Die Sünderin

Die Sünderin
Filmdaten
Deutscher Titel Die Sünderin
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1951
Länge 100 Minuten
Altersfreigabe FSK 12
Stab
Regie Willi Forst
Drehbuch Willi Forst
Georg Marischka
Gerhard Menzel
Produktion Rolf Meyer
Helmuth Volmer
Musik Theo Mackeben
Kamera Václav Vich
Schnitt Max Brenner
Besetzung

Die Sünderin ist ein deutscher Film aus dem Jahr 1951. Er war auch wegen des nachfolgenden Skandals der Durchbruch der Schauspielerin Hildegard Knef. Der Film feierte seine Erstaufführung am 18. Januar 1951.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Die Handlung dreht sich um das Zusammenleben der Prostituierten Marina mit ihrem Freund, einem Maler. Marinas Mutter betrog ihren Stiefvater, der später von der Gestapo verhaftet wurde; sie selbst wurde vom Stiefbruder verführt und wird Zeugin des Mordes an ihrer Freundin.

Im Laufe des Films verliebt sich Marina in einen Maler, der an einem Gehirntumor erkrankt ist. Um die Operation zu finanzieren, versucht sie, wieder ihrem alten Gewerbe nachzugehen. Beide reisen nach Italien, wo sie vorübergehend Ablenkung finden. Die Operation bringt keine Heilung. Das Paar verlebt noch einige Tage in Wien. Später leistet Marina dem erblindeten Freund mit Schlaftabletten Sterbehilfe und begeht anschließend Selbstmord.

Eigentümlich sind die eingestreuten Kommentare Marinas aus dem Off, in denen sie mitfühlend mit ihrem „Liebsten“ und ohne Anflug von Selbstzweifel ihr Vorgehen rechtfertigt.

Hintergrund

Ursprünglich wollte Willi Forst in Marina eine moderne, sündige Maria Magdalena präsentieren, verzichtete aber auf Anraten der kirchlichen Filmreferenten Anton Kochs (katholisch) und Werner Hess (evangelisch) auf den religiösen Aspekt und arbeitete das Drehbuch grundlegend um. Die neue Fassung führte er im November 1950 Kochs und einem evangelischen Geistlichen vor. Beide waren auch davon nicht angetan, lehnten den Film aber nicht grundlegend ab.

Wenige Tage vor der für den 18. Januar vorgesehenen Filmpremiere reichte der Herzog-Filmverleih den Streifen bei der FSK ein und erhielt unerwartet am 15. Januar drei Tage vor der Premiere die Nachricht von der einstimmigen Verweigerung der Freigabe. Die sechs Prüfer, darunter eine Frau, hielten es für nicht hinnehmbar, dass Marina „die Prostituierung als einen selbstverständlichen Ausweg aus ihrer menschlichen und wirtschaftlichen Notlage wählt.“[1] Weiterhin werde Selbstmord und die Tötung auf Verlangen „als Selbstverständlichkeit und einzig richtiger Ausweg hingestellt“ und könne so „als Ideal erscheinen und zur Nachahmung anreizen.“[2] Dabei kritisierte der Ausschuss außerdem, es werde nicht genügend deutlich, dass Marina ein Versprechen einhalte und somit Tötung auf Verlangen vorliege.

Die Vertreter der Produktions- und der Verleihfirma setzten umgehend eine Krisensitzung am 16. Januar durch. Dabei äußerte Willi Forst, sein Film sei ein Kunstwerk und er fasse die Entscheidung des Ausschusses als persönliche Beleidigung auf. Er verlangte völlige Revision der Entscheidung, andernfalls werde er an die Presse gehen. Als die FSK-Vertreter seine Forderung ablehnten, verließ er die Besprechung. Produzent Rolf Meyer drohte, das FSK-Urteil zu übergehen und die FSK, die ja nicht auf gesetzlicher Grundlage, sondern nur aufgrund brancheninterner Absprache arbeitete, damit bloßzustellen.

Daraufhin legte die SPIO für den Morgen des 18. Januars eine Krisensitzung des Hauptausschusses fest, die SPIO-Präsident Ludwig Fasler leitete. Besonders der Vertreter der Hamburger Kultusbehörde kritisierte die Kirchenvertreter wegen ihrer Bedenken. Nach eineinhalbstündiger Diskussion über die mögliche schädliche Wirkung des Films wurde mit 9:4 Stimmen die Freigabe des Films beschlossen. Es wurde lediglich der Filmfirma empfohlen, Änderungen an zwei Aussagen Marinas vorzunehmen.

Wegen angeblicher Glorifizierung der Prostitution, der Sterbehilfe (angeblich bejahte der Streifen die Euthanasie) und des Suizids verweigerte die Kirche die weitere Mitarbeit an der FSK. Schon am Tag nach der entscheidenden Hauptausschusssitzung, die zur Freigabe des Films geführt hatte, trat der evangelische Filmbeauftragte Werner Hess mit der Begründung zurück, er könne einem Gremium, das derart entsittlichende Filme freigebe, nicht länger angehören. Daraufhin zog auch die Katholische Kirche ihren Vertreter aus der FSK ab. Bereits wenige Tage später einigten sich Länder, Filmwirtschaft und Kirchen jedoch über die weitere Zusammenarbeit in der FSK.

Der Film wurde Anlass eines Skandals und war monatelang Thema in Zeitungen und Zeitschriften. Schon in der ersten Woche nach der Premiere gab es vereinzelte Demonstrationen, darunter in Osnabrück. Anfang Februar rief der katholische Film-Dienst alle Katholiken zum Boykott der Sünderin auf. Das Kinoprogramm der meisten Städte erreichte der Film erst im Februar und März. Bei seinem Erscheinen wiederholten vielfach örtliche Honoratioren den Boykottaufruf.

Der Erzbischof von Köln, Kardinal Joseph Frings, verurteilte den Film in einem Hirtenbrief, der Ende Februar beim Anlaufen des Films in Köln verlesen wurde. Priester warfen Stinkbomben in Kinos, und Politiker verteilten Flugblätter mit Texten wie „Die Sünderin – Ein Faustschlag ins Gesicht jeder anständigen deutschen Frau! Hurerei und Selbstmord! Sollen das die Ideale eines Volkes sein?“[3].

Aufführungsverbote und die öffentliche Verurteilung von den Kanzeln verhalf dem Streifen zum großen Publikumserfolg. In größeren Städten wurden Diskussionsveranstaltungen organisiert, und es bildeten sich Aktionskomitees gegen den Film. Die größten Demonstrationen mit über 1000 Teilnehmern gab es nach Angaben des katholischen Film-Dienstes in Düsseldorf, Köln, Oberhausen, Ulm und Regensburg. In Regensburg kam es zu einer dreitägigen heftigen Auseinandersetzung zwischen Filmgegnern, Filmbefürwortern und der Polizei, wobei Stinkbomben auf der einen und Wasserwerfer auf der anderen Seite eingesetzt wurden.

Die Rheinische Post fragte am 5. März 1951 hinsichtlich der Situation in Köln: „Muß Polizei einen Schundfilm schützen?“ Da alle Versuche, ein Aufführungsverbot zu bewirken, vergeblich gewesen seien, könne nur eine „machtvolle Demonstration des Willens der gesund empfindenden Bevölkerung“ helfen.[4] In einem Duisburger Kino setzten, wie die Rheinische Post am 21. März 1951 berichtete, Filmgegner weiße Mäuse gegen die Sünderin ein, um eine Panik hervorzurufen.

Schon im Sommer 1951 verschwand der Film aus den Kinos. Die evangelische Filmgilde und die katholische Filmliga erhielten in der Folge des Skandals großen Zulauf. Im Oktober 1951 forderten die katholischen deutschen Bischöfe in einem Hirtenwort ausdrücklich alle Katholiken auf, der Filmliga beizutreten, weil viele von ihnen dem Film gegenüber noch nicht die notwendige Sicherheit und Selbständigkeit gewonnen hätten. Binnen eines Jahres folgten über eineinhalb Millionen Katholiken diesem Aufruf und verpflichteten sich als Mitglieder der Filmliga, nur vom Film-Dienst mit den Bewertungen „1“ oder „2“ empfohlene Filme zu besuchen.

Das auf den Filmkritiken des katholischen Film-Dienstes basierende Lexikon des internationalen Films resümierte: „Der erste Nachkriegsfilm Willi Forsts wurde zum größten Skandal des deutschen Films; […] Die […] Proteste kirchlicher und politischer Kreise machten ‚Die Sünderin‘ zum Kassenerfolg.“[5]

Entgegen verbreiteter Meinung war es nicht die Nacktszene Hildegard Knefs, gegen die sich der Protest richtete. Jürgen Kniep schrieb dazu: „Die Annahme, dass die Kirchen gegen die wenige Sekunden lang zu sehenden Brüste der Schauspielerin zu Felde gezogen seien, ist zwar aus dem heutigen Mythos Sünderin nicht wegzudenken, entbehrt aber jeder Grundlage.“[6] Erst Ende der 1960er Jahre wurde diese Verbindung hergestellt. So berichtete Bild am 26. Juni 1969, wegen der nur eine Sekunde nackt zu sehenden Hildegard Knef sei von Kirchenkanzeln gegen den Sittenverfall gewettert worden.

Kritik

Insgesamt kam der Film bei der Kritik ziemlich schlecht weg. Ab Ende Januar 1951 sprachen auch führende Vertreter der Filmclubs dem Werk den von Willi Forst beanspruchten künstlerischen Wert ab:

  • „[Der Film] ist künstlerisch belanglos und in der Wirkung verderblich, ja er ist geradezu ein Schulbeispiel für jene Einstellung, bei der sich Gewinnsucht hinter gespielter Ernsthaftigkeit verbirgt.“ – Theo Fürstenau: „Der Reigen“ und „Die Sünderin“, in: Westfälische Nachrichten (Ahaus), 3. Februar 1951, nach Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe!, S. 62–63.
  • „Die Biographie einer Dirne – als effektvolles ‚Zeitschicksal‘ in Szene gesetzt und mit jener kommerziellen Gefühligkeit ausgestattet, die keine wirkliche Tragik zulässt. In so verlogener Zubereitung muß ein derartiger Stoff auch dann anstößig wirken, wenn die Regie auf den lasziven Anstrich einiger Szenen verzichtet hätte. Abzulehnen wegen hinnehmender Darstellung der Prostitution und der Tötung auf Verlangen sowie der romantischen Verklärung des Selbstmordes. (Spätere Schnitte vermochten den negativen Gesamteindruck nicht aufzuheben.)“6000 Filme. Kritische Notizen aus den Kinojahren 1945 bis 1958. Handbuch V der katholischen Filmkritik, 3. Auflage, Verlag Haus Altenberg, Düsseldorf 1963, S. 419.
  • „Kolportagehaftes Nachkriegsdrama; der Doppelselbstmord und eine Nacktszene der Knef machten den Film damals zum großen skandalträchtigen Kassenschlager.“ (Wertung: 2 Sterne = durchschnittlich)Adolf Heinzlmeier und Berndt Schulz in Lexikon „Filme im Fernsehen“ (Erweiterte Neuausgabe). Rasch und Röhring, Hamburg 1990, ISBN 3-89136-392-3, S. 790.

Zensur

Im Jahr 1954 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass auch die Freiheit des Films durch das Grundgesetz geschützt sei und die Polizei ihn keinesfalls zensieren dürfe. Die Freiheit der Kunst nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterliegt nicht den Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, besonders nicht der polizeilichen Generalermächtigung.[7] [8]

Literatur

  • Kirsten Burghardt: Werk, Skandal, Exempel. Tabudurchbrechung durch fiktionale Modelle. Willi Forsts «Die Sünderin» [BR Deutschland, 1951]. In: Diskurs Film, Bibliothek. Band 11. Diskurs-Film-Verlag Schaudig und Ledig, München 1996, 372 S., ISBN 3-926372-61-3 (zugleich Dissertation an der Universität München, 1994/1995)
  • Jürgen Kniep: „Keine Jugendfreigabe!“. Filmzensur in Westdeutschland 1949-1990. In: Moderne Zeit. Band 21, Wallstein, Göttingen 2010 ISBN 978-3-8353-0638-7.

Einzelnachweise

  1. Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe!, S. 54–55.
  2. Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe!, S. 55.
  3. http://www3.ndr.de/ndrtv_pages_special/0,,SPM5114,00.html?mode=item&IID=16978&LID=28
  4. Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe!, S. 60–61.
  5. http://www.deutsches-filminstitut.de/caligari/dt2fcf0276.htm
  6. Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe!, S. 63.
  7. BVerwGE 1, 303 - "Sünderin"-Fall (21. Dezember 1954), GG Art. 5 Urteil des I. Senats vom 21. Dezember 1954 -- BVerwG I C 14/53 -- online z.B. unter servat.unibe.ch
  8. vgl. z.B. Skandal total, unter SPON

Weblinks


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