Tauschkreis

Tauschkreis

In einem Tauschkreis oder Tauschring (auch Tauschzirkel, Zeittauschbörse, Nachbarschaftshilfeverein, LETS, Talentemarkt, Tauschnetz) werden vorrangig Dienstleistungen, gelegentlich auch Waren, ohne Einsatz gesetzlicher Zahlungsmittel zwischen den Teilnehmern getauscht.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

Geschichte

Neben einigen Versuchen, die bis ins 19. teilweise bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, ist wohl Silvio Gesells „Die natürliche Wirtschaftsordnung“ (1911) zu nennen, mit seiner Freigeld-Theorie. Auf diese Freigeldtheorie bezogen sich dann einige Experimente im Zuge von Weltwirtschaftskrise und Inflation. Hans Timm und Helmut Rödinger gründeten Ende der 1920er Jahre in Erfurt die Wära. Es folgten weitere Wära-Experimente in Schwanenkirchen, die Gemeinde Wörgl, Tirol beschloss 1931 ein sog. Notgeld einzuführen (Wörgler Geldexperiment).

Nachdem die Gemeinden, in denen mit Freigeld oder Notgeld gehandelt wurde, wirtschaftlich innerhalb kürzester Zeit aufblühten, kam sehr schnell das endgültige Aus. 1931 in Deutschland durch die brüningschen Notgeldverordnungen und 1933 durch die österreichische Notenbank, die einen Gerichtsbeschluss erwirkte, der das Notgeld verbot.

1931 versuchte man durch Gründung von sog. Ausgleichskassen der Situation zu begegnen, im Gegensatz zu Wära und Notgeld wurde hier bargeldlos verrechnet. Aber am Ende wurden auch sie verboten.

LETS: Local Exchange Trading System

Vancouver Island, Kanada, 1983: Als nach Abwanderung von Luftwaffe und Industrie die Arbeitslosigkeit stark anstieg, florierte der Tauschhandel. Mit der Erfindung des „Green Dollars“ und der Einführung einer Tauschzentrale, die die Konten der Mitglieder verwaltete sowie die Angebote und Nachfragen sammelte und veröffentlichte, kann Michael Linton als Gründer der modernen Tauschsysteme gesehen werden.

Michael Linton zufolge müssen die folgenden 7 Kriterien erfüllt sein, damit man ein Netzwerk als LETS bezeichnen kann:

  • Es ist ein Non-Profit-System.
  • Bargeld wird weder ein- noch ausgezahlt.
  • Jeder beginnt sein Konto mit einem Null-Saldo.
  • Es gibt keine Kosten oder Einnahmen aus Zinsen.
  • Es besteht kein Zwang etwas zu kaufen oder zu verkaufen.
  • Die lokale Verrechnungseinheit ist wertmäßig an die Landeswährung gekoppelt (nicht zwingend).
  • Innerhalb aller Teilnehmer werden die Kontostände und Umsatzvolumen offengelegt.

Nicht alle sieben Punkte werden heute von allen LETS-Netzwerken gleich gesehen. Manche geben als Anreiz anfänglich ein Guthaben – bei Austritt muss das Konto wieder dieses Guthaben aufweisen. Und gerade die wertmäßige Koppelung an die Landeswährung wird häufig abgelehnt.

Bewertung der Arbeit

  • Zeitbörse: Jede Tätigkeit wird als gleichwertig angesehen und demzufolge stellt die Verrechnungseinheit eine Referenz zur Zeit als zur Landeswährung dar. Eine Stunde Baby-Sitting wird also genauso bewertet wie eine Stunde Programmierung. „Eine Stunde ist eine Stunde, ist eine Stunde, ist eine Stunde…“
  • Leistungsbörse: Für „höher“ qualifizierte Tätigkeiten wird mehr angerechnet als für „einfache“. Allerdings ist die Spanne nicht so groß wie sonst üblich. Es kann sein, dass eine Maximalspanne von z. B. 2:1 festgelegt wird.
  • Freies Aushandeln: Die Tauschpartner handeln den Wert der zu tauschenden Sache oder Tätigkeit frei aus, ohne Vorgaben vom Tauschring.

Am weitesten verbreitet ist eine Praxis, die im Wesentlichen der Zeitbörse entspricht. Allerdings ist es auch üblich, darüber hinaus relativ frei zu verhandeln, insbesondere um einzelnen Tauschpartnern, die eher Vertreter des Leistungsprinzips sind, etwas entgegenzukommen. Sehr strenge Vorgaben im Sinne einer Überreglementierung sind allgemein äußerst unbeliebt. Leistungsbörsen haben bisher größere Chancen, mehr gewerbliche Teilnehmer zu gewinnen.

Tauschringe und alternative Ökonomie

Nach Auffassung der Tauschringbefürworter kann die selbstorganisierte Form des Wirtschaftens in Tauschringen die Bedürfnisse der Teilnehmer oft besser erfüllen als das gewöhnliche geldförmige Wirtschaftssystem. Sowohl Befürworter als auch Kritiker von Tauschringen weisen darauf hin, dass wichtige Lebensbereiche wie Wohnen und Erwerbsarbeit von Tauschringen praktisch nicht erfasst werden und die Ziele alternativen Wirtschaftens nur innerhalb eines ökonomischen und gesellschaftlichen Gesamtkonzeptes zu verwirklichen seien. Ein Diskussionsthema ist in diesem Zusammenhang, inwieweit Tauschwährungen etwa durch Zinsfreiheit und lokale Gebundenheit Vorteile gegenüber gewöhnlichem Geld haben.

Grundlegend für die Verrechnung in Tauschringen mit Zeitwährung ist allein die aufgewendete Zeit der Teilnehmer. Tauschringbefürworter sehen in der Gleichbewertung aller Tätigkeiten einen Vorteil gegenüber dem üblichen geldförmigen Wirtschaften. Kritiker behaupten, dass in Zeittauschkreisen die Eigenschaften einer Marktstruktur von Angebot und Nachfrage weitgehend reproduziert werde, es somit nicht zwangsläufig eine Gleichstellung der Teilnehmer gebe. Kritisiert wird auch, dass die meisten Tauschringe einen Äquivalenztausch organisieren würden, der zum Beispiel vermehrt Hilfsbedürftigen nicht gerecht werde und keine grundlegende Alternative zum kapitalistischen Wirtschaftssystem darstelle (siehe auch Kapitalismuskritik).

Deutschland

In Deutschland übliche Verfahren

Üblicherweise erstellen Tauschkreise ein nach Rubriken geordnetes Verzeichnis mit allen Angeboten und Gesuchen der Mitglieder, das regelmäßig aktualisiert wird. Wann, wo und auf welche Weise eine angebotene Tätigkeit ausgeführt wird, vereinbaren die jeweils Beteiligten. In der Organisationsform, die am verbreitetsten ist, werden Leistungen und Gegenleistungen in eigenen Währungen verrechnet. Für jedes Mitglied wird ein fiktives Konto geführt. Nimmt das Mitglied eine Leistung in Anspruch, so verringert sich der Kontostand, wird eine Leistung erbracht, erhöht er sich. Negative Kontostände sind in der Regel zulässig. Die Zentrale der Tauschbank bildet hierbei die zentrale Verrechnungsstelle aller Soll und Haben. Dies wird häufig durch eine eigenverantwortliche Führung von sog. Tauschheften ersetzt, in denen die Aktivitäten festgehalten werden. Die komplementäre Währung arbeitet gänzlich zinsfrei und ist nicht mit der Arbeit einer Zentralbank zu verwechseln. Die Währungen der Tauschkreise sind kein einfaches Abbild offizieller Landeswährungen, indem Eigenschaften wie Inflation, Verschuldung und Deflation allein durch administrative Beschlüsse reguliert werden. In einer Minderheit dieser Tauschkreise wird durch einen negativen Zins oder eine Gebühr auf Guthaben eine Anregung des Tauschens angestrebt (siehe Umlaufsicherung).

Viele Tauschkreise verwenden Währungen, in denen geleistete Dienste analog zur aufgebrachten Zeit in Einheiten verbucht werden. Dies dient in erster Linie dazu, Missbrauch zu verhindern und weniger einer Buchhaltung. Einige Tauschringe stellen es den jeweils an einem Tausch Beteiligten frei, ob und nach welchem Maßstab eine Verrechnung in der Tauschwährung geschieht; jedoch wird Verkaufstätigkeit bzw. ein Anbieten von Leistungen gegen Geldzahlung abgelehnt. In Zusammenhang mit der Diskussion über eine Umsonstökonomie werden seit einiger Zeit Nutzergemeinschaften propagiert. In einigen Praxismodellen sind diese ähnlich zu den schon länger bekannten Freiwilligenagenturen organisiert. Sie bilden zusammen mit Formen organisierter Nachbarschaftshilfe eine Gruppe von Tauschkreisen, in denen keine Verrechnung und kein Verbuchen von Leistungen und Gegenleistungen in einer Tauschwährung stattfindet.

Die meisten Tauschkreise sind lokal gebunden. Neben Dienstleistungen wie „Nachhilfe geben“ oder „Babysitten“ werden gelegentlich auch Waren (etwa gebrauchte Kinderkleidung) gegen die Umrechnungseinheit getauscht. In ländlichen Tauschringen kann der Warentausch eine größere Bedeutung bekommen. Nur wenige Tauschkreise beschränken den Tausch ausschließlich auf Dienstleistungen.

Rechtsform

  • Verein: Auf der Grundlage einer Satzung (die Mindestzahl von 7 Mitgliedern zur Vereinsgründung wird im Falle von Tauschringen immer erfüllt sein) und meist der üblichen Organe wie der des Vorstands kann die Form des Vereins (nicht rechtsfähig, weil nicht eingetragen) den Zweck bei minimalem Aufwand erfüllen.
  • eingetragener Verein: Tauschringe, die Wert darauf legen, auch als juristische Person nach außen handeln zu können, lassen sich ins Vereinsregister eintragen.

Steuerliche und vereinsrechtliche Aspekte

Der Tausch stellt für Unternehmer stets zu erfassende Rechtsgeschäfte dar, die nach handels- und einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen (Bruttoprinzip, Einzelbewertung, Vollständigkeit) zu erfassen sind und auch für die Umsatzsteuer relevant sind.[1]

Tauschring als steuerbegünstigte Körperschaft

Tauschringe in der Form von Vereinen können grundsätzlich nicht als steuerbegünstigte Körperschaft i.S.d. § 51] ff. Abgabenordnung anerkannt werden, weil regelmäßig durch die gegenseitige Unterstützung – unabhängig von Alter oder Krankheit – in erster Linie eigenwirtschaftliche Interessen der Mitglieder gefördert werden und damit gegen den Grundsatz der Selbstlosigkeit (§ 55 Abs. 1 AO) verstoßen wird.

Sofern der Verein lediglich Zeitkonten seiner Mitglieder verwaltet und Dienstleistungen vermittelt, erfüllt er zudem nicht die Voraussetzung der Unmittelbarkeit (§ 57 Abs. 1 Satz 1 AO).

Beschränkt sich dagegen der Zweck des Vereins nach Satzung und tatsächlicher Geschäftsführung auf die Förderung der Jugend- und Altenhilfe sowie die Förderung mildtätiger Zwecke, kann er als steuerbegünstigte Körperschaft anerkannt werden. In diesen Fällen kann die Selbstlosigkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Satz 1 AO unbeschadet des Entgelts für die aktiven Mitglieder erhalten bleiben, da diese Vorschrift nicht voraussetzt, dass der Verein und seine Mitglieder für erbrachte Dienstleistungen im Rahmen der satzungsmäßigen Zwecke auf angemessene materielle Vorteile verzichten. Es reicht aus, wenn die eigene Opferwilligkeit nicht zugunsten eigennütziger Interessen in den Hintergrund gedrängt wird. Um die Voraussetzungen der Unmittelbarkeit (§ 57 Abs. 1 AO) zu erfüllen, müssen die aktiven Mitglieder ihre Dienstleistungen als Hilfspersonen des Vereins i.S.d. § 57 Abs. 1 Satz 2 AO ausüben.

Haftung – Versicherungspflicht – Steuerpflicht

Rechtliche Aspekte der Tauschring-Mitglieder, wie Produkthaftung, Versicherungspflicht und Steuerpflicht, ergeben sich auf Basis der Freundschafts- und Nachbarschaftshilfe oder aus der rechtlichen Situation eines Tauschhandels.

Überregionales Tauschen

Tauschringe können mittels Verrechnungstellen auch überregional tauschen. In Deutschland existieren zwei bekannte Verrechnungsstellen. Der Ressourcentauschring (RTR) und die Verrechnungsstelle für Tauschringe (VeSTa). In solchen Verrechnungsstellen sind Tauschringe als Mitglieder angemeldet und ermöglichen so ihren Mitgliedern, Tauschaktivitäten, die im eigenen Tauschring nicht zu finden sind oder nicht angeboten werden, in Anspruch zu nehmen.

Zudem gibt es seit 2008 das 3Länder Clearing von zart. Damit können angeschlossene Tauschkreise aus Deutschland, Österreich und der Schweiz untereinander tauschen. Als Basis dazu dient die Software Cyclos.

Lokales und überregionales Tauschen ermöglicht auch das Community Exchange System seit 2003 (seit 2010 auch in deutsch).

Die überregionalen Tauschaktivitäten bieten sich für Tätigkeiten (wie z.B. Korrekturlesen, Übersetzungen u.ä.) an, die keinen räumlichen Bezug benötigen. Für Übernachtungen oder Umzüge von Tauschringmitgliedern können sie ebenfalls genutzt werden.

Literatur

  • Günter Hoffmann: Tausche Marmelade gegen Steuererklärung: ganz ohne Geld – die Praxis der Tauschringe und Talentbörsen. Piper, München/Zürich 1998, ISBN 3-492-22603-5.
  • Niklas Pieper: Die rechtliche Struktur bargeldloser Verrechnungssysteme unter besonderer Berücksichtigung von Barter-Clubs und LET-Systemen. Weißensee-Verl., Berlin 2002, ISBN 3-934479-70-7 (Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2002).
  • Eva-Maria Hubert: Tauschringe und Marktwirtschaft: eine ökonomische Analyse lokaler Komplementärökonomien. Duncker und Humblot, Berlin 2004, ISBN 3-428-11501-5 (Zugl.: Hohenheim, Univ., Diss., 2003).
  • Norbert Kuhn: Tauschringe: Möglichkeiten und Grenzen einer „geldlosen“ Wirtschaft. Inst. für Genossenschaftswesen, Marburg 2002, ISBN 3-926553-29-4.
  • Claus Offe, Rolf G. Heinze: Organisierte Eigenarbeit: das Modell Kooperationsring. Campus-Verl., Frankfurt/New York 1990, ISBN 3-593-34121-2.
  • Heidemarie Schwermer: Das Sterntalerexperiment: mein Leben ohne Geld. Riemann, München 2001, ISBN 3-570-50016-0.

Einzelnachweise

  1. http://www.urs-beratung.de/Download_PDF/Tausch.pdf

Siehe auch

Weblinks

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