Notre-Dame de Reims

Notre-Dame de Reims
Kathedrale Notre-Dame in Reims.
Der Grundriss

Die Kathedrale Notre-Dame von Reims in der nordfranzösischen Stadt Reims gilt als eine der architektonisch bedeutendsten gotischen Kirchen Frankreichs. Seit 1991 gehört sie zum Unesco-Weltkulturerbe. Jahrhundertelang wurden hier die französischen Könige gekrönt.

Die als dreischiffige Basilika gestaltete Kathedrale war mit Ausnahme der Westfront bereits im 13. Jahrhundert (1211 – 1311) fertiggestellt. Die endgültige Fertigstellung erfolgte im 14. Jahrhundert, nachdem das Schiff verlängert worden war, um den Menschen Platz zu bieten, die bei den Königskrönungen anwesend waren. Bei einem Brand 1481 wurden das Dach und die Türme zerstört.

Markantestes Merkmal der Kathedrale ist ihre mit Reliefs und Figuren reich verzierte Westfassade – ein großartiges Beispiel mittelalterlicher Bildhauerkunst. Ihre beiden gedrungenen Westtürme mit einer Höhe von 81 Metern sollten ursprünglich noch Turmspitzen für eine Gesamthöhe von 120 Metern erhalten. Das Hauptportal ist der Jungfrau Maria gewidmet. Direkt über dem Portal befindet sich noch innerhalb des gotischen Portalspitzbogens eine kleinere Rosette. Die Mitte der Westfassade wird durch die Hauptrosette geprägt. Die "Galerie der Könige" unterhalb der Hauptrosette zeigt die Taufe Chlodwig I. und die Statuen seiner Nachfolger.

Im Inneren hat die Kathedrale eine Länge von 139 Metern. In dem fünfschiffigen Querhaus mit doppelter Vierung ist sie 55 Meter breit, das dreischiffige Langhaus ist 32 Meter breit.

Zur Basilica minor wurde die Kathedrale 1870 durch Papst Pius IX. ernannt. Während des Ersten Weltkrieges wurde die Kathedrale schwer beschädigt, unter anderem wurde der hölzerne Dachstuhl aus dem 15. Jahrhundert komplett zerstört. 1919 wurde mit der Renovierung begonnen, die sich über zwanzig Jahre hinzog.

1974 wurden von Marc Chagall gestaltete farbige Glasfenster eingeweiht.

Inhaltsverzeichnis

Architektur

Der Bau der Kathedrale von Reims wurde im Jahr 1211 begonnen, ebenfalls nach einem verheerenden Brand 1210 wie in Chartres – dasselbe gilt für Amiens wenige Jahre später 1218. Reims kann als eine Art Nationalheiligtum der Franzosen bezeichnet werden, denn sie ist die Krönungskirche des französischen Königtums. Nach der Legende hatte gegen Ende des 5. Jahrhunderts der hl. Remigius als Bischof von Reims den Frankenkönig Chlodwig getauft und mit einem vom Himmel herab gesendeten Öl gesalbt. Daraus leitete der Reimser Erzbischof das Recht ab, in seiner Kathedrale jeden neuen König von Frankreich zu krönen und zu salben.

Beschießung der Kathedrale von Reims 1918

Dieser Bedeutung verdankt sie im Ersten Weltkrieg eine viertägige Beschießung durch die deutsche Artillerie, eine militärisch völlig sinnlose Maßnahme, die lediglich die Demütigung der französischen Ehre zum Ziel hatte und in Frankreich lange Zeit unvergessen blieb. Das Dach und viele Skulpturen wurden dabei zerstört. Auf deutscher Seite wurde der Angriff auch als Vergeltung für die Zerstörung des Speyerer Doms durch französische Truppen im Jahr 1689 gerechtfertigt. Erst 1938 konnte die Kathedrale wieder in Gebrauch genommen werden, kurz bevor diese Region erneut unter deutsche Besatzung kam.

Die Fassade gilt als das klassische Beispiel französischer Hochgotik schlechthin, sowie als die dynamisch ausgewogenste. Sie wurde wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (1252–1275) errichtet. Hier ist der Entwicklungsgang von Laon wieder aufgegriffen worden: ein dominierendes Zentrum in der Mitte und eine mächtige Bewegung durch die ganze Fassade. Die Portalzonen sind weit nach vorne und mit ihren Wimpergen nach oben gezogen, über das erste Geschoss hinaus. Die zentrale Rosette ist original und nicht später eingebaut worden, denn in Reims wurde um 1215/20 von Jean d’Orbais das Maßwerk erfunden.

Die Spitze des mittleren Wimpergs

Die neue Erfindung des Maßwerks wurde auch in der Portalzone als Tympanon angewandt, eine völlig neue Idee, die für die Belichtung des dahinter liegenden Innenraumes große Bedeutung hat. Die Fensterrose ist das absolute Zentrum dieser plastisch und dynamisch hoch bewegten Fassade. Diese Reimser Idee ist damals derart erfolgreich gewesen, dass zahlreiche Kathedralen ihre Westfassade nach diesem Vorbild umgeändert haben. Lediglich das große Radfenster von Laon aus der Zeit nach 1220 kann hier in gewisser Weise als Vorläufer gewertet werden.

Als großes Gegengewicht gegen das mächtige Portalgeschoss und die Rosette im zweiten fungieren die bekrönende Königsgalerie und die dahinter gesetzten Türme. Die ganze Fassade mit ihren enormen Steinmengen ist eine rauschhafte Bewegung nach oben, was bei nächtlicher Beleuchtung noch dramatischer wirkt.

Die Königsgalerie, von der einige Kunsthistoriker glauben, sie sei die erste der Kunstgeschichte und nicht jene in Paris, war ursprünglich vergoldet. Sie zieht sich um das ganze Turmgeschoss herum, wie auch der plastische Schmuck die gesamte Kathedrale umgibt. Die insgesamt 56 Statuen der Königsgalerie haben eine Größe von 4,30 Meter und wiegen zwischen 6 und 7 Tonnen. Insgesamt befinden sich an der Kathedrale 2303 Skulpturen: am Außenbau 211 in der Größe zwischen 3 und 4 Metern, 126 mittlere und 936 kleine Statuen, außerdem Plastiken von 788 Tieren. Im Innenraum gibt es 191 mittlere Statuen und 50 Tiere. Solche Zahlen beweisen auch, in welchem Ausmaß eine solche Kathedrale als Gesamtkunstwerk zu sehen ist und nicht nur als Bauwerk. Die Ausbreitung dieser plastischen Bildwerke über alle Ebenen des Kirchengebäudes ist wieder ein deutlicher Beweis für die Versinnlichung des Religiösen, die zu jener Zeit stattfand und die schon die Gewändefiguren von Chartres 1150 hervorgebracht hat.

Die Türme sind nicht ganz vollendet worden, sondern sollten noch eine Spitze erhalten. Auch waren ursprünglich zehn Türme geplant. Der große französische Denkmalpfleger des 19. Jahrhunderts Viollet-le-Duc hat auf der Grundlage von Reims ein Idealbild einer gotischen Kathedrale mit sieben Türmen gezeichnet, was aber bei keiner einzigen Kathedrale Frankreichs tatsächlich erreicht wurde. Die unvollendeten Fassaden von Paris, von Reims und von Amiens muss man sich nach diesem Schema zu Ende gebaut vorstellen. So ergibt sich, dass das vollendete Idealbild einer französischen gotischen Zweiturmfassade paradoxerweise nicht in Frankreich zu finden ist, sondern in Spanien und besonders in Deutschland am Dom zu Köln. Aber auch dessen Fassade blieb jahrhundertelang unvollendet.

Die Portalskulpturen

Die Reimser Portalskulpturen stehen denen der Querhausportale von Chartres nicht nach und stammen auch aus der gleichen Zeit um 1220. Im Vergleich zu Chartres sind diese Standbilder in jedem Sinn von der Säule befreit und selbständig geworden, so dass sie zueinander in Beziehung treten können. Die Körper sind mächtig bewegte Massen mit breiten Schultern und kräftigen Gliedern, die Köpfe groß und schwer.

Mittelportal

Das mittlere Portal

Rechtes Gewände: Es ist deutlich zu erkennen, was schon für die Chartreser Bildhauerschule galt, nämlich dass hier sehr verschiedene Künstler gearbeitet haben mit verschiedenen stilistischen Idealen. Das linke Paar stellt die Verkündigung dar, die rechte Zweiergruppe ist die sog. Heimsuchung, also die Zusammenkunft der beiden ein Kind erwartenden Frauen Maria und Elisabeth [1]. Besonders das Gesicht der Maria, der zweiten Figur von rechts, hat die Klarheit, den Adel und die Großflächigkeit antiker Frauengestalten. Auch die Behandlung der Gewänder erinnert sehr an griechisch-römische Skulpturen im Gegensatz zu den nordeuropäischen Figuren auf der linken Seite des Gewändes.

Linkes Gewände: Feinere Unterschiede lassen sich auch im linken Gewände erkennen. Die Szene der Darbringung im Tempel der beiden mittleren Figuren lässt sehr andersartige Auffassungen erkennen als die der Seitenfiguren. Die Statuen stammen aus zwei Werkstätten, denen jede wiederum von der des Heimsuchungsmeisters völlig verschieden ist. Maria und Simeon in der Mitte sind wenig bewegt und haben einen ruhigen, in sich gesammelten Ausdruck (kommen von den Skulpturen in Amiens her).

In den kräftig gebauten Köpfen herrschen einfache Züge vor, die nicht sonderlich individuell sind, sondern einem vorgegebenen Typus entsprechen. Die dicken Stoffe legen sich den Oberkörpern in großen glatten Flächen an, während sie von den Armen in schweren Falten herabfallen, dabei tiefe Täler und vollplastisch gewölbte Stege bilden und Raum und Schatten einfangen. Diese Menschen sind weder in antikischem Sinne idealisiert wie bei der Heimsuchung, noch seherisch oder dramatisch gesteigert, sondern erdnah menschlich und volkstümlich, durch ihre Gemessenheit aber mit Würde versehen.

Ganz anders ist der Meister, der links außen den Josef neben Maria und die Hannah neben Simeon gemeißelt hat. Die Körper sind schlanker und beginnen sich in den Hüften zu wiegen, die Schultern zu drehen und die Standfestigkeit zu verlieren. Die schmalen feinen Köpfchen sitzen beweglich auf dünnen Hälsen. Da die stoff- und faltenreichen Gewänder keinen rechten Halt mehr haben, bekommen die weit ausholenden Schwünge und Bäusche eine eigene Lebendigkeit.

Hier macht sich eine Auffassung geltend, die auf ein anderes Lebensgefühl schließen lässt, das nicht mehr das harmonische Gleichgewicht von Körperhaftigkeit und Beseelung kennt wie in der Mittelgruppe, sondern allmählich zu einer sog. Entkörperlichung drängt, die in der weiteren Entwicklung zu großer Eleganz oder zu asketischer Entleibung führen kann. Auf jeden Fall ist die Grenze der klassischen Plastik der ersten Jahrhunderthälfte überschritten, was besonders in diesem Fall große Unstimmigkeit bei der Datierung erzeugt hat. Da aber ähnliche Tendenzen in Pariser Arbeiten um oder kurz nach 1250 festzustellen sind, wird man kaum über diesen Termin hinauszugehen brauchen.

An solchen feinen Details, die dem Laien nicht direkt auffallen, sieht die Kunstgeschichte Hinweise auf eine grundlegende Änderung in den sich wandelnden Zielvorstellungen der jeweiligen zeitgenössischen Kunst.

Der Innenraum

Die Kathedrale von Reims ist eine dreischiffige Basilika in der Tradition des Chartreser Schemas. Chor und Langhaus entstanden zwischen 1211 und 1233 [2]. Die Höhe des Mittelschiffes ist auf fast 39 Meter gesteigert, die innere Länge beträgt 138 Meter. Das Langhaus wird im Westen durch die neu erfundenen Maßwerkfenster wunderbar beleuchtet und auch das verglaste Tympanon der Portalzone ermöglicht ganz neue Lichtverhältnisse. Was man von außen kaum sehen konnte erweist sich im Innenraum als sehr wirkungsvoll. Auch hinter den Wimpergen der Portale wurde die Mauer in Glas aufgelöst, so dass hier ein mittleres Lichtband zwischen den beiden Rosen entstand. Das ist eine Vorform des wenig später entwickelten verglasten Triforiums.

Hier haben wir jetzt das voll entwickelte Schema der Hochgotik vor uns, das sich in Frankreich nicht mehr wesentlich ändern wird: dreizoniger Wandaufbau, vierteiliges Kreuzrippengewölbe und Maßwerkfenster.

Kapitelle

Die Kapitellzone der Pfeiler erfährt in Reims eine weitgehende Erweiterung, die sich hier im Innenraum ablesen lässt. Zunächst deutet sich bei der Kapitellzone eines Bündelpfeilers schon an, dass von dem zweizonigen Aufbau der obere Teil ein durchgehendes Band bildet. Hier ist die Zweizonigkeit nur noch bei den vorgelegten ¾-Säulen vorhanden, die Kapitellhöhe ist aber schon gleich.

Bei der Endstufe dieser Entwicklung sind die Muttersäule und die vorgelegten Säulen durch ein durchgehendes Kapitellband verbunden. Genauso wie bei den Fenstern, bei denen durch die Einführung des Maßwerks die bisher einzelnen Glieder sich einer neuen Einheit untergeordnet haben, sind hier die Unterelemente der Kapitellzone miteinander verbunden worden.

Chor

Reims ist die Krönungskirche des französischen Königtums und für solche nationale Feierlichkeiten musste natürlich genügend Raum für die Zeremonie und die Würdenträger geschaffen werden. Dieses Problem hat man hier folgendermaßen gelöst. Man hat das Querhaus mit dem Chor zu einer großen Raumeinheit verbunden. Man sieht an der Grundrisszeichnung, dass vom Querhaus zwei Chorumgänge nach Osten abgehen und nicht einer, wie es dem dreischiffigen Langhaus entsprochen hätte, und dass damit der ganze Ostteil zu einem Raum zusammenwächst.

Die Achskapelle, also die Kapelle direkt in der Mitte des Chores, wurde vor einigen Jahren mit neuen Fenstern ausgestattet, die Marc Chagall geschaffen hat.

Reims hatte eine lange Bauzeit. Der Chor konnte zwar bereits 1241 eingeweiht werden, aber während des Hundertjährigen Krieges kamen die Arbeiten nur langsam voran. 1481 beendete ein weiterer Brand das Vorhaben, die Türme noch vollenden zu wollen.

Quellen

  1. (Lukas 1, 39)
  2. (Binding, S. 47)

Literatur

  • Günther Binding: Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in Frankreich, England und Deutschland 1140 – 1350. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000.
  • Werner Schäfke: Frankreichs gotische Kathedralen. (DuMont Kunst-Reiseführer) Köln 1994, S. 192 ff.

Weblinks

49.2536666666674.03406666666677Koordinaten: 49° 15′ 13″ N, 4° 2′ 3″ O


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