Occupy Germany

Occupy Germany
Occupy Frankfurt; Demonstration am 22. Oktober 2011 vor der Zentrale der Deutschen Bank

Occupy Germany (englisch für Besetzt Deutschland) ist der deutsche Teil der Occupy-Bewegung und der Oberbegriff für Occupy-Initiativen in Deutschland.

Vorbild von Occupy Germany ist die US-amerikanische Occupy-Wall-Street-Bewegung, die seit dem 17. September 2011 den New Yorker Zuccotti Park in der Nähe der Wall Street besetzt. Gefordert werden von allen Occupy Bewegungen beispielsweise, dass soziale Ungleichheiten, Spekulationsgeschäfte von Banken und der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik bekämpft werden sollen. Konkrete Forderungen der heterogenen Bewegung fehlen jedoch. Die Demonstranten sehen sich trotz begrenzter Teilnehmerzahlen als die 99 %, die den reichsten 1 % der Bevölkerung gegenüberstehen.[1]

Inhaltsverzeichnis

Eigendarstellung von Occupy Germany

Occupy Germany stellt sich auf seiner Website als eine vor allem über das Internet verbundene Bewegung ohne Hierarchien oder Anführer dar, was den Unterschied etwa zu einer Partei oder sonstigen Organisation ausmache. Man sei überzeugt, über grundlegende Probleme im wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen System informieren und diskutieren zu müssen, was das untereinander verbindende Moment darstelle. Occupy Germany wolle aufklärerisch tätig werden, nach Lösungsansätzen suchen und „durch den Druck der Masse der Bevölkerung“ auf Veränderungen hinwirken. Die gesellschaftlichen Regeln müssten neu überdacht werden.[2]

Besonderheit der Situation in Deutschland

Der Ökonom Thomas Straubhaar verneinte eine dauerhafte Chance für die deutsche Occupy-Bewegung, da die Rahmenbedingungen mit einem ausgebauten Sozialstaat, geringerer Arbeitslosigkeit und minimaler Inflation für den durchschnittlichen deutschen Bürger besser seien als im Ursprungsland der Bewegung, den Vereinigten Staaten.[3] Auch der Politikwissenschaftler Lothar Probst betonte diese internationalen Unterschiede und die „relativ stabile“ Situation in Deutschland. Die Wirtschaftskrise habe den Alltag der Menschen nicht so dramatisch wie in anderen Ländern erreicht. Stefan Ellinghaus, stellvertretender Leiter der Bremer Landeszentrale für politische Bildung, schloss sich dieser Einschätzung an. Der Protest müsse weitere Bevölkerungsschichten erreichen, um die gleiche Intensität wie in den USA oder Spanien zu entwickeln.[4]

Occupy Germany nach Städten

Occupy Düsseldorf; Demonstration am 15. Oktober 2011

Mitte Oktober 2011 gab es deutschlandweit Occupy-Initiativen in folgenden Städten: Frankfurt am Main, Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Karlsruhe, Saarbrücken, Köln, Nürnberg, Oldenburg, Heidelberg, Lübeck, Aachen, Bremen, Osnabrück, Bonn, Münster, Bochum, Dresden, Zeulenroda, Hannover und Stuttgart.[5] Die Teilnehmerzahlen in den einzelnen Städten sind zunächst ungenau oder unbekannt, da es auch Online-Aktivisten und Befürworter gibt, die nicht zwangsläufig auch an den Protesten auf der Straße beteiligt sein müssen. Über die Teilnehmerzahlen der Demonstrationen liegen jedoch Schätzungen sowohl der Polizei als auch der Veranstalter vor.

Verlauf der Demonstrationen

Zeltende Demonstranten auf dem Platz vor der EZB in Frankfurt am Main
Occupy-Camp am Berliner Kapelle-Ufer

Als Zentrum der Proteste in Deutschland kristallisierte sich die Bankenmetropole Frankfurt am Main, Sitz verschiedener Bankenzentralen, der Frankfurter Wertpapierbörse und der Europäischen Zentralbank heraus. Dem Politikwissenschaftler Michael Zürn zufolge zeigt dies den Wandel der weltweiten Protestkultur, die sich nicht mehr gegen die nationalen Regierungen, sondern gegen übernationale Regelungen und Institutionen richteten.[6]

Demonstrationen fanden am 15. Oktober 2011, einem auf die spanische Bewegung Democracia Real Ya zurückgehenden[7] internationalen Aktionstag, außerdem in Berlin, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, und Stuttgart statt. Bundesweit nahmen etwa 40.000 Menschen in 50 Städten daran teil.[8][9] In Frankfurt am Main zogen rund 5000 Demonstranten vor das Gebäude der Europäischen Zentralbank und etwa 150 von ihnen begannen, auf unbestimmte Zeit dort ein Zeltlager einzurichten.[10][11] Auch in Hamburg wurde im Anschluss an eine Demonstration mit 2000 Teilnehmern ein Protestcamp gegenüber der HSH Nordbank begonnen.[12] In Berlin zogen rund 5000 Menschen vor das Kanzleramt.[13] Auch hier wurde neben der Parochialkirche ein Zeltlager eingerichtet.[14] In Köln demonstrierten etwa 1500 Menschen, in Düsseldorf etwa 1000,[8] ebenso viel in Leipzig. Auch in den Städten Aachen, Bochum, Dortmund, Minden, Bielefeld, Paderborn und Solingen gab es Demonstrationen.

Eine Woche später wiederholten sich unmittelbar vor einem Gipfeltreffen des Europäischen Rates die Demonstrationen. In Frankfurt, Berlin, Köln, Düsseldorf und anderen Städten versammelten sich zwischen 7.500 und 10.000 Teilnehmer. Schwerpunkt der Proteste war in Deutschland wiederum Frankfurt mit mindestens 4.000 Teilnehmern.[15][16]

Am 29. Oktober kam es, unter geringerer Beteiligung als in den Wochen zuvor, erneut zu Demonstrationen in Frankfurt, Berlin und Düsseldorf.[17] Auch in der vierten Woche, am 5. November, ging vom Frankfurter Camp eine Demonstration mit etwa 1200 Teilnehmern aus.[18]

Am 12. November 2011 bildeten Demonstranten unter Beteiligung der Occupy-Bewegung Menschenketten um das Berliner Reichstagsgebäude und das Frankfurter Bankenviertel. In Frankfurt nahmen bis zu 10.000, in Berlin bis zu 8000 Menschen teil. Aufgerufen hatte ein Bündnis der Organisationen Attac, Campact und Naturfreunde zusammen mit 25 weiteren Organisationen.[19][20] Vertreter der Occupy-Bewegung hielten auf der Berliner Abschlusskundgebung eine Rede, die zuvor mit Hilfe eines EtherPad in Gemeinschaftsarbeit geschrieben wurde.[21]

Rezeption in der deutschen Politik

In Deutschland riefen unter anderem das globalisierungskritische Netzwerk Attac und Politiker der Partei Die Linke, darunter Klaus Ernst, Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, zur Unterstützung der Proteste auf.[22][23] Politiker wie die Generalsekretärin der SPD Andrea Nahles, der Abgeordnete des Europäischen Parlamentes Sven Giegold, die Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Renate Künast (beide Bündnis 90/Die Grünen) und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Michael Sommer (SPD) solidarisierten sich mit den Protesten.[24][25]

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble äußerte Verständnis für die Bewegung, er beobachte sie „mit großer Aufmerksamkeit“ und nehme die Proteste „sehr ernst“. Auch die Kanzlerin selbst äußerte „großes Verständnis“ für die Proteste. Die Zeit schrieb am 22. Oktober 2011: „Eine maximal breite Koalition scheint sich gebildet zu haben, die die Proteste, sei es aus echter Überzeugung oder taktischem Opportunismus, unterstützt.“[26]

Joachim Gauck, ehemaliger Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten und ehemaliger Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, nannte die aktuelle „Antikapitalismusdebatte“ (Süddeutsche) „unsäglich albern“. Der Traum von einer Welt, in der man sich der Bindung von Märkten entledigen könne, sei eine romantische Vorstellung. In Anspielung auf die Staatsbanken in der DDR stellte er in Frage, dass Einlagen sicherer seien, wenn die Finanzwirtschaft durch Politiker geführt werde.[27]

Vermuteter Zeitgeist-Einfluss und Vertretungsanspruch

Die taz warnte unter der Überschrift „Die dunkle Seite des Bankenprotests“ vor einer „Unterwanderung“ der Occupy-Bewegung durch eine „obskure US-Vereinigung“ namens Zeitgeist-Bewegung, dem „aktivistischen Arm“ des sogenannten Venus-Projekts. Nach Angaben eines der Occupy-Organisatoren, der selbst zu dieser Bewegung gehöre, seien rund 25 der Protestierenden in den Zelten vor der EZB Zeitgeist-Anhänger. Diese reagierten in Frankfurt „allergisch auf Parteien und Gewerkschaften“ und verböten, so die taz, im Camp deren Flaggen und Symbole. Die Zeitgeist-Bewegung glaube an „eindeutige, wissenschaftliche“ Antworten auf gesellschaftliche Fragen und stütze sich auf den „Guru“ Peter Joseph, der eine „obskure Mischung von Religionskritik, Esoterik und Verschwörungstheorien“ propagiere.[28] Der Spiegel porträtierte den „Aktivisten“ Wolfram Siener, der in verschiedenen Medien[29] als ein Sprecher der Occupy-Bewegung auftrat. Siener beziehe sich auf den zweiten und dritten von Josephs Zeitgeist-Filmen, in der die Geld- und Zinspolitik der USA kritisiert werde und die, so der Spiegel, „streckenweise in Verschwörungstheorien abdriften“.[30] Knapp eine Woche später zog sich Siener wieder aus der Öffentlichkeit zurück.[31] Auf der Website von Occupy:Frankfurt wurde klargestellt, dass die Bewegung sich als Kollektiv verstehe und eine hierarchische Organisation ablehne; für Anfragen der Medien sei eine Gruppe von Sprechern zuständig.[32] Occupy:Frankfurt veröffentlichte einen kritischen Podcast zur Zeitgeist-Bewegung.[33]

Weblinks

 Commons: Occupy-Proteste in Deutschland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
 Commons: Deutschsprachige Transparente der Occupy-Bewegung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Spiegel Online am 15. Oktober 2011: Globale Proteste gegen Banken. 99 Prozent blieben zu Hause. Abgerufen am 7. November 2011.
  2. Website von Occupy Germany: Über uns. Archiviert vom Original, abgerufen am 7. November 2011.
  3. Hamburger Abendblatt am 18. Oktober 2011: Deutscher Occupy-Protest ist keine Massenbewegung. Abgerufen am 13. November 2011.
  4. Weser-Kurier am 10. November 2011: Experten bezweifeln Erfolg der Occupy-Bewegung. Abgerufen am 13. November 2011.
  5. Website von Occupy Germany: Occupy Gruppen in Deutschland, Stand 16. Oktober 2011. Abgerufen am 9. November 2011.
  6. Nordkurier am 6. November 2011: Politologe: „Occupy“ Teil einer globalisierten Protestkultur. Abgerufen am 8. November 2011.
  7. Berliner Umschau am 14. Oktober 2011: Globaler Protesttag am 15. Oktober. Abgerufen am 10. November 2011.
  8. a b Süddeutsche Zeitung am 15. Oktober 2011: Berlin, Frankfurt, München, mal kurz besetzt. Abgerufen am 10. November 2011.
  9. Manager-Magazin am 16. Oktober 2011: Weltweite Protestbewegung. Hunderttausende demonstrieren gegen Zockerbanken. Abgerufen am 17. Oktober 2011.
  10. Verena Hölzl: Occupy Frankfurt. Krieg den Banken – und zwar friedlich. In: Frankfurter Rundschau. 15. Oktober 2011, abgerufen am 16. Oktober 2011.
  11. taz online am 22. Oktober 2011: Mit Zelt für eine bessere Welt. Abgerufen am 22. Oktober 2011.
  12. NDR am 21. Oktober 2011: Occupy Hamburg - ein Protestcamp wächst. Abgerufen am 24. Oktober 2011.
  13. Soziales: Weltweiter Aktionstag gegen Auswüchse des Kapitalismus. In: Zeit Online. 15. Oktober 2011, abgerufen am 16. Oktober 2011.
  14. Die Tageszeitung am 6. November 2011: Mikrokosmos mit Gasherd. Abgerufen am 8. November 2011.
  15. SZ-Bericht: "Occupy"-Demonstrationen in Deutschland: Sie sind viele und sie kommen wieder In: süddeutsche.de vom 22. Oktober 2011.
  16. n-tv am 22. Oktober 2011: Occupy-Bewegung "keine Eintagsfliege". 10.000 protestieren gegen Banken. Abgerufen am 22. Oktober 2011.
  17. Zeit Online am 29. Oktober 2011: Occupy-Bewegung geht erneut auf die Straße. Abgerufen am 30. Oktober 2011.
  18. Frankfurter Rundschau am 5. November 2011: Mit Musik und Tröten. Abgerufen am 7. November 2011.
  19. NZZ Online am 12. November 2011: Demonstranten «umzingeln» Banken und Regierungsgebäude. Abgerufen am 12. November 2011.
  20. Spiegel Online am 12. November 2011: Berlin und Frankfurt – Tausende demonstrieren gegen die Macht der Banken. Abgerufen am 12. November 2011.
  21. Banken in die Schranken - Die Berliner Rede von "occupy. Abgerufen am 7. 13 2011.
  22. Linkspartei dringt auf Protest nach US-Vorbild. In: Focus am 9. Oktober 2011. Abgerufen am 10. Oktober 2011.
  23. Lafontaine ruft zu Bankenprotest à la New York auf. In: Berliner Morgenpost am 7. Oktober 2011. Abgerufen am 10. Oktober 2011.
  24. Bewegung 15. Oktober. Politiker solidarisieren sich mit den Protesten. In: Zeit Online. 15. Oktober 2011, abgerufen am 16. Oktober 2011.
  25. Renate Künast bei Welt Online am 17. Oktober 2011: „Wir haben keinen formalen Parteibeschluss dazu. Aber wir unterstützen die ‚Occupy Wall Street‘-Bewegung, die am vergangenen Wochenende ja auch in Deutschland zu breiten Protesten aufgerufen hatte.“ Abgerufen am 17. Oktober 2011.
  26. zeit.de: Seid umarmt, Protestler! - Auf der Straße überschaubar, in der Öffentlichkeit riesig: Medien und Politik feiern in skurriler Einhelligkeit die Occupy-Bewegung. Wie kann das sein?
  27. Gauck findet Antikapitalismus-Debatte albern. In: süddeutsche.de, 17. Oktober 2011. Abgerufen am 19. Oktober 2011
  28. Felix Dachsel: Occupy-Bewegung: Die dunkle Seite des Bankenprotests In: taz.de vom 21. Oktober 2011.
  29. Vgl. etwa Maybrit Illner (Fernsehsendung): Wolfram Siener, Sprecher der Bewegung "Occupy Frankfurt", im Gespräch mit Maybrit Illner. In: zdf.de vom 13. Oktober 2011; Fabian Herrmann: Kopf des Tages. Wolfram Siener - Das wütende Milchgesicht In: Financial Times Deutschland vom 16. Oktober 2011. Porträt.
  30. Stefan Schultz: Bankenkritiker Wolfram Siener: Hoffnungsträger der "Generation Occupy" In: spiegel.de vom 16. Oktober 2011.
  31. Frankfurter Rundschau am 17. Oktober 2011: Morddrohung gegen Occupy-Anführer. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  32. Occupy:Frankfurt; Pressemitteilung vom 22. Oktober 2011. Abgerufen am 23. Oktober 2011.
  33. Occupy:Frankfurt; Pressemitteilung vom 27. Oktober 2011. Abgerufen am 5. November 2011.

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