Personenwahl

Personenwahl

Im deutschen Sprachgebrauch wird der Begriff Mehrheitswahl in zweifachem Sinne verwendet. Er bezeichnet:

  • ein Auswahlverfahren zur Auswahl einer bestimmten Alternative aus einer vorgegebenen Menge durch eine Gruppe von Wählern;
  • ein Verfahren zur Wahl von Repräsentanten.

Inhaltsverzeichnis

Die Mehrheitswahl im Sinne des Auswahlverfahrens

Sie wird auch „Mehrheitsentscheid“ oder „Pluralitätswahl“ genannt. Dabei kann jeder Wähler genau eine Entscheidungsalternative auswählen. Durch die Anzahl der Stimmen, die auf jede Alternative entfällt, ergibt sich eine Reihung.

Bei der Wahl mit relativer Mehrheit (einfache Mehrheit, relatives Mehrheitswahlrecht) gilt diejenige Alternative als Wahlsieger, welche die meisten Stimmen auf sich vereinen kann. Beispiel: Personen A, B, C erhalten A:40 %, B:45 % und C:15 %, dann ist Person B gewählt, obwohl 55 % nicht für B gestimmt haben.

Bei der Wahl mit absoluter Mehrheit (absolutes Mehrheitswahlrecht) dagegen muss eine Alternative mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. Ist dies im ersten Wahlgang nicht der Fall, werden in weiteren Wahlgängen schlechter gereihte Alternativen sukzessive ausgeschlossen („runoff methods“). Die bekannteste Methode ist die Stichwahl, wobei nur mehr unter den beiden bestgereihten Alternativen mittels Mehrheitswahl entschieden wird.

Dabei können noch beide Personen gewinnen (Kandidat A kann trotzdem noch 51 % im zweiten Wahlgang erhalten). Aber ein Kandidat muss mehr als 50 % erhalten (und sei es bloß eine Stimme), bei Gleichstand gibt es mehrere Möglichkeiten wie verfahren wird: entweder wird noch ein weiteres Mal gewählt oder per Los entschieden.

Es ist auch in der Stichwahl möglich, dass beide Kandidaten nicht 50 % der abgegebenen Stimmen erhalten (somit das Quorum nicht erreicht haben). Dies kann passieren, wenn sich Wähler enthalten oder es ungültige Wahlzettel gibt. (Beispiel: Kandidat A erhält 49 %, Kandidat B 48 % und der Rest hat sich enthalten oder die Stimmen sind ungültig.) In diesem Fall wird in der Regel noch einmal gewählt (wobei dann oft eine relative Mehrheit ausreicht, um Endlosabstimmungen zu vermeiden). Da bei öffentlichen Wahlen, etwa der Direktwahl eines Bürgermeisters, jedoch nur die gültigen Stimmen zählen, während Enthaltungen als ungültige Stimmen gewertet werden, tritt dieses Problem dort nicht auf.

Vorzüge der Mehrheitswahl im Sinne des Auswahlverfahrens

Der absoluten Mehrheitswahl kann ein höheres Maß an demokratischer Input-Legitimität zugesprochen werden, da der Kandidat eine numerische Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen konnte, was bei der relativen Mehrheitswahl nicht zwangsläufig der Fall sein muss.

Bei der Mehrheitswahl (absolute und relative) ist für den Wähler klar nachvollziehbar, was mit der abgegebenen Stimme nach der Wahl passiert. Es sind keine komplizierten Rechenverfahren nachzuvollziehen, wie bei der Verhältniswahl.

Die Mehrheitswahl im Sinne der Repräsentantenwahl

Dabei ziehen nur solche Kandidaten in das Parlament ein, die in ihrem jeweiligen Wahlkreis die Mehrheit an Wählerstimmen auf sich vereinigen konnten. Alle anderen Stimmen verfallen. Dieses Prinzip wird auch „winner-takes-all“-Prinzip („der Gewinner bekommt alles“-Prinzip), „first-past-the-post system“ und sogar auch „rest-lose system“ genannt.

Angewandt wird dieses System vor allem in Ländern, deren politisches System vom angelsächsischen Recht geprägt ist, unter anderem

Bei allen Wahlen, bei denen eine einzelne Person direkt gewählt wird, muss zwangsläufig eine Form des Mehrheitswahlrecht zur Anwendung kommen.

Deutschland

In Deutschland gilt als Bundestagswahlrecht ein personalisiertes Verhältniswahlrecht: Zwar werden in den Wahlkreisen auch Direktkandidaten nach dem relativen Mehrheitswahlrecht gewählt (die Hälfte der Bundestagssitze), aber die Verteilung der Sitze im Bundestag richtet sich nach dem Anteil der Zweitstimmen, die eine Partei bekommt. Die über die direkt gewonnenen Sitze hinaus einer Partei zustehenden Mandate werden mit Listenkandidaten besetzt. Nur wenn eine Partei mehr Direktmandate erhält, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden, behält sie diese Überhangmandate.

In der Großen Koalition (1966–1969) hatte man erstmals versucht, das Mehrheitswahlrecht einzuführen. Diese sogenannte Wahlrechtsreform war eines der großen Reformprojekte, um derentwillen die Koalition gebildet worden war. Treibende Kraft war insbesondere die CDU. Sie wollte unabhängig werden von der FDP, die im damaligen Dreiparteiensystem die Richtung der Politik bestimmen konnte - die unverhältnismäßig große Macht, die den Liberalen trotz weniger als zehn Prozent Stimmenanteil zukam, sollte gebrochen werden. Die SPD war zunächst bereit, eine solche Reform zu unterstützen, rückte aber später von diesem Vorhaben ab. Die FDP hatte den Sozialdemokraten Avancen gemacht und eine sozial-liberale Koalition ins Spiel gebracht - wenn denn die Wahlrechtsreform gestoppt würde. Letztlich erlag die SPD der Verlockung, und die Reform fiel ins Wasser.[1] Bundesinnenminister Paul Lücke (CDU) trat daraufhin von seinem Amt zurück. Vertreter der Mehrheitswahl an den Universitäten waren u.a. die Politologen Ferdinand A. Hermens und Wilhelm Hennis.

Nachdem die Linkspartei 2007 erstmals auch in ein westdeutsches Parlament einzog, wurde erneut ein Mehrheitswahlrecht für Deutschland gefordert. Unabdingbare Kompromisse würden eine klare, eindeutige und sinnvolle Politik verhindern, so die Argumentation der Reform-Befürworter. Dies sei ein großer Schaden für Deutschland. Unter anderem Ernst Benda forderte die Einführung des Mehrheitswahlrechts in Deutschland.[2] Zur gleichen Zeit fand dieselbe Diskussion auch in Österreich statt.[3]

Typische Merkmale des Mehrheitswahlrechts

Personenwahl

In der Regel ist eine Personenwahl in den Wahlkreisen möglich. Die Wähler haben die Möglichkeit, Kandidaten ihres Wahlkreises persönlich kennenzulernen und aufgrund ihrer Persönlichkeit zu wählen.

  • Dies trifft jedoch z. B. nicht auf die US-Präsidentschaftswahl zu. Hier kommt es auf die Mehrheiten im jeweiligen Bundesstaat an, obwohl landesweit dieselben Kandidaten antreten.
  • Die Abgeordneten sind von ihrer Partei weniger abhängig, da sie in ihren Wahlkreisen direkt gewählt werden. Dies führt dazu, dass die Abgeordneten in Mehrheitswahlsystemen öfter als in Verhältniswahlsystemen gegen ihre eigene Fraktion stimmen. Dies wird sowohl als Vorteil (Abgeordneter fühlt sich Region stärker verpflichtet als Partei) als auch als Nachteil (Mehrheitsbildungen werden undurchsichtiger) angesehen.
  • Das System und die Auszählung ist meist einfacher und dadurch leichter verständlich als beim Verhältniswahlrecht.
  • Eine Stimme in einem kleinen Wahlkreis – es ist praktisch unmöglich, immer alle Wahlkreise gleich groß zu machen – wiegt rechnerisch mehr als eine Stimme in einem großen Wahlkreis, da jeder Wahlkreis einen Abgeordneten wählt.

Zweiparteiensystem

Das Mehrheitswahlrecht tendiert typischerweise zu einem Zweiparteiensystem (Duvergers Gesetz).

  • Laut dem umstrittenen Medianwählermodell führt dies zur Konkurrenz um den „mittleren“ Wähler und somit zu einer Ausrichtung der Programme an der politischen Mitte. Bei Mehrheitswahlrecht neigen die beiden großen Parteien dazu, sich politisch aufeinander zuzubewegen, da sie keine realistische Konkurrenz von der anderen Seite des Spektrums zu erwarten haben. Dadurch hat der Wähler effektiv nur die Wahl zwischen zwei sehr ähnlichen Politikangeboten. Dies wird zum Teil als Vorteil angesehen, wenn man die Ausrichtung der Politik an „zentrischen Positionen“ für wichtig erachtet; aber auch als Nachteil, vor allem unter demokratietheoretischen Ansätzen, weil dem Wähler die Möglichkeit der Auswahl zwischen echt verschiedenen Positionen genommen wird.
  • eine Parteienzersplitterung ist unwahrscheinlich, da Kandidaten kleiner Parteien nur selten genügend Stimmen erhalten, um einen Wahlkreis zu gewinnen. Die Stimmen für Kandidaten kleinerer Parteien werden häufig zu „Papierkorbstimmen“, da sie ohne Konsequenz für die Zusammensetzung des Parlaments bleiben. Kritiker bemängeln, dass gesellschaftliche Minderheiten nicht ausreichend vertreten werden.
  • Dies betrifft zum einen extreme Parteien und Lobbyparteien, die nur bestimmte Teile der Gesellschaft vertreten wollen. Deren Nichtteilnahme an politischen Entscheidungsprozessen wird allgemein positiv bewertet. Es betrifft aber auch kreative demokratische Kleinparteien und neue Parteien, die reale Alternativen zum Politikangebot der großen Volksparteien anbieten wollen.
  • Unter bestimmten Bedingungen kann auch ein Mehrheitswahlen zu Parteizersplitterung führen: Ein Mehrheitswahlrecht behindert zwar die Entstehung von themenorientierten Splitterparteien, aber fördert die Entstehung von Regionalparteien, welche dann im Parlament oft die regionalen Interessen den Gemeinschaftsinteressen des Staates voranstellen. Ein gutes Beispiel bildet hierfür Kanada. Im kanadischen Unterhaus sind trotz des angelsächsischen Mehrheitswahlrechts neben den beiden traditionell tonangebenden Listen der konservativen und der liberalen Partei auch der Bloc Quebecois sowie die New Democratic Party (NDP) vertreten. Die beiden letztgenannten verfügen jeweils über eine starke regionale Machtbasis – der Bloc Quebecois in Quebéc, die NDP unter anderem in der Provinz Saskatchewan. Somit kann das Mehrheitswahlrecht auch dazu führen, dass starke Regionalparteien auf nationaler Ebene zum Teil überproportionale Bedeutung erlangen – deren Fraktionen können zum Teil bedeutsame Gegenleistungen einfordern, wenn ihre Stimmen zur Mehrheitsbeschaffung der nationalen Regierung benötigt werden.

Eindeutige Mehrheiten im Parlament

Die Mehrheitswahl führt häufig zu eindeutigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament.

  • Koalitionen sind zum Erreichen einer Mehrheit in der Regel nicht erforderlich.
  • Es kommt meist zu einer einfachen und für die Wähler voraussehbaren Regierungsbildung und einer stabilen starken Regierung.
  • Es wird das Gesamtergebnis im Parlament verzerrt wiedergegeben.
    Diese Postkarte stellt das Wahlergebnis der Wahl zum Britischen Unterhaus 2005 (How you voted) der Zusammensetzung des Parlaments (What you got) gegenüber. Charter88 wirbt damit für eine Änderung des Wahlsystems.
  • Es kann aber zu Wahlergebnissen kommen, bei denen der Wahlverlierer effektiv mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte als der Gewinner. Dies ist möglich, wenn der Wahlsieger in bevölkerungsreichen Wahlbezirken knappere Ergebnisse erzielt und daher die Summierung der abgegebenen Stimmen ein anderes Bild ergibt als die Auszählung nach geltendem Wahlrecht. Im Extremfall kann es vorkommen, dass eine Partei knapp die Hälfte aller Stimmen und die relative Mehrheit erringt und dennoch bei der Sitzverteilung komplett leer ausgeht.
  • Es kann passieren, dass im Parlament nur eine Partei vertreten ist und es somit keine parlamentarische Opposition mehr gibt. Dies geschah z. B. im kanadischen Bundesstaat New Brunswick bei den Wahlen 1987 und bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts regelmäßig in Mexiko.
  • Auch das Mehrheitswahlrecht kann zu einem knappen Gesamtergebnis führen, obwohl ein Lager in der Bevölkerung eine klare Mehrheit hatte.

Wahlkreisgeometrie

Es ist möglich, das Wahlergebnis durch „geschicktes“ Ziehen der Wahlkreisgrenzen zu beeinflussen („Gerrymandering“, „Wahlkreisgeometrie“).

  • Ein Teil der Bevölkerung kann seines Wahlrechts beraubt werden wenn er in einem Wahlkreis/ -bezirk lebt, der fest in der Hand einer der beiden Parteien ist. So leben z. B. in den USA 80 % der Bevölkerung in einem fest einem Lager zugerechneten Bundesstaat.

Auswahldilemma

Ein Merkmal ist die Abhängigkeit des Wahlausgangs von irrelevanten Alternativen. Die amerikanische Präsidentschaftswahl 2000 wird von vielen als Beispiel dafür angesehen. Es wird argumentiert, dass der Demokrat Al Gore die Wahl gegen den Republikaner George W. Bush deswegen verloren habe, weil viele links-orientierte Wähler für Ralph Nader, einen von den Grünen nominierten Kandidaten ohne Aussicht auf Erfolg, gestimmt hatten. Ohne diese Alternative hätten sie wahrscheinlich Gore gegenüber Bush vorgezogen und ersterem zum Sieg verholfen.

Die Abhängigkeit der Mehrheitswahl von irrelevanten Alternativen verleitet zu strategischem Wahlverhalten.

Abhängigkeit vom Wahlmodus

Bei Wahlen, bei denen es nur einen Sieger geben kann und dieser direkt gewählt wird (z. B. der amerikanische oder französische Präsident) kann es stark vom Auszählungsmodus abhängen, welcher Kandidat gewinnt. Das folgende Beispiel nach Michel Balinski[4] soll dies verdeutlichen:

Tatsächliche Präferenzen der Bevölkerung für die Kandidaten [A, B, C, D und E]
Prozent der Wähler 33 16 3 8 18 22
Reihenfolge der Beliebtheit: Platz 1 A B C C D E
Reihenfolge der Beliebtheit: Platz 2 B D D E E C
Reihenfolge der Beliebtheit: Platz 3 C C B B C B
Reihenfolge der Beliebtheit: Platz 4 D E A D B D
Reihenfolge der Beliebtheit: Platz 5 E A E A A A
  • A gewinnt in einer reinen Mehrheitswahl ohne 50 %-Regel
  • B gewinnt in einer Borda-Wahl sowie einer Coombs-Wahl
  • C gewinnt nach der Condorcet-Methode
  • D gewinnt bei einer Vorzugswahl (z. B. Australien und Irland)
  • E gewinnt bei einer Mehrheitswahl mit zweitem Wahlgang, z.B. dem französischen Präsidentenwahlsystem

Für eine Auszählung nach der Wahl durch Zustimmung und der Rang-Wahl müssten vom Wähler weitere Entscheidungen verlangt werden. Geht man davon aus, dass bei einer Wahl durch Zustimmung jeder Wähler seinen ersten beiden Kandidaten zustimmen würde, läge – zumindest nach einem ersten Wahlgang Kandidat B mit 49 Punkten knapp vor Kandidat E mit 48 Punkten.

Siehe auch

Weblinks

Darstellung
Artikel pro Mehrheitswahlrecht
Artikel contra Mehrheitswahl
  • Tyrannei der Mehrheit - Der Politikwissenschaftler Franz Walter über die Auswirkungen einer theoretischen Einführung des Mehrheitswahlrechts in Deutschland.

Einzelnachweise

  1. Fr-online.de: Wahlen als Sterndeutung 28. Februar 2008.
  2. RP Online: Ex-Verfassungsrichter fordert Mehrheitswahlrecht 4. Februar 2008.
  3. DiePresse.com: Vorstoß für echtes Mehrheitswahlrecht 14. Februar 2008.
  4. Michel Balinski: Symmetry, Voting, and Social Choice. Heft 3 S. 32 in: “The Mathematical Intelligencer” Vol. 10 (1988) von D.G. Saari (Editor).

Weiterführende Literatur

  • G. William Domhoff (2003): Changing the Powers That Be. How the Left Can Stop Losing and Win. New York: Rowman & Littlefield Publishers, Inc.
  • Richard M. Scammon/Ben J. Wattenberg (1992): The Real Majority. The Classic Examination of the American Electorate. New York: Plume
  • Ingar Solty (2006): Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keine Linkspartei? In: Das Argument – Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften 264, 1/2006, S. 71–84

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