- Abrahamitische Religionen
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Als abrahamitische, abrahamische oder Abrahams Religionen werden jene monotheistischen Religionen bezeichnet, die sich auf Abraham, den Stammvater der Israeliten nach der Tora (Gen 12,1-3 EU) bzw. den Ibrahim des Koran, und seinen Gott beziehen.
Inhaltsverzeichnis
Vorisraelitische Väterreligion
Im Mittelpunkt steht besonders die Eigenart der vorisraelitischen „Väterreligion“. Aufgrund der nomadischen Lebensweise der Erzväter spricht man hier auch von einem „Monotheismus der Wüste“. (siehe dazu: Vätergötter)
Entstehung des jüdischen Monotheismus
Die heutige kontinentaleuropäische Forschung nimmt mehrheitlich an, dass die altisraelitische/judäische Religion ihre monotheistische Lehre erst ab dem 6. Jh. v. Chr. entwickelt habe und vorher ihren Gott (JHWH) nur als den eigenen Stammesgott (Monolatrie, neben Göttern anderer Stämme oder Völker) verstanden habe.[1]
Nach dieser Ansicht sei JHWH ein in Jerusalem ansässiger Lokalgott gewesen. Mit der steigenden Bedeutung des israelitischen Reiches und damit der Hauptstadt Jerusalem unter den Königen David und Salomo seien auch JHWH neue Funktionen zugekommen, bis er schließlich zum König eines göttlichen Pantheons geworden sei (vgl. Jesaja 6). Inschriften aus dieser Zeit nennen JHWH in einem Atemzug mit anderen Göttern und belegen, dass JHWH damals zusammen mit anderen Göttern (z. B. Aschera) angerufen worden ist.
In der Folgezeit schwächte sich die Bedeutung Jerusalems ab und fremde Reiche mit deren Religionsvorstellungen beeinflussten die israelitische Religion. Unter König Joschija im 7. Jh. v. Chr. entstand eine Bewegung, die die alleinige Verehrung JHWHs einforderte (vgl. 2. Mose 23,13).
Die Nachfolger dieser Bewegung fanden vor allem in der Zeit des Babylonischen Exils Gehör: Nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels, in dem JHWH verehrt worden war, verbreitete sich unter den israelitischen Priestern der Gedanke, dass JHWH der einzige und allmächtige Gott sei. Er selbst habe die Zerstörung herbeigeführt, um die Israeliten für ihre (teilweise) Abwendung von ihm zu bestrafen.
Auf dieser Basis entwickelte sich das antike Judentum und später das Christentum (Trinitarischer Monotheismus). Grundgedanke dieser Religionen – wie auch des Islams – ist die Ansicht, dass bereits der mythische Stammvater Abraham JHWH verehrt hat.
Kennzeichen abrahamitischer Religionen
Gottesvorstellung
Die abrahamitischen Religionen und Lehren sind monotheistisch, erkennen nur einen einzigen Gott an. Es ist ein personaler Gott, der als Individuum erscheint und als eine Instanz jenseits der Welt gedacht wird. Er hat den Kosmos erschaffen und kann in das Weltgeschehen eingreifen. Er wird als allwissend, allmächtig und allgegenwärtig angesehen. Er hat Eigenschaften, die in der menschlichen Gesellschaft gemeinhin als positiv erachtet werden, jedoch in absoluter Form: unfehlbare Gerechtigkeit, allumfassende Liebe und Güte. Beim Problem der Theodizee ist insbesondere die Allgüte Gottes von großer Bedeutung.
Er wird traditionell mit Anreden für das männliche Geschlecht adressiert, wie zum Beispiel mit Herr oder Vater.
Gottesabbildungen sind verboten (Bilderverbot), weil die Gefahr besteht, dass der Mensch Dinge anbetet, die er von eigener Hand geschaffen hat (Götzendienst). Daraus folgt nämlich, dass er seine Eigenschaften oder auch nur einige davon in das Gottesbild projiziert und sich anschließend diesem Götzen unterwerfen muss, um seine projizierten Eigenschaften zurückzuerlangen. Er wird also in seiner Freiheit eingeschränkt und kann nicht mehr ohne den Götzen leben. Der Monotheismus zeichnet sich laut Erich Fromm eben dadurch aus, dass der Mensch nicht sein eigenes Werk anbetet, sondern einen unsichtbaren Gott.
Die Gläubigen können im Gebet mit ihrem Gott in Verbindung treten. Es gibt rituelle Gebetstexte, aber auch individuelle Gebete, die der Gläubige selbst gestaltet.
Menschenbild
Geist und Körper
In den abrahamitischen Religionen besteht der Mensch aus einem physischen Körper und einer geistigen Seele (dem Geist). Im Christentum wird teilweise noch einmal unterschieden zwischen Seele und Geist. Die Seele 'besteht' aus dem Willen, dem Verstand und den Gefühlen. Der menschliche Geist ist durch die Annahme von Jesus Christus (Erweckung) mit dem Geist Gottes verbunden. Die Seele bzw. der Geist wird dabei höher geschätzt als der Körper, da er im Gegensatz zum Fleisch unsterblich ist und auch nach dem Tod des Körpers weiter besteht. Nach dem physischen Tod erhält der Mensch nach Paulus eine neue Körperlichkeit (vgl. 1. Kor. 15). Jedoch wurden Körperlichkeit und Sexualität – im Christentum unter dem Einfluss des Mönchtums und aufgrund des überragenden Einflusses des mandäisch beeinflussten Kirchenvaters Augustinus – tendenziell als sündhaft gesehen und durch Askese oder Enthaltsamkeit zu überwinden versucht.
Tod und Sünde
Die Vorstellung von einer unsterblichen Seele des Menschen entstammt dem griechischen Weltbild und ist prägend erst im Hochmittelalter in die jüdische und die christliche Religion eingedrungen. Da mit der Vorstellung von der unsterblichen Seele auch jene von Hölle und Himmel übernommen wurde, stellte sich die Frage, wie der eine, gute Gott in seiner Schöpfung Sünde und Hölle zulassen konnte. Die letzte Antwort darauf wird im Allgemeinen in der menschlichen Willensfreiheit gesehen.
Nach der Vorstellung von Judentum, Christentum und Islam hat jeder Mensch nur ein einziges Leben. Hier liegt eine lineare Zeitvorstellung zugrunde, im Gegensatz beispielsweise zur Reinkarnationslehre, derzufolge Mensch und Tier in endlos ablaufenden Zyklen wieder geboren werden.
Weltbild und Offenbarung
In der klassischen Vorstellung beginnt die Welt mit ihrer Erschaffung durch den Gott der jeweiligen monotheistischen Religion (vgl. creatio ex nihilo und Natürliche Theologie) und endet mit dem Tag des Jüngsten Gerichts. Er kann sich durch Propheten offenbaren.
Es gibt sogenannte Heilige Schriften, die als Gottes Wort gelten und deshalb einen großen Stellenwert einnehmen.
- Im Judentum ist es der Tanach.
- Das Christentum anerkennt den Tanach, der traditionellerweise Altes Testament, in neuerer Zeit auch Hebräische Bibel oder Erstes Testament genannt wird, und das Neue Testament als Gottes Wort. Altes (oder: Erstes) und Neues Testament bilden zusammen die christliche Bibel, den Kanon.
- Im Mormonentum, einer eigenständigen Religion auf dem Boden des Christentums, sind für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage zusätzlich zur Bibel das Buch Mormon, Lehre und Bündnisse und die Köstliche Perle maßgebend. Die Kirche Christi mit der Elias-Botschaft verwendet neben dem Bericht der Nephiten (eigene Ausgabe des Buches Mormon) noch 117 Botschaften mit dem Titel „Das Wort des Herrn“ als weitere gleichwertige göttliche Offenbarungsquelle.
- Der Islam erkennt die jüdisch-christlichen Traditionen z.T. als ursprünglich von Gott geoffenbart an, meist wird jedoch argumentiert, dass diese Schriften verfälscht seien. Die vollkommenste Offenbarung, in der die Lehre Gottes endgültig dargelegt ist, ist für Muslime jedoch der Koran.
- Bei den Bahai ist es u.a. der Kitab-i-Aqdas. Die Bibel und der Koran, aber auch die Schriften anderer Religionen (wie die Lehrgespräche Buddhas) werden als heilige Schriften verehrt und neben den umfangreichen Schriften Baha’u’llahs in den Häusern der Andacht rezitiert.
Oberbegriff für verwandte Religionen
Die Bezeichnung wird teilweise als gemeinsamer Oberbegriff für die drei Weltreligionen verwandt, die sich auf den „Abrahamsbund“ zurückführen:[2]
- das Judentum: Alle Juden sind für die Bibel „Kinder Abrahams“, also eine Abstammungseinheit.
- das Christentum: Für das Neue Testament hat Jesus Christus denen, die an ihn glauben, den Segen Abrahams vermittelt und sie in die Gotteskindschaft einbezogen, so dass auch sie Anteil an den biblischen Verheißungen für das Volk Israel erhalten.
- der Islam: Dort gilt Ibrahim ebenfalls als Stammvater aller Ismaeliten, die noch vor dem Erben Isaak in der Bibel die Zusage Gottes auf Nachkommenschaft und Segen erhalten. Er ist im Koran außerdem nach Adam der erste Prophet, der allen Menschen den einzigen wahren Gott verkündet und zugleich Vorbild ihrer Glaubenstreue und Gerechtigkeit ist.
Auch das Bahaitum und der Zoroastrismus werden mitunter zu den Abrahamitischen Religionen gezählt.[3]
Abrahamitischer Dialog und Trialog
Ihr wechselseitiger Dialog ist eine Spezialform des interreligiösen Dialogs. Sind mehr als zwei Religionen daran beteiligt, wird vom „Trialog“ gesprochen. Im Interreligiösen Dialog wird die Bezeichnung „Abrahamsreligion“ verwendet, um eine gemeinsame Herkunft und enge Verwandtschaft von Juden, Christen und Muslimen auszudrücken.
Von orthodoxen oder fundamentalistischen Gruppen in jeder der drei Religionen wird die Bezeichnung meist abgelehnt, sofern er ein gemeinsames Bekenntnis von Juden, Christen und Muslimen dazu enthalten soll, dass es sich beim Gott dieser Religionen um denselben, einen Gott handelt. Das wird von den Kritikern als Selbstaufgabe gedeutet, da jede der drei Religionen einen Wahrheitsanspruch enthalte, der die Wahrheitsansprüche der jeweils Andersgläubigen ausschließe.
Theologen wie Bertold Klappert betonen jedoch, dass die Bezeichnung der „Abrahamsreligion“ und der Trialog nicht als Aufgabe der eigenen Glaubensidentität zu verstehen seien, sondern dass die Begegnung zwischen den weiterhin verschiedenen Religionen gerade nur auf der Basis ihrer jeweiligen besonderen Wahrheit sinnvoll stattfinden könne. Gerade die ursprüngliche Abrahamsverheißung in ihrer Mehrdimensionalität ermögliche die Wahrnehmung der Einheit in der Verschiedenheit der drei Abrahamsreligionen.[4]
Kleinere Religionen, die sich auf Abraham beziehen
Im weitesten Sinn werden auch kleinere Religionsgemeinschaften dazu gezählt, deren Glaubensinhalte sich auf die Grundlagen dieser drei Religionen zurückführen lassen; eine exakte, allgemein anerkannte Abgrenzung ist dabei nicht möglich, da die Frage der Zugehörigkeit immer auch eine Frage des subjektiven Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft bleibt.
Dazu gezählt wird beispielsweise der Samaritanismus, der eine genuin israelitische Religion ist; ebenso verstehen sich die Drusen, die Mandäer und die Rastafari als abrahamitische Religionen.
Siehe auch
- Monotheismus
- Christlich-islamischer Dialog
- Jüdisch-christlicher Dialog
- CIAG Marl
- Abrahamitische Ökumene
- Muhammad-Nafi-Tschelebi-Preis
Literatur
- Reiner Nieswandt: Abrahams umkämpftes Erbe. Eine kontextuelle Studie zum modernen Konflikt von Juden, Christen und Muslimen um Israel/Palästina. Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 1998, ISBN 3-460-00411-8 (Stuttgarter biblische Beiträge 41).
- Martin Stöhr (Hrsg.): Abrahams Kinder. Juden – Christen – Moslems. Haag + Herchen, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-88129-683-2 (Arnoldshainer Texte 17).
- Jonathan Magonet: Abraham – Jesus – Mohammed. Interreligiöser Dialog aus jüdischer Perspektive. Gütersloher Verlags-Haus, Gütersloh 2000, ISBN 3-579-00735-1 (Gütersloher Taschenbücher 735).
- Karl-Josef Kuschel: Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt – und was sie eint. Neuausgabe. Patmos, Düsseldorf 2001, ISBN 3-491-69030-7.
- Jürgen Micksch: Abrahamische und Interreligiöse Teams. Otto Lembeck, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-87476-421-4 (Interkulturelle Beiträge 21).
- Reinhard Möller, Hans Christoph Goßmann (Hrsg.): Interreligiöser Dialog. Chancen abrahamischer Initiativen. LIT, Berlin u. a. 2006, ISBN 3-8258-8418-X (Interreligiöse Begegnungen 2).
Weblinks
- Abrahamisches Forum in Deutschland
- Bertold Klappert, ev. Theologe: „Abraham eint und unterscheidet“; dort auch weitere interne Links:
- Literaturhinweise zum Thema „Abraham und Sarah als Leitfiguren für Dogmatik und interreligiösen Dialog“ (PDF-Datei; 413 kB)
- Horst Kannemann: Dialog und Mission mit den abrahamischen Religionen. Theologisches Werkstattgespräch mit dem Ausschuss für außereuropäische Ökumene und Mission (Simmern, 27. August 2002; PDF-Datei; 175 kB)
- Engel der Kulturen-Kunstprojekt und -Karawane
Notizen
- ↑ Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Nennung der Nebengottheiten Aschim-bethel und Anat-bethel in TUAT, Band 1, Neue Folge, S. 268–269, ISBN 3-579-05289-6.
- ↑ Vgl. hierzu: Art. Abrahamitische Religionen, in: RGG4, Bd. 1, Tübingen 1998. S. 78.
- ↑ Angelika Tiefenbacher: Allgemeinbildung - Das ultimative Wissen, München 2009. S. 48.
- ↑ siehe Weblinks
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