Werner Gerlach

Werner Gerlach

Werner Gerlach (* 4. September 1891 in Wiesbaden; † 31. August 1961 in Kempten (Allgäu)) war ein deutscher Pathologe, Nationalsozialist, SS-Brigadeführer (General), ärztlicher Forscher beim Konzentrationslager Buchenwald und Diplomat.

Inhaltsverzeichnis

Deutsches Kaiserreich

Werner Gerlach wurde als Sohn des Arztes Johann Valentin und seiner Ehefrau Marie (geb. Niederhaeuser) in Wiesbaden geboren. Er besuchte das humanistische Gymnasium in Wiesbaden, das er 1910 mit dem Abitur abschloss. Direkt im Anschluss, zwischen April und Oktober 1910, leistete er den Militärdienst in Tübingen ab.[1] Er studierte Medizin an den Universitäten Tübingen und Münster. Er war Mitglied der Corps Borussia Tübingen (1911) und Saxonia Jena (1937).[2]

Während des Ersten Weltkrieges war er in der Krankentransportabteilung der 6. Armee und in verschiedenen Sanitätskompanien an der Westfront eingesetzt. Gerlach wurde mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet. 1917 legte er während eines Fronturlaubs das Staatsexamen ab und promovierte zum Dr. med. Von 1917 bis 1919 war Gerlach Arzt bei der Militärmission in der Türkei und wurde dort mit dem Eisernen Halbmond ausgezeichnet.

Weimarer Republik

Nach seinem Heeresdienst leistete er ein Volontariat in Dresdner Krankenhäusern ab. 1920 wurde er Assistent im Pathologischen Institut des Städtischen Krankenhauses in Wiesbaden. Ende 1920 erhielt er eine Assistentenstelle am Pathologischen Institut der Universität Jena und war dort ab 1921 Prosektor. Mit seinem Mentor Rössle ging Gerlach in die Schweiz und arbeitete von 1922 bis 1924 als Prosektor an der Universität Basel. 1923 habilitierte er sich für das Fach Pathologie. Ab 1924 war er Leitender Oberarzt und Prosektor am Krankenhaus Barmbek. 1928 wurde er auf den Lehrstuhl für Pathologie an der Universität Halle berufen. Als wissenschaftliche Verdienste Gerlachs nannte die Medizinische Fakultät seine Forschungen über Geschwülste, physiologische Studien und Arbeiten zur Genetik. Besonders wertvoll seien seine Studien über Entzündungen und das embryonale Bindegewebe. Er baute mit umfangreichen Mitteln, die im Rahmen seiner Berufung zugesichert worden waren, das Pathologische Institut um. Wegen seines „hervorragenden Lehrtalents“ wurde sein Wechsel 1930 an die Universität Basel bedauert.

Nationalsozialismus

In der Schweiz wurde Gerlach Mitglied der NSDAP/AO [3], die 1936 unter Wilhelm Gustloff über 5.000 Mitglieder hatte. In Basel wurde Gerlach 1936 auf Grund „disziplinarwidriger nationalsozialistischer Betätigung“ entlassen. Das Appellationsgericht Basel verfügte jedoch aus außenpolitischem Opportunismus die Wiedereinstellung[4]. Gerlach trat zum 1. April 1937 als Hauptsturmführer in die SS [5] ein. Das Reichswissenschaftsministerium befürwortete 1937 seine Berufung auf den Lehrstuhl für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie an der „nationalsozialistischen Musteruniversität“ Jena in der Nachfolge des in die Schweiz emigrierten Walther Berblinger.[6] Wenig später wurde er auf Fürsprache von Karl Astel Dekan der Medizinischen Fakultät. Nach der „Reichskristallnacht“ denunzierte Gerlach den Kollegen Ernst Giese, der jüdische Patienten behandelt hatte, beim Sicherheitsdienst der SS. Als Gerhard Buhtz nach Breslau „strafversetzt“ wurde, war Gerlach kurzzeitig vom 1. Juli bis zum 30. September 1938 auch Leiter der Gerichtsmedizin in Jena und stellte danach den Vorrang der Pathologie gegenüber den Rechtsmedizinern wieder her. Als Pathologe war Gerlach nun für das Konzentrationslager Buchenwald zuständig; hier deckte er Verbrechen der SS.[7]

Ab April 1939 ließ Gerlach seine professoralen Pflichten in Jena ruhen und wechselte zum Auswärtigen Amt, das ihn zum deutschen Generalkonsul auf Island ernannte, wo er sich nebenamtlich mit rassenbiologischen Untersuchungen befasste[8]. Bei der Besetzung Islands durch die Briten am 10. Mai 1940 wurde Gerlach kurzfristig interniert[9]. Danach war er, mittlerweile zum SS-Brigadeführer aufgestiegen, in Prag und Paris tätig. Bei seinem schließlichen Übertritt in den Auswärtigen Dienst versuchte er in einem Schreiben an den Referenten Max de Crinis im Reichsministerium den (Raucher-) Krebsforscher Dietrich Eberhard Schairer (1907–1996), der seit dem 1. Mai 1939 das Institut vertretungsweise leitete, als seinen Nachfolger zu empfehlen, da dieser alle Voraussetzungen, auch „politisch“, hierfür erfülle[10]. Ab dem 5. Januar 1942 war Gerlach kommissarischer Vertreter des Auswärtigen Amts beim Reichsprotektor in Prag.[11] Am 10. April 1943 wurde er als Leiter des Kulturreferats an die Deutsche Botschaft in Paris versetzt, nachdem der NS-Aktivist Krüger dort für Unruhe gesorgt hatte. Der wieder eingesetzte Botschafter Otto Abetz und der Leiter des „Deutschen Instituts“ Karl Epting konnten nun bei Konflikten mit der Parteiführung in Berlin einen veritablen SS-General für ihre Interessen mobilisieren.[12], da Gerlach 1942 zum SS-Brigadeführer und in den Persönlichen Stab Reichsführer SS, Heinrich Himmler, befördert worden war.

Bundesrepublik Deutschland

Von 1945 bis 1948 interniert, eröffnete Gerlach 1949 in Kempten ein privates pathologisches Institut. Nachrufe rühmten Gerlachs Verdienste um die Einführung der Spektralanalyse in die Medizin.

Werner Gerlach war der jüngere Bruder des Physikers Walther Gerlach. Die beiden gaben gemeinsame Veröffentlichungen heraus, seien jedoch politisch unterschiedlich eingestellt gewesen[13].

Werke

  • Handbuch der speziellen pathologischen Anatomie und Histologie / Bd. 5. Verdauungsdrüsen / Tl 1. Leber, 1930
  • Handbuch der speziellen pathologischen Anatomie und Histologie / Bd. 5. Verdauungsdrüsen / Tl 2. Kopfspeicheldrüsen, Bauchspeicheldrüse, Gallenblase u. Gallenwege, 1929
  • Zur Frage der Histogenese der Grawitzschen Tumoren der Niere, Tübingen, 1916
  • Der Elementnachweis im Gewebe, von Walther und Werner Gerlach", Virchows Archiv ,Volume 282, Number 1 / Oktober 1931
  • Walther Gerlach; Eugen Schweitzer; Werner Gerlach; Else Riedl: Die chemische Emissions-Spektralanalyse; Grundlagen und Methoden, Leipzig, L. Voss, 1930
  • Walther Gerlach; Werner Gerlach: Die chemische Emissions-Spektralanalyse. 2, Anwendung in Medizin, Chemie und Mineralogie, Leipzig : Voss, 1933 (Englisch 1934).
  • Walther Gerlach; Werner Gerlach; Eugen Schweitzer: Die chemische Emissionsspektralanalyse 3 Tabellen zur qualitativen Analyse, Leipzig Voss 1936

Literatur

  • Christian Bode: Zur Geschichte der Gerichtlichen Medizin an der Universität Jena im Zeitraum von 1901 bis 1945. Dissertation der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Juli 2007 (pdf).
  • Isidor Fischer, Peter Voswinckel: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Urban & Schwarzenberg, Berlin u. a. 1932–1933 (Neuausgabe: Olms, Hildesheim u. a. 2002, ISBN 3-487-11659-6).
  • Maria Keipert (Red.): Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945. Herausgegeben vom Auswärtigen Amt, Historischer Dienst. Band 2: Gerhard Keiper, Martin Kröger: G–K. Schöningh, Paderborn u. a. 2005, ISBN 3-506-71841-X.
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? S. Fischer, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-596-16048-0.
  • Günter Lachmann: Der Nationalsozialismus in der Schweiz 1931–1945. Ein Beitrag zur Geschichte der Auslandsorganisation der NSDAP. Ernst-Reuter-Gesellschaft, Berlin-Dahlem 1962.
  • Susanne Zimmermann: Die Medizinische Fakultät der Universität Jena während der Zeit des Nationalsozialismus. VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin 2000, ISBN 3-86135-481-0 (Ernst-Haeckel-Haus-Studien 2).
  • Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik, Heidelberg : Synchron 2004 ISBN 3-935025-68-8

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Christine Pieper: Die Sozialstruktur der Chefärzte des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Barmbek 1913 bis 1945. Ein Beitrag zur kollektivbiographischen Forschung. Münster / Hamburg / London 2003, S. 195 f., ISBN 3-8258-6495-2. (Quellen: Archiv der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Personalakte Werner Gerlach; StAHH, 352-10, 266; StAHH, 361-6, IV. 1377 u.a.)
  2. Kösener Corpslisten 1960, 126, 373; 71, 779
  3. NSDAP-Mitgliedsnummer #1.780.666
  4. Disziplinarische Massnahmen an der Universität Basel in den 1930er Jahren auf der Website der Universität Basel
  5. SS-Mitgliedsnummer #279.438
  6. Uwe Hoßfeld (Hrsg.): Im Dienst an Volk und Vaterland: Die Jenaer Universität in der NS-Zeit. Köln, 2005. (Die Jenaer Universität in der NS-Zeit)
  7. Christian Bode, Zur Geschichte der Gerichtlichen Medizin an der Universität Jena
  8. Gerd Simon unter Mitwirkung von Hans Raab, Die Island-Expedition des Ahnenerbes der SS PDF . Dort auch ein Foto von Werner Gerlach
  9. Gerlach misslang es, die Konsulatsakten im Badezimmerofen zu verbrennen, siehe dänische und englische Wikipedia und die dort angegebene dänische Literatur en:Invasion of Iceland; da:Invasionen af Island; siehe auch die deutschen Invasionspläne: Unternehmen Ikarus
  10. Schreiben Gerlachs vom 16. Mai 1942, in: Hendel, Joachim [Bearb.]: Wege der Wissenschaft im Nationalsozialismus : Dokumente zur Universität Jena, 1933 - 1945, Stuttgart : Steiner , 2007 ISBN 978-3-515-09006-3, S.274f. Schairer wurde tatsächlich 1943 zum kommissarischen Direktor bestellt und zum apl. Professor ernannt (C. Worbes, Rauchen und die gesundheitlichen Folgen [1] ). Siehe auch den Nachruf in: International Journal of Epidemiology 2001;30:28-29, dort wird der Einsatz Gerlachs für Schairer geleugnet. Die Pathologen Schairer in Ulm und Gerlach in Kempten könnten sich auch nach 1945 noch begegnet sein.
  11. Gerd Simon (Hrsg.): Wissenschaftspolitik im Nationalsozialismus und die Universität Prag. (Dokumente). (PDF)
  12. Eckard Michels, Das deutsche Institut in Paris 1940–1944 – ein Beitrag zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen und zur auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches, Franz Steiner Verlag 1993, S. 115
  13. Rudolf Heinrich, Hans-Reinhard Bachmann, Walther Gerlach : Physiker, Lehrer, Organisator. Eine Ausstellung im Deutschen Museum zum 100. Geburtstag des Experimentalphysikers, 26. Juli - 29. November 1989. DNB



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