- Dietrich Schwanitz
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Dietrich Schwanitz (* 23. April 1940 in Werne an der Lippe, Nordrhein-Westfalen; † wahrscheinlich 17. Dezember 2004 in Hartheim bei Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Anglist, Literaturwissenschaftler und Autor.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Dietrich Schwanitz wuchs als dritter Sohn eines Lehrer-Ehepaares in Bergkamen-Rünthe im nördlichen Ruhrgebiet und nach dem Zweiten Weltkrieg teilweise bei mennonitischen Bergbauern in der Schweiz auf, bis zum elften Lebensjahr ohne Schulbesuch. Nach seiner Rückkehr wurde er dennoch in die höhere Schule aufgenommen.
Er studierte Anglistik, Geschichte und Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, in London, Philadelphia und Freiburg im Breisgau. An der dortigen Albert-Ludwigs-Universität wurde er auch 1971 mit der Dissertation George Bernard Shaw – Künstlerische Konstruktion und unordentliche Welt zum Dr. phil. promoviert. 1973 heiratete er seine Frau Gesine, mit der er einen Sohn und eine Tochter hatte. Er lehrte nach einer Lehrzeit an der Universität Mannheim von 1978 bis zu seiner Frühpensionierung 1997 an der Universität Hamburg als Professor Englische Literatur und Kultur.
Schwanitz ist Autor des 1995 veröffentlichten Romans Der Campus, in dem es um politische Intrigen und die Instrumentalisierung des Vorwurfs sexueller Belästigung am Beispiel einer in der Hamburger Universität angesiedelten Romanhandlung (mit durchaus erkennbaren Ähnlichkeiten zu real existierenden Personen) geht. Das Buch, in dessen Romanhandlung auch die soziologisch bedeutsame Unterscheidung zwischen „formellen“ und „informellen“ Organisationsbereichen und ihren unterschiedlichen Machtkomponenten aufscheint, wurde, insbesondere nachdem es von Regisseur Sönke Wortmann mit Heiner Lauterbach und Sandra Speichert verfilmt wurde und im Februar 1998 in die deutschen Kinos kam, zum Bestseller.
Ebenfalls an der Uni Hamburg angesiedelt und als sequel dem Campus-Roman folgend, freilich mit anderen Protagonisten, ist Schwanitz’ Krimikomödie Der Zirkel, eine Satire auf den gegenwartsdeutschen Wissenschaftsbetrieb und seine gesamtdeutsche Hochschulpolitik. Die deutsche Universität erscheint als verfilzt, versifft, verstunken, grotesk bürokratisch, prinzipbedingt mittelmäßig und damit auch grundsätzlich unreformierbar. Ihr „desolater Zustand“ kann von den neuen deutschen Machteliten „nur noch mit Mühe verschleiert“ werden. In der Krimihandlung des Buches werden wie schon im Campus in amüsant-aufklärerischer Form Besonderheiten und kuriose Fehlentwicklungen aus den Hochschulsystemen Westdeutschlands und der DDR (vor und nach der Wiedervereinigung) pointiert dargestellt. Kontrastiv dazu lobt der Autor in gelegentlichen Anspielungen angloamerikanische Universitäten ob „ihrer kulturellen Betriebsamkeit und optimistischen Atmosphäre“.
Dietrich Schwanitz’ Sachbuch Bildung. Alles, was man wissen muß (1999) wurde ebenfalls zum Bestseller. Darin macht er als anglophon orientierter Homme de Lettres einen Streifzug durch das moderne Wissen aus Geschichte, Literatur, Philosophie, Kunst und Musik, die seiner Meinung nach zum Bildungskanon in Deutschland gehören sollten. Diese Zusammenstellung hat allerdings in Kritikerkreisen kontroverse Diskussionen hervorgerufen. Schwanitz war zudem ein Kritiker der Rechtschreibreform von 1996.
Am 21. Dezember 2004 wurde er tot in seiner süddeutschen Zweitwohnung in Hartheim bei Freiburg aufgefunden. Schwanitz war vermutlich an den Folgen einer Lungenembolie gestorben. Die Obduktion ergab als wahrscheinlichen Todestag den 17. Dezember 2004.
Werk
Nachdem Dietrich Schwanitz jahrzehntelang als unauffällig-bemühter deutscher Hochschullehrer und Anglistikprofessor, dem ausweislich seiner 1993 erschienenen Einführung für Studierende didaktische Aspekte nicht gleichgültig waren, seiner "Pflicht des Tages" nachkam, wurde er als Autor des bisher verbreitetsten deutschen Campus-Romans (1995) rasch bekannt und prominent. Schwanitz nutzte als Schriftsteller seine literarhistorischen Kenntnisse, insbesondere der ambitionierten US-amerikanischen und britischen Unterhaltungsliteratur des 20. Jahrhunderts im allgemeinen und schloss im besonderen an die Satire-Romane von David Lodge an. Darüber hinaus kritisierte Schwanitz als der europäischen Aufklärung verpflichteter Intellektueller den medien- und großkapitalistisch beeinflussten Prozess der Kommerzialisierung von Kultur und Zivilisation, Bildung und Universität als "Karnevalisierung" der europäischen Zivilisation und Kultur. Literaturwissenschaftlich ist er u. a. seit Anfang der 1990er Jahre durch Pionierbeiträge zur neuartigen und mittlerweile im Methodenkanon fest etablierten systemtheoretischen Literaturwissenschaft in Erscheinung getreten.
Schriften
- Georg Bernard Shaw: Künstler, Konstruktion und unordentliche Welt. Thesen, Frankfurt am Main 1971, ISBN 3-7677-0004-2
- Systemtheorie und Literatur. Ein neues Paradigma. Westdt. Verl., Opladen 1990. ISBN 978-3531221571.
- Literaturwissenschaft für Anglisten: Das studienbegleitende Handbuch. Hueber, Ismaning 1993, ISBN 3-19-006957-3
- Englische Kulturgeschichte. Von 1500 bis 1914. Eichborn, 2000, ISBN 978-3821809748.
- Shakespeare und die Liebe. Ein Beispiel für die Applikation der Systemtheorie auf die Literatur. Fernuniversität, Hagen 1996
- Das Shylock-Syndrom oder die Dramaturgie der Barbarei. Eichborn, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-8218-0970-1
- Der Campus. Goldmann-Taschenbuch, München 1996, ISBN 3-442-43349-5
- Der Zirkel: Romantische Komödie. Eichborn, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-8218-0560-9
- Amoklauf im Audimax. Rowohlt-Taschenbuch, Reinbek 1998, ISBN 3-499-43326-5
- Bildung. Alles, was man wissen muß. Eichborn, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-8218-0818-7
- Die Geschichte Europas. Eichborn, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-8218-0859-4
- Männer: Eine Spezies wird besichtigt. Eichborn, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-8218-0858-6
- Shakespeares Hamlet und alles, was ihn für uns zum kulturellen Gedächtnis macht. Eichborn, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-821-85579-7
Siehe auch
- Allgemeinbildung, Halbbildung
- Campus-Roman, Universitätssatiren von David Lodge
Weblinks
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