Straßenkinder in Rumänien

Straßenkinder in Rumänien

Die Straßenkinder in Rumänien (rumänisch copii de strada) sind mehrere Generationen verstoßener Kinder, Waisenkinder oder Ausreißer im Alter von 3 bis 17, die teilweise auch in größeren Gruppen auf den Straßen und in der Kanalisation zahlreicher Städte des Landes leben.

Über ihre landesweite Zahl besteht Uneinheit in der Literatur, Schätzungen zufolge waren es

  • 2000 – 3200 Kinder[1]
  • 2003 – 1900 Kinder[1]
  • 2004 – 1300 Kinder[2]

Andere Quellen gehen von rund 5.000 Kindern im Jahr 2005[3], 20.000 Kindern im Jahr 2001,[4] oder 30.000 Kinder (ohne Jahreszahl),[5] oder gar 100.000 in den Jahren 1997[6] und 2008[7] aus. Straßenkinder besitzen kaum Dokumente oder einen Ausweis, was eine genaue Erhebung erschwert.

Ihre Existenz war bereits vor der Rumänischen Revolution im Jahr 1989 bekannt, jedoch wurde das Problem in seinen ganzen Ausmaßen von den damaligen staatlichen Organen der Öffentlichkeit vorenthalten. Das Phänomen kam in den 1990er und den frühen 2000er Jahren zu seinem Höhepunkt; seither geht die Anzahl der Straßenkinder gemäß einiger Quellen zurück, andere sprechen davon, dass „die Obdachlosigkeit und damit auch die Zahl der Straßenkinder und -jugendlichen weiter dramatisch zunimmt“.[8]

Hilfe gibt es vorwiegend von nationalen und internationalen christlichen Gruppen sowie von Streetworkern.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

Obdachlosigkeit ist in Rumänien erst seit kurzem Gegenstand der Forschung. Studien weisen landesweit eine Zahl von 15.000 Obdachlosen aus, wobei die Organisation Ärzte ohne Grenzen allein in den Straßen von Bukarest bei circa zwei Millionen Einwohnern um die 5000 Betroffene vermutet.[2]

Die Altersstruktur Rumäniens weist die geburtenstärksten Bevölkerungszahlen in den Jahrgängen 1975–1979 auf.

Die Straßenkinder in Rumänien sind sowohl das Resultat der relativen Armut der Bevölkerung Rumäniens als auch seiner kommunistischen Vergangenheit. Nicolae Ceaușescu hatte die Vision, das rumänische Volk bis zur Jahrtausendwende auf 30 Millionen anwachsen zu lassen.[9] Bereits im Oktober 1966 wurde dass Dekret 770 erlassen, mit dem die Empfängnisverhütung verboten und Abtreibungen mit Freiheitsstrafen streng bestraft wurden. Frauen fanden zwar Wege zur illegalen Abtreibung, allerdings nur unter schwersten Bedingungen (siehe auch: 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage). Unter dieser Bevölkerungspolitik verdoppelte sich bereits ein Jahr später die Geburtenziffer.[10] Obwohl das Programm anfänglich von massiver finanzieller Förderung für Kindergärten und Schulen begleitet wurde, erwiesen sich diese sozialpolitischen Maßnahmen jedoch im Laufe der Jahre als unzureichend, und die daraus resultierenden sozialen Probleme in Rumänien sind heute noch groß.

Viele werdende Mütter versuchten, mit Drähten oder Medikamenten einen Abort einzuleiten. In der Folge kam es häufig zu Geburten behinderter Kinder. Diese wurden daraufhin in Sozialwaisenhäuser wie zum Beispiel das Kinderheim Cighid nahe der Stadt Oradea abgeschoben, wo neben behinderten Kindern unter anderem auch ungewollte Kinder eingeliefert wurden. Hier wurden die Irecuperabili (rumänisch die Unwiederbringlichen) unter unwürdigsten Bedingungen wie Vieh gehalten.[11] 40 Prozent der Menschen lebten unterhalb der Armutsgrenze, und insbesondere kinderreiche Familien waren vielfach der Zerrüttung ausgesetzt. In der Folge konnten zahlreiche Eltern nicht mehr für ihre Kinder aufkommen und gaben sie an Waisenhäuser ab, oder „warfen sie raus“. Die überfüllten Waisenhäuser konnten den Strom der verwaisten Kinder nicht aufnehmen. Es gab einige Fälle, in denen verzweifelte Eltern ihre Kinder töteten.[12] In den Waisenhäusern bediente sich auch die Geheimpolizei Securitate für ihren Nachwuchs.[13]

Nach der Revolution 1989 stieg die Zahl der nun legalen Schwangerschaftsabbrüche kurzfristig massiv an und erreichte 1990 gar eine Quote von 300 Abbrüchen auf 100 Geburten.[14] Noch heute lassen Mütter bei ungewollten Schwangerschaften oftmals ihre Babys gleich nach der Geburt im Krankenhaus zurück. In manchen Kliniken werden Gebärende zur Erleichterung von potentiellen späteren Ermittlungen inzwischen fotografiert, für den Fall „dass sie ohne ihr Baby klammheimlich das Weite suchen“.[15] 1997 lebten eine Million Kinder in staatlichen Heimen.[6]

Schätzungsweise 60.000 Kinder[9] flüchteten aus einem Familienalltag, in dem oft Alkohol, Gewalt und sexueller Missbrauch an der Tagesordnung waren.[3] 2001 waren 30 Prozent der rumänischen Frauen Gewalthandlungen ihrer Ehe- oder Lebenspartner ausgesetzt.[16] Noch 2006 zeigte eine Studie der UNICEF Romania, dass 73% der rumänischen Eltern ihre Kinder körperlich misshandelten. Mehr als eine Million rumänischer Kinder lebte in Armut, 350.000 davon in extremer Armut. Armut unter Roma-Kindern war drei Mal höher als unter den Kindern der Mehrheitsbevölkerung, und 27.000 rumänische Kinder lebten in diesem Jahr nicht in elterlicher Obhut, sondern in Institutionen oder anderen vom Staat anerkannten Einrichtungen.[1]

Durch andere Faktoren wie das Arbeiten von Eltern im Ausland entstand noch ein anders geartetes Problem alleinstehender rumänischer Kinder. Zwischen 16 und 18 Prozent der rumänischen Kinder zwischen 10 und 14 Jahren entbehren aus diesem Grund einen Elternteil:

  • 80.000 den Vater
  • 55.000 die Mutter
  • 35.000 beide Eltern

Ein Teil dieser Kinder wird durch Verwandte oder Nachbarn im Rahmen der Möglichkeiten und mit unterschiedlichem Einsatz sozial begleitet. Materiell geht es den hinterlassenen Kindern oft besser als ihren Altersgenossen, da die meisten Eltern regelmäßig Geld überweisen. Trotzdem neigen die Kinder zu Depressionen und Alkoholmissbrauch, und geraten nicht selten mit dem Gesetz in Konflikt. 2008 stieg auch die Rate der diesbezüglichen Selbstmorde von Jugendlichen an. Nach offiziellen Schätzungen arbeiten 14 Prozent der Gesamtbevölkerung im Ausland, nicht selten illegal. Die meisten davon sind junge Erwachsene, viele davon Eltern.[17]

Situation

Viele der Straßenkinder leben in der Kanalisation in der Nähe von Fernheizungsrohren, in U-Bahn Stationen, an Bahnhöfen oder auf Baustellen. Ihre Kleidung wird nicht selten durch Stricke zusammen gehalten; die Kinder sind oft sehr dreckig, und es besteht ein Mangel an Schuhwerk.[18] Für die Körperhygiene steht oft nur etwas Wasser aus Limonadenflaschen zur Verfügung.[4] Viele haben Tuberkulose und werden in Folge mangelnder Hygiene von Läusen und Flöhen geplagt, und viele leiden an Fußpilz. Vor allem die Älteren klagen über Geschlechtskrankheiten wie Syphilis und laufen ständig Gefahr, sich mit Aids oder Hepatitis zu infizieren.[5]

Das Schnüffeln der billigen Straßendroge „Aurolac“ aus Plastiktüten ist unter den Kindern weit verbreitet. Aurolac ist der Name einer rumänischen Marke eines synthetischen silber- oder goldfarbenen Verdünnungsmittels, das nach dem Inhalieren eine leichte halluzinogene Wirkung hat und die Kinder so ihre Ängste, Sorgen und den Hunger für einige Momente vergessen lässt. Diese Methode verursacht bei anhaltendem Gebrauch Herz- und Hirnerkrankungen und schädigt die Atemwege.[3][12][18] Unter dem Einfluss der Dämpfe legen die Kinder auch gelegentlich selbstverletzendes Verhalten an den Tag, in dem sie sich zum Beispiel mit Scherben Schnittwunden an den Armen zufügen.[19]

Es ist schwer zu den Straßenkindern Kontakt aufzunehmen. Sie bilden eine eigene, wenn auch raue Familie, die zusammenhält. Die Größeren „achten“ meist auf die Kleineren, jedoch herrscht auch oftmals das Gesetz des Stärkeren, und es bestehen starke Hierarchien,[20] in denen die älteren Kinder das Betteln und Stehlen der Jüngeren organisieren.[21] Betteln und Kleinkriminalität sind an der Tagesordnung. An vielen innerstädtischen Verkehrsampeln stürzen Straßenkinder auf die wartenden Autos zu und putzen die Scheiben in der Hoffnung auf etwas Geld, wobei sie sich häufig bekreuzigen.[22]

Hilfe und Unterstützung werden oft nicht angenommen, da in Institutionen immer Regeln und Verpflichtungen herrschen, die befolgt werden müssen. Die Straßenkinder hegen wohl den Wunsch auf ein „besseres Leben“, wollen aber „frei sein“ und haben Schwierigkeiten sich an ein Minimum an Regeln zu halten. Sie tauchen vorwiegend bei Schlechtwetter und im Winter an Hilfsstellen auf, um wenigstens eine warme Mahlzeit und einen sicheren Schlafplatz zu haben.[12] Die meisten von ihnen kehren danach wieder auf die Straße zurück. Hilfsorganisationen haben keine Illusionen weder über die Bandbreite und Größe ihrer Aufgabe noch über ihre zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten.[7] Infolge der meist fehlenden Ausweispapiere ist es den Kindern nicht erlaubt eine reguläre Schule zu besuchen.[4]

Rumänien, und hier vornehmlich Bukarest, ist eines der europäischen Hauptreiseländer für pädophile Straftäter. Insbesondere Straßenkinder sind ihre Opfer. Schätzungen ergeben, dass fünf Prozent der obdachlosen Kinder in Rumänien in die sexuelle Ausbeutung gezwungen werden. Gleichzeitig sind zunehmend Verhaftungen und mehrjährige Verurteilungen ausländischer Straftäter in Rumänien zu verzeichnen. Der Handel mit Frauen und Kindern zwecks sexueller Ausbeutung ist nach wie vor ein ernsthaftes Problem im Land. Das bereits im Jahr 2001 verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels führte in den ersten Jahren zu keinen nennenswerten Verbesserungen. Nach wie vor werden Frauen und Kinder aus Rumänien zur sexuellen Ausbeutung in West- und Osteuropa verschleppt, wobei gerade Straßenkinder schnell zu Opfern falscher Versprechen von Menschenhändlern werden. So sind Fälle bekannt, in denen sie in Hamburg, Berlin und Amsterdam zur Prostitution gezwungen wurden. Rumänien dient ebenfalls als Transitland zum Weitertransport für Opfer aus zahlreichen anderen Ländern, wie zum Beispiel der Türkei oder Thailand, in andere europäische Länder.[23] Der sexuelle Missbrauch von Kindern wird in Rumänien mit Haftstrafen bis zu fünfzehn Jahren geahndet. Rumänien ratifizierte im Oktober 1990 die UN-Kinderrechtskonvention, im Januar 2002 folgte das Zusatzprotokoll zur Ächtung von Kinderprostitution, Kinderhandel und Kinderpornografie.

2004 erklärte die rumänische Regierung, dass sich die Hilfsmaßnahmen der Regierungsstrategie im Bereich des Schutzes der in Schwierigkeiten geratenen Kinder (2001 – 2004)[24] als unwirksam erwiesen hatten, und stellte besser koordinierte Programme in Aussicht.[21] Neben den Kreisjugendämtern besteht ein Nationales Amt für den Schutz der Kinderrechte, sowie private und staatlichen Kinderheime, die allerdings nach wie vor mit Gewalt und sexuellem Missbrauch in Verbindung gebracht werden. Auch werden finanzielle Hilfen und psychosoziale Betreuung angeboten, welche Kinder vor dem Verlassen- und Ausgesetzt werden schützen sollen. Jedoch hielt das Land in Abstimmung mit der Europäischen Union 2005 an vielen harten Sparmaßnahmen im Sozialbereich fest.[3]

Zur Linderung des Problems wurden zwischen 1996 und 2001 mehr als 1500 Kindern ins Ausland zur Adoption vermittelt, jedoch oftmals ohne Nachberichte und unter fragwürdigen Bedingungen. Die rumänische Regierung setzte 2001 auf Druck der EU-Kommission alle Auslandsadoptionen aus. Trotz des Moratoriums wurde 2003 bekannt, dass wieder mehr als 1100 Kinder ins Ausland vermittelt worden waren, vor allem nach Italien. Seit 2004 dürfen nur noch die eigenen Großeltern ein rumänisches Kind ins Ausland adoptieren, und andere Ausländer nur, wenn sie seit mindestens fünf Jahren in Rumänien leben.[25]

Folgende Situationen und Initiativen sind aus den größeren Städten bekannt (Auswahl):

Bukarest

Pater Georg Sporschill

Etwa die Hälfte der rumänischen Straßenkinder lebt in Bukarest, am Bahnhof București Nord oder Stationen wie Piața Victoriei sind sie nicht zu übersehen. Allein hier lebten zeitweise über 3000 zumeist drogenabhängige Straßenkinder ohne nennenswerte medizinische Versorgung oder soziale Absicherung.

Jahrelanger Betreuer der Straßenkinder in Bukarest ist Pater Georg Sporschill[26] und sein Projekt Concordia; ein privatrechtlicher Verein mit Sitz in Wien, der 20 Einrichtungen in acht rumänischen Städten betreibt.[20]

Der Maristenbruder Antolín ist der Leiter des von der Caritas unterstützten Straßenkinderprojekts. 80 km nördlich von Bukarest entstand zwischen 2006 und 2009 eine Farm mit Häusern, Bäckerei und 10 Häusern, auf der circa 100 Straßenkinder leben und arbeiten.[7] Ziel des Projektes ist den Kindern und Jugendlichen eine Umgebung zu ermöglichen, in der sie eine positive Zukunftsperspektive entwickeln können.[1]

In dem Projekt Circus Parada, das von dem französischen Clown Miloud Oukili ins Leben gerufen wurde, lernen Straßenkinder sich in soziale Strukturen einzufügen. „In den von uns aufgeführten Menschlichen Pyramiden tragen die Starken das Elend der Schwachen. Auf den Straßen geht es genau andersherum zu. Dort müssen die Allerschwächsten die Starken tragen“, so Ouki. Über 300 Kinder konnten so reintegriert werden. Im Dezember 1999 erhielt Miloud Oukilis für seine Arbeit einen Preis von UNICEF.[27][28]

In Bukarest wurde auch das Offene Haus eingerichtet, eine Schule für Straßenkinder. Weitere Unterstützung erhalten sie von dem Casa „Robin Hood“, dem Arms Center, Casa Gavroche, Salvați Copiii, sowie Children in Distress.[6] Es gibt zwei Tageskliniken, die Straßenkindern in Bukarest zwar elementare medizinische Betreuung, aber keine ständige Unterbringung bieten. Das Casa „Sankt Ioan“ ist eine gemeinnützige Heimstatt für Straßenkinder mit nur 10 Betten. Die Fähigkeit der Kinder zur Rehabilitation wird vorher abgeschätzt und ist für eine Aufnahme hier Voraussetzung.

Timișoara

In Timișoara (deutsch Temeswar) lebten laut inoffiziellen Schätzungen 2005 noch mindestens 1.000 Menschen auf der Straße.[29] Zeitweilig hausten mehrere Gruppen von jeweils bis zu 100 Kindern im Alter von unter sechs bis 17 Jahren zur Winterzeit in der Kanalisation Timișoaras. Das Inhalieren von Schnüffelstoffen war hier weit verbreitet. Die Zeitung The Independent nannte sie 1994 the rat children (deutsch die Rattenkinder).[30][31]

1997 wurde die Zahl der Kinder mit bis zu 200 angegeben. Eine Erhebung ergab, dass über 80 Prozent der Kinder Jungen, 50 Prozent zwischen 10 und 14 Jahren alt, und über 40 Prozent nicht in Timișoara heimisch waren. 65 Prozent der tagsüber auf der Straße lebenden Kinder kehrten nachts zu Familien zurück.[32] 2001 gab es in Timișoara noch immer zwischen 200 und 250 Straßenkinder; zu dieser Zeit bestanden für ungefähr die Hälfte von ihnen Unterbringungsmöglichkeiten im Nachtasyl oder anderen Institutionen.[33]

Franz Brugger[34] beschrieb die Kinder der Straße:

„Von zu Hause weggelaufen, verstoßen, von sogenannten Kinderheimen ausgerissen und überall zu finden, das sind die Kinder der Straße. In den Bahnhöfen, Markthallen, Hinterhöfen von Wohnblocks und in der Kanalisation suchen sie Wärme, Geborgenheit und Unterschlupf. Ihren Hunger, die Kälte und die Angst betäuben sie meist mit Lack, den sie aus Plastikbeuteln schnüffeln. Dieses Schnüffeln bewirkt irreparable Schäden im Gehirn und verwehrt ihnen die Aufnahme in ein besseres Leben. Keine Schulbildung, kein Beruf, mal Gelegenheitsarbeit, mal betteln - warten auf was?“

Am 13. September 1994 gründete die deutsche Stiftung Kinderzukunft die Fundaţia Rudolf Walther Timişoara. Das Kinderdorf wurde für 5. Millionen DM gebaut und ist das erste Kinderdorf in Rumänien.[35] Im Jahr 2008 lebten 149 Kinder im Kinderdorf. Von ihnen schlossen 2009 neunundzwanzig erfolgreich die Schule und vier ihre Ausbildung ab. 17 von ihnen besuchten eine weiterführende Schule oder Universität.[36] Das Dorf umfasst auf einem Areal von 80000 Quadratmeter elf Wohnhäuser mit angegliederten Nutzgärten, einen Kindergarten und eine Schule, ein Verwaltungsgebäude mit Krankenstation und Räumen für Ärzte und Psychologen, ein Gästehaus, Rasenflächen und Sportstätten und ein Ausbildungszentrum für berufsvorbereitende Kurse.[37]

Pater Berno Rupp, Superior der Salvatorianer in Timișoara, hat 1999 zusammen mit dem Caritasverband der Diözese Timișoara das P. Jordan Haus initiiert. Das Nachtasyl bietet Straßenkindern 2 große Schlafsäle mit je 30 Betten für Männer über 16 Jahren und zwei weitere Schlafräume mit je 20 Betten für Frauen und Mädchen und für Jungen unter 16 Jahren. Neben einem Dach über dem Kopf gibt es ein warmes Abendessen, Frühstück, und weiterhin Zugang zu Waschgelegenheiten, frischer Kleidung und medizinischer Betreuung.[38] Pater Berno gründete außerdem eine Jugendfarm, ein Resozialisierungszentrum für Obdachlose und eine Kindertagesstätte für Kinder aus sozial schwachen Familien.[39] Die Jugendfarm (ehemalige Kolchose) wird für die Aufnahme und Zukunft von Straßenkindern seit einigen Jahren hergerichtet. Landwirtschaft, Mühle, Tischlerei und einiges mehr funktionieren und die ersten Kinder und Jugendlichen sind bereits dort. Seit Anfang 2008 sind auch die ersten 2 Wohnhäuser fertig und bezogen.[34]

Iași

Auf einer Farm in Podul Iloaiei bei Iași (deutsch Jassy) hat die Stiftung „Hoffnung der Kinder in Rumänien“ seit 1990 mehr als 150 Straßenkindern Obdach gegeben. Der Erfolg beruht auf Initiativen von Etienne Metreau und Daniel Rusu.[40]

Cluj-Napoca

Das Straßenkinder-Musikprojekt in Cluj-Napoca (deutsch Klausenburg) ermöglicht sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen im Rahmen einer Band ihre musikalischen Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen. Durchgeführt wird das Projekt von der Organisation „Luptatori pentru Speranta“. Die Kinder- und Jugendband spielt vor allem zwei Musikstilrichtungen, volkstümliche Roma-Musik und Manele. Die Band mit dem Namen „V.I.S.“ (deutsch Traum) besteht aus Jungen und Mädchen zwischen 8 und 16 Jahren, die von zwei Musiklehrern begleiten werden. Die Mitgliederzahl von „V.I.S.“ erweitert sich durch Beitritte weiterer Jungen und Mädchen ständig. Einmal wöchentlich finden die Bandproben statt, bei denen sie genügend Zeit haben neben dem Unterricht ihre Musikstücke einzustudieren. Da für viele der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen eine tägliche Mahlzeit keine Selbstverständlichkeit ist, wird während des Unterrichts ein Gratisessen bereitgestellt.[41]

Brașov

In Brașov (deutsch Kronstadt) lebten zwischen 20 bis 30 Straßenkinder in einem Alter von ab acht Jahren ständig am Bahnhof der Stadt. Hier lebten auch einige Mädchen im Alter von 15 bis 20 Jahren, die sich durch Prostitution Geld beschafften. Drogenfreie Acht- bis Vierzehnjährige konnten in der Wartehalle des Bahnhofs übernachten.

Die jüngeren Straßenkinder in Brașov sichern ihr Überleben mit dem Verkauf von Zeitungen in den in Brașov haltenden internationalen Fernzügen. Es fehlt aber an Kleidung und Schuhen, ganz besonders im Winter, und die medizinische Versorgung entfällt ganz. Die meisten der Straßenkinder hier waren nie in einem Heim.[5]

Sighișoara

In Sighișoara (deutsch Schäßburg) wurde 2007 durch die Evangelische Aktion Hoffnung für Osteuropa Hilfe zur Selbsthilfe zum Aufbau einer Infrastruktur für Straßenkinder gegeben. Mit dem Projekt zum Aufbau des Hauses des Lichts, einem Kinderheim mit integrierter Sonderschule für behinderte Kinder, entstand im Jahr 2007 in einem ehemaligen Pfarrhaus auch eine Zuflucht für zunächst 16 Straßenkindern.[42]

Andere Initiativen

SOS Kinderdörfer

Zurzeit gibt es in Rumänien drei SOS-Kinderdörfer, zwei SOS-Jugendeinrichtungen, zwei SOS-Kindergärten und sechs SOS-Sozialzentren. Die Hauptstandorte sind Bukarest, Cisnadie bei Sibiu, und Hemeiusi bei Bacau.[43]

Casa Don Bosco

Cincu (deutsch Groß-Schenk) im Kreis Brașov und Iacobeni (deutsch Jakobsdorf) im Kreis Sibiu sind Standorte der umstrittenen Stiftung des Kinderhilfsvereins „Casa Don Bosco“, das Straßenkinder betreut.[44] Der Leiter der Stiftung mit dem Namen Pater Donatus oder Don Demidoff trat bereits mit seinem Familiennamen Udo Erlenhardt unter anderem als der ehemalige Chefredakteur des ersten deutschen Schwulenmagazins DU&ICH und als schillernde Figur in der Affäre um den Bundeswehr-General Kießling 1984 in Erscheinung.

Mehrmals warnten das Erzbistum Freiburg und andere bundesdeutsche Diözesen so wie die Niederländische Bischofskonferenz vor „einem gewissen Pater Donatus Demidoff aus Amsterdam”, der deutsche Pfarreien um Spenden für die Einrichtung eines Heimes für heimatlose Jugendliche bat.[45] Der Mann sei kein katholischer Priester. Ihm wurde von verschiedener Seite die Veruntreuung von Spendengeldern zur Last gelegt.[46][47] Don Demidoff selbst bestreitet dies auf seiner Website und macht unter anderem Vertreter der römisch-katholischen und der rumänisch-orthodoxen Kirche für die gegen ihn gerichteten Angriffe verantwortlich.

Öffentliche Wahrnehmung

Die Bevölkerung reagiert mit Ablehnung und Diskriminierung auf die Kinder. Bezeichnend ist, dass das Wort Straßenkinder in der Umgangssprache gleichbedeutend ist mit Ratten oder Abschaum.[5] In den Köpfen vieler Rumänen gelten die Straßenkinder noch immer als der „soziale Sondermüll der Ära Ceausescu“.[3]

Straßenkinder fielen ebenfalls Misshandlungen seitens der Polizei zum Opfer. Im Januar 2003 drückte der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes seine Besorgnis über die zahlreichen Misshandlungs- und Foltervorwürfe im Hinblick auf Kinder aus. Außerdem wurde kritisiert, dass derartige Vorfälle keine effektiven Untersuchungen durch eine unabhängige Behörde nach sich zögen. Der Ausschuss rief Rumänien eindringlich auf, „sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um sämtliche Gewalt gegen Kinder zu unterbinden und gegen das vorherrschende Klima der Straflosigkeit für solche Taten vorzugehen“.[48]

Am 21. März 2009 wurden am Internationalen Tag der Straßenkinder durch die Kinderschutzbehörde in der Stadtmitte Timișoaras Ausstellungen mit Zeichnungen und Lebenserfahrungen ehemaliger Straßenkinder organisiert. Die Aktion fand unter dem Motto „Die Straße ist kein zu Hause“ statt.[49]

Henrike Bradiceanu-Persem nahm sich des Themas Straßenkinder in der gleichnamigen Szenette an, die 2000 beim Theaterfestival in Timișoara von der Autorin vorgetragen wurde.[50]

2003 fand in Iași die Premiere des Stücks Die Stelzen von Francisca Ricinski statt und handelt vom Leben der Straßenkinder. Für dieses Stück erhielt die Autorin den Theaterpreis der renommierten rumänischen Literaturzeitschrift „Convorbiri literare“.[51]

Der katalanische Regisseur Joan Soler Foyé porträtierte in seinem Film Abandonados/Abanonatii (deutsch Verlassen) eine Gruppe von Jugendlichen, die in der Kanalisation in der Nähe des Bahnhofs București Nord unter schwierigen Bedingungen lebt. Der Film wurde 2007 für den spanischen Filmpreis Goya in der Kategorie Bester Dokumentarkurzfilm nominiert und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den renommierten Premio Caracola-Alcances auf dem Filmfestival von Cádiz.

Mit dem Dokumentarfilm Wenn ich weine, schlägt mein Herz, einer deutsch-rumänischen Kooperation von 2008, haben Annett Schütze und ihr Team in Bukarest ein Porträt über vergessene Straßenkinder, die nicht aufgeben, gedreht. Der Hauptdarsteller Mustafa und fünf weitere Straßenkinder filmten mit einer Mini-DV-Kamera ihre ganz eigene Sicht auf ihr Leben inmitten von Drogen, Prostitution und Gewalt.[27]

Über die Möglichkeit des Anderen Dienstes im Ausland als Alternative zum deutschen Wehrersatzdienst haben auch zahlreiche junge Deutsche zur Unterstützung der Straßenkinder in Rumänien beigetragen.

Weblinks

Videodokumentation:

  • youtube.com, RTL, Rumänische Straßenkinder, Kinderzuhälter in Bukarest, 8:54 min
  • youtube.com, Streetwise Kids - Romania, in englischer und rumänischer Sprache, ohne Untertitel, 15:44 min
  • youtube.com, Russia Today: Slumdog Kids. Abandoned children of Romania, 16. September 2009, in englischer Sprache, 3:36 min
  • youtube.com, Public Broadcasting Service, European Journal, Erin Condit: Romanian Street Children. 9. Oktober 2008, in englischer Sprache, 5:12 min
  • youtube.com, Edet Belzberg: Children Underground (deutscher Titel Asphaltkinder in Bukarest), 2001, in englischer Sprache, 12 Teile von jeweils etwa 9 min, zusammen etwa 108 min: 123456789101112

Einzelnachweise

  1. a b c d frommelt.ag, Straßenkinder in Bukarest, 2003
  2. a b ec.europa.eu, European Commission DG Employment, Social Affairs and Equal Opportunities, Bill Edgar: Nationale Strategie zur Vorbeugung und Bekämpfung von Obdachlosigkeit. Der Weg zur festen Bleibe - Synthese Bericht, Norwegen 2006, Seite 16: Rumänien
  3. a b c d e dradio.de, Deutschlandfunk, Keno Verseck: Der Kanal, der Lack und der Tod. Die vergessenen Straßenkinder Rumäniens, 26. November 2005
  4. a b c youtube.com, Edet Belzberg: Children Underground (deutscher Titel Asphaltkinder in Bukarest), 2001, in englischer Sprache
  5. a b c d asirev.de, Markus Döhring: Straßenkinder in Brașov
  6. a b c zeit.de, Die Zeit, Christian Schmidt-Haeuer:Die Kinder vom Bahnhof Bukarest. Ein Volk hat seine Waisen verstoßen, 31/1997
  7. a b c youtube.com, Public Broadcasting Service, European Journal, Erin Condit: Romanian Street Children. 9. Oktober 2008, in englischer Sprache
  8. tlaxcala.es, Artikel aus România Liberă, Hans-Jürgen Falkenhagen, Brigitte Queck: Rumänien: Wahlmanipulation bei der Stichwahl zum Präsidentenamt vorprogrammiert, 30. November 2009
  9. a b spiegel.de, Der Spiegel, Anuschka Roshani: Die Eltern der Ratten, 52/1997
  10. Video-Dokumentation: Das Experiment 770, Westend Productions, Arte, 2004, 1:07:39; ausführlich siehe Gail Kligman: The Politics of Duplicity. Controlling Reproduction in Ceausescu's Romania. Berkeley: University of California Press 1998, (online-Vorschau)
  11. tagesspiegel.de, Der Tagesspiegel: Rumäniens vergessene Kinder: In der Heimat der wunden Seelen - Nach der Ceausescu-Diktatur dürfen sie wieder leben, 7. September 2000
  12. a b c ifsoz.org, Praktikum bei den Straßenkindern in Timișoara - Copii de strada - Hintergrund, Programm, Eindrücke, März 2001
  13. Susan Gal, Gail Kligman: Reproducing gender: politics, publics, and everyday life after socialism. Princeton University Press, 2000, ISBN 0-691-04868-1, S. 443, in englischer Sprache.
  14. The Alan Guttmacher Institute: Readings on Induced Abortion: A World Review 2000. New York 2001, S. 93 , in englischer Sprache.
  15. schmetterling.de, Von Brâncuși bis Straßenkinder, Politik, Kultur, Gesellschaft - Wissenswertes über ein Land voller Gegensätze
  16. ots.at, Prets: Diskriminierung von Frauen in Rumänien scharf verurteilt, Presseaussendung der SPÖ, März 2001
  17. verein-papageno.ch, Martin Bauer: Eltern als Geldlieferanten, Ostern 2008
  18. a b banaterzeitung.com, Banater Zeitung, Raluca Nelepcu und Olivian Ieremiciu: Wie der Traum zum Alptraum wird. Legale Drogen mit gefährlichen Nebenwirkungen, 11. Februar 2010
  19. taz.de, die tageszeitung, Keno Verseck: Ganz, ganz unten, 6. Januar 2007
  20. a b cms.wigeo-muenchen.de, WiGeo München e.V., Karl Hennermann, Johannes Rehner: Österreich - Ungarn - Rumänien, Bericht zur Exkursion vom 18. März bis 6. April 2003, WRU-Berichte, Heft 24, Materialien und Forschungsberichte aus dem Institut für Wirtschaftsgeographie der Universität München, Abschnitt 21: Das Straßenkinderprojekt St. Andrei in Bukarest, 2004
  21. a b news.bbc.co.uk, BBC, Glenda Cooper: Romania's blighted street children, 17. September 2004, in englischer Sprache
  22. panthersie-fuer-europa.steiermark.at, Shirin Hooshmandi, Ingrid Teodor: Straßenkinder in Bukarest, August 2009
  23. child-hood.com, Länderinformation Rumänien
  24. bonn.mae.ro, Generalkonsulat von Rumänien, Bonn: Kinderschutz, 2004
  25. derstandard.at, Der Standard, Norbert Mappes-Niediek: Rumänien: Dubiose Geschäfte mit Adoptionen, 23. Mai 2006
  26. aurora-magazin.at, Georg Sporschill: „Beharrlichkeit“ oder: „Die Überraschung auf der zweiten Meile“
  27. a b siebenbuerger.de, TV-Tipp: Wenn ich weine, schlägt mein Herz, 29. April 2010
  28. kinderkulturkarawane.de, KinderKulturKarawane: Clownpower against Indifference - Circus Parada in Bucharest, Romania
  29. gruene-europa.de, Petre Ilieșu, Stiftung Timișoara ’89 (rumänisch Fundația Timișoara ’89), 2005
  30. independent.co.uk, The Independent, Lucy Banwell: The rat children of Romania - winter bites and the street urchins head for the sewers, 9. Januar 1994
  31. packsofloveoutreach.org, Christliche Webseite mit Bildern von Straßenkindern in Timișoara, 2007
  32. rss.archives.ceu.hu, Valentina Teclici: The Resocialization of the street children, 1999
  33. erinnern.at, Roma und Sinti in Österreich, Karl Stojka: Interview mit Emred, 15. Mai 2001
  34. a b salvatorianer.at, Franz Brugger: Kinder der Straße - Menschen in Rumänien
  35. kinderzukunft.ro, Homepag der Rudolph-Walther-Stiftung Kinderzukunft, Filiale Timişoara
  36. kinderzukunft.de, Kinderdorf Rumänien feiert 15-jähriges Jubiläum
  37. kidslovefoundation.de, Kinderdorf Rumänien
  38. sds-austria.at, Salvatorianerkolleg Rumänien: Betreuung Straßenkinder - P. Jordan Haus
  39. kmf-net.de, Rundbrief der Regionen Münster und Sachsen: Rumänienreise, Dezember 2009
  40. angelfire.com, Nadejdea Copiilor din Romania: Die Geschichte der Farm
  41. art4peace.ch, Straßenkinder-Musikprojekt in Cluj (Rumänien)
  42. ekd.de, Evangelische Kirche in Deutschland, Nicole Kiesewetter: Osteuropa: Hilfsbedürftig trotz EU-Beitritt, 22. Februar 2007
  43. http://www.sos-kinderdorfinternational.org, SOS-Kinderdorf-Aktivitäten im Land
  44. Süddeutsche Zeitung vom 21. April 2006
  45. depeschedondemidoff.com, Depeche Don Demidoff
  46. dondemidoff.wordpress.com, Artikelsammlung über Don Demidoff
  47. kirchensumpf.to: Don Demidoff
  48. amnesty.de, Amnesty International: Jahresbericht, Rumänien, 2004
  49. temeswar.diplo.de, Deutsches Konsulat in Temeswar, Presseauswertung 16. - 22. März 2009, Renasterea Banateana: Internationaler Tag der Straßenkinder, 20. März 2009
  50. uebersetzercolloquium.de, Vita Henrike Bradiceanu-Persem
  51. fixpoetry.com, Biografie Francisca Ricinski

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