- Schwarzfahrt
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Die Beförderungserschleichung (umgangssprachlich auch Schwarzfahren genannt) ist in Deutschland ein vertypter Straftatbestand des Erschleichens von Leistungen nach § 265a StGB. Systematisch gehört die Beförderungserschleichung zu den Betrugsdelikten. Vom Charakter her ist sie ein Vergehen. Die Einstufung als Beförderungserschleichung setzt Vorsatz voraus.
„Wer die … Beförderung durch ein Verkehrsmittel … in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“
– StGB § 265 a (1)
Zwei Fallgruppen sind zu unterscheiden:
- Wer ohne gültige Fahrkarte ein (öffentliches) Beförderungsmittel benutzt, macht sich der Erschleichung von Leistungen nach § 265a StGB strafbar (mögliche Strafe: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr).
- Wer ohne gültige Fahrkarte ein öffentliches Beförderungsmittel benutzt und bei der Kontrolle einen falschen, nicht gültigen oder nur für bestimmte Zonen gültigen Fahrschein vorzeigt, macht sich des Betruges strafbar (Strafe: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis fünf Jahre). Bei einer falschen Fahrkarte kann noch eine Urkundenfälschung in der Alternative des Gebrauchmachens einer unechten oder verfälschten Urkunde vorliegen.
Die Strafanzeige ist regelmäßig an einen Strafantrag des Beförderungsunternehmens gebunden; in den letzten Jahren wird von den Unternehmen vermehrt davon Gebrauch gemacht.
Inhaltsverzeichnis
Kriminologische und soziale Hintergründe und Fakten
Kriminologie
Die Beförderungserschleichung ist häufig ein Delikt der Jugendkriminalität. Die Verfahren landen je nach Region bereits beim zweiten oder dritten Verstoß vor den Jugendgerichten. In der Regel wird der erste Verstoß noch von der Staatsanwaltschaft eingestellt.
Die Beförderungserschleichung wird kriminologisch zur Bagatell- oder Massenkriminalität gezählt und ist zugleich ein Kontrolldelikt, das sich durch sehr hohe Aufklärungsquoten auszeichnet.
Schwarzfahren als Protestform
Im Rahmen von Protesten gegen Fahrpreiserhöhungen und für ein „Recht auf Mobilität“ wird und wurde Schwarzfahren als politische Protestform eingesetzt. Durch die offene Verweigerung des Beförderungsentgeltes sollen Forderungen nach „sozialverträglichen“ Fahrpreisen oder gar einem Nulltarif, das heißt einem unentgeltlichen öffentlichen Nahverkehr, unterstrichen werden. Dazu wurde und wird gemeinschaftliches Schwarzfahren organisiert und offen propagiert. Ein Beispiel hierfür ist die Kampagne „Pinker Punkt“ der Organisation „Berlin Umsonst“, die zu öffentlich erkennbarem und gemeinschaftlichem Schwarzfahren aufruft und mit ihrem Namen die „Roter-Punkt-Aktion“ zu Beginn der 1970er-Jahre zitiert.
Fahrpreisnacherhebung
Zivilrechtliche Forderung
Unabhängig von der Straftat und ihrer Sanktion verlangen viele Beförderungsunternehmen ein Entgelt, das in der Regel als „erhöhter Fahrpreis“ bezeichnet wird. Dabei handelt es sich lediglich um eine zivilrechtliche Forderung, die die Beförderungsunternehmen bei einer Beförderungserschleichung regelmäßig gegen die Täter geltend machen. Ob diese Forderung als Vertragsstrafe oder tatsächlich als (vereinbarter) Fahrpreis zu charakterisieren ist, ist ebenso umstritten wie die Frage, ob überhaupt eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage besteht. Die Bahnunternehmen stützen den Anspruch regelmäßig auf § 12 EVO bzw. ihre entsprechenden Allgemeine Geschäftsbedingungen. Für den Linienbus- und Straßenbahnverkehr gilt § 9 der Verordnung über Allgemeine Beförderungsbedingungen (VO-ABB), die das Bundesverkehrsministerium aufgrund von § 57 Abs. 1 Nr. 5 PBefG mit Zustimmung des Bundesrates erlässt.
§ 12 EVO entspricht dem § 12 der Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn AG vom 12. September 2007. [1] Die Nord-Ostsee-Bahn GmbH regelt den „erhöhten Fahrpreis“ in § 9 ihrer Beförderungsbedingungen.[2]
Verfassungsrechtliche Bedenken
Verfassungsrechtlich bedenklich ist, dass der unbeschränkte Wortlaut der Vorschrift einen Anspruch des Bahnunternehmens selbst dann begründet, wenn der Reisende den Umstand, aufgrund dessen er keinen gültigen Fahrausweis vorzeigen kann, nicht zu vertreten hat. Ein solcher Umstand kann etwa auch durch den Defekt eines Ticketautomaten oder die Verspätung eines Zuges begründet sein.
EVO § 12 Erhöhter Fahrpreis (Auszug)
„Der Reisende ist zur Zahlung eines erhöhten Fahrpreises verpflichtet, wenn er bei Antritt der Reise nicht mit einem gültigen Fahrausweis versehen ist [oder] sich einen gültigen Fahrausweis beschafft hat, ihn jedoch bei einer Prüfung der Fahrausweise nicht vorzeigen kann,… Der erhöhte Fahrpreis … beträgt das Doppelte des gewöhnlichen Fahrpreises für die vom Reisenden zurückgelegte Strecke, mindestens 40 Euro. Der erhöhte Fahrpreis kann für die ganze vom Zug zurückgelegte Strecke berechnet werden, wenn der Reisende nicht glaubhaft macht, daß er eine kürzere Strecke durchfahren hat. Der erhöhte Fahrpreis ermäßigt sich … auf 7 Euro, wenn der Reisende innerhalb einer Woche ab dem Feststellungstag bei einem Bahnhof der befördernden Eisenbahn nachweist, daß er im Zeitpunkt der Feststellung Inhaber eines gültigen Fahrausweises war.“
– § 12 EVO[3]
Rechtsprechung
Klagen der Bahn gegen Fahrgäste auf Zahlung des „erhöhten Fahrpreises“ wurden in der Rechtsprechung soweit ersichtlich regelmäßig abgewiesen, weil die Gerichte § 12 Abs. 1 EVO für verfassungswidrig erkannten. Da es sich um eine untergesetzliche Rechtsnorm und kein formelles Gesetz handelt, sind auch Amtsgerichte dazu befugt.
Das Amtsgericht Essen[4] entschied 1979, die Bahn „kann sich … nicht darauf berufen, dass § 12 EVO … vorsieht, dass der Reisende 40 DM zahlen muss, wenn er bei Antritt der Reise nicht mit einem gültigen Fahrausweis versehen ist. Diese Rechtsverordnung ist mindestens insoweit, als sie auch für Fälle nicht vorsätzlichen Erschleichens der Beförderungsleistung Bezahlung der Vertragsstrafe von 40 DM vorsieht, wegen des Verstoßes gegen das Grundgesetz und höherrangige Gesetze nichtig. … Die Regelung des § 12 EVO verstößt … gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, weil sie ungleiche Sachverhalte unzulässigerweise gleich behandelt. Es wird der Schwarzfahrer mit dem Vergesslichen und dem Unwissenden auf dieselbe Stufe gestellt. Der bahnbenutzende Mensch soll mit zivilrechtlichen Sanktionen auf den Automaten zugerichtet werden. Es ist unsachlich, weil es grundlegende Unterscheidungen des Zivilrechts und die Würde des Menschen missachtet, das ‚Erschleichen‘ und das ‚Nachlösenwollen ohne Aufforderung‘ gleich zu behandeln“.
Das Amtsgericht Aachen[5] schloss sich 1992 diesem Urteil an, indem es die Vorschrift ebenfalls für verfassungswidrig erkannte. Nach der Begründung des Gerichts kann es „dahinstehen, ob die Beklagte bei Fahrtantritt gutgläubig angenommen hat, im Besitz eines gültigen Fahrscheins zu sein. Der Anspruch der Klägerin scheitert jedenfalls daran, dass § 12 Abs. 1 EVO gegen das Übermaßverbot verstößt und damit unwirksam ist. … § 12 Abs. 1 EVO bezweckt in erster Linie die Verhinderung von Schwarzfahrten. … Indem § 12 EVO weder zwischen Fällen vorsätzlicher Beförderungserschleichung und Fällen unvorsätzlichen Fahrens ohne gültigen Fahrausweis differenziert, noch dem Reisenden zumindest die Möglichkeit des Entlastungsbeweises offenhält, schießt die Vorschrift über das Ziel hinaus, vorsätzlichem Schwarzfahren entgegenzuwirken.“
Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil (Az: 4 StR 117/08) einen langwierigen juristischen Streit bei Oberlandesgerichten entschieden, dass Schwarzfahren auch dann nach § 265a StGB strafbar ist, wenn der Passagier keine konkreten Schutzvorkehrungen oder Kontrollen bei seiner Schwarzfahrt umgeht.[6]
Rechtliche Situation bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland
Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren können, da sie nicht oder nur beschränkt geschäftsfähig sind, im Fall des Schwarzfahrens nicht vom Verkehrsunternehmen zu Zahlung des erhöhten Beförderungsgeldes gezwungen werden, soweit das Beförderungsverhältnis zivilrechtlicher Natur ist. Kinder unter 7 können einen entgeltlichen Beförderungsvertrag nicht (§§ 104, 105 Abs. 1 BGB), Jugendliche zwischen 7 und 18 nicht wirksam ohne Zustimmung der Eltern (§§ 106, 107 BGB) abschließen. Ist die Fahrt nicht bereits von einer (auch konkludenten) Einwilligung gedeckt (z. B. wenn der Weg zur Schule regelmäßig mit Bus oder Bahn erfolgt - was aber nur bei Fahrten mit gültigem Fahrschein anzunehmen ist) und erfolgt keine nachträgliche Genehmigung, so ist ein Vertrag, auf den sich das Beförderungsunternehmen berufen könnte, wegen § 108 BGB nicht wirksam zustandegekommen. (Ausführlich bei Harder, siehe Literatur).
Ein Bereicherungsanspruch kommt dagegen in Betracht, §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 1. oder 2. Fall, 818 BGB, ebensowie ein deliktischer Anspruch wegen Verletzung eines Schutzgesetzes, §§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 265a StGB (siehe „Flugreisefall“). Dass der Schaden bzw. der Wert der Bereicherung an die Höhe des erhöhten Beförderungsgeldes heranreicht, ist zu bezweifeln - beweisen muss dies in jedem Fall das Verkehrsunternehmen. Die Eltern selbst sind zum Schadensersatz jedenfalls dann nicht verpflichtet, wenn sie ihrer Aufsichtspflicht entsprochen haben, §§ 832, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 265a StGB. Vertraglich haften sie ebenso wenig wie die Kinder und Jugendlichen.
Da die Verkehrsunternehmen verständlicherweise nicht auf diesen Umstand hinweisen und auch bei Kindern und Jugendlichen mit den üblichen Methoden das erhöhte Beförderungsentgelt erheben (1. Mahnung, 2. Mahnung, Inkassobüro, Rechtsanwalt, gerichtliches Mahnverfahren mit der Möglichkeit zum Widerspruch), zahlen die Kinder und Jugendlichen oder Eltern oft bereitwillig.
Die Möglichkeit der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft aufgrund von Beförderungserschleichung nach dem Jugendstrafrecht bleibt hiervon allerdings unberührt. Ebenso kann der Beförderer den Jugendlichen von der Benutzung seiner Verkehrsmittel befristet ausschließen.
Situation in Österreich
Im österreichischen StGB existiert der § 149 (Erschleichung einer Leistung), der auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Bezahlung des vorgesehenen Fahrpreises einschließt und mit gerichtlicher Strafe bedroht.
„§ 149. (1) Wer die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Anstalt oder den Zutritt zu einer Aufführung, Ausstellung oder einer anderen Veranstaltung oder zu einer Einrichtung durch Täuschung über Tatsachen erschleicht, ohne das festgesetzte Entgelt zu entrichten, ist, wenn das Entgelt nur gering ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Monat oder mit Geldstrafe bis zu 60 Tagessätzen zu bestrafen.“
Nach gängigen Rechtsmeinungen ist diese Handlung aber nur gerichtlich strafbar, wenn beim Einsteigen ein Schaffner oder eine sonstige anwesende Aufsichtsperson getäuscht wird, also beispielsweise nicht bei Benutzung eines schaffnerlosen Straßenbahnzuges ohne Fahrschein. Wer bei einer Kontrolle versucht, etwa durch verschiedene Vorwände aus der Situation heraus zu kommen, könnte sich dadurch aber des § 149 schuldig machen. Auch könnten die Kosten einer Fahrkarte im Fernverkehr nicht mehr als „geringes Entgelt“ angesehen werden.
Um diese Gesetzeslücke zu schließen, kann „Schwarzfahren“ gemäß dem Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 (EGVG), Artikel IX, von den Behörden als Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe bis zu 218 Euro geahndet werden (ähnlich wie etwa beim Falschparken), sofern der § 149 StGB auf den konkreten Fall nicht anwendbar ist.
„(1) Wer […]
2. sich außer in den Fällen einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Einrichtung verschafft, ohne das nach den Tarifbestimmungen und Beförderungsbedingungen dieser Einrichtungen festgesetzte Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten, […] begeht […] eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde in den Fällen der Z 2 […] von dieser, mit Geldstrafe bis zu 218 Euro […] zu bestrafen.
[…]
(4) Die Tat nach Abs. 1 Z 2 wird straflos, wenn der Täter bei der Betretung, wenngleich auf Aufforderung, den Fahrpreis und einen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen etwa vorgesehenen Zuschlag unverzüglich zahlt. Dies gilt auch, wenn der Täter den Fahrpreis und einen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen etwa vorgesehenen Zuschlag innerhalb von drei Tagen zahlt, sofern er sich bei der Zahlungsaufforderung im Beförderungsmittel durch eine mit einem Lichtbild ausgestattete öffentliche Urkunde ausweist.“Werden der ausstehende Fahrpreis und die Mehrgebühren des Verkehrsunternehmens sofort oder innerhalb eines festgelegten Zeitraumes bezahlt, so erfolgt keine Anzeige bei der Verwaltungsbehörde und die Verwaltungsstrafe entfällt.
Wenn der Fahrpreis und die Mehrgebühren nicht oder nicht fristgerecht bezahlt werden, kann das Verkehrsunternehmen diese auf zivilrechtlichem Weg einfordern und eben zusätzlich eine behördliche Verwaltungsstrafe verhängt werden.
Laut OGH-Urteil dürfen Fahrscheinkontrolleure und andere von den Verkehrsbetrieben beauftragte Personen, wie etwa private Sicherheitsdienste, mutmaßliche Schwarzfahrer anhalten, um deren Identität von der Polizei feststellen zu lassen. Für diesen Zweck sind angemessene Anhaltemaßnahmen durch Kontrolleure als Selbsthilfe nach § 344 ABGB gerechtfertigt.[7]
Siehe auch
Literatur
Rechtswissenschaft
- Daleki, Wolfgang: „Erhöhtes Beförderungsentgelt für ‚Schwarzfahrer‘ rechtmäßig?“, MDR 1987, S. 891–894
- Harder, Manfred: „Minderjährige Schwarzfahrer“, NJW 1990, S.857-864
- Weth, Stephan: „Zivilrechtliche Probleme des Schwarzfahrens in öffentlichen Verkehrsmitteln“, JuS 1998, S. 795–801
- Rott, Peter: „Haftung des Reisenden für das Versagen von Fahrscheinautomaten?“, RRa 2003, S. 242–247
Sonstige
- Hubmayr, Gerald: Schwarzfahren – Die Kunst des tariffreien Netzgleitens. Böhlau (Wien), 2002, ISBN 3-205-99187-7
- Werner, Michael-André: Schwarzfahrer. Roman, Aufbau Taschenbuch, 2. Aufl., 2003, ISBN 3-746-61983-1
Weblinks
- Projekt Nulltarif des Vereins für innovative Verkehrssysteme Darmstadt, mit wissenschaftlichem Schwerpunkt (u. a. Diplomarbeit zum Thema)
- Gerichtsentscheidung zum Thema Schwarzfahren Oberster Gerichtshof vom 6. 9. 2007
Einzelnachweise
- ↑ September 2008.pdf Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn AG vom 1. September 2008
- ↑ Beförderungsbedingungen der Nord-Ostsee-Bahn GmbH vom 1. September 2007
- ↑ § 12 EVO bei juris.de
- ↑ AG Essen, Urt. v. 20. 12. 1979 – 12 C 535/79, abgedruckt in DÖV 1980, S. 882 ff.
- ↑ AG Aachen, Urt. v. 2. 7. 1992 – 80 C 6/92, abgedruckt in NJW-RR 1993, S. 317.
- ↑ jja, Schwarzfahren bleibt strafbar, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Februar 2009
- ↑ OGH lässt Schwarzfahrer nicht laufen, Die Presse, 22. Oktober 2007
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