Hans Heinrich Eggebrecht

Hans Heinrich Eggebrecht

Hans Heinrich Eggebrecht (* 5. Januar 1919 in Dresden; † 30. August 1999 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Musikwissenschaftler. Er war Professor (Ordinarius) für historische Musikwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Vater Siegfried Eggebrecht war seit 1929 Superintendent im preußischen Schleusingen und sympathisierte früh mit rechten Bewegungen. 1933 schloss er sich den Deutschen Christen an.

Hans Heinrich Eggebrecht schloss sich mit Studienbeginn 1937/38 an der Hochschule für Lehrerbildung in Hirschberg dem NSDStB an und war Musikreferent der Hitlerjugend. Mit Kriegsbeginn unterbrach er das Musikstudium. Nach der militärischen Grundausbildung wurde er im Februar 1940 zur Feldgendarmerie versetzt, zu der meist nur politisch zuverlässige Soldaten kamen. Im November 1940 erhielt er Urlaub, um ein Semester lang in Berlin zu studieren.

Die Feldgendarmerie-Abteilung 683, 2. Kompanie, 3. Zug, zu der Eggebrecht gehörte, wurde 1941 kurz nach Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion als Teil der 11. Armee bei der Eroberung der Krim eingesetzt. Am 14. November 1941 erreichte sie Simferopol. In Zusammenarbeit mit der SS-Einsatzgruppe D unter Otto Ohlendorf, die personell zu schwach besetzt war, um allein tätig zu werden, verübte die Feldgendarmerie vom 9. bis zum 13. Dezember 1941 ein Massaker an "mindestens 5.000 Menschen aus Simferopol".[1] Nach Forschungen Claudia Zencks war er allerdings in diesen Tagen vom Dienst befreit, und selbst wenn nicht, ist seine Beteiligung durch keine Quelle, auch nicht indirekt zu belegen (vgl. Friedrich Geiger). Die genaue Zahl der Ermordeten ist nicht feststellbar, „da die Täter sich nicht die Mühe des Zählens machten.“[2] Nach Angaben des Musikhistorikers Boris von Haken[3] stand Eggebrecht dabei an mindestens einem Tag im sogenannten Spalier, durch das die Opfer unmittelbar vor ihrer Ermordung getrieben wurden. 1942 wurde Eggebrecht in die kämpfende Truppe versetzt. Er erhielt das Eiserne Kreuz 1. und 2. Klasse und erlebte das Kriegsende 1945 schwer verwundet. Eggebrecht verschwieg seine Tätigkeit bei der Feldgendarmerie ab 1945 konsequent und behauptete, er sei den ganzen Krieg hindurch bei den Panzerjägern und dann bei der Infanterie gewesen.

Eggebrecht studierte ab Herbst 1945 in Weimar, Berlin, München und Jena, wo er 1949 zum Dr. phil. promovierte. 1949 erhielt er, ohne sich einem Entnazifizierungsverfahren stellen zu müssen, eine Assistentenstelle am Institut für Musikwissenschaft der Ostberliner Universität. 1951 holte ihn Wilibald Gurlitt, der als „jüdisch Versippter“ 1937 entlassen worden war, an die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau. Entgegen anderslautenden Behauptungen hat Gurlitt möglicherweise aber von Eggebrechts Einsatz auf der Krim gewusst, ein Brief Eggebrechts an seinen Vater vom 11. März 1958, der im Freiburger Universitätsarchiv zugänglich ist und im Zusammenhang der Gurlitt-Nachfolge steht, macht es immerhin denkbar, dass Gurlitt zu dieser Zeit informiert wurde, auf jeden Fall informiert werden sollte. 1955 hatte sich Eggebrecht bei Gurlitt habilitiert. Anschließend trat er eine Stelle als Privatdozent an der Universität Erlangen an, die er 1956/57 kurzzeitig für eine Lehrstuhlvertretung an der Universität Heidelberg verließ. In Freiburg war Eggebrecht dann von 1961 bis zu seiner Emeritierung 1987 als Nachfolger Gurlitts Professor und Direktor des Musikwissenschaftlichen Seminars.

Werk

Eggebrecht legte bereits 1955 der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur einen Bericht mit dem Titel „Studien zur musikalischen Terminologie“ vor. Es sollte jedoch bis 1972 dauern, bis dieses Projekt in Freiburg im Breisgau umgesetzt werden konnte und die ersten Lieferungen des Handwörterbuchs der musikalischen Terminologie erschienen.

Eggebrechts Forschungsschwerpunkte waren die Musik von Heinrich Schütz, Johann Sebastian Bach sowie die protestantische Kirchenmusik allgemein, die Musik der Wiener Klassik, Gustav Mahler sowie die Musik des 20. Jahrhunderts. Seine Editionen von mittelalterlichen Musiktraktaten betrachtete er lediglich als Befähigungsnachweis gegenüber der „Zunft“, setzten aber zusammen mit den Editionen seiner Schüler Maßstäbe für die Erforschung der Musiktheorie des Mittelalters. Einige seiner Schriften verfasste er gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus. Zu seinen Schülern gehören Werner Breig, Fritz Reckow, Reinhold Brinkmann, Albrecht Riethmüller und Peter Andraschke.

Sein musikästhetischer Ansatz war dem Denken Roman Ingardens verpflichtet. Die Rezeption von Kunstwerken verläuft demnach durch mehrere Schichten der Wahrnehmung, einer Wahrnehmung mit je verschiedenen Qualitäten.

Doch wurde das Buch Zur Geschichte der Beethoven-Rezeption 1972 auch kritisiert, weil Eggebrecht das Klischee vom Titanen und Kämpfer fortgesetzt habe. 1933-1945 blieb ausgespart.

Das 1991 erschienene Alterswerk Musik im Abendland: Prozesse und Stationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart ist eine Gesamtdarstellung seiner Lesart der europäischen Musikgeschichte, die er mit methodischen Reflexionen zur Musikgeschichtsschreibung anreicherte.

Anders als viele Musikwissenschaftler suchte Hans Heinrich Eggebrecht den Dialog mit einer Reihe von zeitgenössischen Komponisten (zum Beispiel mit Wolfgang Rihm, der bei ihm in Freiburg studiert hat, Karlheinz Stockhausen, und Mathias Spahlinger).

Eggebrecht war Ehrendoktor der Universität Bologna und der Masaryk-Universität in Brünn. Die Behauptung Volker Hagedorns „Anders als Dahlhaus blieb Eggebrecht“ aber „fast unübersetzt, eine deutsche Erscheinung“, die sich auf eher kursorische Behauptungen von Christoph Wolff stützt, ist nicht ganz zutreffend. Eggebrechts Buch über Bachs Kunst der Fuge wurde 1993 ins Englische übersetzt (J. S. Bach's „the Art of Fugue“: The Work and Its Interpretation: Hans Heinrich Eggebrecht), derzeit bereitet der Verlag Ashgate eine englische Übersetzung des Buches „Musik verstehen“ vor. Ins Italienische und Tschechische wurden jeweils übersetzt: Die Musik Gustav Mahlers, Musik im Abendland. Die rhetorische Frage Christoph Kellers von 1997, „ob nach Auschwitz eine Mahler-Kritik wie seine geschrieben werden darf und ob sie einer schreiben darf, der wie er Hitlers Wehrmacht angehörte“, lässt sich mit guten Gründen kritisieren und widerlegen.[4]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Norbert Kunz, Die Krim unter deutscher Herrschaft 1941-1944, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2005, S. 197
  2. Boris von Haken: Spalier am Mördergraben, in: Die Zeit, Hamburg, Nr. 52, 17. Dezember 2009, S. 60
  3. Haken stellte seine Forschungen erstmals am 17. September 2009 in einem Referat auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung in Tübingen vor, danach am 17. Dezember 2009 in einem ZEIT-Artikel. Ob die vorliegenden Dokumente die Teilnahme Eggebrechts an dem Massaker tatsächlich beweisen, wurde in der Folge mehrfach angezweifelt. Vgl. z. B. Jens Malte Fischer, Unterstellung ohne Belege. NS-Vorwürfe gegen Musikwissenschaftler H. H. Eggebrecht, SZ 19./20. Dezember 2009; Richard Klein: Suche nach einer Sprache in der falschen Welt, FAZ vom 23. Dezember 2009, und Friedrich Geiger: Im langen Schatten deutscher Musik, FAZ vom 23. Dezember 2009.
  4. Volker Hagedorn: Unheimliches Abendland. Der Fall Eggebrecht, in: Die Zeit, Hamburg, Nr. 52, 17. Dezember 2009, S. 61

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