Køkkenmøddinger

Køkkenmøddinger

Køkkenmøddinger ist die dänische Bezeichnung für prähistorische Abfallhaufen und Überreste entsprechender Siedlungsstellen in Strandnähe, insbesondere für Küchenabfälle (schwed. Kökkenmöddingar, engl. Shell Middens oder Coastal Dwelling Sites, port. Sambaqui/Concheiro). Der Begriff wurde Mitte des 19. Jahrhunderts vom dänischen Zoologen Japetus Steenstrup als Fachausdruck für zumeist steinzeitliche Fundhaufen aus Überresten der Meeres- und Malakofauna (z. B. Reste von Muschelschalen und Schneckengehäusen) eingeführt und ist in der Archäologie die gängige Bezeichnung solcher Fundstellen.

Ausgrabungen im Muschelhaufen von Sölager, Dänemark, 30. August 1869
Der "Shell midden" von Whaleback in Maine

Inhaltsverzeichnis

Forschungsgeschichte

Japetus Steenstrup beschäftigte sich seit 1837 mit den Muschelhaufen an der dänischen Küste und begann 1848 einen Disput mit dem Archäologen Jens Jacob Asmussen Worsaae über die Natur der Køkkenmøddinger. Steenstrup hielt die Køkkenmøddinger für verlandete Muschelbänke; die Werkzeuge seien von den frühen Menschen bei der Suche nach Austern zurückgelassen worden. Worsaae vermutete dagegen in den Muschelhaufen "eine Art von gemeinsamer Essstätte der in der Nähe wohnenden Stämme aus frühester Vorzeit". Aus dem Disput resultierte die Einsetzung einer Untersuchungskommission durch die dänische Regierung im Jahre 1850. Steenstrup revidierte in der Folge seine Ansichten über die Natur der Køkkenmøddinger. Die Kommission, zu der außer Steenstrup und Worsaae der Geologe Johann Georg Forchhammer gehörte, legte mit ihrem 1851 vorgelegten Ergebnis entscheidende Grundlagen für die Erforschung der dänischen Frühgeschichte.

Charles Darwin beschrieb Muschelhaufen in Peru, R. Gunn 1846 in Tasmanien. In den USA wurden 1834 durch L. Vanuxem Muschelhaufen in New Jersey beschrieben.

Edward Morses Untersuchung der Muschelhaufen (kaizuka) von Ōmori im Tokioter Stadtbezirk Ōta in Japan 1879, war die Geburtsstunde der japanischen prähistorischen Archäologie. Er untersuchte auch die unterschiedliche Artenzusammensetzung und versuchte sie zu einer Umweltrekonstruktion zu nutzen.

Natürlich entstandene Muschelanhäufungen

Muschelhaufen können durch Stürme entstehen, wenn lebende und tote Muscheln der Gezeitenzone oder tieferer Bereiche an den Strand gewaschen werden. Auch anthropogene Muschelhaufen können von Stürmen redeponiert werden. Auch Vögel tragen (kleinere) Muschelhaufen zusammen. Hier sind besonders Austernfischer und Möwen zu nennen. Mehrere australische Vogelarten (Das Reinwardthuhn (Megapodius reinwardt) und das Thermometerhuhn (Leipoa ocellata) aus der Familie der Großfußhühner tragen Muscheln um ihre Nester zusammen. Diese Ansammlungen können über 10 m hoch werden (Claasson 1998, 72).

Datierung

Die ersten bekannten Muschelhaufen, die Steinwerkzeuge enthielten, sind in der Höhle von Pinnacle Point am Indischen Ozean in Südafrika auf ein Alter von 164.000 Jahren datiert worden[1], ältere Funde stammen aus Terra Amata bei Nizza und sind ca. 400.000 Jahre alt (Paola Villa 1983). Eine intensivere Nutzung mariner Ressourcen scheint im letzten Interglazial einzusetzen, doch sind unsere Kenntnisse durch Veränderungen des Meeresspiegels im Gefolge der Eiszeiten naturgemäß eingeschränkt.

Lewis Binford postulierte eine revolutionäre Verbreiterung der Ernährungsgrundlagen zu Beginn unseres Interglazials (Broad Spectrum Revolution), seine Thesen fanden aber wenig Anhänger. Eine Überprüfung etwa durch Isotopenanalysen steht aber noch weitgehend aus. In Nordafrika fällt der Beginn der Aufhäufung von Muschelhaufen ins ausgehende Paläolithikum (Capsien).

Mit dem Beginn des Neolithikums scheint die Nutzung mariner Ressourcen in Nordwesteuropa insgesamt zurückzugehen. Muschelhaufen wurden aber auch im Neolithikum noch neu angelegt. Für den Køkkenmøddinger von Ponta da Vigia, Portugal wurde ein Alter von etwa 6.730 v. Chr. ermittelt. Aus Schottland sind glockenbecherzeitliche Muschelhaufen bekannt, aus Irland frühmittelalterliche. Die Sambaquis genannten Muschelhaufen Brasiliens entstanden zwischen 5000 und 1000 v. Chr.

Verbreitung

In Europa sind Muschelhaufen an der Atlantikküste von Irland bis Portugal (Concheiros von Comporta), im westlichen Schottland und in Nordafrika sowie in Dänemark[2] verbreitet (siehe: Køkkenmødding von Åmølle, Marcilleborg, Køkkenmødding bei Mejlgård).

Ferner sind sie bekannt aus:

  • Asien
  • Afrika
    • Mosambik
    • Südafrika (Transkei)
  • Amerika
    • Brasilien nördlich Rio de Janeiro (Sambaqui-Kultur)
    • Britisch Kolumbien (Kanada)
    • Ekuador
    • Karibischen Inseln
    • Peru
    • USA (Aleuten, New Jersey, Florida)

Kongemose- und Ertebølle-Kultur

Die ersten Küchenabfallhaufen Nordeuropas stammen aus der Kongemose-Kultur (6000-5200 v. Chr.). Der Ende des 19. Jahrhunderts ausgegrabene Muschelhaufen von Ertebølle im nördlichen Jütland gab der spätmesolithischen/neolithischen Ertebølle-Kultur (5.200-4.000 v. Chr.) den Namen (Eponymer Fundort). In Deutschland fand man um 1900 im Hafenbecken des Kieler Stadtteils Ellerbek zum ersten Mal Hinweise auf diese Kulturstufe. Da sie hier nicht im Kontext mit den in Skandinavien üblichen Muschelhaufen steht, spricht man in Schleswig-Holstein auch von der Ellerbek-Gruppe der Ertebølle-Kultur oder von der Ertebølle/Ellerbek-Kultur, in Mecklenburg-Vorpommern von der Lietzow-Gruppe oder Lietzow-Kultur (nach dem Fundplatz Lietzow-Buddelin auf Rügen). Ein etwa 8000 Jahre alter, nur 1,9 cm langer Angelhaken aus den Knochen eines Vogels, mit vier kleinen Rillen auf dem Schaft zur Befestigung einer Schnur, wurde im Jahre 1989 während der archäologischen Untersuchungen eines Wohnplatzes auf der Farm Roe, in der Gemeinde Bro Härnäset im Bohuslän, in einem Køkkenmøddinger gefunden. In Schweden gibt es nur in Bohuslän Stellen wo prähistorische Knochen erhalten blieben. Mit Haken dieser Größe hat man wahrscheinlich Aale oder Heringe gefischt.

Form und Zusammensetzung

Die Abfallhaufen können aus den Schalen von Austern, Miesmuscheln, Napfschnecken und anderen Schalentieren bestehen, aber auch mit Abschlägen oder Geräten aus Feuerstein durchsetzt sein. Manche Muschelhaufen enthalten auch Herdstellen, Holzkohle, Keramik und menschliche Skelettreste. In Ertebølle selber wurden etwa Schlagplätze für Feuerstein nachgewiesen.

Am Cabeço da Arruda (Portugal) wurden die Skelette von 45 Individuen gefunden. Die Abfallhaufen des Capsien sind 10-15 m lang und können 3 m hoch sein. In Constantine, Algerien wurde ein 100 m langer, 50 m breiter und 2,5 m hoher Abfallhaufen gefunden.

Irland

Die Køkkenmøddinger im Norden Irlands werden als Coastal Dwelling Sites bezeichnet und befinden sich etwa neun Meter über dem gegenwärtigen Meeresspiegel, der zur Zeit ihrer Entstehung oder Nutzung zumindest zeitweise wesentlich niedriger lag. Mit Ausnahme von Herdstellen, die in einem Køkkenmødding auf der Rough Island im Strangford Lough gefunden wurden, enthalten sie kaum Artefakte. Die Strandabschnitte sind jedoch ergiebige Quelle für mesolithische und neolithische Flintartefakte. Die Beobachtungen bezüglich der Funde und Strukturen im Bereich der versetzten Dünen waren hauptsächlich das Ergebnis der Sammelaktivität von Laien. Systematische Untersuchungen wurden zunächst nicht durchgeführt.

Die irischen Coastal Dwelling Sites werden in Regionen gefunden, wo Dünen vorkommen. Unter bewachsenen Dünen, die Køkkenmøddinger darstellen, liegt eine Schicht, die u.U. Holzkohle, Scherben und Schalen der Malakofauna sowie vereinzelte Knochen enthält. Nicht von Vegetation bedeckte Dünen werden vom Wind permanent versetzt. Kökkenmöddinger, die von Sand bedeckt waren, werden gelegentlich durch einen Sturm freigelegt. Die Artefakte, liegen nicht in situ, sondern verstreut auf der Oberfläche.

Die Standspuren von Rundhütten oder Zelten, markiert durch kreisförmig angeordnete Felsblöcke wurden u.a. bei Whitepark Bay im County Antrim und bei Dunfanaghy und Doagh More im County Donegal gefunden. Auch Gräber sind in Køkkenmøddingern gefunden worden. Sie bestehen aus kreisförmigen Anordnungen von Steinen oder regelrechten Steinkisten, wie jener bei Doagh More. In Dundrum im County Down, waren die aus Steinen gebauten Gräber von einem Ringgraben umgeben. Eine U-förmige Setzung von Pfostenlöchern markierte eventuell den Standort einer Hütte oder eines Windschutzes.

Dooey im County Donegal war besonders reich an Funden, die aus mehreren Perioden stammen. Anfangs war eine Anzahl von Gruben da, die von einer kreisförmigen Anlage von etwa 40 m Durchmesser abgelöst wurden, die von einem Graben umgebenen war. Die Nutzung des Platzes ging weiter, nachdem der Graben verfüllt war. Zuletzt entstand ein Gräberfeld mit 70 Begräbnissen. Ein über 2,5 m hoher Menhir wurde möglicherweise errichtet, um den Friedhof zu markieren. Die Funde zeigen, dass Rinder, Schafe und Schweine gehalten wurden. Es gab Belege für Fischfang und Schalen zeigen an, dass Meeresfrüchte eine wichtige Kost waren. Diese Periode der Nutzung des Platzes kann im Wesentlichen der frühchristlichen Zeit (400-800 n. Chr.) zugeordnet werden. Es gibt Hinweise auf die Bearbeitung von Geweihstangen und die Herstellung von Eisen- und Bronzegeräten.

Der Kökkenmöddinger von Rockmarshall im County Louth erbrachte keine Belege für domestizierte Tiere. Dagegen hat Dalkey Island im County Dublin Belege für Rinderhaltung erbracht. Polierte Äxte die bei Sutton im County Fingal gefunden wurden zeigen eine jungsteinzeitliche Nutzungsphase an. Auch die in einigen Kökkenmöddingern, wie Dundrum, gefundenen Tonwaren belegen, dass eine Anzahl von Küstenwohnplätzen in der Jungsteinzeit aufgesucht wurden. Aus anderen Funden ist erkennbar, dass die Kökkenmöddinger während der Bronze- und Eisenzeit, sowie der frühchristlichen Periode, eventuell sogar bis ins Mittelalter genutzt wurden. Die Grabung in Ballybunion, im County Kerry, erbrachte eisenzeitliche Nadeln und römische Münzen, während Bronzenadeln und Fibeln, die im Co. Donegal gefunden wurden, eine spätere Nutzung anzeigen.

Ganz anderer Art ist der Kökkenmöddinger im Hafen von Cork. Er besteht hauptsächlich aus Austernschalen. Die gefundenen Steine nutzte man für das Öffnen der Meeresfrüchte.

Rezente Muschelhaufen

Auch durch rezente Ausbeutung von Mollusken entstehen noch Muschelhaufen, so in Australien und der Transkei (Südafrika). Die Studien rezenter Jäger und Sammler, z.B. durch Betty Meehan und Theresa Lasiak geben wichtige Ansatzpunkte für die Interpretation archäologischer Befunde (Ethnoarchäologie).

Rezente Nutzung

Prähistorische Muschelhaufen wurden abgebaut, um als Baumaterial, Dünger oder Hühnerfutter genutzt zu werden. Muscheln wurden auch häufig zu Kalk gebrannt, zerkleinerte Muscheln sind außerdem ein begehrter Zusatz zu Mörtel und Zement. In Frankreich werden die Muscheln der rezenten Austernfischerei als Dünger genutzt.

Einzelnachweise

  1. Curtis W. Marean et al.: Early human use of marine resources and pigment in South Africa during the Middle Pleistocene. In: Nature. Bd. 449, 2007, S. 905-908.
  2. S. H. Andersen: Køkkenmøddinger‘ (Shell Middens) in Denmark: a survey. Proceedings of the Prehistoric Society 66, 2000, S. 361-384.

Literatur

Allgemein

  • Ch. Claassen: Shells. Cambridge 1998
  • Seán P. Ó Ríordáin: fifth Edition by Ruaidhrí de Valera: Antiquities of the irish Countrysides (Methuan, London & New York 1979

Grabungsberichte

  • E. Morse: Shell mounds of Omori. Tokio 1879
  • J. P. Mallory, Peter C. Woodman: Oughtymore: an Early Christian shell midden. Ulster Journal Archaeology 47, 51-62, 1984
  • P. A. Mellars: Excavation and Economic Analysis of Mesolithic Shell Middens on the Island of Oronsay (Inner Hebrides). In The Early Postglacial Settlement of Northern Europe. Paul A. Mellars, ed. Pp. 371-396. London 1978 Duckworth.

Ethnologie und Ethnoarchäologie

  • B. Meehan: Shell bed to shell midden. Canberra 1982
  • Geoffrey Bibby Faustkeil und Bronzeschwert. Erforschung der Frühzeit des europäischen Nordens, Rowohlt-Sachbuch, Hamburg, 1972

Ernährung

  • Richards M. P. Schulting, R. J. und R. E. M. Hedges: Sharp shift in diet at onset of Neolithic. Nature 425, 2003, 366
  • N. Milner: Oysters, cockles and kitchenmiddens: Changing practices at the Mesolithic/Neolithic transition in P. Miracle und N. Milner (Hrsg.): Consuming Passions and Patterns of Consumption. Mac Donald Institute, Cambridge 2002
  • A. Jerardino, R. Navarro: Cape Rock Lobster (Jasus lalandii) Remains from South African West Coast Shell Middens: preservational factors and possible bias. Journal of Archaeological Science 29, 993-1000, 2002
  • S. H. Andersen: Kökkenmöddinger (Shell Middens) in Denmark: a survey. Proc. Prehist. Soc. 66, 361-384, 2000

Malakologie

  • Irvy R. Quitmyer, Douglas S. Jones: The sclerochronology of hard clams, Mercenaria spp., from the South-Eastern U.S.A.: a method of elucidating the zooarchaeological records of seasonal resource procurement and seasonality in prehistoric shell middens. Journal Arch. Science 24, 825-40, 1997

Weblinks


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