Johann Heinrich Voß

Johann Heinrich Voß
Johann Heinrich Voß, Ölporträt von Georg Friedrich Adolph Schöner, 1797
Johann Heinrich Voß, Sepiazeichnung von Joseph Nicolaus Peroux

Johann Heinrich Voß (* 20. Februar 1751 in Sommerstorf; † 29. März 1826 in Heidelberg) war ein deutscher Dichter und Übersetzer berühmter Klassiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Die Lateinschule in Otterndorf

Als unehelicher Sohn des Landmanns Johann Heinrich Voß (1714–1778) und der Organistentochter Katharina Dorothea Karsten (1718–1798)[1] wurde Voß in Sommerstorf bei Waren (Müritz) geboren und wuchs als Ältester unter fünf Geschwistern in Penzlin auf, wo sich sein Vater, der als ehemaliger Kammerdiener viel von der Welt gesehen hatte, als Zolleinnehmer, Gastwirt und Schulhalter niedergelassen hatte. Sein Großvater war ein freigelassener leibeigener Handwerker. Für Voß war diese Herkunft aus der untersten Gesellschaftsschicht sein Leben lang prägend, besonders in seiner Beurteilung der Französischen Revolution und des Adels.

Grab in Heidelberg

Nachdem Voß 1766 bis 1769 die Gelehrtenschule in Neubrandenburg besucht hatte, nahm er eine schlecht vergütete Hauslehrerstelle in Ankershagen an, da er für ein Studium kein Geld hatte. Auf Einladung von Heinrich Christian Boie, dessen Aufmerksamkeit er durch Gedichtbeiträge für den von Boie begründeten Göttinger Musenalmanach erregt hatte, besuchte er seit 1772 die Universität Göttingen. Hier studierte er Philologie und wurde einer der Gründer und der führende Geist des ersten deutschen Dichterbundes, des berühmten Göttinger Hainbundes. Der Bund traf sich oft in seiner kleinen Stube in der Barfüßergasse.

Eine Büste von Johann Heinrich Voß und sein Wohnhaus in Otterndorf

Am 6. Juni 1774 wurde er Mitglied der Hamburger Freimaurerloge „Zu den drei Rosen“ und dort auch am 22. April 1775 zusammen mit Friedrich Leopold Graf Stolberg zum Meister erhoben. 1786 verließ er die Freimaurerei im Streit[2] mit der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland. In zwei Briefen begründete er dies damit, dass die „Geheimbündelei“ eine Täuschung sei; er glaube nicht an die vorgeblichen Ziele, und die „geheimen Oberen“ seien offensichtlich die Jesuiten – eine zu dieser Zeit häufig vertretene Verschwörungstheorie.

Nach Abschluss des Studiums 1775 überließ Boie ihm die alleinige Redaktion des Musenalmanachs, den er bis 1800 herausgab, von 1780 bis 1788 zusammen mit Leopold Friedrich Günther von Goeckingk. Voß zog nach Wandsbek in die Nachbarschaft von Matthias Claudius. 1777 heiratete er Boies jüngste Schwester Ernestine. Von ihren Kindern wurde Hans Voß ein bekannter Architekt, während Heinrich und Abraham ebenfalls Philologen wurden, und das Werk des Vaters fortführten.

1778 wurde er Rektor der Lateinschule in Otterndorf an der Elbmündung. Nachdem Voß und seine gesamte Familie im Spätsommer 1781 schwer am Marschenfieber erkrankt waren, verließ er mit seiner Familie 1782 Otterndorf, obwohl er das für diese Zeit ungewöhnlich freie und liberale Land Hadeln, dessen Hauptort Otterndorf war und dessen Bewohner schon im Mittelalter Wert auf eine Lateinschule für die Bürger der Stadt und Bauern der Umgebung gelegt hatten, sehr schätzte. Auf Vermittlung von Friedrich Stolberg übernahm er die Stellung als Rektor des Gymnasiums in Eutin. In einem Gedicht, das er 1780 mit dem Namen „An den Wind“ verfasste, beschrieb er die schlechte Wasserqualität in Otterndorf. Diese Stadt, direkt an der Unterelbe im Einmüdungsbereich des Stromes in die Nordsee gelegen, hatte ein Grundwasser mit sehr hohem Salzgehalt. Deshalb wurde oft das Trinkwasser aus höheren Gebieten, der Geest in der Wingst oder dem Westerberg, durch Fuhrgespanne für ca. 1 Taler pro Fass geliefert. Das konnten sich aber nicht alle Menschen leisten.

1782 vermittelte ihm also, wie schon gesagt, sein Jugendfreund Friedrich Stolberg, der inzwischen Präsident der fürstbischöflichen Kollegien in Eutin war, die Stelle als Rektor der „Gelehrtenschule“ (der heutigen Johann-Heinrich-Voß-Schule). Dort blieb Voß bis 1802 (seit 1786 als Hofrat), als er um seine Versetzung in den Ruhestand ersuchte. Er wohnte hier nach kürzeren Aufenthalten in der Wasserstraße und im ehemaligen Witwenpalais seit dem 1. Mai 1784 im „Voß-Haus“.[3] Die Jahre in Eutin wurden seine produktivste Zeit, deren Ende durch das Zerwürfnis mit Friedrich Stolberg eingeleitet wurde. Um die beiden Freude herum sammelte sich der sogenannte Eutiner Kreis.

Von 1802 bis 1805 weilte er als Privatier in Jena. Im benachbarten Weimar war er von 1804 bis 1806 als Professor am dortigen Wilhelm-Ernst-Gymnasium tätig. Obwohl Goethe ihn in seiner Nähe zu halten wünschte, folgte er der Berufung (durch die badische Regierung) zur Übernahme einer hochdotierten Sinekure-Professur an der Universität Heidelberg, die es ihm ermöglichte, sich bis zu seinem Tod völlig seinen literarischen Arbeiten, Übersetzungen und antiquarischen Forschungen zu widmen. Sein Grab befindet sich auf dem Heidelberger Bergfriedhof.

Wirken

Voß war ein Mann von bemerkenswerter geistiger Unabhängigkeit und kraftvoller Sprache. In den Jahren 1785 bis 1795 veröffentlichte er in zwei Ausgaben eine Sammlung eigener Gedichte, die er später erweiterte. Die beste seiner poetischen Arbeiten ist wohl sein idyllisches Gedicht Luise (1795), in dem er mit viel Erfolg versuchte, zeitgenössisches deutsches Geistesleben und Gefühl in den Formen klassischer (antiker) Poesie auszudrücken, also u.a. in Hexametern. Goethe regte er dadurch zu dessen Vers-Epos Hermann und Dorothea an, das 1797 erschien (siehe auch Goethes Reineke Fuchs von 1793, ebenfalls in Hexametern).

In den Mythologischen Briefen (zwei Bände, 1794) und in seiner Antisymbolik (zwei Bände, 1824–1826), die er in Opposition zu Georg Friedrich Creuzer (1771–1858) schrieb, und in anderen Schriften trug Voß Wesentliches zum Studium der Mythologie bei. Er betätigte sich auch als Fürsprecher des Rechts auf Religionsfreiheit. Zu einer Zeit, als zahlreiche deutsche Romantiker zur römisch-katholischen Kirche konvertierten, trat er durch einen aufsehenerregenden Artikel im Sophronizon (1819), einer von Paulus herausgegebenen Zeitung, hervor, der sich gegen den 1800 erfolgten Übertritt seines ehemaligen Freundes Friedrich Leopold Graf zu Stolberg zum Katholizismus wandte.

Titelblatt des Erstdrucks
Einband des obigen Erstdrucks

In erster Linie sind es die Übersetzungen der großen Epen Homers, denen Voß seinen Platz in der deutschen Literatur verdankt. Seine Übersetzungen zeigen nicht nur profunde Gelehrsamkeit und Kenntnis der antiken Sprachen und Verskunst, sondern auch vollendete Beherrschung der deutschen Sprache. Die berühmtesten seiner Übersetzungen sind die der homerischen Epen Ilias und Odyssee; am berühmtesten und bekanntesten ist seine Übersetzung der Odyssee geworden, die 1781 erschien und deren einprägsame bildhafte Sprache Generationen deutscher Leser mit Homer vertraut machte; aber durch Voß' Übersetzung der Ilias wurde erneut auch Goethe zu dem unvollendeten Werk Achilleis angeregt. Voß übersetzte auch Hesiod, Theokrit, Bion und Moschos, Vergil, Ovid, Horaz, Tibull, Properz und andere klassische Dichter. Von Tibull bereitete er eine kritische Ausgabe vor. 1818 bis 1829 veröffentlichte er in neun Bänden eine Übersetzung der Dramen William Shakespeares, die er mit Hilfe seiner Söhne Heinrich und Abraham angefertigt hatte, die ebenfalls Gelehrte und befähigte Übersetzer waren.

In seinem Namen werden der Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung und der Johann-Heinrich-Voß-Preis für Literatur verliehen.

Voß' Verdienste um die Übersetzung der Klassiker fasste sein Zeitgenosse August Thieme in eine Strophe seines Gedichtes Weihe aus dem Jahre 1809:

„Der biedre Voß, von dessen Silberwage
Es Hella, Hella, durch Germanien klingt;
Der bei der Füsse gleichem Wechselschlage
Streng um den Strophentanz den Zügel schlingt,
Und aus der Sprache Grüften hoch zu Tage
Uns unermeßlich reiche Schätze bringt. –
O, viele nennen sich die Eingeweihten,
Doch er nur ist der Fürst der deutschen Saiten!“

Johann Heinrich Voß ist international breit bekannt. Morris L. West zitiert „den Trinkspruch des alten Johann Heinrich Voss: Wer nicht liebt, Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang“ in seinem Roman Harlekin 1978 S. 221.

Werke

Deutsche Sonderbriefmarke von 2001 anlässlich des 250. Geburtstags von Voß
  • Die Leibeigenschaft. In: Lauenburger Musenalmanach., 1776.
  • Luise. Ein laendliches Gedicht in drei Idyllen. Nicolovius, Königsberg 1795.
  • Abriß meines Lebens. Karben: Wald-Verl., 1996 (Repr. d. Ausg. Rudolstadt 1818).
  • Briefe, hrsg. von Abraham Voß. Hildesheim: Olms, 1971 (Repr. d. Ausg. Halberstadt 1829-1833).
  • Sämmtliche poetische Werke, hrsg. von Abraham Voß. Leipzig: Müller, 1835.
  • Gedichte, Auswahl und einführende Texte: Klaus Langenfeld. Husum: Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, 2001.
  • Die kleinen Idyllen. Mit einer Einführung zum Verständnis der Idyllen und einem Nachwort herausgegeben von Klaus Langenfeld. Stuttgart: Akademischer Verlag Heinz, 2004

Literatur

  • Frank Baudach (Hrsg.): Ein Mann wie Voß … Ausstellung zum 250. Geburtstag von Johann Heinrich Voß. Edition Temmen, Bremen 2001, ISBN 3-86108-537-2.
  • Hermann Bräuning-Oktavio: Silhouetten aus der Wertherzeit - Aus dem Nachlaß von Johann Heinrich Voß und Carl Schuberts Silhouettenbuch. Wittich, Darmstadt 1926
  • Wilhelm Herbst: Johann Heinrich Voß. Lang, Bern 1974 (3 Bde, Repr. d. Ausg. Leipzig 1872-1876).
  • Friedrich Heussner: Johann Heinrich Voß als Schulmann in Eutin. Festschrift zum hundertjährigen Gedenktage seiner Ankunft daselbst. Struve, Eutin 1882.
  • Klaus Langenfeld: Johann Heinrich Voß. Mensch, Dichter, Übersetzer (Eutiner Bibliothekshefte; 3). Struve, Eutin 1990.
  • August Sauer (Hrsg.): Johann Heinrich Voß. Niemeyer, Tübingen 1974 (Repr. d. Ausg. Berlin 1886)
  • Heinrich A. Stoll: Johann Heinrich Voß. Union-Verlag, Berlin 1.1962 - 2.1968
  • Inka Tappenbeck (Hrsg.): Johann Heinrich Voß (1751-1826). Idylle, Polemik und Wohllaut. Niedersächsische Staatsbibliothek 2001, ISBN 3-930457-21-0.
  • Franz Muncker: Voß, Johann Heinrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 40, Duncker & Humblot, Leipzig 1896, S. 334–349.
  • Mathias Brandstädter: Wahn und Mittelmaß? Eine Analyse des Vossischen Erregungspotenzials und der polemischen Tiefenstruktur der »Antisymbolik«. In: Kultur & Gespenster 4 (2007), S.38-54.

Museen

Das Haus, in dem Rektor Voß in Otterndorf wohnte, ist heute ein Museum

Siehe auch

Quellenangaben

  1. Die Eltern heirateten erst kurz nach seiner Geburt, im April 1751.
  2. Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder: Internationales Freimaurer-Lexikon. Seite 883. 5. überarbeitete Auflage. Herbig Verlag. ISBN 3-7766-2478-7
  3. Das Haus fiel am 30. Januar 2006, Ernestines 250. Geburtstag, einer Brandstiftung zum Opfer.

Weblinks

 Commons: Johann Heinrich Voß – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
 Wikisource: Johann Heinrich Voß – Quellen und Volltexte

Hauptquelle dieses Artikels ist die Encyclopædia Britannica 1911.


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