Kahlschlagliteratur

Kahlschlagliteratur

Die Trümmerliteratur (auch Literatur der Stunde Null, Kriegs- oder Heimkehrerliteratur) ist eine deutsche Literaturepoche. Sie begann 1945, also nach dem Zweiten Weltkrieg, und trat Anfang der 1950er Jahre mit anspruchsvollen neueren Formen, etwa von Arno Schmidt, Günter Grass, Peter Rühmkorf und Uwe Johnson, zurück.

Inhaltsverzeichnis

Literaturhistorische Einordnung

Die Autoren der Trümmerliteratur waren zum Großteil junge Männer, die nach dem Krieg in Gefangenenlagern festgehalten wurden oder in die Heimat zurückgekehrt sind. Darum liegen die Anfänge der Epoche auch in den Zeitschriften der Kriegsgefangenenlager (z.B. Der Ruf). Die meisten Autoren dieser jungen Generation standen am Anfang ihres literarischen Schaffens und setzten nicht die Tradition der Nationalsozialistischen Literatur, der Literatur der Inneren Emigration oder der Exilliteratur fort.

Ausländische Bezugspunkte und Vorbilder waren die amerikanischen Short Stories und deren knapper, einfacher und unreflektierter Stil. Besonders die Werke Ernest Hemingways, John Steinbecks und William Faulkners sind hier zu nennen. Als weitere ideologisch einflussreiche Autoren, zum Teil aus dem Spektrum des Existentialismus und der Résistance, galten die Franzosen Jean Anouilh, Jean-Paul Sartre, Albert Camus sowie die Italiener Elio Vittorini und Ignazio Silone. Weitere Vorbilder waren unorthodoxe linkshumanitäre deutsche Emigranten wie Arthur Koestler und Gustav Regler sowie die jeunes allemandes der Hitler-Gegner unter den deutschen Soldaten in Frankreich, darunter Nicolaus Sombart und Alfred Andersch.

Die Trümmerliteratur endete, als Deutschland zunehmend wohlhabender wurde, die Städte aufgebaut wurden und die Schrecken des Krieges in den Hintergrund rückten. Weitere Gründe für das letztendliche Scheitern der Trümmerliteratur waren der Druck restaurativer literarischer Normen, die zu zaghafte und mühsame Entwicklung der Gattung, die formale Unsicherheit und Selbstüberschätzung vieler Autoren und die spätere Distanzierung einiger Schriftsteller von ihren Trümmerwerken als literarische Jugendsünden. Einige der Autoren prägten jedoch auch die weitere deutsche Nachkriegsliteratur, zum Beispiel in der Gruppe 47 oder der DDR-Literatur.

Stil und Thematik

Die Trümmerliteraten klagten eine radikal neue Literatur ein. Sie versuchten ausdrücklich, sich inhaltlich und formal von den vorhergehenden Strömungen abzuheben. Die Sprache als Ideologieträger der Nationalsozialisten sollte durch einen Sprachreinigungsprozess ganz neu aufgebaut werden. Ebenso lehnte man die Kalligrafie als literarische Schönschreiberei ab, Ausdruck von Ideologie und Gefühl wurde tabuisiert. Die neue Literatur sollte realistisch, unpsychologisch und wahrhaftig sein, sie erhob also ein Wahrheitspostulat. Sie sollte das Geschehene und das Existierende genau erfassen. Ein magischer Realismus wurde gefordert, der hinter der Wirklichkeit aber auch die Irrealität erblickt. Damit war auch eine Forderung an die Autoren ausgesprochen: Ein Autor, der in diesem neuen Sinne schreiben will, muss sich in der Literatur und in der Realität engagieren und den Elfenbeinturm verlassen.

Trotzdem wurde vielfach auf Formen älterer Epochen wie der Romantik, des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit zurück gegriffen. Traditionelle lyrische Formen wie das Sonett wurden ebenso durchaus noch benutzt. Die stilistischen Mittel, die benutzt wurden, waren die lakonische Sprache, die die zertrümmerte und kahle Welt beschrieb, aber nicht bewertete, sowie eine episodenhafte Beschränkung des Raums, der Erzählzeit und der Personen. Weiteres wichtiges Stilmittel war die Wiederholung.

Inhaltlich beschäftigte sich die Trümmerliteratur mit gewollt kargen und direkten Beobachtungen des dem notvollen Lebens in den Ruinenstädten, in Flüchtlingslagern und dem Schicksal Isolierter und Herumirrender, die sowohl vor den Trümmern ihrer Heimat und ihres Besitzes, als auch vor den Trümmern ihrer Wertevorstellungen stehen und damit umgehen müssen. Die Heimkehrer-Thematik der aus dem Krieg oder den Gefangenenlagern Heimkehrenden, die sich plötzlich in einer Welt wiederfinden, die keinen Platz mehr für sie hat, sprach viele Menschen der Zeit an. Ebenso stand die Frage nach der Schuld und Kollektivschuld an Krieg und Holocaust im Vordergrund. Keine einfache Frage, da viele der Autoren selbst als Soldaten am Krieg beteiligt waren und nun ihre eigene Rolle überprüfen mussten. Die Trümmerliteratur übte Kritik an der politischen und gesellschaftlichen Restauration Deutschlands.

Verpönt und als literarische Feindbilder angesehen waren Agitationsliteratur sowie Propaganda, Literaturklassiker, das Stilmittel des Rückgriffs auf die Antike, literarische Kalligrafie, pathetische, überschwängliche Literatur, stilistischer Eskapismus sowie der ältere Rationalismus des 19. Jahrhunderts und dessen rein rationale Beschreibung.

Kahlschlagliteratur

Als eine thematisch ähnliche Nebenströmung existierte die Kahlschlagliteratur. Die vor allem von Wolfgang Weyrauch im Nachwort seiner Kurzgeschichtenantologie Tausend Gramm skizzierte Strömung betont noch einmal den magischen Realismus. Die Literatur soll als Kahlschlag im Dickicht der Zeit fungieren, also bei der Bewältigung des Vergangenen und beim Neuaufbau der Zukunft behilflich sein.

Autoren und Werke

Die Festlegung eines Autors als Trümmerliterat trifft nicht immer genau zu, denn oft fällt nur ein kleiner Ausschnitt des Schaffens in die verhältnismäßig kurze Epoche.

Trümmerfilm

Hauptartikel: Trümmerfilm

Parallel zur Trümmerliteratur entstanden in den späten 1940er Jahren auch Trümmerfilme. Diese lehnten sich zum Teil an Werke aus der Trümmerliteratur an, so zum Beispiel Liebe 47 als Verfilmung von Wolfgang Borcherts Hörspiel Draußen vor der Tür.

Zitate

„Wir schrieben also vom Krieg, von der Heimkehr und dem, was wir im Krieg gesehen hatten und bei der Heimkehr vorfanden: von Trümmern; das ergab drei Schlagwörter, die der jungen Literatur angehängt wurden: Kriegs-, Heimkehrer- und Trümmerliteratur.“

Heinrich Böll: Bekenntnis zur Trümmerliteratur

„Der Name Homer ist der gesamten abendländischen Bildungswelt unverdächtig: [...]Homer erzählt vom Trojanischen Krieg, von der Zerstörung Trojas und von der Heimkehr des Odysseus – Kriegs-, Trümmer- und Heimkehrerliteratur-, wir haben keinen Grund, uns dieser Bezeichnung zu schämen.“

Heinrich Böll: Bekenntnis zur Trümmerliteratur

Quellen und Literatur

  • Bernhardt, Rüdiger: Gibt denn keiner, keiner Antwort??? Zum Verständnis der Texte Wolfgang Borcherts. In: Deutschunterricht 48 (1995) 5, S. 236-245.
  • Böll, Heinrich: Bekenntnis zur Trümmerliteratur. In: Heinrich Böll. Werke. Essayistische Schriften und Reden 1, 1952-1963. Hg. v. Bernd Berlzer. Köln: Kiepenheuer & Witsch. S. 31-34.
  • Esselborn, Karl: Neubeginn als Programm. In: Ludwig Fischer, Rolf Grimmiger (Hg.): Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis 1967, München, Wien 1986: Carl Hanser, S. 230 – 243 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart Bd. 10).
  • Große, Wilhelm: Wolfgang Borchert. Kurzgeschichten. München: Oldenboug, 1995 (=Oldenbourg Interpretationen Bd.30). V.a. S.11-19.
  • Kügler, Hans: Achter Mai 1945 – Annäherung an ein Datum. In: Praxis Deutsch 22 (1995) Heft 131, S. 13 – 21.
  • Schnell, Ralf: Deutsche Literatur nach 1945. In: Deutsche Literaturgeschichte. 6. Aufl. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler 2001. S.479-510.
  • Wehdeking, Volker: Literarische Programme der frühen Nachkriegszeit. In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 21 (1990) 2, S. 2 – 15.
  • Weyrauch, Wolfgang: Nachwort zu Tausend Gramm. In: Weyrauch, Wolfgang (Hg.): Tausend Gramm. Reinbek: Rowohlt 1989. S. 175-183.
  • Zürcher, Gustav: Trümmerlyrik. Politische Lyrik 1945-1950.Kronberg: Scriptor 1977 (=Monografien Literaturwissenschaft Bd. 35).

Weblinks


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