- Historisches Waisenhaus
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Die Franckeschen Stiftungen (auch Glauchasche Anstalten) zu Halle beherbergen eine Vielzahl kultureller, wissenschaftlicher, pädagogischer und sozialer Einrichtungen. Sie wurden 1698 durch den Theologen und Pädagogen August Hermann Francke gegründet.
Franckes pietistisch geprägte Schulen und soziale Initiativen erlangten weltweite Bedeutung. Seit ihrer Wiedereinsetzung im Jahr 1992 knüpfen die Franckeschen Stiftungen an ihre reichen Traditionen an. Das historische Bauensemble mit etwa 50 Gebäuden wird nach und nach saniert und mit neuem Leben erfüllt. 25 verschiedene Einrichtungen haben sich wieder auf dem Stiftungsgelände etabliert, darunter vier Schulen, das Deutsche Jugendinstitut, die Martin-Luther-Universität und die Kulturstiftung des Bundes.
Inhaltsverzeichnis
Einrichtungen
Die Franckeschen Stiftungen sind heute eine Einrichtung von nationalem Rang mit zahlreichen internationalen Kooperationen. Das historische Waisenhaus mit der Kunst- und Naturalienkammer als ältestem bürgerlichen Museumsraum Deutschlands, das Francke-Kabinett, das Kinderkreativzentrum Krokoseum sowie die historische Bibliothek der Stiftung mit barockem Kulissenmagazin sind für Besucher zugänglich.
Der historische Gebäudekomplex, auf einem geschlossenen Areal mitten in der Stadt Halle gelegen, ist weitgehend erhalten geblieben. Die Sanierung wurde vor 15 Jahren mit großem Engagement begonnen und hat seitdem große Fortschritte gemacht. Das „Lange Haus“ im oberen Lindenhof ist die größte Fachwerkkonstruktion Europas. Es misst über 110 Meter und bis zu sechs Stockwerke. Als weltweit einzigartiges Beispiel sozialer und pädagogischer Zweckarchitektur steht der gesamte Stiftungskomplex auf der deutschen Vorschlagsliste für das UNESCO Weltkulturerbe.
Geschichte
1692 kam August Hermann Francke als Professor für orientalische Sprachen an die neue Friedrichs-Universität in Halle und war gleichzeitig Pfarrer in Glaucha. Im Sommer 1696 eröffnete er das Pädagogium als Erziehungs- und Bildungsanstalt für Kinder aus dem Adel und dem reichen Bürgertum. 1698 begann er mit Spendengeldern – das Startkapital waren vier Gulden und 18 Groschen, nach Francke „ein ehrlich Capital, davon muss man was rechtes stiften“[1] – den Bau des großen Waisenhauses. Gleichzeitig gründete er Schulen für alle sozialen Schichten. Geschickt setzte er seine Studenten als Lehrer an den Schulen des Waisenhauses ein. Als Gegenleistung erhielten sie kostenlose Verpflegung. Spenden, staatliche Vergünstigungen und Privilegien, aber auch gewinnbringende Betriebe wie Druckerei, Buchhandlung und Apotheke ließen die Stiftungen wachsen. Ab 1708 erschien dreimal wöchentlich die Hallische Zeitung. In abgewandelter Form hatte sie noch bis 1995 Bestand. 1710 gründete Francke mit dem preußischen Freiherrn Carl Hildebrand von Canstein die Cansteinsche Bibelanstalt. Dort wurden bis in das 20. Jahrhundert Millionen preiswerter Bibeln gedruckt. Die Stiftungen wurden Halles Tor zur Welt. Im 18. Jahrhundert wirkten pietistische Geistliche im Baltikum, in Russland, Polen, Böhmen, Slowenien, Skandinavien, England, Holland, Indien und Nordamerika. Ein weltweites Korrespondenznetz entstand.
Getragen von pietistischer Frömmigkeit setzte Francke mit seinen Stiftungen, die aus einem mehrgliedrigen Schulsystem, aus Wirtschaftsbetrieben und wissenschaftlichen Institutionen bestanden, den sozialen Problemen seiner Zeit ein Beispiel praktischer Nächstenliebe entgegen. Die pädagogischen Anstrengungen und die religiöse Erziehung begründeten den Ruf des halleschen Waisenhauses als Neues Jerusalem in ganz Europa. Die Reformpläne des Halleschen Pietismus wurden durch Lehrer, Ärzte und Missionare in die Welt getragen. Ihre Spuren findet man heute noch in vielen europäischen Ländern, aber auch in Indien und den USA. Die erste protestantische Mission, die Diakonie, die Realschule in Deutschland, Millionen deutschsprachige Volksbibeln und eine Vielzahl der gängigen evangelischen Kirchenlieder haben ihren Ausgangspunkt in den Franckeschen Stiftungen. Im 19. Jahrhundert und über die Zeit des Nationalsozialismus bestanden die Stiftungen als christlich geprägte Schulstadt fort. In der DDR verloren sie ihre Selbständigkeit und verfielen baulich. Seit 1991 werden die historischen Gebäude mit Unterstützung von Bund, Land und Stadt sowie von Stiftungen und Spendern saniert. In die wieder gegründeten Franckeschen Stiftungen ist neues Leben eingezogen.
Die Franckeschen Stiftungen wurden in das im Jahre 2001 erschienene Blaubuch aufgenommen. Das Blaubuch ist eine Liste national bedeutsamer Kultureinrichtungen in Ostdeutschland und umfasst zur Zeit 20 sogenannte kulturelle Leuchttürme. Zum 300. Jahrestag der Franckeschen Stiftungen wurde 1998 eine Gedenkmünze herausgegeben.[2]
Das Historische Waisenhaus
Das Historische Waisenhaus wurde als erster Bau der pädagogischen und sozialen Anstalten August Hermann Franckes zwischen 1698 und 1700 errichtet. Erbaut mit Hilfe von Spenden, beherbergte es bis zur Konstruktion der Erweiterungsbauten rund um den Lindenhof sämtliche Einrichtungen der Stiftungen: u.a. Schlaf- und Unterrichtssäle, die Buchhandlung, die Apotheke und die Druckerei. Heute bildet das Historische Waisenhaus das kulturelle Herzstück der Franckeschen Stiftungen. Hier finden wissenschaftliche wie kulturelle Veranstaltungen, kulturhistorische Ausstellungen und Konzerte statt. Im Kinderkreativzentrum Krokoseum im Sockelgeschoss finden Gäste bis 12 Jahre ein vielseitiges und intelligentes Programmangebot.
Die Kunst- und Naturalienkammer
- Hauptartikel: Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen
Die barocke Kunst- und Naturalienkammer von 1698 gilt als der älteste bürgerliche Museumsraum in Deutschland. Sie wurde von Francke zu Unterrichtszwecken angelegt und ist heute wieder nach dem originalen Museumskonzept des 18. Jahrhunderts an ihrem historischen Platz in der Mansarde des Waisenhauses aufgestellt. Achtzehn reich verzierte Sammlungsschränke bergen ca. 3000 Naturalien, Kuriositäten und Artefakte. Sie vermitteln den einzigartigen Eindruck einer barocken Wunderkammer. Anders als Museen heute, folgt die Kammer einem enzyklopädischen Sammlungsanspruch. Unterschieden wird zunächst zwischen Naturalien und Artefakten. Die Naturalien wurden in Steine, Pflanzen und Animalien getrennt, die Artefakte in bildende Kunst, Schreibkunst, Münzen, Alltagskultur und Kleidung. Ziel war es, ein Spiegelbild der Welt zu schaffen: Einen Mikrokosmos, der den Makrokosmos als wunderbare Schöpfung Gottes fassbar machte.
Direktoren
- August Hermann Francke
- Johann Anastasius Freylinghausen
- Gotthilf August Francke
- Johann Georg Knapp
- Gottlieb Anastasius Freylinghausen
- Johann Ludwig Schulze
- August Hermann Niemeyer
- Georg Christia Knapp
- August Jacobs
- Johann Carl Thilo
- Hermann Agathon Niemeyer
- Gustav Kramer
- Theodor Adler
- Otto Frick
- Wilhelm Fries
- August Nebe
- Walther Michaelis
- Max Dorn
- Peter PetersenHans Ahrbeck
- Hans Osterwald
- Paul Raabe
- Jan-Hendrik Olbertz
- Helmut Obst
- Thomas Müller-Bahlke
Literatur
A.H. Franckes Reform- und Programmschrift des Halleschen Pietismus:
- Francke, August Hermann (1704): August Hermann Franckes Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts: der Grosse Aufsatz. Mit einer quellenkundlichen Einführung. Hrsg. v. Otto Podczech. Berlin. Akademie 1962.
- Günter Treizel: Kleiner Führer durch die Frankeschen Stiftungen zu Halle. fliegenkopf verlag, Halle 2001. ISBN 3930195402.
- Helmut Obst / Paul Raabe: Die Franckeschen Stiftungen zu Halle (Saale). Geschichte und Gegenwart, fliegenkof verlag, Halle 2000. ISBN 3-930195-35-6.
- Paul Raabe / Thomas J. Müller-Bahlke (Hrsg.): Das Historische Waisenhaus. Das Hauptgebäude der Franckeschen Stiftungen zu Halle, Halle 2005. ISBN 3-931479-73-0.
- Thomas J. Müller-Bahlke: Die Wunderkammer. Die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen zu Halle (Saale), Verlag der Franckeschen Stiftungen Halle/Saale 1998. ISBN 3-930195-39-9.
- Peter Menck: Die Erziehung der Jugend zur Ehre Gottes und zum Nutzen des Nächsten. Die Pädagogik August Hermann Franckes, Tübingen 2001. ISBN 3-484-84007-2; ISBN 3-931479-19-6.
Bildgalerie
- Franckesche Stiftungen
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Nordbayerischer Kurier v. 2. April 2002
- ↑ 300 Jahre Franckesche Stiftungen
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51.47805555555611.971944444444Koordinaten: 51° 28′ 41″ N, 11° 58′ 19″ O
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