Nika-Aufstand

Nika-Aufstand
Palastviertel mit Hippodrom

Der Nika-Aufstand (altgriechisch: ἡ Νίκα Στάσις) war eine Volkserhebung in Konstantinopel, zu der es 532 während der Regierungszeit des oströmischen Kaisers Justinian I. kam. Der Aufstand gilt als die schwerste Circusunruhe der Spätantike.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

Kaiser Justinian im Kreis seiner Beamten

Auslöser des Aufstands war der überraschend strenge Kurs Justinians gegen die Zirkusparteien, der im krassen Gegensatz zu seiner Förderung der Fraktion der „Blauen“ vor seiner Erhebung zum Kaiser stand.

Hintergrund der unnachgiebigen Haltung des Kaisers, als Bauernsohn ein sozialer Aufsteiger, war wohl, dass er sich stärker als seine Vorgänger als „Herrscher von Gottes Gnaden“ gab. Nachdem die oströmischen Truppen im Herbst 531 bei Kallinikon eine Niederlage gegen die Perser erlitten hatten, war das Ansehen Justinians beschädigt, und er reagierte, indem er seine Autorität durch Standfestigkeit und Härte zu konsolidieren versuchte. Mit seiner Vorstellung vom Kaisertum stieß er aber gerade unter den Senatoren auf Widerstand. Und auch das einfache Volk wiederum scheint die Legitimität der justinianischen Dynastie teils nicht akzeptiert zu haben: 14 Jahre zuvor war Justinians Onkel und Vorgänger Justin I. überraschend Kaiser geworden, obwohl der verstorbene Augustus Anastasius erwachsene und regierungsfähige Neffen besessen hatte (die 532 dann auch eine wichtige Rolle spielen sollten).

Die ehrgeizigen Pläne Justinians und der Krieg gegen Persien veranlassten ihn offenbar zu einer rigiden Steuerpolitik, von der sowohl das einfache Volk als auch - anders als unter seinen Vorgängern - die herrschenden Schichten betroffen waren. Federführend dabei war Justinians mächtiger praefectus praetorio Orientis, Johannes der Kappadokier, den daher der Volkszorn und die Verachtung durch die alten Eliten traf. Es ist allerdings unklar, ob diese Maßnahmen, die erst in den Folgejahren ihre volle Wirkung entfalteten, bereits 532 eine entscheidende Rolle spielten.

Verlauf

Wagenlenker auf Quadriga

Die Darstellung des Verlaufs des Aufstandes richtet sich im Folgenden nach den Angaben in den Quellen, insbesondere nach dem Bericht des Augenzeugen Prokop. Zu Auslegungsmöglichkeiten siehe Rezeption.

Vorspiel

Im Vorfeld des Aufstandes wurden mehrere Unruhestifter – Parteigänger der Zirkusfraktionen – zum Tode verurteilt. Nach Vollstreckung der ersten Hinrichtungen versagte bei zwei Delinquenten mehrmals der Galgen oder der Strick, was das anwesende Volk als Zeichen Gottes ansah. Dies erwies sich als verhängnisvoll, da die beiden Verurteilten jeweils den verfeindeten Zirkusparteien zugerechnet wurden. Die aufgebrachte Menge unterstützte im folgenden Tumult eine Gruppe von Mönchen, die die Verurteilten in den Schutz eines Klosters brachten.

Unruhen

Oströmischer Kaiser (Theodosius I.) im Hippodrom

Drei Tage später, am 13. Januar wurden im Hippodrom die Zirkusspiele zu den Iden abgehalten. Nach 22 Durchläufen begannen die Zirkusparteien die Freilassung der Gefangenen zu fordern. Als Justinian nicht antwortete (ein ungewöhnliches Verhalten für einen spätantiken Kaiser), erklang die unerhörte Akklamation „Den die Menschen liebenden Blauen und Grünen viele Jahre!“. Die gegnerischen Fraktionen hatten sich gegen den Kaiser vereint. Als Kennwort untereinander benutzte man das Wort „Nika“ (νίκα, „Siege!“), das der Erhebung den Namen gab. In der Folge kam es am selben Tag noch zu einem Angriff auf das Prätorium des Stadtpräfekten.

Vermutlich um einen Eindruck der Normalität zu erwecken und um das Volk zu beruhigen, wurden die Rennen am 14. Januar nicht abgesagt. Die Massen, die sich im Hippodrom einfanden, randalierten jedoch bald weiter, wobei die Holzbänke des Hippodroms und die Arkaden der Hauptstraße bis zu den Thermen des Zeuxippos in Flammen aufgingen.

Als Reaktion gingen die verbliebenen kaisertreuen Einheiten unter Mundus, Constantiolus und Basilides gegen die Aufständischen vor.

Politischer Protest

Im Verlauf der Unruhen wurden die Forderungen der Aufständischen bekannt: die Entlassung des Prätorianerpräfekten Johannes, des Stadtpräfekten Eudamion und des quaestor sacri palatii Tribonianus, des leitenden Juristen des Kaisers. Justinian kam diesen Forderungen nach und ließ die drei hohen Würdenträger vorläufig fallen, dennoch gingen die Unruhen weiter. Daraufhin ging der gerade vom Krieg mit den Persern zurückgekehrte Feldherr Belisar, der sich eigentlich wegen der Niederlage bei Kallinikon vor Justinian verantworten sollte, mit seiner Leibgarde aus Goten gegen die Aufständischen vor, konnte aber keinen durchschlagenden Erfolg verzeichnen.

Offener Aufstand

Byzantinischer Fußsoldat

Inzwischen hatten sich die Unruhen zu einem offenen Aufstand gewandelt, dessen Ausgang noch vollkommen offen war. In der Nacht des 14. Januar zum 15. Januar wurden im Palastviertel die Chalke, die Senatscuria, die Unterkünfte der Palastwachen der scholarii, protectores und candidati, das Kaiserforum (Augusteum) und die Vorgängerkirche der Hagia Sophia angezündet. Die Fronten hatten sich verhärtet. Möglicherweise fällt eine von Prokop überlieferte Rede (fragwürdiger Authentizität) der Kaiserin Theodora I., die Justinian zur Stärke aufrief, in diese Phase.

Die Aufrührer begannen spätestens in dieser Phase mit dem Gedanken an einen neuen Kaiser zu spielen. So zog am 15. Januar eine Menge zum Haus des Probus, eines Neffen des ehemaligen Kaisers Anastasius, und verlangte mit den Rufen „Probus, Kaiser für Rom“ Waffen für die Aufständischen. Als die Antwort ausblieb, legten sie Feuer an das Haus.

Am 16. Januar verwüsteten Aufständische das Archiv des Praetoriums, wahrscheinlich um belastende Strafakten zu vernichten. Das Feuer, das sie dabei legten, griff durch einen ungünstigen Wind um sich und verbrannte die Kirche der Hagia Eirene, die Thermen des Alexander, zwei kaiserliche Villen, die Basilika des Illus und das Hospiz des Samson sowie das des Eubulus.

Da sich die Truppen der Palastwache neutral verhielten, hatte Justinian anscheinend weitere Truppen aus den nahen Garnisonen von Hebdomon, Rhegio, Athyras und Calabria angefordert, die am 17. Januar mit den Aufständischen zusammenstießen. Dabei verbrannten Teile des Octagons genannten Gebäudes, der Portikus der Silberschmiede, das Haus des Symmachus, die Kirchen des St. Aquilian und die des St. Theodor, sowie ein Bogen auf dem Forum Konstantins. Bei einer weiteren Aktion wurden Liburnon und Magnaura angezündet. Das Ergebnis des folgenden Straßen- und Häuserkampfes war unentschieden. Spätestens seit sich die neuen Truppen in der Stadt befanden, war die Niederwerfung des Aufstands jedoch wohl nur noch eine Frage des Zeit.

Am Morgen des 18. Januar ließ Justinian das Volk ins Hippodrom rufen und bot den Beteiligten am Aufstand Straffreiheit an. Zunächst schien das Volk darauf einzugehen, doch dann kippte die Stimmung und Hypatius, ein anderer Neffe des Anastasius, wurde auf dem Forum Konstantins unter Beteiligung einiger Senatoren zum Gegenkaiser ausgerufen.

Berittener oströmischer Soldat

Niederschlagung

Die Rolle des Hypatius lässt sich nicht endgültig klären. Laut Prokop versuchte er nach seiner Erhebung, heimlich mit Justinian Kontakt aufzunehmen und sich dessen Gnade zu unterwerfen. Anscheinend gab die falsche Nachricht, Justinian sei auf einem Boot geflüchtet, jedoch den Ausschlag, dass Hypatius seine (tragische) Rolle schließlich akzeptierte. Wahrscheinlicher ist aber, dass Hypatius als Kandidat der senatorischen Opposition den Aufstand nutzen wollte, um an die Macht zu gelangen, und dass Prokop in seinem Bericht versucht, den Usurpator im Nachhinein in Schutz zu nehmen.

Inzwischen war es aber dem Hofkämmerer Narses gelungen, Teile der Blauen zu Gunsten Justinians zu bestechen. Daraufhin drangen die kaisertreuen Einheiten unter Belisar, Mundus und Constantiolus an mehreren Stellen gleichzeitig in das Hippodrom ein und begannen ein Massaker, dem vermutlich 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Am Folgetag wurden Hypatius und der mit ihm verhaftete Pompeius hingerichtet und ihre Leichen ins Marmarameer geworfen.

Folgen

Der Zustand des Hippodroms heute

Insgesamt bewirkte das rigorose Vorgehen gegen die Aufständischen eine Stärkung des Kaisers und eine Entmachtung der ohnehin schon recht schwachen senatorischen Opposition. Andererseits blieb Justinian bei der städtischen Bevölkerung noch lange verhasst. Der Einfluss von Belisar, Narses und vor allem Theodora wurde offensichtlich gestärkt, die in der Folgezeit politisch besonders in Erscheinung traten. Belisar, der zuvor aufgrund einer Niederlage gegen die Sassaniden in Ungnade gefallen war, konnte durch sein kaisertreues Verhalten die Gunst Justinians wiedererlangen und wurde im folgenden Jahr mit der Leitung der Militärexpedition gegen die Vandalen beauftragt. Narses, sein Rivale, sollte in den folgenden Jahrzehnten ebenfalls höchst einflussreich bleiben.

Die mit dem Aufstand entstandenen Zerstörungen in Konstantinopel boten Justinian außerdem die Möglichkeit zu ambitionierten Bauvorhaben in der Hauptstadt, in deren Zuge vor allem die verwüstete und niedergebrannte Hagia Sophia neu errichtet wurde.

Nach den Geschehnissen des Nika-Aufstands wurden in den Folgejahren über längere Zeit keine Rennen im Hippodrom abgehalten.

Rezeption

Trotz oder gerade wegen der verhältnismäßig dichten Quellenlage zum Nika-Aufstand durch die Augenzeugen Prokop und (vielleicht) Johannes Malalas, gibt es unter Historikern mehrere Deutungen. Während Alan Cameron zumindest in der Anfangsphase eine typisch spätantike, von den Zirkusparteien ausgehende Unruhe zu erkennen meint, gingen Historiker im ehemaligen Ostblock von einem spontanen reinen Volksaufstand aus. In jüngerer Zeit wurde mehrfach vermutet, dass die bzw. einige Senatoren von Anfang an als treibende Kraft hinter den Aufständischen auszumachen sind. Eine weitere, jedoch sehr umstrittene, Theorie sieht sogar Justinian selbst als Urheber, der den Aufstand nutzen wollte, um die ungeliebte Opposition ausschalten zu können (Mischa Meier).

Zudem sind die so genannten Akta diá Kalopódion ein Streitpunkt der Historiker. Bei dieser Beschreibung einer Auseinandersetzung der Zirkusparteien mit Justinian im Hippodrom bei Theophanes ist nicht geklärt, ob sich wirklich ein Zusammenhang mit dem Nika-Aufstand herstellen lässt.

Quellen

Literatur

  • Hans-Georg Beck: Kaiserin Theodora und Prokop. Der Historiker und sein Opfer, München 1986, S. 35–40. Seinem Thema entsprechend betont Beck den angeblichen Machtzuwachs Theodoras nach dem Aufstand.
  • John B. Bury: The Nika Riot, in JHS 17 (1897), S. 92–119. Dieser 100 Jahre vor Greatrex entstandene Artikel ist durch seinen Quellenvergleich immer noch lesens- und empfehlenswert.
  • Alan Cameron: Circus factions. Blues and Greens at Rome and Byzantium, Oxford 1976. Camerons Buch dient als Grundlage zur Analyse von Geschehnissen an denen die Zirkusparteien beteiligt sind. Im Kapitel „Two special cases“ (S.278–281) geht er näher auf den Nika-Aufstand ein. Er stuft ihn zumindest zu Beginn als typische Erhebung der Zirkusparteien ein.
  • James A.S. Evans: The 'Nika' Rebellion and the Empress Theodora, in: Byzantion 54 (1984), S. 380–82.
  • Geoffrey B. Greatrex: The Nika Riot: A Reappraisal, in: JHS 117 (1997), S. 60–86. Greatrex untersucht sehr detailliert vor allem die sich ändernde Dynamik im Verlauf des Aufstandes.
  • Mischa Meier: Die Inszenierung einer Katastrophe: Justinian und der Nika-Aufstand, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 142 (2003), S. 273–300. Meiers Thesen sind in der Forschung umstritten. Er sieht den Aufstand als einen vom Kaiser inszenierten Akt an, wodurch Justinian seine Herrschaft stabilisierte und sich ihm unliebsamer Konkurrenz entledigte.
  • Franz Tinnefeld: Die frühbyzantinische Gesellschaft. Struktur-Gegensätze-Spannungen, 2.7 „Der Senat unter Justinian seit dem Nikaaufstand“ S. 83–85 und 5.1.2 „Das Volk als politischer Faktor in der Hauptstadt“ (S. 194–199), München: 1977. Tinnefeld meint, im Nika-Aufstand würde die geheime Opposition aus Senatskreisen an den Tag treten.

Weblinks


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