Heinrich Eufinger

Heinrich Eufinger

Heinrich Eufinger (* 29. Januar 1894 in Wiesbaden; † 11. März 1988 in Wilhelmshaven) war ein deutscher Gynäkologe und SS-Arzt.

Inhaltsverzeichnis

Ausbildung und Werdegang bis 1945

Heinrich Eufinger besuchte das Gymnasium in Frankfurt am Main von 1904–1912 und schloss hieran sein Studium der Medizin an, zuerst in Würzburg, dann in Freiburg im Breisgau und Frankfurt am Main. Unterbrochen wurde das Studium durch die Teilnahme als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg im Feldartillerie-Regiment 63. 1920 legte Eufinger sein Staatsexamen ab und promovierte in Frankfurt am Main. 1927/28 habilitierte er sich im Bereich Geburtshilfe und Gynäkologie und wurde Privatdozent an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.

1927 heirateten Heinrich Eufinger und Erna Möhle. 1928 wurde ihre Tochter Renate geboren, vier Jahre später folgte die Geburt der Tochter Marianne (1932), genannt Ema, die spätere Frau des Malers Gerhard Richter.

Am 15. April 1933 trat Heinrich Eufinger in die NSDAP ein und wurde im selben Jahr Mitglied im Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund. Ab 1934 war er außerordentlicher Professor an der Universitäts-Frauenklinik Frankfurt am Main. In den Jahren 1935 bis 1945 war Eufinger leitender Direktor der Städtischen Frauenklinik in Dresden. 1935 trat Eufinger in die Schutzstaffel (SS) und war bis 1945 an Durchführung von Zwangssterilisationen beteiligt. Insgesamt wurden im Verantwortungsbereich von Eufinger ungefähr 900 Zwangssterilisationen durchgeführt, darunter 60 aus rassistischen Gründen nationalsozialistischer Ideologie. Eufinger engagierte sich stark in der SS und machte Vorschläge zur Rassenpolitik. Die Führung des NS-Staates hatte Vertrauen zu ihm, denn Eufinger behandelte diverse Frauen von führenden Repräsentanten des Staates. Zudem wurde der Gynäkologe in der SS aufgrund besonderer Verdienste vom SS-Scharführer zum SS-Untersturmführer, vom SS-Obersturmführer bald zum SS-Hauptsturmführer befördert. Am 15. Januar 1943 wurde er Führer beim Stab SS-Oberabschnitt Elbe und neun Monate später SS-Sturmbannführer (9. November 1943). Das SS-Zivilabzeichen war ihm als Anerkennung für außerordentlicher Verdienste am 1. April 1943 verliehen worden. Ein Jahr später errang Eufinger pünktlich zu seinem 50. Geburtstag den Rang eines SS-Obersturmbannführers (29. Januar 1944). Dieser Rang ist vergleichbar mit dem Dienstgrad eines Oberstleutnants. Der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, hatte Eufingers Beförderung persönlich veranlasst, nachdem seine Mitarbeiter ihn darauf hingewiesen haben, dass Eufingers Verdienste am besten mit dessen Beförderung zu seinem runden Geburtstag gewürdigt werden könnten. Politischer und wissenschaftlicher Werdegang greifen beim Gynäkologen Eufinger derart ineinander, dass eine Trennung kaum möglich ist.

Werdegang in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR

Nach dem Ende der NS-Herrschaft verlor Eufinger seine Stellung, auch seine Approbation wurde ihm entzogen. Von November 1945 bis September 1948 wurde Eufinger durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) im Speziallager Mühlberg in Sachsen interniert. Als leitender Arzt rettete er der Frau des sowjetischen Lagerkommandanten das Leben. Nach seiner Entlassung wurde in Dresden ein Ermittlungsverfahren wegen schwerer Körperverletzung, Mitglied einer verbrecherischen Organisation und wesentlicher Förderung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eingeleitet. Das Verfahren wurde von der Volkspolizei wegen mutmaßlicher sowjetischer Protektion eingestellt, und Eufinger durfte wieder als Arzt praktizieren. Er wurde Chefarzt der Gynäkologischen Abteilung der Klinik Burgstädt bei Chemnitz (von 1953 bis 1990 Karl-Marx-Stadt).

Werdegang in der Bundesrepublik Deutschland

Als seine Ernennung zum außerplanmäßigen Professor an der Medizinischen Akademie Dresden scheiterte, siedelte die Familie Eufinger 1956 nach Wilhelmshaven über. Am 1. Januar 1957 wurde Eufinger Chefarzt der Frauenklinik Sanderbusch bei Oldenburg. 1965 ging er in Pension. Eufinger starb am 11. März 1988 in Wilhelmshaven. Im Nachruf der Fachzeitschrift Der Frauenarzt (1988, Heft 3) wird das Lebenswerk Eufingers unter anderem mit folgenden Worten gewürdigt: „Die 15jährige Tätigkeit in Frankfurt war ausgefüllt von ungewöhnlich fruchtbarer wissenschaftlicher Arbeit. Hier hat er nicht nur sehr viel, sondern auch sehr Gutes geleistet. (…) Die Jahre (…) in Dresden waren (…) angefüllt mit kraftvollem Schaffen klinischer Arbeit.“ Der Nachruf schließt mit dem Hinweis auf Eufinger als Repräsentanten einer „tiefgreifenden humanistische Bildung“. Für seine Verbrechen im Zeitalter des Nationalsozialismus ist Eufinger weder in der sowjetischen Besatzungszone oder in der DDR noch in der alten Bundesrepublik Deutschland zur Rechenschaft gezogen worden.

In der Öffentlichkeit erfuhr der Name Eufinger posthume Bekanntheit erst durch die Werke des weltberühmten Malers Gerhard Richter. Da Gerhard Richter in den Jahren 1957 bis 1982 mit Eufingers Tochter Ema verheiratet war, hat er auch seinen Schwiegervater Eufinger in den fünfziger und sechziger Jahren mehrfach porträtiert.[1]

Im Jahr 2004 wurde durch einen Zeitungsartikel im Berliner Tagesspiegel ein tragischer Aspekt in Gerhard Richters Familie bekannt. Seine Tante Marianne Schönfelder war 1945 in der zweiten Phase des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms, der Aktion Brandt, nach ihrer Zwangssterilisierung ermordet worden. Sein späterer Schwiegervater Heinrich Eufinger gehörte als SS-Obersturmbannführer und Verantwortlicher für die Zwangssterilisierungen in Dresden zu den Tätern. Gerhard Richter wusste bei seiner Heirat mit Ema Eufinger von diesen Zusammenhängen nichts. Er hat aber im Jahr 1965 mit dem Gemälde Herr Heyde[2], das die Verhaftung des hauptverantwortlichen SS-Arztes für die Massenmorde an körperlich und geistig behinderten Menschen das Thema Euthanasie als einer der ersten bildenden Künstler in der Nachkriegszeit behandelt und mit dem Gemälde Tante Marianne [3] den Opfern der Euthanasie ein Gesicht gegeben.

Literatur

  • Ernst Hohenthal: A familiy secret in the public domain. New revelations about Gerhard Richter’s Herr Heyde. In: Christies's Magazine. Vol. XXIII. No.5, New York und London 2006, ISSN 0266-1217, S. 62f.
  • Jeanne Anne Nugent: Family Album and Shadow Archive: Gerhard Richter’s East, West, and all German Painting, 1949–1966. Dissertation in the History of Art presented to the Faculties of the University of Pennsylvania, Philadelphia 2005.
  • Heidi Stecker: Opfer und Täter: Tante Marianne und so weiter. In: Deutsches Ärzteblatt. 103, Ausgabe 28–29, 17. Juli 2006, Seite A–1982/B–1703/C–1647]
  • Jürgen Schreiber: Ein Maler aus Deutschland. Gerhard Richter. Das Drama einer Familie. Pendo, München 2005, ISBN 3866120583.
  • Albrecht Scholz / Birgit Töpolt: Die Praxis der Zwangssterilisierung in Dresden (Ärzte und Medizin im Nationalsozialismus. In: Ärzteblatt Sachsen. 4, 2005, S. 164–167.
  • Eckhart Gillen: Gerhard Richter: Herr Heyde oder die Mörder sind unter uns. Die Auseinandersetzung mit den Traumata der verdrängten Geschichte in Westdeutschland. In: Eckhart Gillen: Schwierigkeiten beim Suchen der Wahrheit. Berlin 2002, S. 186–191. (PDF-Datei; 2,80 MB)
  • Birgit Töpolt: Vorgeschichte und Praxis der Zwangssterilisierung im Dresdner Raum 1933–1934. Medizinische Dissertation an der TU Dresden 2000. Dresden 2002.
  • Christiane Rothmaler: Sterilisationen nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933. Eine Untersuchung zur Tätigkeit des Erbgesundheitsgerichtes und zur Durchführung des Gesetzes in Hamburg in der Zeit zwischen 1934 und 1944. Dissertation Universität Hamburg. Matthiesen, Husum 1991, ISBN 3-7868-4060-1. (=Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, 60)
  • Heinrich Eufinger: Probleme und Aufgaben der Krebsforschung. Wilhelmshaven 1958.
  • Heinrich Albrecht, Isidor Alfred Amreich, Heinrich Eufinger u.a. (Hrsg.): Geburtshilfe und Frauenheilkunde. In: Ergebnisse der Forschung für die Praxis. Band 1–55, Thieme, Leipzig 1939–1995.
  • Heinrich Eufinger: Die Klebrigkeit der Leukocyten als klinische Funktionsprüfung in ihrer Bedeutung für gynäkologische Probleme. In: Archives of Gynecology and Obstetrics. 149/3, 1932, S. 630–644.
  • Heinrich Eufinger und W. Ostermann: Die Blutstruktur des Kindes bei Schwangerschaftstoxikosen. In: Archiv für Gynäkologie. 1939, S. 154–160. (siehe auch Zentralblatt für Kinderheilkunde 24, 1930, S. 262).
  • Heinrich Eufinger: Die Diagnose der Schwangerschaft. In: Josef Halban, Ludwig Seitz (Hrsg.): Biologie und Pathologie des Weibes. 8 Bände in 15 Teilbänden. Berlin 1923–1929.
  • Heinrich Eufinger: Die Kolloidstruktur des Plasmas während der Gestation. Springer, Berlin 1928. (Teilweise zusammen mit Rudolf Spiegler in: Archiv für Gynäkologie. 133, 1928).
  • Heinrich Eufinger: Umschriebene Fettknoten der Leber. Dissertation. Universität Frankfurt am Main 1920. In: Dissertationen der Medizinischen Fakultät der Universität Frankfurt am Main. 1, 1920, S. 179ff.).

Fußnoten

  1. Bild: Gerhard Richter: Familie am Meer (Ölgemälde, 1964) Anm.: Heinrich Eufinger in der Mitte des Bildes
  2. Bild: Gerhard Richter: Herr Heyde (Ölgemälde, 1965)
  3. Bild: Gerhard Richter: Tante Marianne (1965)

Weblinks


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