Arabischer Sozialismus

Arabischer Sozialismus

Arabischer Sozialismus (al-ischtirākiyya al-ʿarabiyya / ‏الاشتراكية العربية‎) ist eine Variante des sogenannten Dritten Weges zwischen Kommunismus (Sozialismus) und Kapitalismus. Er ist seinem Wesen nach anti-imperialistisch, aber auch anti-atheistisch. Seine islamischen Anhänger berufen sich auf den Koran. Demnach sei der Prophet Muhammad der "Vorbeter der Sozialisten", und der frühe Islam verkörpere den ersten sozialistischen Staat. Nach dem Ende der sozialistischen Ära 1917-1991 begann sich ein Islamischer Sozialismus (al-ischtirākiyya al-islāmiyya / ‏الاشتراكية الإسلامية‎) zu formieren.

Inhaltsverzeichnis

Merkmale

Arabische Sozialisten betonen den staatlichen Zentralbesitz, die privaten Eigentumsanteile, die naturhistorischen Eigenheiten im Orient und den Islam. Nach dem Erscheinen von Ahmad Sa'ids Buch "Der arabische Sozialismus" (1959) diente der Begriff zur Abgrenzung vom "radikalen, kommunistischen oder Staatssozialismus" Osteuropas.

Grundlegend für den arabischen Sozialismus waren die Umstürze in Ägypten 1952 und Libyen 1969: In einem zweiten Schub der Entkolonialisierung besetzten nationalistische Militärs die kolonialen Überbauformen. Nach der Niederlage im Nahostkonflikt 1967 verlor der Arabische Sozialismus an Boden.

Unterschiede zum Sozialismus europäischer Prägung bestehen hinsichtlich:

  • arabischer Nationalismus
  • Glaube an die Religion, v. a. den Islam
  • Stufenweise, harmonische Entwicklung anstelle von Klassenkampf, Gewalt und der Diktatur einer Klasse
  • Vorzug privaten und genossenschaftlichen Eigentums vor Kollektiveigentum

Hierbei wirkten folgende Faktoren erschwerend:

Da die Theorie des arabischen Sozialismus insgesamt wenig ausgearbeitet ist, wird er mit einer enormen Kluft zwischen Anspruch und Realität pragmatisch gehandhabt.

Geschichte

Das arabische Wort für Sozialismus, ishtirâkîya, stammt von der Konsonantenwurzel sh-r-k, die in vorislamischen Zeiten auf der Arabischen Halbinsel Gemeinbesitz bzw. Polytheismus (Schirk) bezeichnete, später auch in Koran- und Hadith-Texten. Erstmals erklärte ein englisch-türkisches Lexikon 1861 ishtirâk als "Sozialismus".

Die ersten arabischen Sozialisten spalteten sich in kommunistische, sozialdemokratische, nationalistische und religiöse (etwa islamische) Sozialisten.

Erste anonyme sozialistische Schriften auf Arabisch entstanden bei den Minderheiten: den Griechen Alexandrias, Italienern Kairos, Christen Libanons und Kopten Ägyptens. Auch jüdische Einwanderer und nach 1905 russische Emigranten propagierten ihre sozialistischen Ideen. 1910 erschien in New York das Journal der ersten Arabischen Sozialistischen Gesellschaft. 1915 erschienen erste Werke auf Arabisch, etwa der "Reformkatalog" des Ägypters al-Mansuri.

1919 entstanden in Palästina die ersten Parteien arabischer Kommunisten. 1921 wurde Ägyptens erste sozialistische Partei gegründet, 1922 gründete Husni al-Urabi die erste kommunistische Partei, ein Mitglied der Komintern. In den 1920er-Jahren grenzten sich "Internationalistische Sozialisten", in Kairo von Komintern-Gesandten wie Joseph Rosenthal und Constantine Weiss angeführt, von den "Arabischen Sozialisten" ab. Der arabische Sozialismus teilte sich hierauf in sozialdemokratische, nationale und islamische Strömungen. Zur zentralen Strömung nach 1936 wurden die von Militärs getragenen nationalistischen Arabischen Sozialisten. 1941-43 gründeten Michel Aflaq und Salah ad-Din al-Bitar die Baʿth-Partei, die 1953 mit Al-Hauranis Arabischer Sozialistischer Partei fusionierte.

Der Höhepunkt des arabischen Sozialismus begann ab Mitte der 1950er-Jahre, als Offiziere um Nasser in Ägypten durch einen Putsch an die Macht kamen. Grundlegend waren hierbei die "Charta der Nationalen Aktion" Ägyptens (1962) und die ägyptische Verfassung 1964. Infolge von Spannungen zwischen den Blöcken während des Kalten Krieges gewann der arabische Sozialismus in Jemen, dem Sudan, Irak, Syrien, Libyen und Algerien an Boden. Nach 1967 formierten sich unter arabischen Palästinensern gewaltbereite marxistisch-leninistische und maoistische Gruppen. In Libyen begann sich nach Gadaffis Machtergreifung 1969 ein Volkssozialismus zu etablieren, der im Grünen Buch (1975) theoretisch begründet wurde.

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Europa 1991 spalteten sich arabische Sozialisten in nationalistische, säkulare und religiöse Kreise auf. Als nationalistisch-säkulare Variante gelten die Doktrin und die Praktiken Saddam Husseins, der 1979 in Irak an die Macht gelangte. Anfang der 1980er formierte sich in Ägypten um den Kairoer Philosophie-Professor Hasan Hanafi eine "islamische Linke", die Sozialismus und Religion zu vereinigen sucht.

Erscheinungsformen

  • Der arabische Sozialismus Ahmed bin Billas (1963) und Houari Boumediennes in Algerien
  • Der Staatssozialismus Dschafar Muhammad an-Numairis im Sudan (1969)
  • der "arabische Sozialismus" des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser und seiner "Arabischen Sozialistischen Union" (Einheitspartei, ASU), auch als Nasserismus bezeichnet
  • die "Dritte Internationale Universaltheorie" (Das Grüne Buch) des libyschen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi, der sich selbst als Schüler Nassers betrachtet, und dessen Staatsform (Volksmassenstaat) auf direkter Demokratie basiert und die repräsentative Demokratie als undemokratisch bezeichnet, da die Menschen keinen direkten Einfluss auf das Handeln der Regierung haben. Sie ist nicht nur an Araber und/oder Muslime, sondern auch an Nichtmuslime gerichtet.
  • der "arabische Sozialismus" der Baath-Partei (Sozialistische Partei der Arabischen Wiedergeburt), die 1963 in Syrien und Irak (bis 2003) an die Macht kam, deren Flügel aber untereinander verfeindet sind, auch als Baathismus bezeichnet
  • der linke oder linksliberale Islam des schiitischen Ayatollahs Mohamoud Taleqani, der zur "Islamischen Revolution" im Iran beitrug, aber nach Taleqanis Tod (1979) den Konservativen und Traditionalisten unter Ayatollah Khomeini im Machtkampf unterlag. Als Nachfolger oder Schüler Taleqanis betrachten sich faktisch alle linken bzw. linksliberalen Politikern und Oppositionsgruppen im Iran, wie Mohammad Chatami, Ebrahim Yazdi, Abdolali Bazargan oder Großajatollah Hussein Ali Montazeri vor allem aber die Volksmodjahedin im Exil. Aber auch Khomeini übernahm Taleqanis Parole "Weder Ost noch West"
  • der drusische Sozialismus im Libanon, vertreten durch die eher persönlichen als ideologischen Anschauungen der Drusen-Führer Kamal Dschumblat bzw. seines Sohnes und Nachfolgers Walid Dschumblat. Die Dschumblat-Partei (sozialistische Fortschrittspartei, PSP) ging im Bürgerkrieg daher folgerichtig Allianzen mit linken (al-Murabitun) und kommunistischen Kräften ein, das Verhältnis zum "sozialistischen" Syrien aber war bzw. ist wechselhaft
  • der Bhutto-Sozialismus des einstigen pakistanischen Premiers bzw. Präsidenten Zulfikar Ali Bhutto, dessen Volkspartei (PPP) durch seine Tochter und Nachfolgerin Benazir Bhutto zwar einen Rechtsruck erfahren hat, dessen Sohn Murtaza Bhutto aber deutlich linkere Positionen vertrat
  • weitere Beispiele eines islamisch-sozialistischen Sonderwegs gab es in Somalia unter Siad Barre, in Algerien unter Boumeddine, in Indonesien unter Sukarno sowie unter den Sozialisten im Südjemen.
  • Einen sozialistischen Ansatz, der seine Wurzeln teilweise in den Werken von Marx und Hegel, primär aber in der Gedankenwelt der islamischen Mystik hat, entwickelte der sudanesische Intellektuelle Mahmoud Mohamed Taha (1909-1985). Taha und seine Anhänger, die Republikanischen Brüder/Schwestern, setzten sich für einen föderalistischen, demokratischen, weltlichen und sozialistischen Sudan und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein. Taha wurde mehrfach der Apostasie bezichtigt und 1985 deswegen vom Numeiri-Regime zum Tode verurteilt und hingerichtet.
  • die nach der russischen Oktoberrevolution 1917-22 von dem Tataren Mir Sultan Galijew angestrebte Symbiose von Türkentum, Kommunismus und Islam innerhalb Sowjetrußlands bzw. als dessen Schwesterrepublik

Literatur


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