- Werdener Kreuz
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Das Helmstedter Kreuz, oft auch als Werdener Kreuz bezeichnet, ist ein bedeutendes Spätwerk der ottonischen Kunst. Den Namen Helmstedter Kreuz erhielt das Kreuz, weil es aus Helmstedt nach Werden (heute ein Stadtteil von Essen) gebracht wurde. Das Kruzifix, von dem nur die Figur des Gekreuzigten mittelalterlich ist, befindet sich unter der Inventarnummer L 5 in der Schatzkammer der Propsteikirche St. Ludgerus, der ehemaligen Klosterkirche der Abtei Werden. Eine Kopie des Kreuzes hängt in der Ludgeriden-Krypta der Kirche.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Entstehung des Kruzifix liegt im Dunkeln. Gegossen wurde es vermutlich in Werden, eventuell aber auch in Helmstedt von einem aus Werden stammenden Gießer. Um 1060 wurden im dortigen Kloster St. Ludgeri, das mit Werden ein Doppelkloster bildete, umfangreiche Baumaßnahmen vorgenommen, an denen aus Werden entsandte Handwerker tätig waren, wie die nahezu identische Akanthuskapitelle in der Johanneskapelle in Helmstedt, der Ludgeridenkrypta der Abteikirche Werden und in der Werdener Luciuskirche beweisen. Es wird vermutet, dass das Helmstedter Kreuz in diesem Zusammenhang für die Neuausstattung der Klosterkirche in Helmstedt geschaffen wurde, erwiesen ist dieses jedoch nicht. Erstmals erwähnt wurde das Kreuz 1547. In diesem Jahr wurde das Kloster St. Ludgeri von protestantischen Bilderstürmern bedroht. Der Werdener Abt Hermann von Holte, der in Personalunion Abt von Helmstedt war, brachte das Kreuz und den Messkelch des Heiligen Liudger von Helmstedt nach Werden in Sicherheit. Begleitet wurde Hermann von Holte bei dieser Reise vom Werdener Cellerar, dem späteren Abt und Geschichtsschreiber Heinrich Duden, der darüber in seinen Annalen der Abtei Werden berichtete. Das Kreuz war in Helmstedt als Reliquie des als Heiligen verehrten Karls des Großen verehrt worden und sei ihm während der Sachsenkriege als Feldzeichen vorangetragen worden. Heinrich Duden gibt an, in Helmstedt seien über dem Kreuz die deutschen Worte in Stein eingemeißelt gewesen:
„Dit Cruitz hat Carolus in seiner hand,
Als he kekierden dat Saxenland.“– Heinrich Duden: Historia regalis et insignis monasterii et Abbatiae Werthinensis[1]
Ob der Transport des Kreuzes nach Werden endgültig oder nur als vorübergehende Evakuierung geplant war, ist unbekannt. Das Kloster Helmstedt wurde 1568 endgültig reformiert, spätestens ab da kam ein Rücktransport nicht in Betracht. In Werden wurde das Kreuz, das in Helmstedt vermutlich ursprünglich als Triumphkreuz über oder auf dem Kreuzaltar angebracht war, am Hochaltar über den gotischen Altartafeln von Jan Joest und dem Schrein des Heiligen Liudger angebracht. Um 1700 erhielt die Werdener Abteikirche eine barocke Ausstattung, in die das Kruzifix nicht passte. Es wurde aus der Kirche entfernt und in der Sakristei aufbewahrt. Nach der Aufhebung der Abtei Werden durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1802 ging das Kruzifix in den Besitz der Pfarrgemeinde St. Ludgerus in Werden über. Seit 1979, als eine Schatzkammer an der ehemaligen Werdener Abteikirche eingerichtet wurde, bildet das Kreuz den Mittelpunkt der Ausstellung.
Als eine der markantesten Skulpturen seiner Epoche ist das Helmstedter Kreuz mehrfach außerhalb Werdens zu sehen gewesen, beispielsweise in den Ausstellungen Vergessene Zeiten – Mittelalter im Ruhrgebiet 1990 und Das Jahrhundert der Mönche 1999 im Essener Ruhrlandmuseum, 1992 in Das Reich der Salier 1024–1125 im Historischen Museum Speyer und zuletzt 2006 in der Ausstellung Canossa. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik im Diözesanmuseum Paderborn.
Am 11. Februar 2008 wurde das Helmstedter Kreuz aufgrund eines Brands im Ostflügel des Werdener Abteigebäudes, in dem die Schatzkammer untergebracht ist, evakuiert. Beim Transport brach der Mittelfinger der rechten Hand ab. Nach Angabe der auch für die Schatzkammer der Abtei Werden zuständigen Kustorin der Domschatzkammer Essen kann der Schaden jedoch behoben werden.
Beschreibung
Der Kruzifixus ist von Kopf bis zu den Füßen 105,5 cm hoch, die Spannweite der Arme beträgt 96 cm. Er besteht aus Bronze und war ursprünglich vergoldet. Der Korpus wurde in fünf Einzelteilen gegossen und zusammengesetzt. Diese Teile sind die einzeln gegossenen Arme und Beine sowie Torso und Kopf einschließlich des Lendentuchs. Die einzelnen Teile sind mit Zapfen verbunden. Die Zapfverbindungen der Beine sind unter den Rand des Lendentuchs verborgen und mit dem Lendentuch durch jeweils drei Niete verstärkt. Die Nietköpfe sind geglättet oder dort, wo sie im Saum des Lendentuches liegen, entsprechend dessen Muster verziert. Bei den Armen ist die Verbindung zum Körper einfacher, ein Zapfen greift ohne weitere Sicherung in eine entsprechende Öffnung der Schulter. Eine Nietverbindung wie bei den Beinen bestand nicht, da keine Spuren an den Schultern festzustellen sind. Die Zapfverbindung zwischen Armen und Schultern ist nicht passgenau, der Durchmesser der Zapfen ist erheblich kleiner als die Aufnahmen in den Schultern. Infolgedessen sind die Arme in den Schultern verschiebbar und werden nur durch die Nägel in den Handgelenken gehalten [2]. Die Zeichnung der Muskulatur, die an der Brust des Korpus deutlich ausgebildet ist, wird an den Armen nicht aufgenommen. Aus diesem Grund und wegen der nicht passgenauen Befestigung der Arme wird angenommen, dass die Arme des Helmstedter Kreuzes nicht die ursprünglichen sind [3]. Wann die ursprünglichen Arme verloren gingen, ist nicht bekannt. Auffällig ist, dass eine 1941 durchgeführte Materialanalyse ergab, dass die Bronze von Armen und den übrigen Teilen eine weitgehend identische chemische Zusammensetzung hat:
Kupfer Blei Zinn Zink Eisen Gold Kopf 94,4 2,1 0,9 1,3 0,4 0,05 % Beine 94,5 2,1 1,6 0,7 0,1 0,1 % Arme 95,0 2,1 1,6 0,6 0,1 0,3 % [4] Christus ist als Sterbender dargestellt, mit vorgewölbtem Bauch, leicht nach vorne und rechts gesenktem Kopf und geschlossenen Augen. Die Schienbeine sind gratartig und betont, die Knie durch doppelte Rillen hervorgehoben. In der Seitenansicht wirkt der Körper flach. Die Beine stehen nebeneinander auf dem Suppedaneum, der Kruzifixus gehört damit zur Vierpunkt-Phase der christlichen Ikonographie (bei der Dreipunktphase liegen die Beine übereinander und sind mit einem Nagel durchschlagen dargestellt). Das Perizonium (Lendentuch) ist seitlich mit einem Knoten gebunden und fällt in zwei Zipfel sowie einen Überschlag in der Mitte. Das Lendentuch bildet zwei flache Tütenfalten, die auf den Oberschenkeln aufliegen. Am vergleichsweise kleinen Kopf sind die brezelartigen Ohren zu hoch angesetzt. Ein schmaler Wangenbart setzt am oberen Ende der Ohren an. Am Hinterkopf befindet sich eine zungenförmige Aussparung, die von zwei Löchern flankiert wird. Die Formen der Plastik sind klar durchgebildet: Der Kruzifixus hängt streng frontal und fast vollständig auf die senkrechte Kreuzachse bezogen am Kreuz, lediglich durch die leichte Neigung des Kopfes und die leicht nach oben gerichten Arme durchbrechen die Erstarrung.
Der Kruzifixus ist auf ein modernes, auf jeden weiteren Schmuck verzichtendes Holzkreuz montiert. Dieses ersetzte im letzten Jahrhundert ein älteres Holzkreuz mit geschweiften und vierpassförmig geschnittenen Armen, das auch nicht Original war. Das Aussehen des ursprünglichen Kreuzes ist unbekannt.
Kunstgeschichtliche Einordnung
Rademacher deutet die zungenförmige Vertiefung und die Löcher am Hinterkopf als Befestigung für einen Kreuznimbus, der zu einem unbekannten Zeitpunkt verloren ging [5]. Die ursprünglichen Arme rekonstruierte er anhand Parallelen des Kruzifixus zu Kreuzigungsdarstellungen in der Buchmalerei der sogenannten zeichnerischen Phase der Kölner Buchmalerschule, insbesondere zum Kruzifixus in einem Sakramentar, das in der Universitätsbibliothek Freiburg aufbewahrt wird (Cod. 360a), als schräg nach oben gestreckt und im Handgelenk nach unten abgewinkelt. Wundram nahm dagegen in seiner Rekonstruktion fast waagrechte Arme, ähnlich der jetzigen Form an, wobei er sich am Mindener Kreuz orientierte. Dieses ist jedoch zeitlich später entstanden und weist keine Gemeinsamkeiten mit anderen Bezugsstücken des Helmstedter Kreuzes auf.
Das Helmstedter Kreuz weist wie die meisten ottonischen Kruzifixe Einflüsse des Kölner Gerokreuzes auf, besonders in der Ausbildung der Bauch- und Brustpartie und in der Kopfhaltung, aber auch beim Lendentuch, das in der Grundform noch dem des Gerokreuzes entspricht, aber bereits nach Symmetrie stebt [6]. Eine engere Verwandtschaft besteht zu den Kruzifixen am jüngeren Mathildenkreuz des Essener Domschatzes und am Kölner Hermann-Ida-Kreuz, die beide in Werden gegossen wurden. Deutliche Parallelen bestehen auch zu Reliefs in der Schatzkammer der Abtei Werden, die aus der Abteikirche stammen. Bei diesen Reliefs handelt es sich möglicherweise um einem Grabaufbau, nach anderer Deutung um die Einfassung eines Fenestrellas (Fensterchens), das den Blick vom Kirchenraum auf den Sarkophag des Heiligen Liudger in der Krypta erlaubte. An den Gewändern dieser Reliefs finden sich die gleichen Schichtfalten wie am Perizonium und auch die gleichen bortenartigen Verzierungen, die wie aufgelegt wirken. Besonders eng sind die Parallelen zum Kruzifixus aus der Kölner Handschrift Cod. 360a der Universitätsbibliothek Freiburg. Diese Darstellung zeigt die gleichen besonders schlanken Proportionen der Gliedmaßen. Identisch ist auch die unbewegte gerade Haltung des Körpers. Auch in den Einzelformen bestehen Ähnlichkeiten. Sowohl in der Buchmalerei als auch am Helmstedter Kruzifixus sind die Brustmuskeln durch starke Linien umgrenzt. Besonders charakteristisch ist eine selten bei Kreuzdarstellungen auftretende bogenförmige Linie, die das Ende des Brustbeins andeutet und die beim Helmstedter Kruzifixus zu einem flachen Brustschild zusammengezogen ist. Aufgrund der Datierung des Sakramentars wie auch der Werdener Reliefs wird das Helmstedter Kreuz auf um 1060 datiert.
Das Helmstedter Kreuz entstand somit in der Epoche der Salier. Die einsetzende Erstarrung des Körpers, der bei der ottonischen Plastik mehr organisch bewegt schien, markiert das Helmstedter Kreuz als Übergangsstück zur romanischen Plastik.
Literatur
- Manuela Beer: Ottonische und frühsalische Monumentalskulptur. Entwicklung, Gestalt und Funktion von Holzbildwerken des 10. und frühen 11. Jahrhunderts. In: Klaus Gereon Beuckers, Johannes Cramer, Michael Imhof (Hrsg.): Die Ottonen. Kunst – Architektur – Geschichte. Petersberg 2002, ISBN 3-93-252691-0, S. 129–152
- Franz Rademacher: Der Werdener Bronzekruzifixus. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft. Bd. 8 (1941), S. 141–159
- Rudolf Wesenberg: Frühe Mittelalterliche Bildwerke. Die Schulen rheinischer Skulptur und ihre Ausstrahlung. Düsseldorf 1972, ISBN 3-508-00179-2
- Manfred Wundram: Der Bronzekruzifixus der Werdener Abteikirche. Essen 2003, ISBN 3-89861-247-3
Einzelnachweise
- ↑ zitiert nach: Rademacher S. 146
- ↑ Rademacher (wie Fn. 1), S. 144
- ↑ Rademacher (wie FN. 1) S. 142
- ↑ Rademacher (wie Fn.1), S. 145
- ↑ Rademacher (wie Fn. 1) S. 146
- ↑ Wesenberg S. 59
Weblinks
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