Left Luggage

Left Luggage
Filmdaten
Deutscher Titel: Kalmans Geheimnis
Originaltitel: Left Luggage
Produktionsland: Niederlande
Belgien
Erscheinungsjahr: 1998
Länge: 100 Minuten
Originalsprache: Englisch
Hebräisch
Jiddisch
Altersfreigabe: FSK 12
Stab
Regie: Jeroen Krabbé
Drehbuch: Edwin de Vries
Carl Friedman (Buch)
Produktion: Edwin de Vries
Craig Haffner
Musik: Keith Allison
Henny Vrienten
Kamera: Walther van den Ende
Schnitt: Edgar Burcksen
Besetzung

Kalmans Geheimnis (Left Luggage) ist das Regiedebüt des holländischen Schauspielers und Regisseurs Jeroen Krabbé und wurde an der 48. „Berlinale“ unter dem Originaltitel „Left Luggage“ im Februar 1998 als Wettbewerbsbeitrag uraufgeführt.

Der Spielfilm basiert auf dem autobiografischen Roman „Twee Koffers Vol“ ('Zwei Koffer voll') der niederländischen Autorin Carl (Carolina) Friedman (*29. April 1952): «„Zwei Koffer“ erzählt die Geschichte einer jungen Jüdin, die bei einer streng orthodoxen Familie arbeitet und jüdisches Leben zu begreifen versucht. Zwei kleine Kostbarkeiten zum Thema, was es heißt, ein Jude zu sein: nicht mehr und nicht weniger als Mensch zu sein.» [1]

In den Niederlanden kam der Film am 30. März, in Belgien am 8. April 1998, in Deutschland am 12. August und in der Schweiz am 13. August 1999 erstmals in die Kinos. Im Free-TV respektive auf Deutsch-sprachigen Fernsehsendern wurde „Kalmans Geheimnis“ schon mehrfach ausgestrahlt, letztmals am 20. März 2007 auf ORF 2. „Kalmans Geheimnis“ ist im Verleih von Polygram Filmed Entertainment und Buena Vista International und hat das FBW-Prädikat „wertvoll“ erhalten.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Während seiner Flucht vor den dem nationalsozialistischen Regime in Belgien, vergräbt ein Mann seine ihm persönlich wertvollsten Habseligkeiten und insbesondere familiären Erinnerungsstücke in zwei Koffern, in einem ihm unbekannten Garten in Antwerpen [2].

Ein Menschenleben später: Im Antwerpen des Jahres 1972, versuchen Herr Silberschmidt (Maximilian Schell) und seine Frau die traumatisierenden Gräuel als Überlebende des Holocausts zu überwinden, im ‚modernen‘ mitteleuropäischen Alltag ihr Leben so gut es geht ‚sinnvoll‘ zu gestalten.

Er hat sich äußerlich den frühen 1970-er Jahren zwar angepasst, verfällt aber am Jahrestag des Suizids seiner Schwester noch einmal in schwerste Depressionen. Zwanghaft versucht Herr Silberschmidt (wie jedes Jahr) – mit Vorkriegs-Stadtplänen und Schaufel – seine beiden „verlorenen Koffer“ ('left luggage') wiederzufinden. was die die fragile Beziehung mit seiner Ehefrau und seiner Tochter zusätzlich belastet, ihn zunehmend von seinen Freunden entfremdet.

Frau Silberschmidt (Marianne Sägebrecht) verdrängt die Jahre im Konzentrationslager vollständig, redet im Gegensatz zu ihrem Mann niemals darüber, wirkt nach Außen hin ’fröhlich-gelassen’ – sie versucht den Schein der ’Normalität’ aufrechtzuerhalten und die Schreckensjahre auf ihre Weise zu vergessen, indem sie Lebensfreude im Kochen, Kuchenbacken, an indianischer Webkunst, ihren Zimmerpflanzen und dem oberflächlichen Kontakt mit ihren Nachbarn (Ehepaar Goldman, Miriam Margolyes und Lex Goudsmit) sucht.

Diese Situation nimmt die lebenslustige zwanzigjährige Tochter Chaja (Laura Fraser) notgedrungen als unvermeidliche Realität ihres Elternhauses wahr, die ihr so 'ferne' Vergangenheit ihrer Eltern nicht verstehend, und versucht zu ihnen ein liebevoll-distanziertes Verhältnis durch gelegentliche Besuche aufrechtzuerhalten.

Die Philosophiestudentin – von ihren Eltern äußerst liberal erzogen – genießt ihr Leben als moderne junge Frau und teilt mit ihrer Freundin Sofie (Heather Weeks) eine Wohnung (und in Einzelfällen den Liebhaber) im Antwerpen der 68er-Bewegung nachfolgenden Jahre, dankbar nicht mehr im elterlichen Haushalt leben zu müssen. Chaja hat zu ihrer jüdischen Herkunft keinen Bezug, verdrängt diese zwar nicht, macht sich aber auch keine Gedanken über die Vergangenheit ihrer Familie, und auf orthodox Lebende blickt sie mit jugendlicher 'Arroganz' hinab.

Auf der Suche nach einer neuen Arbeit, nachdem die temperamentvolle junge Frau einmal mehr eine Arbeitsstelle verloren hat und unter Geldnot leidet, vermittelt ihr Herr Apfelsnitt (Chaim Topol) – Freund und Nachbar ihrer Eltern und für sie ein väterlicher Berater – eine gut bezahlte Arbeitsstelle: Als Kinderbetreuerin und Haushälterin in einem chassidischen Haushalt, bei Familie Kalman, die in einem Antwerpener Quartier mit mehrheitlich Chassidim ihren Traditionen verbunden lebt.

Frau Kalman (Isabella Rossellini) ist über die sie schockierende Kleidung, die lebenslustige, direkte und provozierende Art von Chaja anfänglich genauso befremdet wie Chaja über die für sie auf den ersten oberflächlichen Blick vermeintlich ’rückständige’ Lebensweise der orthodoxen Chassidim. Frau Kalman ist ungeachtet dessen dankbar, eine Hilfe für sich und ihre fünf Kinder (davon zwei Babys) im Haushalt zu haben, mit dem sie sich zunehmend überfordert fühlt, im Bewusstsein, dass Herr Kalman (Jeroen Krabbé) sich kaum mit Chaja abfinden wird.

Chajas erster Arbeitstag wird zum Debakel. Die liberal erzogene junge Frau ist mit den strengen Regeln des orthodoxen Judentums nicht vertraut und macht alles falsch. Der düstere Herr Kalman behandelt sie wie Luft, fühlt sich von der freizügigen Chaja und ihrem respektlosen Begehren provoziert. Schon will Chaja einmal mehr alles hinwerfen, da entdeckt sie das Lächeln des vierjährigen Simcha (Adam Monty): Simcha hat in seinem Leben noch kein Wort gesprochen, obwohl ihm physisch nichts fehlt. Auf seltsame Weise fühlt sich Chaja von dem stillen Jungen angezogen, und ihn wiederzusehen, ist anfänglich der einzige Beweggrund, warum sie auch diese Arbeit nicht gleich zu Beginn wieder aufgibt, entmutigt durch die ihr unverständlichen Traditionen und die ihr fremde Lebensweise der Familie Kalman. Diese lässt die alltäglichen antisemitischen Schikanen des Hauswarts (David Bradley) gelassen und mit Gottesvertrauen über sich ergehen, zunehmend aber von der Lebenseinstellung Chajas beeinflusst.

Simcha schließt Chaja genauso schnell ins Herz wie sie ihn, und für beide sind die jeweils vier Nachmittage jeder Woche Stunden, auf die sie sich gleichermaßen freuen, mit Spaziergängen und dem Füttern der Enten im nahem Park verbringen. Unter ständigen Ängsten vor seinem distanzierten und gestrengen Vater findet Simcha dank Chaja seine Sprache und den Respekt seines Vaters, was gleichermaßen für die Herrn Kalman beständig provozierende 'Haushaltshilfe' gilt, die seine Distanziertheit („Kalmans Geheimnis“), insbesondere Simcha gegenüber, in der ihr eigenen ungestümen Weise offenlegt.

Mit ihrer einfühlsamen Art und lebensbejahenden Einstellung gewinnt Chaja Frau Kalman und die Kinder für sich, nimmt anfänglich Einblick in ihren Alltag, und mit der Zeit wird sie Teil des Familienlebens. Im gleichen Maß wächst Chajas Interesse an ihrer eigenen Herkunft und Kulturgeschichte, äußert sich in der Wandlung z.B. ihrer Kleidung zu einem 'konservativen' Stil, Zurückhaltung, Toleranz und dem Zurückhalten unüberlegter Kritik ihr 'unverständlichen' Lebensweisen gegenüber.

Im offensichtlichen Gegensatz zu ihrer zu Beginn des Films plakativ dargestellten ’provokativen’ Art, wird Chaja sensibilisiert für die vermeintlich ’kleinen, alltäglichen Diskriminierungen’ im heutigen europäischen Alltag, die ihre jüdischen Mitbürger im Antwerpen der 1970-er Jahre als ’selbstverständlich’ hinnehmen. Beispiele: Der Hauswart als überkarikiert dargestellte Figur, vereinsamt und seinen Lebensunmut an der Familie Kalman auslassend, als zwei oberflächlich höfliche Polizisten Chajas ’verwirrten’ Vater nach Hause bringen, die Schmierereien im Park, ihre Freundin Sofie die auf Chajas jüdische Herkunft mit Vorurteilen reagiert – den gleichen, die Chaja selbst zu Beginn des Films gegenüber der Lebensweise der Chassidim hegte.

Die letzten zehn Minuten des bewegenden Films, der insgesamt einen feinen Sinn für die ironischen Seiten des Alltags hat, mögen auf den ersten oberflächlichen Blick befremdend wirken: Für Simchas tragischen Unfalltod (Chaja war währenddessen eine Woche von Frau Kalman 'beurlaubt'), wird von Teilen der chassidischen Gemeinde Chaja die Verantwortung zugesprochen. Nicht aber von Familie Kalman: Aufschlussreich kann der Dialog von Herrn Apfelsnitt mit Chaja und eine der zwei Szenen an der Beerdigung Simchas sein: Frau Kalman schneidet den Kragen von Chajas Kleid zum Zeichen der Trauer zu einem langen Riss ein (als Zeichen des einschneidenden Verlusts eines geliebten Menschen) und nimmt sie mit diesem Ritual in die Familie auf.

In der Schlussszene scheint Chaja die „verschrobene Besessenheit“ ihres Vaters (und indirekt dargestellt, auch ihrer Mutter) akzeptieren und verstehen, sogar teilen zu können, und ihre eigene kulturelle Identität als moderne junge Frau jüdischer Herkunft und Tradition gefunden zu haben, und den filmischen Aufruf zu gegenseitiger Toleranz und Respekt vor dem Leben verinnerlicht zu haben.

Auszeichnungen

Internationale Filmfestspiele Berlin 1998

Weitere Filmpreise

  • 1998 – „British Independent Film Award“ (BIFA): Nominierung für ’Best Foreign Independent Film – English Language’ [4]
  • 1998 – „Internationales Filmfest Emden“: Jeroen Krabbé – ’Emden Film Award’ [5] [6]
  • 1998 – „Nederlands Film Festival“: Jeroen Krabbé – ’Grolsch Film Award [7]

Filmkritiken

  • «Mit „Kalmans Geheimnis“ hat Schauspieler Jeroen Krabbé („Auf der Flucht“, „Herr der Gezeiten“) ein beeindruckendes Regie-Debüt geschaffen: ein vielschichtiges, gefühlvolles Drama über die Suche einer unkonventionellen jungen Frau nach ihrer jüdischen Identität und die Erinnerung an die schmerzvolle Vergangenheit der Erwachsenen-Generation.» Dirk Jasper (CyberKino).
  • «Mit seinem ersten Film hat Jeroen Krabbé ein kleines Meisterwerk abgeliefert. Es ist ihm nicht nur gelungen, die Wunden aufzuzeigen, die der Holocaust hinterließ, sondern dem Zuschauer auch die Welt der strenggläubigen Juden auf eine eindringliche Art näherzubringen.» TV Movie, Ausgabe 17, 1999.
  • «Eine einfühlsame Geschichte über das Leben nach dem Holocaust präsentiert der Niederländer Jeroen Krabbe mit seinem Regie-Debüt „Kalmans Geheimnis“. Ein wunderbar besetzter Film, der für Toleranz zwischen Generationen und Kulturen eintritt.» Rhein-Zeitung, 11. August 1999.
  • «Der Niederländer Jeroen Krabbe, als Schauspieler unter anderem bekannt aus „Der vierte Mann“ und Bond-Bösewicht, präsentiert mit seinem Regie-Debüt eine einfühlsame Geschichte über das Leben nach dem Holocaust. Krabbe tritt mit seinem wunderbar besetzten Film für Toleranz zwischen Generationen und Kulturen ein.» Rhein-Zeitung online.
  • « … Der Film leidet jedoch unter einer verkrampft wirkenden Schauspieler-Führung und einer eher unglücklichen Besetzung. Die aufgesetzt wirkende Melodramatik nimmt der humanen Botschaft viel von ihrer Vitalität.» film-dienst 1999-16.
  • «Mit seinem Regiedebüt hat sich der Schauspieler Jeroen Krabbé überhoben: Themen wie Holocaust und religiöser Fanatismus handelt er schablonenhaft und bleischwer ab.» Cinema, August 1999.
  • «Anfangs wirkt das Regie-Debut von Schauspieler Gerome Crabbet, der hier auch mitspielt, durchaus bewegend, aber spätestens nach der Hälfte ist die Luft raus, weil die Story viel zu überladen ist … Noch dazu agieren viele Darsteller – wie Isabella Rossellini, Maximilian Schell oder Marianne Sägebrecht – weit unter Niveau. Langweilig. [8]» SWR3 Kino-Datenbank (online).
  • «A beautiful, warm picture filled with compassion and humanism, making understandable even the behavior of the superintendent – a mean pathetic anti-Semite: he is so terribly lonely that has only his dog to talk to.» Internet Movie Database (IMDB)
  • «Jeroen Krabb's earnestly schmaltzy film is so intent on pushing its virtuous agenda that its characters often sound like mouthpieces parroting predigested attitudes in a debate whose uplifting outcome is a foregone conclusion. That agenda has to do with Jewish identity and self-acceptance and facing one's memories of Nazi camps rather than burying them under a facade of homey sweetness and light. Although the movie has some genuinely touching moments and several strong performances, its screenplay by Edwin de Vries veers unsteadily between ham-fisted exposition and cloying sentimentality.» Stephen Holden, Summary [9], The New York Times (online)

Literatur

  • Carl Friedman, Twee Koffers Vol ('Zwei Koffer'), ISBN 90-282-0822-4, Van Oorschot, Amsterdam, 1993
  • Carl Friedman, Vater/Zwei Koffer, Übersetzung Marlene Müller-Haas/Christiane Kuby, ISBN 3-570-19522-8, Lizenzausgabe Gruner + Jahr, Hamburg, 2006
  • Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim, ISBN 3-717-51062-2, Manesse Verlag, Zürich, 1949
  • William G. Niederland: Folgen der Verfolgung: Das Überlebenden-Syndrom, Seelenmord, Frankfurt a.M. 1980, Suhrkamp Verlag (als Taschenbuch 2002 in der edition suhrkamp ISBN 3-518-11015-2).

Weblinks

Quellen

  1. Kurzrezension von Elke Heidenreich: „Zwei Koffer“
  2. History of the Jews in Belgium (Englisch-sprachige Wikipedia)
  3. Website der „Berlinale“: Übersicht der Preise von unabhängigen Jurys
  4. „British Independent Film Award“ (BIFA) Website (englisch)
  5. „Emden International Film Festival“ in der „Internet Movie Database“ (IMDB) (englisch)
  6. „Internationales Filmfest Emden“ Website
  7. Nederlands Film Festival (1998) in der „Internet Movie Database“ (IMDB) (englisch)
  8. SWR3 Kino Datenbank
  9. The New York Times, Ausführliches Review von Stephen Holden (Login erforderlich, englisch)

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