- Erich Kuby
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Erich Kuby (* 28. Juni 1910 in Baden-Baden; † 10. September 2005 in Venedig) war ein deutscher Journalist und Publizist.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Die frühen Jahre
Kubys Vater hatte 1901 in Westpreußen ein Landgut gekauft, dessen Bewirtschaftung er schon nach einem Jahr aufgeben musste. Daraufhin zog er nach München und lernte dort seine Frau Dora Süßkind kennen. Sohn Erich wurde 1910 in Baden-Baden geboren.
1913 zog die Familie ins oberbayerische Voralpenland, wo der Vater erneut einen Hof übernahm. Dort wuchs das Kind auf, während der Vater als Reserveoffizier im Ersten Weltkrieg diente. Nach Ende des Krieges zog die Familie nach Weilheim um, wo Kuby das Gymnasium besuchte. Durch die lange Abwesenheit kam ihm sein Vater vor wie „ein ziemlich fremder Herr“,
„[…] von dem ich erfuhr, wir hätten den Krieg nicht verloren, was ich ihm schon nicht mehr glaubte, sondern frühzeitig begann, mich zum schwarzen Schaf der Familie zu entwickeln, zu einem Sohn, der nur geringes Interesse bekundete, als der Vater nach dem Umzug in das nächste Kreisstädtchen – wo er eine weit kleinere Landwirtschaft erstand und betrieb – auf lokaler Ebene eine paramilitärische Organisation aufbaute, Einwohnerwehr genannt, deren Mannschaften in der nahen ‚Schießstätte‘ Schützenfeste veranstalteten, die eigentlich Schießübungen waren, und eines Tages der Vater in unserem Obstgarten sogar mit Ludendorff auf und ab ging, kurz vor dem Hitler-Putsch vom November 1923 […]“
– Erich Kuby: Mein ärgerliches Vaterland. München 1989 (Lizenzausgabe Volk und Welt, Berlin 1990, S. 7)
In München erhielt Kuby Geigenunterricht. Auf der Schule wurde er u. a. durch einen kritischen jüdischen Lehrer politisch beeinflusst. Er beendete in München als Externer sein Abitur. In Erlangen und Hamburg studierte er Volkswirtschaft. Sein Studium schloss er 1933 mit dem Diplom ab. Während der Semesterferien hatte er als Werftarbeiter bei Blohm & Voss in Hamburg gearbeitet.
Seiner jüdischen Freundin Ruth folgte er 1933 per Fahrrad in die Emigration nach Jugoslawien. Von dort kehrte er jedoch nach wenigen Monaten allein wieder zurück nach Deutschland, weil er angeblich zwar in räumlicher Nähe, doch aus innerer Distanz heraus den „Verfallsprozess“ des Landes analysieren wollte.
Nach dem Umzug von München nach Berlin arbeitete er im Bildarchiv des Scherl-Verlages. 1938 heiratete er die Bildhauerin Edith Schumacher, die Tochter des Berliner Nationalökonomen Hermann Schumacher. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor. Die Schwester seiner Frau war mit Werner Heisenberg verheiratet. Es waren „lauter Patrioten“, wie der Titel der 1996 erschienenen Geschichte seiner Familie lautet. Während des Zweiten Weltkrieges diente Kuby bei der Wehrmacht in Frankreich und an der Ostfront. 1941 wurde Kuby in Russland wegen eines angeblichen Wachvergehens militärgerichtlich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und vom Obergefreiten zum einfachen Soldaten degradiert. Den Kriegsalltag und die belastenden Ereignisse hielt er täglich schriftlich fest und fertigte darüber hinaus eine Vielzahl von Zeichnungen an. Nach Kriegsende war er nur kurz bis Juni 1945 in US-Gefangenschaft. Seine Kriegserlebnisse veröffentlichte er später in den Werken Demidoff – oder von der Unverletzlichkeit des Menschen (1947), Nur noch rauchende Trümmer (1959) und Mein Krieg (1975) und gab sie viele Jahre später als Gesamtausgabe heraus (erschienen 2000).
Journalistische Karriere
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges baute Kuby zunächst sein zerstörtes Elternhaus in Weilheim auf. Anschließend warb ihn die amerikanische Militärbehörde ICD (Information Control Division) in München als Berater an. Kuby wurde von der amerikanischen Militärverwaltung beauftragt, auch Zeitungslizenzen für vertrauenswürdige Persönlichkeiten auszustellen. Seit Januar 1946 war er beteiligt an der Gründung der Zeitschrift Der Ruf, deren Chefredaktion er nach der Entlassung von Alfred Andersch und Hans Werner Richter im Jahre 1947 übernahm. Auch Kuby erging es in dieser Funktion nicht besser, und er musste nach einem Jahr den Posten abgeben. Er blieb allerdings bei seinem journalistischen Berufsweg, denn er gründete keinen eigenen Verlag, was er später sehr bereuen sollte. In den Folgejahren arbeitete der „Nestbeschmutzer von Rang“ (Heinrich Böll) als Redakteur für die Süddeutsche Zeitung. Danach war er als freier Mitarbeiter unter anderem für den Spiegel, den Stern und die Frankfurter Hefte tätig. In seinen Artikeln bezog er eine linke und liberale Position und war eine wichtige Stimme gegen die deutsche Wiederbewaffnung und die Pläne zur atomaren Aufrüstung.
Hörspiele und Drehbücher
Neben seinen journalistischen Arbeiten adaptierte er gesellschaftskritische Stoffe für Hörfunk und Fernsehen. Ein Hörspiel über die seiner Meinung nach sinnlose Verteidigung der Festung von Brest durch die Wehrmacht brachte ihm eine Beleidigungsklage des verantwortlichen Generals Hermann-Bernhard Ramcke ein. Kuby hatte die Vernichtung von Brest als Soldat selbst miterlebt. Er wurde 1959 freigesprochen. Eine Innenansicht der Wehrmacht legte Kuby 1975 mit seinem Kriegstagebuch Mein Krieg. Aufzeichnungen aus 2129 Tagen vor.
Berühmt wurde Kuby durch seine Mitarbeit am Drehbuch für den Film Das Mädchen Rosemarie (BRD 1958, Regie: Rolf Thiele, mit Nadja Tiller, Mario Adorf, Gert Froebe und Peter van Eyck). Das Drehbuch diente später als Vorlage für den Roman Rosemarie. Des deutschen Wunders liebstes Kind.
Der ungeklärte Mord an der Frankfurter Edel-Prostituierten Rosemarie Nitribitt bildete den Rahmen für ein Drama, das die Doppelmoral zur Zeit des Wirtschaftswunders skizzierte. Kubys fiktive Darstellung fing den damaligen Zeitgeist so realistisch ein, dass seine hypothetische Version über die Hintergründe des Mordes von der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend übernommen wurde. Selbst dramaturgische Kleinigkeiten, wie Nitribitts angeblich rotes Sport-Cabrio, der legendäre Mercedes-Benz SL 190, finden sich heute in vielen Quellen als Tatsachenbehauptung wieder. Der sogenannte Nitribitt-Roadster existierte zwar tatsächlich, in der damaligen Berichterstattung war er jedoch noch schwarz.
Rolle als kritischer Chronist der Bundesrepublik
Kuby galt als einer der wichtigsten Chronisten der Bundesrepublik Deutschland. Er engagierte sich in der Studentenbewegung Mitte der 60er Jahre . Im Sommersemester 1965 machte der Fall Kuby bundesweit Schlagzeilen, als gegen ihn vom damaligen Rektor der FU Berlin ein Redeverbot verhängt wurde. Kuby hatte sich sieben Jahre zuvor kritisch zum Namen „Freie Universität“ geäußert und durfte deshalb der Einladung des AStA zu einer Podiumsdiskussion nicht folgen, was dann zu massiven Gegenprotesten der Studentenschaft führte.[1]
Stets behielt er sich ein parteienunabhängiges Urteil vor und scheute auch nicht vor Kritik bei Gesinnungsfreunden und ehemaligen Mitstreitern zurück, wenn es ihm notwendig erschien. Über die Zeitschriften Stern und Spiegel fertigte er 1983 und 1987 detaillierte kritische Analysen an. Für sein Kriegstagebuch Mein Krieg wurde Kuby heftig angefeindet; der Erstausgabe 1975 war kein Verkaufserfolg beschieden.
Die letzten 25 Jahre seines Lebens verbrachte Kuby überwiegend in Venedig, von wo aus er sich weiterhin an aktuellen politischen Debatten in Deutschland beteiligte. Der „Homme de lettres“ schrieb bis 2003 regelmäßig für die Wochenzeitung Freitag die Kolumne „Der Zeitungsleser“.
Erich Kuby war zweimal verheiratet; zuletzt mit der Literaturwissenschaftlerin, Autorin und Publizistin Susanna Böhme-Kuby (* 1947), mit der er den gemeinsamen Sohn Daniel hatte. Aus erster Ehe stammen die Kinder Thomas, Gabriele, Clemens und Benedikt. Clemens, Benedikt und Gabriele Kuby sind ebenfalls publizistisch tätig. Erich Kuby starb im Alter von 95 Jahren und ist auf der Friedhofsinsel San Michele von Venedig beigesetzt.
Auszeichnungen
Für sein publizistisches Lebenswerk wurde Kuby 1992 der Publizistikpreis der Stadt München verliehen.[2] Die Laudatio hielt Wolfgang R. Langenbucher. Postum wurde Kuby mit dem Kurt-Tucholsky-Preis des Jahres 2005 ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Heinrich Senfft.[3]
Werke (Auswahl)
- (1947): Demidoff oder von der Unverletzlichkeit der Menschen, von Erich Kuby unter der Pseudonym Alexander Parlach, Paul List Verlag, München 1947
- (1956): Das Ende des Schreckens: Dokumente des Untergangs Januar bis Mai 1945, Süddeutscher Verlag, München 1956
- (1957): Das ist des Deutschen Vaterland - 70 Millionen in zwei Wartesälen. Stuttgart: Scherz & Goverts, 485 S.
- (1958): Rosemarie. Des deutschen Wunders liebstes Kind. Stuttgart: Goverts, 306 S., Nachdruck: Rotbuch Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86789-119-6
- (1959): Nur noch rauchende Trümmer. Das Ende der Festung Brest. Tagebuch des Soldaten Erich Kuby; mit Text des Hörbildes, Plädoyer des Staatsanwalts, Begründung des Urteils. Hamburg: Rowohlt, 198 S.
- (1963): Franz Josef Strauß: Ein Typus unserer Zeit. [Mitarb.]: Eugen Kogon, Otto von Loewenstern, Jürgen Seifert. Wien: Desch, 380 S.
- (1963): Richard Wagner & Co. Zum 150. Geburtstag des Meisters. Hamburg: Nannen, 155 S.
- (1968): Prag und die Linke. Hamburg: Konkret-Verlag, 154 S., Ill.
- (1982): Verrat auf deutsch. Wie das Dritte Reich Italien ruinierte. [Übers. aus d. Ital. u. Engl.: Susanna Böhme]. Hamburg: Hoffmann und Campe, 575 S. ISBN 3-455-08754-X
- (1983): Der Fall "Stern" und die Folgen. Hamburg: Konkret Literatur Verlag, 207 S. ISBN 3-922144-33-0 und Berlin: Volk und Welt, 206 S.
- (1986): Als Polen deutsch war: 1939-1945. Ismaning bei München: Hueber, 341 S.
- (1987): Der Spiegel im Spiegel. Das deutsche Nachrichten-Magazin; kritisch analysiert von Erich Kuby. München: Heyne , 176 S. ISBN 3-453-00037-4
- (1989): Mein ärgerliches Vaterland. München: Hanser, 560 S., Leinen, ISBN 3-446-15043-9.[4]
- (1990): Der Preis der Einheit. Ein deutsches Europa formt sein Gesicht. Hamburg: Konkret Literatur Verlag, 112 S. ISBN 3-922144-99-3
- (1990): Deutschland: von verschuldeter Teilung zur unverdienten Einheit. Rastatt: Moewig, 398 S.
- (1991): Deutsche Perspektiven. Unfreundliche Randbemerkungen. Hamburg: Konkret Literatur, 160 S. ISBN 3-89458-105-0
- (1996): Der Zeitungsleser. In Wochenschritten durch die politische Landschaft 1993-1995. Hamburg: Konkret Literatur, 160 S. ISBN 3-89458-145-X
- (1996): Lauter Patrioten. Eine deutsche Familiengeschichte. München: Hanser, ca. 240 Seiten, 50 Abb., geb. ISBN 3-446-15918-5
- (2000): Mein Krieg. Aufzeichnungen aus 2129 Tagen. (zuerst 1975) Berlin: Aufbau, 513 S. ISBN 3-7466-1588-7
- (2010): Erich Kuby zum 100. AufZeichnungen 1939-1945. Hamburg: hyperzine verlag, Katalog zur Wanderausstellung der Zeichnungen und Aquarelle, kuratiert von Susanne Böhme-Kuby und Benedikt Kuby, 100 S. ISBN 978-3-938218-16-7
Zitate
- Verleger schlürfen ihren Champagner aus den Gehirnschalen der Journalisten.
Referenzen
- ↑ Der „Fall Kuby“: Redeverbot an der FU Berlin, 1965
- ↑ http://www.muenchen.de/Rathaus/kult/kulturfoerderung/preise/publizistikpreis/158905/preistraeger.html
- ↑ Laudatio von Heinrich Senfft
- ↑ Neuauflage: Mein ärgerliches Vaterland. Aufbau-Verlag, Berlin 2010. Vgl. Peter O. Chotjewitz: Bittere Wahrheiten. taz.de, 28. Juni 2010.
Weblinks
- Literatur von und über Erich Kuby im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Erich Kuby in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Kurzbiographie des Tucholsky-Preisträgers und Auswahl von drei Texten
Artikel
- „Er war kein Ideologe“, DLF, 12. September 2005, Peter O. Chotjewitz über den verstorbenen Publizisten Erich Kuby
- „Mit durchdringendem Blick“, taz, 13. September 2005
- Erinnerungen an Kuby von Mathias Bröckers, 13. September 2005
- „Ein Solitär ... und unbeugsamer Aufklärer gegen den Zeitgeist“, Freitag, 16. September 2005, Nachruf von Ekkehart Krippendorff
- „Erich Kuby (1910–2005)“, Weltwoche, 14. September 2005, Nr. 37 von Willi Winkler
- Adieu, Erich Kuby, Ossietzky, Nr. 19, 2005, Erinnerungen seines stern-Kollegen Günther Schwarberg
- „Das kritische Ich - Erich Kuby“, der Freitag, 2. Juli 2010
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