- Gustav Gräser
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Gustav Arthur Gräser (* 16. Februar 1879 in Kronstadt, Siebenbürgen; † 27. Oktober 1958 in Freimann, München), bekannt geworden als Gusto Gräser, war ein Dichter, Naturprophet und Kriegsdienstverweigerer. Mit seinem Bruder Karl Gräser (1875-1920) beteiligte er sich an der Gründung der Siedlung Monte Verità bei Ascona. Ein weiterer Bruder war der Maler Ernst H. Graeser (1884-1944).
Inhaltsverzeichnis
Leben
Im Alter von 15 Jahren ging Gustav Gräser vom Gymnasium ab, begann eine Lehre, gewann 1896 mit seiner Schnitzarbeit eine Goldmedaille der Weltausstellung von Budapest und studierte dann Kunst in Wien. Für kurze Zeit schloss er sich der alternativen Lebensgemeinschaft Karl Wilhelm Diefenbachs auf dem sogenannten Himmelhof an. Weil er sich dem autoritären Stil seines Meisters nicht beugen wollte, kehrte er nach Siebenbürgen zurück. Dort schuf er in wenigen Wochen das programmatische Ideengemälde Der Liebe Macht, das den Umbruch von einer in Selbstzerstörung endenden Industriewelt zu einem künftigen Leben im Einklang mit der Natur in symbolischen Bildern vor Augen stellt. Es befindet sich heute im Museum Casa Anatta auf dem Monte Verità von Ascona.
1899 brach er alle familiären und gesellschaftlichen Brücken hinter sich ab und lebte fortan auf Wanderschaft quer durch Europa. Er lebte von Vorträgen und dem Verkauf selbstgedruckter Gedichte auf der Straße. Er wurde Mitbegründer der Landkommune Monte Verità bei Ascona. Von dort vertrieben, zog Gräser mit Frau und vielen Kindern ab 1910 im selbstgebauten Wohnwagen durch Deutschland. Er wurde oft angefeindet, immer wieder verhaftet und ausgewiesen, 1915 nach Österreich abgeschoben, dort als Kriegsdienstverweigerer zum Tode verurteilt, jedoch nach drei Tagen in der Todeszelle als „mit verwirrten Ideen behaftet“ in eine Irrenanstalt eingewiesen. Nach seiner Entlassung kehrte er zu seiner Familie auf den Monte Verità zurück. Gräser wurde zum Vorbild für Kriegsgegner aus ganz Europa, die sich in Ascona um ihn sammelten. Darunter die Tänzer Rudolf von Laban und Mary Wigman, der Philosoph Ernst Bloch, der Dramatiker Reinhard Goering, der Bildhauer Hans Arp, die Dadaisten Hugo Ball, Hans Richter, Marcel Janco und viele andere. 1919 wurde er aus der Schweiz, dann aus Bayern und Baden ausgewiesen. 1920 zog er mit einer Neuen Schar von jungen Männern und Frauen singend, tanzend und spielend durch Nordbayern und Thüringen: ein legendärer „Kinderkreuzzug“ oder „Kreuzzug der Liebe“, der von Hesse in seiner Erzählung Die Morgenlandfahrt ins Symbolische erhöht wurde. Zum zweiten Mal aus Bayern ausgewiesen, kam er 1927 nach Berlin, wo er im Antikriegsmuseum von Ernst Friedrich arbeitete und lange Reihen von Öffentlichen Gesprächen am Alexanderplatz abhielt. Um 1930 lebte er in der Reformsiedlung Grünhorst bei Berlin, die zu einem Treffpunkt der Jugendbewegung und der Biosophischen Bewegung um Ernst Fuhrmann wurde. Von dort aus zog er in einem Eselwagen mit seinem Schwiegersohn Otto Großöhmig durch Deutschland, seine Schriften verteilend und verkaufend. Die Fahrt im Eselwagen endete 1933 im KZ. Von dort entlassen, aber mehrmals wieder verhaftet und mit Schreibverbot belegt, wurde ihm der Boden in Berlin zu heiß. 1940 verkaufte er sein Hausboot auf dem Langen See und zog nach München, wo er in den Dachkammern von befreundeten Professoren die Jahre des Terrors halbverhungert überstand. In dieser Zeit entstanden seine späten Hauptwerke, das Siebenmahl und das an Stuttgart adressierte Brieflein Wunderbar. Er starb 1958 völlig vereinsamt und unbemerkt in Freimann bei München. Sein dichterisches Werk, das ungedruckt geblieben war, wurde im letzten Moment vor der Vernichtung im Müll gerettet. Es befindet sich heute in der Stadtbibliothek München und im Monte Verità Archiv Freudenstein.
Seine eigenwillige Nachdichtung des Tao Te King, die er 1918 an Hermann Hesse übergab, basiert auf den Übersetzungen von Richard Wilhelm und Julius Grill. Sie ist ein Bekenntnis seiner Weltanschauung, die er mit großer Konsequenz vertrat.
Einer größeren Öffentlichkeit wurde Gusto Gräser nach 1968 als der Guru Hermann Hesses bekannt, der durch die Begegnung mit Gräser zu der Erzählung Demian und zu anderen Meistergestalten in seinem Werk inspiriert wurde. Auch in den Dichtungen Gerhart Hauptmanns findet sich seine Spur. Thomas Mann verteidigte ihn in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit den Worten: "Dieser Mann ist reinen Herzens". In den Alternativbewegungen der 1960/70er-Jahre wurde Gräser wiederentdeckt und als Vorbild und Leitfigur für ökologisches Bewusstsein erkannt. Der amerikanische Kulturhistoriker Martin Green sieht ihn als den „Gandhi des Westens“, der Mythenforscher Fritz Fenzl als „Magier und Seher“. Seine Gründung Monte Verità wird als „Wiege der Alternativbewegung“ und „Gral der Moderne“ bezeichnet.
Werke
- Efeublätter. Gedichte. Wien 1902.
- Ein Freund ist da - mach auf! Flugschrift, Berlin 1912.
- Winke zur Genesung unsres Lebens. Sprüche und Gedichte. Ascona 1918.
- Zeichen des Kommenden. Sieben Steindrucke mit Textblättern. Dresden 1925.
- Notwendwerk. Zeichnungen und Gedichte. Steindruckmappe. Dresden 1926.
- Bucheckern. Eine Druckschrift. Berlin 1930.
- Wortfeuerzeug. Sprüche und Gedichte. Berlin 1930.
- Tao: Das heilende Geheimnis. Ein in den Wehen der Zeit wiedergeboren Menschheit-Buch zur großen Heimkehr - Genesung - unsrer Welt. Herausgegeben von Hermann Urspring. Verlag Büchse der Pandora, Wetzlar 1979. ISBN 3-88178-032-7 - Neuauflage im Umbruch-Verlag, Recklinghausen 2008, ISBN 978-3-937726-04-5
- Erdsternzeit. Eine Auswahl aus dem Spätwerk. Herausgegeben von Hermann Müller. Umbruch-Verlag, Recklinghausen 2007 und 2009. ISBN 978-3-937726-02-1
- AllBeDeut. Unsere Sprachlaute - heimliche Schlüssel zum Aufschluss unsrer Welt. Deutsches Monte Verità Archiv Freudenstein 2000.
- Gedichte des Wanderers. Herausgegeben von Frank Milautzcki, Verlag im Proberaum 3, Klingenberg 2006.
- Der Liebe Macht. Ölgemälde im Museum Casa Anatta auf dem Monte Verità von Ascona.
Literatur
- chronologisch
- Grohmann, Adolf: Die Vegetarier-Ansiedelung in Ascona und die sogenannten Naturmenschen im Tessin. Referate und Skizzen. Halle a. S. 1904 - Neuausgabe Ascona 1997.
- Szeemann, Harald (Hg.): Monte Verità. Berg der Wahrheit. Mailand 1978.
- Müller, Hermann: Der Dichter und sein Guru. Hermann Hesse - Gusto Gräser. Eine Freundschaft. Gisela Lotz Verlag, Wetzlar 1978 und Werdorf 1979. ISBN 3-921764-01-7
- Linse, Ulrich: Barfüßige Propheten. Erlöser der zwanziger Jahre. Berlin 1983. ISBN 3-88680-088-1
- Linse, Ulrich: Ökopax und Anarchie. Eine Geschichte der ökologischen Bewegungen in Deutschland. München 1986. ISBN 3-423-10550-X
- Fenzl, Fritz: Die frühe Esoterik des Gusto Gräser. In Fritz Fenzl: Höllensturz. Magie und Mythos in Bayern. München: Rosenheimer Verlagshaus 2009, S. 37-40. ISBN 978-3-475-54006-6
- Green, Martin: Mountain of Truth. The Counterculture begins. Ascona, 1900-1920. Hanover und London 1986. ISBN 0-87451-365-0
- Green, Martin Burgess: Prophets of a New Age. The Politics of Hope from the eighteenth through the twenty-first Centuries. Scribner, New York, Toronto, Oxford, u.a. 1992. ISBN 0-684-19316-7
- Gebhardt, Winfried: Charisma als Lebensform. Zur Soziologie des alternativen Lebens. Berlin 1994. ISBN 3-496-02542-5
- Kennedy, Gordon: Children of the Sun. A Pictorial Anthology. From Germany to California, 1883-1949. Ojai, California 1998. ISBN 0-9668898-0-0
- Müller, Hermann: Monte Gioia. Der Monte Verità von Gusto Gräser. In: Andreas Schwab, Claudia Lafranchi (Hg.): Sinnsuche und Sonnenbad. Experimente in Kunst und Leben auf dem Monte Verità. Limmat Verlag, Zürich 2001. S. 187-201. ISBN 3-85791-369-X
- Müller, Hermann: Propheten und Dichter auf dem Berg der Wahrheit. Gusto Gräser, Hermann Hesse, Gerhart Hauptmann. In: Kai Buchholz u. a. (Hg.): Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. Darmstadt 2001, Band 1, S. 321-324. ISBN 3-89552-077-2
- Müller, Hermann: Nun nahet Erdsternmai. Diefenbachs Meisterschüler Gusto Gräser. In Michael Buhrs (Hg.): Lieber sterben als meine Ideale verleugnen! Karl Wilhelm Diefenbach (1851-1913). Eine Ausstellung des Museums Villa Stuck. München: Minerva 2009, S. 222-233. ISBN 978-3-938832-58-5
- Müller, Hermann (Hg.): Gusto Gräser. Aus Leben und Werk. Bruchstücke einer Biographie. Vaihingen an der Enz 1987. ISBN 3-924275-16-5
- Müller, Hermann (Hg.): Gusto Gräser. TAO.Das heilende Geheimnis. Recklinghausen, Umbruch Verlag, 2010. ISBN 9783937726045
- Müller, Hermann (Hg.): GRÄSER, GUSTO: ERDSTERNZEIT. . Recklinghausen, Umbruch Verlag, 2009. ISBN 9783937726021
- Müller, Hermann (Hg.): Gusto Gräser. Der grüne Prophet aus Siebenbürgen. Jewelcase mit CD. Umbruch Verlag, 2009. ISBN 9783937726052
- Müller, Hermann (Hg.): Himmelhof. Urzelle der Alternativbewegung, Wien 1897-1899. Umbruch Verlag, Recklinghausen 2011. ISBN 9783937726083
- Hasler, Eveline / White, Harry Kinross: Die Felshöhle des jungen Hermann Hesse. Literarische Spurensuche im Tessin. CD. SWR 2 und Universal Music Hamburg 2002. ISBN 3-8291-1233-7 (formal falsche ISBN)
- Fähnders, Walter (Hg.): Nomadische Existenzen. Vagabondage und Boheme in Literatur und Kultur des 20. Jahrhunderts. Schriften des Fritz-Hüser-Instituts 16. Klartext Verlag, Essen 2007. ISBN 978-3-89861-814-4
- Voswinckel, Ulrike: Freie Liebe und Anarchie. Schwabing - Monte Verità. Entwürfe gegen das etablierte Leben. München: Allitera Verlag 2009. ISBN 978-3-86906-027-9
- Wackernagel, Wolfgang: Mystique, avant-garde et marginalité dans le sillage du Monte Verità. In: Alain Dierkens, Benoit Beyer de Ryke (Hg.): Mystique: la passion de l'Un, de l'antiquité à nos jours. Bruxelles 2005. S. 175-186. ISBN 2-8004-1365-4
- Bignardi, Irene: Le piccole utopie. Feltrinelli, Milano 2003. ISBN 88-07-17083-3
- Barone, Elisabetta / Riedl, Matthias / Tischel, Alexandra (Hg.): Pioniere, Poeten, Professoren. Eranos und der Monte Verità in der Zivilisationsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Würzburg 2004. ISBN 3-8260-2252-1
- Holbein, Ulrich: Drum TAO-Wind ins Winterland - Drei radikale Naturpropheten: Karl Wilhelm Diefenbach, Gustav Nagel und Arthur Gustav Gräser; Der Grüne Zweig 260; The Grüne Kraft, Löhrbach 2008, ISBN 978-3-922708-05-6
- Bergel, Hans: Gustav Arthur Gräser. Der lachende Apostel. In: Wegkreuzungen. Dreizehn Lebensbilder. Johannis Reeg Verlag, Bamberg 2009, S. 9-25. ISBN 978-3-937320-38-0
- Fingerle-Trischler, Brigitte: Naturpropheten in Freimann. Gusto Gräser, Bruno Wersig und die Wirkung von Karl Wilhelm Diefenbach. Begleitheft zur Ausstellung in der Mohr-Villa Freimann. München-Freimann 2010.
- Müller, Hermann: "Nun nahet Erdsternmai..." Diefenbachs Meisterschüler Gusto Gräser. In: Museum Villa Stuck (Hg.): "Lieber sterben als meine Ideale verleugnen". Karl Wilhelm Diefenbach (1851-1913), S. 223-233. München 2010. ISBN 978-3-938832-58-5
Theater
- Rast, Christina und Ensemble: !ICH rede! Komm zu MIR!!! Eine Heilssuche. Ein Vier-Personen-Stück um Gusto Gräser, Otto Gross, Louis Häusser und Gregor Gog. Uraufführung am 17. Mai 2007 im theater rampe stuttgart.
- Hendricks, Newell: Ascona ... the counterculture begins. Oper in drei Akten, uraufgeführt im Sanders Theatre Boston am 29. Januar 1993. Es treten auf Otto Gross, Lotte Hattemer, Gusto Gräser, Mary Wigman, Erich Mühsam und andere.
Film
- Der Eremit vom Monte Verità. Gusto Gräser - Naturmensch und Philosoph. Dokumentation, Schweiz, 2006, 50 Min., Buch und Regie: Christoph Kühn, Produktion: Schweizer Fernsehen, Erstsendung 31. Juli 2006, Rezension: [1]
- Colomer, Henry: Monte Verità. Dokumentarfilm, gesendet in Arte am 10. Dezember 1997, 20.45 Uhr, und öfter.
- Alfio di Paoli und Teo Buvoli: Il monte di Hetty. Dokumentarfilm über den Monte Verità und Gusto Gräser, gesendet in RSI la due am 2. November 2009, 21.00 Uhr.
Weblinks
- Literatur von und über Gustav Gräser im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Informationen zu Gräser, Gusto im BAM-Portal
- Lebensbeschreibung mit Fotos
- gusto-graeser.info - Seite des Monte Verità-Archivs Freudenstein
- Das Tao Te King von Gräser
- Gusto Gräser
Belege
- ↑ Frank Milautzcki: Film-Rezension in: gusto-graeser.info
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