend Zeit zu lassen, sich auf die Veränderung einzustellen, sollen erstmalig im Jahr 2010 Kinder schulpflichtig sein, die in diesem Jahr bis zum 31. Juli das sechste Lebensjahr vollendet haben. 2011 wird dann der Stichtag der 31. August sein, 2012 der 30. September.[5]

Auf Antrag der Eltern können auch Kinder in die Schule aufgenommen werden, die in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember das 6. Lebensjahr vollenden („Kannkinder“; in Bayern sind diese Kinder wegen der Stichtagverschiebung ohnehin „Musskinder“). Die Entscheidung trifft in diesem Fall die Schulleitung unter Berücksichtigung eines schulärztlichen Gutachtens. Die Schulpflicht beginnt spätestens mit der Einschulung.

Mehrere Bundesländer haben den Beginn der Vollzeitschulpflicht inzwischen teilweise vorverlegt, so dass auch fünfjährige oder sogar noch jüngere Kinder berechtigt zum Schulbesuch sein können, wenn sie entsprechend weit entwickelt sind. Ein Rechtsanspruch auf eine vorzeitige Einschulung besteht bislang ebenso wenig wie eine vorzeitige Einschulungspflicht.

Dauer der Schulpflicht, Übersicht Bundesländer

Land Beginn
Alter
Dauer
Jahre
(1) Baden-Württemberg[6] 5–7 (i. d. R. 4 Jahre) Besuch der Grundschule, danach 5 Jahre Besuch einer weiterführenden Schule (§§ 73 - 76 SchG); zusätzlich für 3 Jahre Berufsschulpflicht oder bis zum Ende des Schuljahrs, in dem das 18. Lebensjahr vollendet wird oder einjähriger Besuch des Berufsvorbereitungsjahres (danach Befreiung von der Berufsschulpflicht, wenn nicht wegen eines Ausbildungsverhältnisses berufsschulpflichtig) oder Besuch einer weiterführenden Schule (§§ 77 ff SchG) oder Besuch der Berufsschulstufe an einer Sonder- oder Förderschule
(2) Bayern[7] 5–7 9 (zusätzlich 3 Jahre Berufsschulpflicht oder ein Berufsvorbereitungsjahr oder bis zum 21. Lebensjahr)
(3) Berlin[8] 5–6 10 (§ 42 Berliner SchulG[9])
(4) Brandenburg[10] 5–7 10 (§ 39 BbgSchulG, Links s. u.) Berufsschulpflicht bis zum Ende des Schuljahres, in dem der Schüler das 18. Lebensjahr vollendet hat
(5) Bremen[11] 6 12 (§ 54 Brem. Schulgesetz)
(6) Hamburg 5–6 9 (Berufsschulpflicht für zwei Jahre oder bis zum Ende des Schuljahres, in dem das 18. Lebensjahr vollendet wird)
(7) Hessen[12] 5–7 9 (§ 59 Hess. Schulgesetz)
(8) Mecklenburg-Vorpommern 6 Berufsschulpflicht bis zum Ende des Schulhalbjahres, in dem der Schüler das 18.Lebensjahr vollendet hat (§ 42 SchulG M-V)
(9) Niedersachsen[13] 6–7 12 (oder weniger nach § 65 (2) NSchG)
(10) Nordrhein-Westfalen[14] 6 10 (Berufsschul- oder Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr, bei Beginn einer dualen Ausbildung vor dem 21. Lebensjahr auch über das 18. Lebensjahr hinaus) (§§ 37,38 SchulG NRW)
(11) Rheinland-Pfalz[15] 6 12 (§7 SchG) oder weniger (§ 60 (2) SchG)
(12) Saarland 5–8 9
(13) Sachsen 6–7 9 (Berufsschulpflicht bis zum 18. Lebensjahr)
(14) Sachsen-Anhalt[16] 6 endet nach 12 Jahren, 9 Jahre Vollschulzeitpflicht, danach wenigstens 1 Jahr berufsbildende Schule oder vgl.
(15) Schleswig-Holstein 6–7 9 Jahre Vollzeitschulpflicht, danach Berufsschulpflicht bis zum 18. Lebensjahr.
(16) Thüringen[17] 6–7 9

Anwendungsbereiche

Die Schulpflicht erstreckt sich im Wesentlichen auf drei Bereiche:

  • Schulanmeldungspflicht: für die Erziehungsberechtigten die Verpflichtung, ihre minderjährigen Kinder in einer Schule ihrer Wahl anzumelden.

Eventuell bereits volljährige Schulpflichtige sind selbst dafür zuständig, sich in einer zur Erfüllung ihrer Schul(besuchs)pflicht geeigneten Schule anzumelden. Falls es um die Anmeldung an einer Berufsschule geht, ist der jeweilige Ausbilder bzw. Arbeitgeber zur Anmeldung verpflichtet.

  • Schulwahl: für die Anmeldenden die Pflicht zur Wahl einer zur Auswahl zugelassenen Schule: die schulpflichtige Person muss in einer deutschen öffentlichen Schule oder einer Privatschule angemeldet werden; es ist grundsätzlich nicht möglich, ein Kind auf z. B. eine Schule eines benachbarten Bundes- oder Territoriallandes anzumelden (Ausnahmeregelungen sind wiederum möglich; internationales Recht (in Hinblick auf Diplomatenkinder) wird hiervon nicht berührt).
  • Teilnahmepflicht: für die Schulbesuchenden die Verpflichtung zur die regelmäßigen und aktiven Teilnahme am stattfindenden Unterricht sowie an Schulveranstaltungen (sofern diese – beispielsweise finanziell – zumutbar sind). Bei Ganztagsschulen gilt dies auch für den am Nachmittag stattfindenden Unterricht.

Durchsetzung

Die Erziehungsberechtigten der Schüler sind zur Überwachung der Schulpflicht ihrer minderjährigen Kinder verpflichtet. Befreiungen von der Schulpflicht werden nur in eng begrenzten Fällen ausgesprochen. Kommen die Erziehungsberechtigten ihrer Pflicht nicht nach, dann stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar, die einen Bußgeldbescheid zur Folge haben kann. Bei der Verhängung von Ordnungsmaßnahmen muss zwischen Verletzungen der Schulpflicht durch Schüler und der durch die Erziehungsberechtigten unterschieden werden. Die Verhängung eines Bußgeldes gegen Schüler setzt deren Strafmündigkeit voraus. Ziel eines solchen Bußgeldverfahrens ist stets eine Verhaltensänderung der Betroffenen. Die Lehrkräfte der Pflichtschulen werden durch den Erlass von Bußgeldbescheiden bei ihrem Bildungsauftrag unterstützt.

Die Durchsetzung der Schulpflicht ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich liberal oder restriktiv. In den Bundesländern Hamburg, Hessen und Saarland sind Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten oder Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen möglich. Als vorletzte Konsequenz können die Schüler auch zwangsweise zur Schule gebracht werden, wenn zuvor alle anderen Versuche erfolglos blieben (Schulzwang). Der Schulzwang wurde durch das Reichsschulpflichtgesetz vom 6. Juli 1938 gesetzlich normiert und ist heute in den Schulgesetzen der einzelnen Bundesländer geregelt. Als letzte Konsequenz kann den Eltern schließlich durch ein Familiengericht das Personensorgerecht ganz oder teilweise entzogen werden. Von dieser letzten Möglichkeit wurde bisher kaum Gebrauch gemacht. Mit Beschluss vom 31. Mai 2006 hat das Bundesverfassungsgericht die Schulpflicht aller Kinder höchstgerichtlich bestätigt und die strafrechtliche Sanktionierung bei Nichteinhaltung der Schulpflicht durch religiöse Eltern als verfassungsgemäß beurteilt [18].

Ausnahmen, Zurückstellungen

Asylbewerber, Ausländer ohne Aufenthaltsstatus

  • Es ist in der Rechtsprechung einiger Bundesländer unklar, ob sich die Schulpflicht auch auf Asylbewerberkinder erstreckt.
  • Der Rat der Stadt München hat 2004 beschlossen: „Das Schulreferat wird gebeten, allen Schulleitungen mitzuteilen, dass Kinder mit illegalem Aufenthaltsstatus grundsätzlich schulpflichtig sind.[19]“ Daraus wird ausdrücklich geschlussfolgert, dass Schulleiter dem Aufenthaltsstatus von Kindern bzw. Jugendlichen und von deren Eltern nicht nachgehen müssten. Nur so könne der allgemeinen Schulpflicht, die sich auf alle in Deutschland Lebenden beziehe, Geltung verschafft werden.
    In Hessen hingegen sind nach Mitteilung des Kultusministeriums Schulen zur Erfassung des Aufenthaltsstatus und zur Meldung statusloser Kinder an die Ausländerbehörde verpflichtet, andernfalls drohen dienstrechtliche Konsequenzen.[19][20] Nach Auffassung des Hessischen Kultusministeriums gilt die Schulpflicht nicht für Illegale.[20]
    Schätzungen zufolge leben mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Zehntausend Kinder und Jugendliche illegal in Deutschland, von denen die wenigsten eine Schule besuchen.[19]
    Ein Rechtsgutachten der Max-Traeger-Stiftung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kam 2005 zum Schluss, dass Schulleiter ungeachtet §87 des Aufenthaltsgesetzes nicht zur Meldung verpflichtet sind und dass statuslose Kinder wegen des im Grundgesetz festgelegten Gleichbehandlungsgrundsatzes einen Anspruch auf Schulzugang haben.[21]

"Entwicklungsrückstand"

Es können jedoch auch schulpflichtige Kinder, die noch nicht den für den Schulbesuch erforderlichen körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklungsstand haben, auf Antrag der Eltern unter Beteiligung eines schulärztlichen und schulpsychologischen Dienstes von der jeweiligen Schulleitung für jeweils maximal ein Jahr von der Teilnahme am Unterricht der Grundschule oder der Sonderschule zurückgestellt werden.

Ruhenlassen der Schulpflicht

In einigen Bundesländern ist ein „Ruhenlassen der Schulpflicht“ möglich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (und eine gleichwertige anderweitige Förderung möglich ist):

  • In besonderen Härtefällen können in einigen Bundesländern ausländische Jugendliche vom 14. Lebensjahr an von der Schulpflicht befreit werden.
  • Für Kinder mit Behinderungen bestehen verschiedene Sonderregelungen auf Länderebene. In der Regel werden jedoch auch schwer behinderte Menschen nicht durch Anwendung des Instruments des „Ruhenlassens der Schulpflicht“ von ihrem Recht auf Bildung ausgeschlossen. Eine entsprechende Möglichkeit gibt es in den meisten Schulgesetzen nicht (mehr). In Hessen führte allerdings ein Streit zwischen Eltern und dem Schulamt des Landkreises Groß-Gerau über die Frage, ob ein behinderter Junge die Grundschule besuchen dürfe oder eine Förderschule besuchen müsse, dazu, dass die Behörde die Schulpflicht dieses Jungen zwei Jahre lang „ruhen ließ“.[22]

Zeitweilige Befreiung

Aus religiösen Gründen

Eine generelle Befreiung von der Schulpflicht aus religiösen Gründen ist nicht möglich, wohl aber eine Befreiung an wichtigen religiösen Feiertagen sowie von einzelnen Unterrichtsfächern wie dem Sportunterricht (siehe unten).

"Nicht beschulbar"

Zeitweilig von der Schulpflicht ausgenommen sind in einigen Bundesländern schwer erziehbare Kinder und Jugendliche, die als „nicht beschulbar“ gelten. Diese gehen unter Aufsicht von Sozialpädagogen anderen sinnvollen Tätigkeiten nach, bis sie (wieder) in die Lage versetzt sind, am Unterricht in einer Schule teilzunehmen.

Schulfahrt

Die Befreiung von der Pflicht zur Teilnahme an einer Schulfahrt ist aus besonderen Gründen möglich.

Von einzelnen Unterrichtsfächern

Eine Befreiung von einzelnen Unterrichtsfächern ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich.
Vom Sportunterricht beispielsweise erfolgt eine Befreiung, solange eine Teilnahme aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist; eine Befreiung vom Sportunterricht aus religiösen Gründen ist aus besonderen Gründen ebenfalls möglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht ein Anspruch auf Befreiung vom Sport- oder Schwimmunterricht aus religiösen Gründen für islamische Schülerinnen dann, wenn diese konkret glaubhaft darlegen können, durch verbindliche Glaubensgebote oder -verbote in Glaubenskonflikte zu gelangen und keine zumutbare und diskriminierungsfreie Ausweichmöglichkeit für die Schülerin besteht [23].

Verwandte Rechtsbereiche

Beschulungspflicht

Dadurch, dass der Staat die Schulpflicht anordnet, ergibt sich für diesen die Beschulungspflicht. Diese verpflichtet den Staat, dafür zu sorgen, dass auch alle schulpflichtigen Menschen in Deutschland eine öffentliche Schule besuchen können.

Teilnahmepflicht

Leistungskontrolle

Die Teilnahmepflicht am Unterricht erstreckt sich auch auf die Teilnahme an so genannten Leistungskontrollen wie Klassenarbeiten. Bei einer so genannten Leistungsverweigerung ist hierbei die Schulnote ungenügend zu erteilen, wenn in der Folge durch mangelhafte Leistungen die Versetzung gefährdet wird, müssen auch hier die Eltern darüber informiert werden. Falls durch die Leistungsverweigerung Einzelner auch der Lernerfolg anderer Schüler gefährdet wird, kann das Lehrpersonal Ordnungsmaßnahmen ergreifen.

Schulveranstaltungen

Die Schulpflicht erstreckt sich auch auf Schulfahrten.

Pflichtschule

Das Wort Pflichtschule wird in Art. 36 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) als terminus technicus für die Bezeichnung einer Standardschullaufbahn verwendet. Die Pflichtschule besteht nach dieser Bestimmung aus Volksschule (= Grundschule und Hauptschule, Art. 7 BayEUG) und Berufsschule (Art. 11 BayEUG). Die Schulpflicht wird nicht nur durch den Besuch der Pflichtschule erfüllt, sondern nach Art. 35 BayEUG auch durch den Besuch anderer Schulformen (z. B. Gymnasien, Realschulen, Wirtschaftsschulen und Berufsfachschulen).

Auch das saarländische Schulrecht verwendet den Begriff der Pflichtschule, ohne ihn jedoch zu definieren. Im Landesrecht der anderen Bundesländer wird der Begriff nicht verwendet.

Positionen zur Schulpflicht

Befürwortung

Der damalige CSU-Vorsitzende Erwin Huber begründete die Schulpflicht im September 2008 mit den Worten: „Die allgemeine Schulpflicht gilt als eine unverzichtbare Bedingung für die Gewährleistung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und zugleich als unerlässliche Voraussetzung für die Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Wohlfahrt der Gesellschaft. Sinn und Zweck der Schulpflicht ist nicht nur die Vermittlung von Lehrplaninhalten, sondern insbesondere auch die Schulung der Sozialkompetenz der Kinder. Die Sozialkompetenz wird durch das Lernen in der Klassengemeinschaft und durch gemeinsame Schulveranstaltungen in besonderem Maße gefördert. Neben der Förderung der Sozialkompetenz hat die Schule auch die Funktion, während der Unterrichtszeit auf das Kindeswohl zu achten. Würde man Ausnahmen von der Schulpflicht zulassen, müsste diese Aufgabe von den Jugendämtern übernommen werden. Die Bayerische Verfassung will mit der allgemeinen Schulpflicht alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen und umfassend in die Gesellschaft eingliedern. Dies ist eine der großen emanzipatorischen und demokratischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts.[24]

Kritik

Die Schulpflicht wurde im Laufe ihrer Geschichte immer wieder sehr kritisiert. Von konservativ religiöser Seite wird der soziale Umgang und einzelne Unterrichtsinhalte (wie z. B. der Schwimmunterricht, die Sexualkunde oder die Evolutionstheorie) abgelehnt. Aus libertärer Sicht wird die Schulpflicht als unzulässiger Eingriff in persönliche Freiheit und Indoktrination abgelehnt.

Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung Vernor Muñoz äußerte sich in seinem in Berlin veröffentlichten Bericht vom 21. Februar 2006 besorgt darüber, dass die restriktive deutsche Schulpflicht die Inanspruchnahme des Rechtes auf Bildung mittels alternativer Lernformen wie Hausunterricht kriminalisiert.[25][26] Hochschulpräsident Dieter Lenzen kritisiert, Deutschland halte als nahezu einziges Land der westlichen Welt an einer rigiden Schulanwesenheitspflicht fest, anstatt die Schulpflicht zu einer Bildungspflicht mit umfassender Orts- und Methodenfreiheit weiterzuentwickeln. [27]

Die in Deutschland übliche Praxis, Eltern die Erlaubnis zum Heimunterricht als Ersatz für den Schulunterricht zu verweigern, wurde in den USA von einem Einwanderungsgericht Anfang 2010 als „politische Verfolgung“ bewertet. Schulverweigerer aus Deutschland, die ihre Kinder selbst unterrichten wollen, erhielten in den USA aufgrund des Urteils politisches Asyl.[28]

Siehe auch

Literatur

  • Hermann Avenarius, Hans Heckel, Hans-Christoph Loebel: Schulrechtskunde. Ein Handbuch für die Praxis, Rechtsprechung und Wissenschaft. 7. Aufl., Luchterhand, Neuwied 2006, ISBN 3-4720217-5-6.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Sehling, Emil (Begr.): Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Band 18: Rheinland-Pfalz I, Tübingen (Mohr-Siebeck) 2006, S. 406.
  2. Seminararbeit zur Barocken Lesekultur
  3. § 42 Schulgesetz für Berlin
  4. http://www1.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/schulreformns100.html
  5. http://www.studienkreis.de/service/schulsysteme.html#te342
  6. Schulgesetz für Baden-Württemberg
  7. Art. 35 BayEUG, Bayern
  8. Rechtsvorschriften Berlin
  9. Rechtsvorschriften Berlin
  10. Landesrecht Brandenburg
  11. Bremen
  12. Schulrecht Hessen
  13. NSchG 43m Niedersachsen
  14. Christian Jülich, Wolfgang Rombey: Die Schulpflicht in Nordrhein-Westfalen. Deutscher Gemeindeverlag, Köln 1980, ISBN 3-555-30166-7.
  15. Schulgesetz Rheinland-Pfalz
  16. Schulgesetz Sachsen-Anhalt
  17. Schulgesetz Thüringen
  18. BVerfG, 2 BvR 1693/04 vom 31. Mai 2006
  19. a b c Deutschlands vergessene Kinder. Süddeutsche Zeitung vom 21. Oktober 2008. http://www.sueddeutsche.de/panorama/890/314786/text/
  20. a b Hessen bleibt hart. „Illegale“ Kinder dürfen nicht zur Schule, 21. April 2006
  21. Max-Traeger-Stiftung: Aufenthaltsrechtliche Illegalität und soziale Mindeststandards - Das Recht des statuslosen Kindes auf Bildung -. 2005 http://www.gew.de/Binaries/Binary29225/RG_im_Auftrag_der_Max-Traeger-Stiftung,_Das_Recht_des_stat%E2%80%A6.pdf
  22. Matthias Bartsch: Ende des Aussortierens. Der Spiegel. Heft 50/2009. 7. Dezember 2009. S.46
  23. Bundesverwaltungsgericht: BVerwGE 94, 82 ff.
  24. http://www.kandidatenwatch.de/erwin_huber-120-16282--f143173.html#frage143173
  25. unerzogen-Blog
  26. Report of the Special Rapporteur on the right to education, Vernor Muñoz
  27. Heimunterricht muss erlaubt sein, in: Der Tagesspiegel vom 25. Mai 2009
  28. Lukas Dubro: Deutsche erhalten US-Asyl. taz. 27. Januar 2010
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