- Niklaus Meienberg
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Niklaus Meienberg (* 11. Mai 1940 in St. Gallen; † 22. September 1993 in Zürich) war ein Schweizer Historiker, Schriftsteller und Journalist.
Meienberg lebte in Zürich und veröffentlichte zu Lebzeiten 14 Bücher und zahlreiche Reportagen. Seine Arbeiten über die jüngere schweizerische Vergangenheit haben massgeblich zur öffentlichen Meinungsbildung der Schweiz im 20. Jahrhundert beigetragen. Seine engagierten, angriffigen und sprachlich geschliffenen Texte gelten bis heute als Musterbeispiele eines investigativen Journalismus und geniessen in Journalistenschulen grossen Stellenwert.[1]
Inhaltsverzeichnis
Leben
Nach seiner fünfjährigen Internatszeit in der Klosterschule Disentis ging er als 20-Jähriger für ein Jahr in die USA, ins New Yorker Büro des Migros-Genossenschaftsbundes; anschliessend betätigte er sich kurzzeitig als Bulldozerfahrer im kanadischen Vancouver. Danach begann er ein Studium mit Hauptfach Geschichte, zunächst an der Uni Freiburg, später an der ETH Zürich und mit einem Stipendium in Paris. Wieder in Freiburg schloss er seine Studien ab mit der Lizentiatsarbeit De Gaulle und die USA von 1940–42.
Ab 1966 war er beruflich fünf Jahre lang Pariser Korrespondent der Weltwoche. Ab 1971 fertigte er Beiträge für das Kulturmagazin Perspektiven des Schweizer Fernsehens sowie etliche Produktionen für Radio DRS, so für die satirische Sendung Faktenordner. Gleichzeitig wurde er (bis 1976) freier Mitarbeiter des Zürcher Tages-Anzeigers und des Tages-Anzeiger Magazins (heute Das Magazin). Von 1982 bis 1983 war Meienberg Leiter des Pariser Büros der Hamburger Illustrierten Stern. Danach arbeitete er als Schriftsteller und als freier Mitarbeiter der Zürcher WochenZeitung (WOZ).
1973 plante er, seine Reportagen in Buchform zu publizieren, und lernte auf der Suche nach einem Verleger den Schweizer Schriftsteller Otto F. Walter kennen, zu dem mit der Zeit ein freundschaftliches Verhältnis entstand. Persönliche und berufliche Differenzen führten jedoch ab ca. 1979 zum Zerwürfnis. Meienberg warf Walter vor, seine Lebensgeschichte auf unangemessene Weise für seine Romane zu verwerten. Hinzu kam Walters negatives Urteil über Meienbergs lyrisches Schaffen. Nachdem der private Kontakt bereits zum Erliegen gekommen war, trugen die beiden 1983/84 in der WOZ eine öffentliche Debatte zum Verhältnis zwischen politisch engagierter Literatur und gesellschaftlicher Wirklichkeit aus ("Realismusdebatte").[2][3][4]
Nachdem die manischen und depressiven Episoden, die er seit der Internatszeit durchmachte (und auch beschrieb), sich in den besten Jahren etwas gelegt hatten, nahmen sie anfangs der 90er-Jahre wieder an Heftigkeit zu und steigerten sich während des Golfkrieges zum Wahn.[5] Er glaubte sich von der CIA verfolgt und meinte, die Welt vor einem Atomkrieg bewahren zu müssen.[6] Am 11. September 1992 wurde er von zwei Nordafrikanern brutal zusammengeschlagen. Von den Folgen dieses Überfalls hat er sich nie mehr richtig erholt. Kurz nacheinander folgten weitere Schicksalsschläge: der Tod der Mutter, mit der ihn eine enge, aber nicht unproblematische Beziehung verbunden hatte; die Trennung von seiner letzten Freundin; eine harsche Abrechnung mit seinem Werk in der NZZ; ein schwerer Motorradunfall in Frankreich.
Am 22. September 1993 schied er freiwillig aus dem Leben mittels eines Schlafmittels samt Alkohol. Nach Einschätzung des österreichischen Schriftstellers Erich Hackl geschah dies, weil er den Lauf der Welt nicht mehr ertrug.
Literarisches Schaffen
Wegen seiner kritischen Texte zur Schweizer Geschichte und Gegenwart wurde er 1976 beim Tages-Anzeiger – vom Verleger Otto Coninx gegen den Willen der Redaktion – mit einem langjährigen Schreibverbot belegt. Den Ausschlag gab ein ironischer Artikel "Einen schön durchlauchten Geburtstag…" über den Fürsten von Liechtenstein im Tages-Anzeiger vom 7. August 1976.
1977 musste er wegen Passagen des Films Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S. und wegen eines geplanten Theaterstücks über Ulrich Wille vor Gericht. Meienberg, der von Moritz Leuenberger verteidigt wurde, gewann den Prozess gegen die beiden Söhne Willes.
Im Frühling 1987 schrieb Meienberg für die Weltwoche ein kritisches, viel beachtetes Porträt von Ulrich Wille und dessen Familie. Als Die Welt als Wille und Wahn erschien es im Herbst desselben Jahres in Buchform. Meienberg stützte sich dabei unter anderem auf Fotografien von unveröffentlichten Briefen Willes an seine Frau, die Meienberg ohne Erlaubnis von einem Dekorationsstück in einer Ausstellung angefertigt hatte, wie er im Nachwort des Buchs selbst schrieb: „Die wachhabende Aufsichtsperson des Ortsmuseums Meilen hatte das Buch noch nie aufgeblättert gehabt, freute sich aber, dass sein Inhalt dem Fotografen Roland Gretler und mir so gut gefiel, und hatte nichts dagegen, dass ich einige Passagen exzerpierte und Roland Gretler ein paar Dutzend Seiten integral fotografierte.“[7]
Niklaus Meienbergs Nachlass wird im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern aufbewahrt.
Meienbergs zum Band St. Fiden – Paris – Oerlikon zusammengefasste beste Reportagen wurden 2005/06 in die Reihe Schweizer Bibliothek aufgenommen.
Stimmen von Zeitgenossen
- „Für mich ist Meienberg vor allem ein grosser Prosaautor. Wo diese Prosa schliesslich erschienen ist, das ist gleichgültig. Das ist ähnlich wie bei Heine. Heinrich Heine hat einen grossen Teil seines Werks für Zeitungen geschrieben. Das gehört heute zur verbindlichen deutschen Prosa.“ Peter von Matt
- „Es stimmt halt, was er geschrieben hat.“ Max Frisch
Auszeichnungen
- 1990 Kulturpreis der Stadt St. Gallen
- 1989 Zürcher Journalistenpreis
- 1988 Werkpreis der Max-Frisch-Stiftung
Werke
- Reportagen aus der Schweiz: Luchterhand, Darmstadt 1974, NA Limmat, Zürich 1994, ISBN 3-85791-227-8
- Das Schmettern des gallischen Hahns. Reportagen aus Frankreich, Luchterhand, Darmstadt 1976, NA Limmat, Zürich 1987, ISBN 3-85791-123-9
- Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S., Luchterhand, Darmstadt 1977, erw. NA Limmat, Zürich 1992, ISBN 3-85791-201-4
- Es ist kalt in Brandenburg. Ein Hitler-Attentat, Limmat, Zürich 1980, NA Wagenbach, Berlin 1990 (vergriffen)
- Die Erweiterung der Pupillen beim Eintritt ins Hochgebirge. Poesie 1966–1981, Limmat, Zürich 1981, ISBN 3-85791-028-3
- Vorspiegelung wahrer Tatsachen, Limmat, Zürich 1983, ISBN 3-85791-060-7
- Der wissenschaftliche Spazierstock, Limmat, Zürich 1985, ISBN 3-85791-095-X
- Heimsuchungen. Ein ausschweifendes Lesebuch, Diogenes, Zürich 1986, ISBN 3-257-21355-7
- Die Welt als Wille & Wahn. Elemente zur Naturgeschichte eines Clans, Limmat, Zürich 1987, ISBN 3-85791-128-X
- Vielleicht sind wir morgen schon bleich u. tot, Limmat, Zürich 1989, ISBN 3-85791-149-2 (vergriffen)
- Weh unser guter Kaspar ist tot. Plädoyers u. dgl., Limmat, Zürich 1991, ISBN 3-85791-185-9
- Geschichte der Liebe und des Liebäugelns, Limmat, Zürich 1992, ISBN 3-85791-210-3
- Zunder. Überfälle, Übergriffe, Überbleibsel, Diogenes, Zürich 1993, ISBN 3-257-22775-2
- Reportagen 1 & 2, Limmat, Zürich 2000, ISBN 978-3-85791-343-3 (beide Bände zus.)
- St. Fiden – Paris – Oerlikon, Tamedia, Zürich 2006, ISBN 3-905753-08-1
- zus. mit Peter Bichsel und Manfred Züfle: Die Zürcher Unruhe 2. Analysen, Reportagen, Berichte, Orte, Zürich 1981, ISBN 978-3-85830-016-4
- zus. mit Adolf Muschg und Gerold Späth: Der leergeglaubte Staat. Kulturboykott: Gegen die 700-Jahr-Feier der Schweiz, Rotpunktverlag, Zürich 1991, ISBN 978-3-85869-151-4
Filmografie
- Filme für das Schweizer Fernsehen, zusammen mit Villi Hermann:
- 1974 Ein Fremdarbeiter namens Liebermann
- 1974 Bundesarchiv – Putzfrauen und Politiker
- 1976 Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S., Drehbuch-Autor (mit Richard Dindo)
- 1980 Es ist kalt in Brandenburg (Hitler töten) (mit Villi Hermann und Hans Stürm), 150 Minuten, CH/BRD 1978/80
Literatur
- Martin Durrer und Barbara Lukesch (Hrsg.): Niklaus Meienberg als Anlass, Limmat, Zürich 1988, 232 S., ISBN 3-85791-143-3
- Christof Stillhard: Meienberg und seine Richter. Vom Umgang der Deutschschweizer Presse mit ihrem Starschreiber, Limmat, Zürich 1992, 151 S., ISBN 3-85791-209-X
- Aline Graf: Der andere Niklaus Meienberg. Aufzeichnungen einer Geliebten, Weltwoche ABC Verlag, Zürich 1998, 422 S., ISBN 3-85504-171-7
- Marianne Fehr: Meienberg. Lebensgeschichte des Schweizer Journalisten und Schriftstellers, Limmat, Zürich 1999, 556 S., ISBN 3-85791-326-6
- Reto Caluori: Niklaus Meienberg. Ich habe nicht im Sinn, mich auf schweizerische Gutmütigkeit einzulassen. In: Sibylle Birrer et al.: Nachfragen und Vordenken. Intellektuelles Engagement bei Jean Rudolf von Salis, Golo Mann, Arnold Künzli und Niklaus Meienberg, Chronos, Zürich 2000, S. 187–236, ISBN 3-905314-08-8
- Klemens Renoldner: Hagenwil-les-deux-Eglises. Ein Gespräch mit Niklaus Meienberg. Mit einem Fotoessay von Michael von Graffenried und einem Aufsatz von Erich Hackl, Limmat, Zürich 2003, 112 S., ISBN 3-85791-395-9
- Claus Leggewie: Die dünn geschabte Haut. Essay in der Frankfurter Rundschau vom 7. August 2004
Weblinks
- Nachlass Niklaus Meienberg in der Archivdatenbank HelveticArchives der Schweizerischen Nationalbibliothek
- Publikationen von und über Niklaus Meienberg im Katalog Helveticat der Schweizerischen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Niklaus Meienberg im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Meienberg, Niklaus im Historischen Lexikon der Schweiz
- Hommage-Webseite des Vereins Meienberg.CH umfassende Information (mit Publikationsdatenbank)
- DER Meienberg Dokumentarfilm-Porträt (84 min., Schweiz 1999)
- Rezensionen zu Werken von Niklaus Meienberg bei perlentaucher.de
- Rezensionen zu Marianne Fehrs Meienberg-Biographie von 1999
- Störrische Saftwurzel. Charmeur und Störenfried – Der Schweizer Niklaus Meienberg fürchtete nur den öffentlichen Konsens. Christiane Kögel in: Süddeutsche Zeitung vom 16. Juni 2003
Einzelnachweise
- ↑ vgl. etwa Diplomarbeit Herrmann
- ↑ Urs Hafner: Die fiktive Debatte. In: WochenZeitung vom 2. Februar 2006
- ↑ Reto Caluori: Vom literarischen Stoff zum Konfliktstoff. Der Briefwechsel zwischen Niklaus Meienberg und Otto F. Walter. In: Entwürfe - Zeitschrift für Literatur, Nr. 24 (2000), S. 51-64
- ↑ Redemanuskript Hackl
- ↑ Jean-Martin Büttner: Er lebte laut und heftig, er starb ganz still. In: Tages-Anzeiger vom 19. Februar 1999
- ↑ Renoldner (s. Literatur)
- ↑ Thomas Feitknecht: "Man muss die Augen offen halten. In: Tagesanzeiger vom 15. Dezember 2005
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