Exzentrische Anomalie

Exzentrische Anomalie

Die Kepler-Gleichung ergibt sich aus den keplerschen Gesetzen durch Einführung der exzentrischen Anomalie E und der mittleren Anomalie M.

Mit ihrer Hilfe lässt sich das Kepler-Problem lösen, also die wahre Anomalie T, also der momentane Winkelabstand eines Himmelsobjekts von der Periapsis auf seiner Keplerbahn berechnen.

Die moderne Formulierung unterscheidet sich etwas von der, die Johannes Kepler in seiner Astronomia Nova von 1609 publizierte.

Inhaltsverzeichnis

Die mittlere Anomalie

Konstruktion zur keplerschen Gleichung.
Beschriftung englisch:
auxiliary circle – Hilfskreis

Die elliptische Bahnkurve (Orbit) wird um einen Umkreis als Hilfskreis erweitert.

Ein Punkt y auf dem Hilfskreis kann als fiktiver Himmelskörper – ein mittleres Objekt – angesehen werden, der zum Zeitpunkt t0 ebenso wie das wahre Objekt im Periapsis steht, dieselbe Umlaufzeit hat, aber mit konstanter Winkelgeschwindigkeit auf einer Kreisbahn umläuft, die den Radius der Ellipsen-Halbachse a hat.

Die mittlere Anomalie M wird als der Winkel zum mittleren Objekt im Hilfskreis-Mittelpunkt c im Bezug zum Periapsis z definiert:

M= 2 \pi \frac {t-t_0} {U}

Dabei ist U die Bahnperiode und t0 der Zeitpunkt, zu dem das Himmelsobjekt sich in der Periapsis befindet (die Periapsiszeit). Das Objekt hat zu diesem Zeitpunkt t0 den geringsten Abstand zu seinem Schwerezentrum. 2π / U ist die mittlere Bewegung n.

Nach dem zweiten keplerschen Gesetz überstreicht der Fahrstrahl vom Objekt zum Schwerezentrum in gleichen Zeiten den gleichen Anteil der Gesamtfläche der Bahn.

Da beide Objekte zur selben Zeit durch die Periapsis gehen, ist die überstrichene Gesamtfläche πab für P und πa2 für y.

Die Definition des mittleren Objekts y besagt also, dass sein Fahrstrahl \overline {cy} im Verhältnis dieselbe Fläche überstreicht wie der Fahrstrahl \overline {sP}des Körpers P:

\frac{\operatorname{area}\,cyz}{\operatorname{area}\,sPz} = \frac{\pi a^2}{\pi a b} = a/b
mit der Funktion \operatorname{area}\,ABC, die die Fläche des Dreiecks ABC berechnet

Die exzentrische Anomalie

Ein Hilfspunkt x ist die Projektion von P auf den Hilfskreis.

Die exzentrische Anomalie E ist der Winkel im Mittelpunkt c vom Periapsis z zu x.

Der Normalabstand von x zur Linie \overline {cz} ist also um den Faktor a / b größer als der Abstand des Objekts P, und daher auch die von der Verbindungslinie vom Schwerezentrum s zu x überstrichene Fläche um den Faktor a / b größer als die vom Fahrstrahl \overline {sP} überstrichene Fläche.

\operatorname{area}\,sxz = \frac ab\operatorname{area}\,sPz

Der Hilfspunkt ist also so konstruiert, dass er immer dieselbe Fläche wie das mittlere Objekt überstreicht:

\operatorname{area}\,sxz = \operatorname{area}\,cyz

Die Keplergleichung

Wenn der Fahrstrahl von y nun in einer Periode U den Winkel zurücklegt und die Fläche πa2 überstreicht, hat er zum Zeitpunkt t0 beim Winkel M eine um den Faktor M / 2π kleinere Fläche überstrichen, und da auch x als Projektion zum Zeitpunkt t0 durch z läuft:

\operatorname{area}\,cyz = {a^2 \over 2} M und  \operatorname{area}\,cxz = {a^2 \over 2} E

Das Dreieck cxs besteht aus der Grundlinie a \cdot e (mit der numerischen Exzentrizität e der Ellipse, die den Abstand zwischen Mittelpunkt und Brennpunkt im Verhältnis zur großen Halbachse gibt, und in diesem steht nach dem ersten Keplergesetz das Schwerezentrum) und der Höhe a \cdot \sin E:

 \operatorname{area}\,cxs = \frac{a^2}{2} e \sin E

Durch Zerlegung der Flächen und der Definition von y und x folgt also:

\mbox{area}\,cxz=\operatorname{area}\,cxs + \operatorname{area}\,sxz= \operatorname{area}\,cxs + \operatorname{area}\,cyz

also

\frac{a^2}2E=\frac{a^2}{2} e \sin E+\frac{a^2}2M

Daraus leitet sich schließlich die Kepler-Gleichung ab:

E - e \cdot \sin E = M

Für diese Ableitung werden nur die keplerschen Gesetze benötigt. Diese Gesetze können, wie Isaac Newton später zeigen konnte, aus dem Gravitationsgesetz abgeleitet werden, das Kepler jedoch nicht bekannt war.

Kepler selbst bezeichnete M als „mittlere Bewegung“ und E − e·sinE als „mittlere Anomalie“.

Berechnung der exzentrischen Anomalie

Die Größe E(t) kann als Nullstelle der Funktion der Keplergleichung betrachtet werden:

f(E) = E - e \cdot \sin E - 2 \pi \frac {t-t_0} {U}

Die Nullstelle kann etwa mit dem Newton-Verfahren numerisch berechnet werden.

Eine stabileres, aber langsamer konvergierendes Verfahren beruht auf dem banachschen Fixpunktsatz:

E_n = M + e \cdot \sin E_{n-1}; ~ E_0 = M [1]

Für kleine Exzentrizität e kann E auch folgendermaßen approximiert werden:

E = M + e \cdot \sin M + {1 \over 2} e^2  \cdot \sin 2M [2]

Der Fehler ist hierbei von der Größenordnung \mathcal{O}(e^3). Bei der Erde und ihrer Exzentrizität e = 0,0167 liegt der Fehler für begrenzte Zeiträume also hinter der 5. Kommastelle.

Die wahre Anomalie

Die gesuchte wahre Anomalie T zu einem Zeitpunkt t lässt sich aus E berechnen:

\tan \frac{T}{2} = \sqrt{\frac{1+e}{1-e}} \cdot \tan \frac{E}{2} [3]

oder

T = arccos \left( \frac {\cos E - e}{1-e \cos E} \right)\,,\, 0 \le E \le \pi
T = 2 \pi - arccos \left( \frac {\cos E - e}{1-e \cos E} \right)\,,\, \pi  \le E \le 2\pi  [3]

Zwischen den Anomalien T, E und M bestehen noch zahlreiche weitere Zusammenhänge[4], die in der langen Geschichte der Himmelsmechanik entwickelt wurden, und insbesondere lässt sich die wahre Anomalie – ohne Umweg über die Keplergleichung – direkt aus einer speziellen Differenzialgleichung in M errechnen[5], was für numerische Näherungsverfahren von Interesse ist.

Bahndatenbestimmung

Als erste direkte Anwendung folgert die Bestimmung von Radius und Geschwindigkeit auf der idealen, ungestörten Keplerbahn. Bei realen astronomischen Objekten ist die Bewegung aber Bahnstörungen unterworfen, die diese Werte verfälschen, und die Bestimmung von Ort und Geschwindigkeit eines astronomischen Objekts ist die Grundaufgabe der Bahnbestimmung. Bei manchen Objektklassen werden diese elementaren Bahndaten direkt als Bahnelement angegeben.

Diese Daten bilden dann die Grundlage für alle weiteren Berechnungen der Himmelsmechanik, der astronomischen Phänomenologie, beobachtenden Astronomie, Ephemeridenrechnung wie auch der Raumfahrt.

Der Bahnradius

Aus der wahren Anomalie kann dann die Entfernung des Körpers für eine Zeit t bestimmt werden:

r = r(T(t)) = r(t) = a \cdot \frac{(1-e^2)}{1+e \cdot \cos T}
r … Entfernung (Bahnradius)
a … große Halbachse der Ellipse
e … Numerische Exzentrizität
T … wahre Anomalie

Die Bahngeschwindigkeit

Die wahre Anomalie ist die Winkelgeschwindigkeit ω im Gravizentrum. Die Normalkomponente der Geschwindigkeit folgt also direkt aus

v_\perp = T \cdot r

Die Radialgeschwindigkeit ist die Änderung des Bahnradius mit der Zeit:

v_r = \dot r

Die Bahngeschwindigkeit oder Orbitalgeschwindigkeit folgt dann zu v^2= v_\perp^2 + v_r^2

v = v(T(t), r(t)) = v(t) = \sqrt{ (T \cdot r)^2 + \dot r^2}
v … Bahngeschwindigkeit
T … wahre Anomalie
r … Bahnradius

Einfacher lässt sich die Bahngeschwindigkeit über den Hodograph \vec \dot r aus dem Flächensatz ableiten

v^2 = \frac {C^2}{p} \left( \frac {2}{r} - \frac {1}{a} \right)[6]
CBahndrehimpuls als zentrale Kenngröße der Bewegung
pParameter als kennzeichnendes Bahnelement
agroße Halbachse

Daraus folgen die Minimal- und Maximalgeschwindigkeit im Apozentrum und Perizentrum einer Ellipsenbahn

v_{max} = \frac {C^2}{p} (1 + e) und v_{min} = \frac {C^2}{p} (1 - e)[6]
enumerische Exzentrizität

Literatur

  • Andreas Guthmann: Einführung in die Himmelsmechanik und Ephemeridenrechnung. BI-Wiss.-Verl., Mannheim 1994, ISBN 3-411-17051-4

Einzelnachweise

  1. §II.6.67 Numerische Verfahren. Guthmann, S. 128f
  2. §II.6.66 Reihenentwicklung der exzentrischen Anomalie. Guthmann, S. 125ff
  3. a b §II.5.57 Berechnung des Bahnortes. Guthmann, S. 112ff
  4. Aufgaben zu §II.5. Guthmann, S. 122f
  5. 10. Aufgabe zu §II.5. Guthmann, S. 123
  6. a b §II.5.58 Der Hodograph. Guthmann, S. 114f

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