Die zertanzten Schuhe

Die zertanzten Schuhe

Die zertanzten Schuhe ist ein Märchen (ATU 306). Es steht in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm an Stelle 133 (KHM 133).

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die zwölf Töchter des Königs haben morgens immer zertanzte Schuhe. Der König will herausfinden, wo sie nachts heimlich tanzen. Wer es herausfindet, soll sich eine davon zur Frau nehmen dürfen. Hat er es aber nach drei Nächten nicht herausgefunden, muss er sterben. Obwohl sich Freier melden, scheitern alle daran, dass sie nachts einschlafen, anstatt das Geheimnis zu lüften. Schließlich meldet sich ein armer verwundeter Soldat, der von einer alten Frau den Rat erhalten hat, einen Tarnmantel zu verwenden und den Abendtrunk nicht zu trinken, den die älteste Tochter bringt. So gelingt es ihm, den Töchtern dreimal unbemerkt auf ihrem geheimen Weg in ein unterirdisches Schloss zu folgen. Dort tanzen sie mit zwölf verwunschenen Prinzen, um sie zu erlösen. Er nimmt jedes Mal ein Beweisstück mit. So gibt ihm der König nach drei Tagen auf seinen Wunsch die älteste Tochter zu Frau. Die zwölf Prinzen werden wieder verwunschen.

Grimms Anmerkung

Das Märchen steht in den Kinder- und Hausmärchen ab dem zweiten Teil der Erstauflage von 1815 (da als Nr. 47) an Stelle 133. Die Anmerkung notiert Aus dem Münsterland (von Jenny von Droste-Hülsoff) und erzählt eine paderbörnische Variante (von Familie von Haxthausen) nach, aus der auch der Schwamm unter dem Kinn des Soldaten stammt: Er soll herausfinden, wie die Schuhe der drei Königstöchter jede Nacht entzwei werden. Vor ihm wurden schon zwölf aufgehängt, die es vergeblich versuchten. Er folgt den Töchtern durch den Gang zu einem See, durch den drei Riesen sie zu einem kupfernen Schloss tragen. Der Soldat nimmt einem Löwen und einem Fuchs einen Mantel und Schuhe ab, um die sie sich streiten, womit er sich ins Schloss wünscht. Dort setzt er sich neben die Älteste und isst ihr alles vor dem Mund weg. Die zweite und dritte Nacht ist es ein silbernes bzw. goldenes Schloss und er setzt sich neben die Mittlere bzw. die Jüngste, die er schließlich auch vom König zur Frau erhält.

In einer dritten aus Hessen zertanzt die Königstochter jede Nacht zwölf Paar Schuhe. Der jüngste der zwölf Gesellen, die sie täglich bringen, versteckt sich unter dem Bett. Er sieht die Königstochter mit elf anderen durch eine Falltür steigen, in einem Kahn zu zwölf Gärten fahren und in einem Schloss mit zwölf Königssöhnen tanzen. Morgens will eine nicht aufstehen, bis ihr eben der Gesell Schuhe bringt, den sie heiratet.

Zum Streit um die drei Wundergaben vergleichen sie KHM 92 Der König vom goldenen Berg (zu ergänzen wären KHM 93, 122, 193, 197), zur Todesstrafe bei misslungener Rätsellösung KHM 22 Das Rätsel und KHM 134 Die sechs Diener (Zu ergänzen wäre KHM 191).

Interpretation

Viele Märchen der Brüder Grimm drehen sich darum, dass ein oft einfacher Mann die Königstochter erhält, indem er eine bestimmte Aufgabe besteht oder ein Rätsel löst (KHM 4, 20, 134). Insofern ist der arme Soldat als Held nicht ganz untypisch (KHM 101, 116, 16a). Dass so einem Schwiegersohn dann besondere Steine in den Weg gelegt werden, wendet er hier vielleicht ab, indem er sich für die älteste Tochter entscheidet. Sie war es auch, die mit dem Schlaftrunk alle Bewerber ausschaltete (KHM 93, 113, 193). Die Jüngste ist dagegen oft die liebste (KHM 62, 169). Sie ahnt, dass sie nicht zum Tanzen hätten gehen sollen, lässt sich aber von der ältesten überreden. Das unterirdische Schloss, in das sie nachts gehen, stellt eine geheimnisvolle Anderswelt oder Unterwelt dar. Sehr häufig ist auch der Charakter der listigen Alten, wobei sie nicht immer wie hier gutartig ist (KHM 93, 122, 123).

Laut Hedwig von Beit ist der einfache Soldat die i. Ggs. zum König unentwickelte Persönlichkeit. Seine Ursprünglichkeit findet Zugang zu unbewussten Geheimnissen. Die Wunde (des Wotan, Prometheus oder Amfortas) macht ihn zum Heiler.[1] Für Ortrud Stumpfe ist er der bewusst für die Ordnung kämpfende, der gelernt hat, sich so mit den Dingen, die er ergründen will, zu verbinden, dass er unauffällig wird,[2] ähnlich Friedel Lenz[3]. Die böse Seite der Anima ist oft als unfreiwilliger Zwang dargestellt. Dass auch Dämonen Erlösung suchen, ist seltener.[4] Heino Gehrts weist darauf hin, dass die erwähnten Metalle Kupfer, Silber und Gold für die Gestirne Venus, Mond und Sonne stehen, also eine Jenseitswelt darstellen, die die Beteiligten im Schlaf betreten, was an Somnambulie erinnert, die der Held also aufdeckt und bewusst macht.[5] Auch die kaputten Schuhe weisen auf ein gestörtes Verhältnis zu Erde (zur Realität) hin.[6]

Der Märchenforscher Hans-Jörg Uther findet es unlogisch, dass die Töchter den Soldaten verachten und verwünschte Prinzen irgendwie erlösen wollen, die dann noch einmal verwünscht werden.[7] Auch Walter Scherf sieht Verlegenheitslösungen in der Heirat des alten Freiers mit der ältesten Tochter und der Verlängerung der Verwünschung der Prinzen, die deshalb Dämonen sein müssen. Sein Interpretationsansatz: Die Eskapaden der eingesperrten Töchter legen einen Tochter-Vater-Konflikt nahe (wie in AaTh 870: KHM 198; AaTh 510B: KHM 65; AaTh 301: KHM 91; AaTh 307, 507). In solchen Märchen wie denen vom dankbaren Toten steht der Held seinerseits in einem Sohn-Vater-Konflikt.[8] Auch Verena Kast sieht die Töchter an Vaterdämonen gebunden.[9]

Varianten und Bearbeitungen

Die englische Wikipedia nennt eine Variante Kate Crackernuts in Joseph Jacobs' English Fairy Tales, dieses Märchen von Jacobs kombiniert Aschenputtelmotive des norwegischen Aschenputtel Kari Holzrock mit dem Märchen der nächtlich verschwindenden Prinzessin. Des Weiteren ist das Kunstmärchen Die Zwölf Tanzprinzessinnen von Charles Deulin[10] mit dem Grimmschen Stoff der zertanzten Schuhe befasst. Es entstammt Deulins Erzählungen des Königs Gambrinus[11]; Eine russische Variante zum Märchen stammt von Alexander Nikolajewitsch Afanassjew. Als belletristische Bearbeitung gibt es eine Geschichte von Jeanette Winterson Sexing the Cherry.

Bühnenstücke

  • Die zertanzten Schuhe, Eine heitere Märchen-Tanz-Pantomime in 4 Bildern, von Franz bei der Wieden 1941

Verfilmungen

  • Die zertanzten Schuhe, Filmproduktion der Augsburger Puppenkiste (ital., s/w, 1966)
  • Die zertanzten Schuhe (1977), Fernsehfilm (DEFA, DDR; Regie: Ursula Schmanger)
  • Das neunte Herz bzw. Devate Srdce Märchenfilm unter der Regie von Juraj Herz nach einem Märchen von Josef Hanzlík, ČSSR 1977 mit Ondrej Pavelka als der Student Martin, Anna Málová ist Tonka, die Tochter des Puppenspielers und Julie Juristová spielt die verblendete Prinzessin - eine hoffmanneske Variation zu Die zertanzten Schuhe
  • englischsprachige Fernsehproduktion 1978 unter Leitung von Ben Rea (mit starken Änderungen am Inhalt)
  • Gurimu Meisaku Gekijō, japanische Zeichentrickserie 1987, Folge 22: Die zertanzten Schuhe
  • Die drei müden Prinzessinnen Tschechien 1998 mit Matey Hádek als Peter, Tereza Grygárova als Prinzessin Lina, Sabina Králová als Prinzessin Klara, Sárka Ullrichová als Peters Prinzessin Maria nach einem Märchen[12]von Charles Deulin und Märchenmotiven aus Die zertanzten Schuhe der Gebrüder Grimm
  • Große Märchen mit großen Stars: Die zertanzten Schuhe (deutsch, 1999; Regie: Peter Medak)
  • Barbie in the 12 Dancing Princesses, Animationsfilm, USA 2006
  • SimsalaGrimm Staffel 3: Folge 37 Die zertanzten Schuhe (2010)

Literatur

  • Grimm, Brüder. Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. S. 227-228, S. 495. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-003193-1)
  • Uther, Hans-Jörg: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Berlin 2008. S. 284-285. (de Gruyter; ISBN 978-3-11-019441-8)
  • Scherf, Walter: Das Märchenlexikon. Zweiter Band L-Z. S. 1441-1444. München 1995. (Verlag C. H. Beck; ISBN 3-406-39911-8)
  • Stumpfe, Ortrud: Die Symbolsprache der Märchen. 7., verbesserte und erweiterte Auflage 1992. Münster. S. 34, 47, 48, 75, 177, 184. (Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung; ISBN 3-402-03474-3)
  • Gehrts, Heino: Das Märchen von den zertanzten Schuhen. In: Gehrts, Heino und Lademann-Priemer, Gabriele (Hrsg.): Schamanentum und Zaubermärchen. Kassel 1986. S. 160-177. (Erich Röth-Verlag; ISBN 3-87680-344-6)

Weblinks

 Wikisource: Die zertanzten Schuhe – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. von Beit, Hedwig: Gegensatz und Erneuerung im Märchen. Zweiter Band von «Symbolik des Märchens». Zweite, verbesserte Auflage, Bern 1956. S. 182-183. (A. Francke AG, Verlag)
  2. Stumpfe, Ortrud: Die Symbolsprache der Märchen. 7., verbesserte und erweiterte Auflage 1992. Münster. S. 48. (Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung; ISBN 3-402-03474-3)
  3. Lenz, Friedel: Bildsprache der Märchen. 8. Auflage. S. 248. Stuttgart, 1997. (Verlag Freies Geistesleben und Urachhaus GmbH; ISBN 3-87838-148-4)
  4. von Beit, Hedwig: Gegensatz und Erneuerung im Märchen. Zweiter Band von «Symbolik des Märchens». Zweite, verbesserte Auflage, Bern 1956. S. 196-197. (A. Francke AG, Verlag)
  5. Gehrts, Heino: Das Märchen von den zertanzten Schuhen. In: Gehrts, Heino und Lademann-Priemer, Gabriele (Hrsg.): Schamanentum und Zaubermärchen. Kassel, 1986. S. 160-177. (Erich Röth-Verlag; ISBN 3-87680-344-6)
  6. Lenz, Friedel: Bildsprache der Märchen. 8. Auflage. S. 250. Stuttgart, 1997. (Verlag Freies Geistesleben und Urachhaus GmbH; ISBN 3-87838-148-4)
  7. Uther, Hans-Jörg: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Berlin 2008. S. 284-285. (de Gruyter; ISBN 978-3-11-019441-8)
  8. Scherf, Walter: Das Märchenlexikon. Zweiter Band L-Z. S. 1441-1444. München, 1995. (Verlag C. H. Beck; ISBN 3-406-39911-8)
  9. Kast, Verena: Liebe. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 8. S. 1047. Berlin, New York, 1996.
  10. Englische Ausgabe von Deulin in Andrew Langs The Red Fairy Book
  11. Charles Deulin:Erzählungen des Königs Gambrinus aus dem Französischen übertragen von Friedrich v. Oppeln-Bronikowsi darin Die Zwölf Tanzprinzessinnen, S.65-76; Eugen Diederichs-Verlag, Jena 1923
  12. Charles Deulin:Erzählungen des Königs Gambrinus aus dem Französischen übertragen von Friedrich v. Oppeln-Bronikowsi: Die Zwölf Tanzprinzessinnen, S.65-76; Eugen Diederichs-Verlag, Jena 1923

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