- Differenzierbarkeit
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Als Differenzierbarkeit bezeichnet man in der Mathematik die Eigenschaft einer Funktion, sich lokal um einen Punkt in eindeutiger Weise linear approximieren zu lassen. Der Begriff Differenzierbarkeit ist nicht nur für reellwertige Funktionen auf der Menge der reellen Zahlen erklärt, sondern auch für Funktionen mehrerer Variablen, für komplexe Funktionen, für Abbildungen zwischen Vektorräumen und für viele andere Typen von Funktionen und Abbildungen. Für manche Typen von Funktionen (zum Beispiel für Funktionen mehrerer Variablen) gibt es mehrere verschiedene Differenzierbarkeitsbegriffe.
Die Differenzierbarkeit gehört zu den Problemstellungen der Differentialrechnung, eines Teilgebiets der Analysis.
Reellwertige Funktionen einer reellen Veränderlichen
Definitionen
Im einfachsten Fall betrachtet man eine reellwertige Funktion einer reellen Variablen, also eine Funktion aus der Menge der reellen Zahlen in sich selbst.
1. Definition: Eine Funktion f ist genau dann differenzierbar an einer Stelle x0 ihres Definitionsbereichs, wenn eine reelle Zahl a und eine Funktion r (Fehler der Approximation) existieren, derart, dass:
und r von höherer als erster Ordnung gegen 0 geht (das heißt für ). Die Funktion f lässt sich also in der Nähe von x0 durch lineare g mit
bis auf den Fehler r approximieren. Den Wert a bezeichnet man als die Ableitung von f an der Stelle x0.
2. Definition: Eine Funktion f ist genau dann differenzierbar an einer Stelle x0 ihres Definitionsbereichs, wenn der Grenzwert
existiert. Diesen Grenzwert bezeichnet man als die Ableitung von f an der Stelle x0.
Beide Definitionen sind äquivalent.
Wenn eine Funktion f an einer Stelle x0 differenzierbar ist, schreibt man für die Ableitung .
Eine Funktion heißt genau dann differenzierbar (ohne Einschränkung auf einen speziellen Punkt), wenn sie an jeder Stelle ihres Definitionsbereichs differenzierbar ist. Die Funktion heißt Ableitungsfunktion oder kurz: Ableitung von f.
Erläuterungen
- Grafisch lässt sich die Eigenschaft Differenzierbarkeit so deuten, dass eine Funktion genau dann differenzierbar ist, wenn an jedem Punkt des Graphen von f genau eine Tangente existiert.
- Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit. Die Umkehrung gilt nicht. Die unten angeführten nicht differenzierbaren Funktionen sind alle stetig.
Beispiele für differenzierbare Funktionen
Aus den Ableitungsregeln folgt:
- Jede Funktion, die sich durch ein Polynom darstellen lässt, ist differenzierbar.
- Summen, Produkte und Quotienten von differenzierbaren Funktionen sind differenzierbar.
- Verkettungen von differenzierbaren Funktionen sind differenzierbar.
- Die Umkehrfunktion f − 1 einer bijektiven differenzierbaren Funktion f ist genau dann an der Stelle y0 = f(x0) differenzierbar, wenn ist.
Aus den Grenzwertsätzen für Potenzreihen folgt:
- Jede Funktion, die lokal durch eine Potenzreihe dargestellt werden kann, ist differenzierbar.
Beispiele für nicht oder nicht überall differenzierbare Funktionen
Wurzelfunktion
Die Wurzelfunktion , ist an der Stelle x0 = 0 nicht differenzierbar. Der Differenzenquotient
strebt für gegen unendlich, konvergiert also nicht. Der Graph der Funktion hat an der Stelle x0 eine Tangente, diese verläuft aber vertikal und besitzt deshalb keine Steigung.
Betragsfunktion
Die Betragsfunktion f(x) = | x | ist an der Stelle 0 nicht differenzierbar.
Für x > 0 ist f(x) = x und damit
- .
Für x < 0 ist dagegen f(x) = − x und folglich
- .
Da der links- und der rechtsseitige Grenzwert nicht übereinstimmen, existiert der Grenzwert nicht. Die Funktion f ist somit an der betrachteten Stelle nicht differenzierbar.
Es existieren an der Stelle 0 jedoch die rechtsseitige Ableitung
und die linksseitige Ableitung
- .
Der Funktionsgraph hat an der Stelle 0 einen Knick. Es gibt sozusagen eine linksseitige Tangente mit Steigung -1 und eine rechtsseitige mit Steigung +1. Zu jeder Steigung zwischen -1 und +1 gibt es eine Gerade, die den Funktionsgraph im Punkt (0,0) „berührt“, aber sich nicht „anschmiegt“.
Dies ist ein typisches Verhalten für abschnittsweise definierte Funktionen, wo an den Nahtstellen zwar die Funktionswerte zusammenpassen, aber nicht die Ableitungen.
Die Graphen von differenzierbaren Funktionen haben demgegenüber keine Knicke.
Ein drittes Beispiel
Die Funktion
ist an der Stelle 0 stetig aber nicht differenzierbar (aber überall sonst). Für den Differenzenquotient an der Stelle 0 gilt
Der Limes für existiert nicht. Es existieren auch keine einseitigen Grenzwerte. Vielmehr pendelt der Differenzenquotient, wenn x gegen 0 geht, unendlich oft zwischen den Werten -1 und 1 und nimmt dabei jeden Zwischenwert unendlich oft an.
Weierstraß-Funktion
Die nach ihrem Entdecker benannte Weierstraß-Funktion
ist überall stetig, aber nirgends differenzierbar.
Wiener-Prozess
Weitere Beispiele liefert die mathematische Brownsche Bewegung: Fast jeder Pfad eines Wiener-Prozesses ist als Funktion stetig, aber nirgends differenzierbar.
Stetige Differenzierbarkeit und höhere Ableitungen
Eine Funktion heißt stetig differenzierbar, wenn ihre Ableitung stetig ist. Selbst wenn eine Funktion überall differenzierbar ist, muss die Ableitung nicht stetig sein. Zum Beispiel ist die Funktion
an jeder Stelle, inklusive x = 0, differenzierbar. Die Ableitung
ist aber an der Stelle 0 nicht stetig.
Eine Funktion f heißt zweimal differenzierbar, wenn ihre Ableitungsfunktion differenzierbar ist. Entsprechend wird dreimal, viermal, …, k-mal differenzierbar definiert. Die höheren Ableitungen werden mit , , , …, bezeichnet.
Da aus der Differenzierbarkeit einer Funktion die Stetigkeit folgt, sind bei einer zweimal differenzierbaren Funktion die Funktion selbst und die erste Ableitung automatisch stetig. Die zweite Ableitung braucht jedoch nicht stetig zu sein. Entsprechend sind bei einer k-mal differenzierbaren Funktion die Funktion selbst und alle Ableitungen , , …bis zur (k − 1)-ten Ableitung stetig. Für die k-te Ableitung braucht dies jedoch nicht zu gelten. Ist diese auch stetig, so nennt man f k-mal stetig differenzierbar. Sind alle Ableitungen wieder differenzierbar, so nennt man die Funktion unendlich oft differenzierbar.
Die Menge aller k-mal stetig differenzierbaren Funktionen mit der Definitionsmenge D bezeichnet man als Ck(D). Die Menge der unendlich oft differenzierbaren Funktionen heißt . Eine k-mal stetig differenzierbare Funktion nennt man daher auch Funktion der Differentiationsklasse Ck, kurz: Funktion der Klasse Ck oder Ck-Funktion. Eine unendlich oft differenzierbare Funktion heißt entsprechend Funktion der (Differentiations-)Klasse oder -Funktion.
Die Funktion
ist differenzierbar, ihre Ableitung ist die Funktion , die stetig, aber an der Stelle 0 nicht differenzierbar ist. Die Funktion f ist also stetig differenzierbar, aber an der Stelle 0 nicht zweimal differenzierbar. Entsprechend ist die Funktion
(k − 1)-mal differenzierbar, aber an der Stelle 0 nicht k-mal differenzierbar.
Komplexe Funktionen
Es sei eine offene Teilmenge der komplexen Ebene und ein Punkt dieser Teilmenge. Eine Funktion heißt komplex differenzierbar im Punkt z0, falls der Grenzwert
existiert. In diesem Fall bezeichnet man diesen Grenzwert als .
Eine Funktion f heißt holomorph im Punkt z0, falls eine Umgebung von z0 existiert, in der f komplex differenzierbar ist.
Reellwertige Funktionen mehrerer Variablen
Für Funktionen mehrerer Veränderlicher, also Funktionen, die auf offenen Teilmengen des euklidischen Raums definiert sind, gibt es mehrere verschieden starke Begriffe der Differenzierbarkeit. Im Folgenden sei eine offene Menge. Die Elemente des können als n-Tupel geschrieben werden. Weiter sei eine Funktion gegeben. Wir betrachten einen festen Punkt und betrachten Differenzierbarkeit im Punkt a.
Partielle Differenzierbarkeit
Dies ist der schwächste Differenzierbarkeitsbegriff. Die Funktion f heißt partiell differenzierbar am Punkt a in Richtung xi, falls die partielle Ableitung
existiert. Man betrachtet also alle Variablen bis auf xi als konstant und betrachtet die so erhaltene Funktion einer Veränderlichen.
Die Funktion f heißt partiell differenzierbar, wenn in jedem Punkt alle partiellen Ableitungen existieren. Sie heißt stetig partiell differenzierbar, falls alle partiellen Ableitungen stetige Funktionen von nach sind.
Aus partieller Differenzierbarkeit folgt nicht die Stetigkeit, sondern nur Stetigkeit in Richtung der Koordinatenachsen.
Richtungsableitung
Ist ein Einheitsvektor, so ist die (beidseitige) Richtungsableitung von f in Richtung v an der Stelle a definiert als
- .
Betrachtet man nur positive h, so erhält man die einseitige Richtungsableitung
- .
Die Funktion f heißt (einseitig) differenzierbar in Richtung von v, falls die (einseitige) Richtungsableitung von f in Richtung v existiert. Die Richtungsableitungen in Richtung der Einheitsvektoren der Standardbasis sind gerade die partiellen Ableitungen
- .
Totale Differenzierbarkeit
Die Funktion f heißt total differenzierbar im Punkt a, falls eine lineare Abbildung und eine Funktion r existieren, so dass sich f bis auf den Fehler r durch L approximieren lässt,
- f(a + v) = f(a) + Lv + r(v),
und r von höherer als erster Ordnung gegen 0 geht, das heißt für .
Die lineare Abbildung L heißt (totale) Ableitung von f im Punkt a. Sie wird mit Df(a) bezeichnet. Die Matrixdarstellung bezüglich der Standardbasis heißt Jacobi-Matrix und wird mit Jf(a) bezeichnet. Die Funktion f heißt total differenzierbar, falls sie in jedem Punkt total differenzierbar ist.
Eine total differenzierbare Funktion ist auch stetig.
Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Differenzierbarkeitsbegriffen
- Ist f beidseitig differenzierbar in jede Richtung, so ist f insbesondere partiell differenzierbar.
- Ist f total differenzierbar, so ist f differenzierbar in jede Richtung (also insbesondere auch partiell differenzierbar). Die Einträge der Jacobi-Matrix sind die partiellen Ableitungen
- .
- Man erhält die Richtungsableitung in Richtung , indem man die totale Ableitung (eine lineare Abbildung) auf den Vektor v anwendet.
Die Umkehrungen gelten nicht:
- Aus der partiellen Differenzierbarkeit folgt weder die totale Differenzierbarkeit noch die beidseitige oder einseitige Differenzierbarkeit in Richtungen, die keine Koordinatenrichtungen sind.
- Auch aus der beidseitigen Differenzierbarkeit in alle Richtungen folgt nicht totale Differenzierbarkeit. Selbst dann nicht, wenn der Kandidat für die totale Ableitung, die Abbildung , linear ist.
Anders ist es, wenn man nicht nur die Existenz, sondern auch die Stetigkeit der partiellen Ableitungen voraussetzt.
- Ist f stetig partiell differenzierbar, so ist f auch total differenzierbar.
Man nennt stetig partiell differenzierbare Funktionen deshalb auch einfach stetig differenzierbar. Auch hier gilt die Umkehrung nicht:
- Aus totaler Differenzierbarkeit folgt nicht die Stetigkeit der partiellen Ableitungen.
Insgesamt gilt somit:
- stetige partielle Differenzierbarkeit ⇒ totale Differenzierbarkeit ⇒ Differenzierbarkeit in jede Richtung ⇒ partielle Differenzierbarkeit,
es gilt jedoch keine der Umkehrungen.
Beispiele
- Jede Funktion, die sich als Polynom in den Variablen darstellen lässt, ist stetig differenzierbar.
- Summen, Produkte, Quotienten und Verkettungen von stetig differenzierbaren Funktionen sind stetig differenzierbar.
Gegenbeispiele
Alle Beispiele sind Funktionen auf dem . Die Koordinaten werden mit x und y bezeichnet statt mit x1 und x2. Von Interesse ist hier nur die Differenzierbarkeit und Stetigkeit am Ursprung (0,0). Überall sonst sind die Funktionen stetig differenzierbar.
Partiell differenzierbar, aber nicht stetig und nicht alle Richtungsableitungen
Die Funktion
ist an der Stelle (0,0) partiell differenzierbar. Auf den Koordinatenachsen hat die Funktion konstant den Wert 0, das heißt für alle x und y gilt
- f(x,0) = f(0,y) = 0.
Daraus folgt
- .
Die Funktion ist jedoch bei (0,0) nicht stetig. Auf der ersten Winkelhalbierenden (mit Ausnahme des Ursprungs) hat f konstant den Wert eins (f(t,t) = 1). Nähert man sich dem Ursprung auf der ersten Winkelhalbierenden, so streben die Funktionswerte also gegen 1. Die Richtungsableitung in andere Richtungen als die der Koordinatenachsen existieren nicht.
Die Funktion
ist an der Stelle (0,0) partiell differenzierbar und stetig. Alle einseitigen Richtungsableitungen existieren, aber außer in die Koordinatenrichtungen nicht die beidseitigen.
Einseitige, aber keine beidseitigen Richtungsableitungen
Die Normfunktion
verallgemeinert die Betragsfunktion. Sie ist überall stetig.
Für jeden Einheitsvektor existiert die einseitige Richtungsableitung von f in (0,0) und es gilt
Die beidseitigen Richtungsableitungen existieren jedoch nicht, denn sonst müsste D − vf(0,0) = − Dvf(0,0) gelten. Insbesondere ist die Funktion auch nicht partiell differenzierbar.
Alle Richtungsableitungen existieren, aber definieren keine lineare Abbildung
Hier existieren alle Richtungsableitungen, für die partiellen Ableitungen gilt
Die Abbildung ist jedoch nicht linear. Für den Einheitsvektor gilt
während
Alle Richtungsableitungen, aber nicht total differenzierbar
Hier existieren alle Richtungsableitungen, für jeden Vektor gilt Dvf(0,0) = 0. Insbesondere ist f partiell differenzierbar mit
und die Abbildung
ist die Nullabbildung, also trivialerweise linear.
Die Funktion ist auch stetig. Sie ist jedoch an der Stelle (0,0) nicht total differenzierbar. Wäre sie es, so wäre L = Df(0,0) die Nullabbildung und für jeden Vektor v = (v1,v2) gälte
- f(v1,v2) = f(0,0) + L(v1,v2) + r(v1,v2) = 0 + 0 + r(v1,v2).
Für das Fehlerglied r(v) = r(v1,v2) gälte also
- .
Setzt man v1 = h2 und v2 = h mit h > 0, so erhält man
- und , also .
Für h gegen 0 geht dieser Term gegen statt gegen 0.
Total differenzierbar, aber nicht stetig partiell differenzierbar
Diese Funktion ist der entsprechenden Beispielfunktion einer Variablen nachgebildet, der Nachweis verläuft im Prinzip genauso wie dort.
Die Funktion ist an der Stelle (0,0) total differenzierbar, die Ableitung ist die Nullfunktion. Nähert man sich dem Nullpunkt, so divergieren jedoch die partiellen Ableitungen, zum Beispiel geht der Betrag von
gegen unendlich für x gegen 0
Abbildungen zwischen endlich-dimensionalen Vektorräumen
Eine Abbildung F von einer offenen Menge in den Vektorraum lässt sich durch ihre Komponentenfunktionen darstellen:
- mit für .
Differenzierbarkeit von F lässt sich dann auf Differenzierbarkeit der fi zurückführen. F ist (im Punkt ) genau dann partiell differenzierbar (differenzierbar in Richtung des Vektors v, total differenzierbar, stetig partiell differenzierbar), wenn alle Komponentenfunktionen diese Eigenschaft haben.
Ist F im Punkt a total differenzierbar, so ist DF(a) eine lineare Abbildung von nach . Ihre Darstellungsmatrix, die Jacobi-Matrix, besteht aus den partiellen Ableitungen
und die Richtungsableitung von F im Punkt a in Richtung v ist das Bild des Vektors v unter der linearen Abbildung DF(a).
Funktionen und Abbildungen auf unendlich-dimensionalen Vektorräumen
Auf unendlich-dimensionalen Vektorräumen gibt es keine Koordinaten, deshalb gibt es keine partielle Differenzierbarkeit. Die Begriffe Richtungsableitung und totale Differenzierbarkeit lassen sich jedoch auf unendlich-dimensionale Vektorräume verallgemeinern. Dabei spielt im Gegensatz zum Endlichdimensionalen die Topologie auf den Vektorräumen eine wichtige Rolle. Typische Beispiel für unendlich-dimensionale Vektorräume sind Funktionenräume, also Vektorräume, deren „Vektoren“ Funktionen sind. Zur Unterscheidung nennt man die auf diesen Vektorräume definierten Funktionen Funktionale und nennt Abbildungen zwischen solchen Vektorräumen Operatoren.
Gâteaux-Differenzierbarkeit
→ Hauptartikel: Gâteaux-Differential
Der Richtungsableitung entspricht die Gâteaux-Ableitung. Gegeben sei ein normierter Vektorraum V (das heißt ein (typischerweise unendlich-dimensionaler) Vektorraum zusammen mit einer Norm ), eine offene Teilmenge und ein Funktional . Die Gâteaux-Ableitung von F an einem „Punkt“ in Richtung eines Vektors ist dann gegeben durch
- ,
falls der Grenzwert existiert.
Falls die Gâteaux-Ableitung für jedes existiert, dann ist eine Abbildung , erklärt. Aus der Definition folgt sofort, dass diese Abbildung positiv homogen ist, also δF(a,λv) = λδF(a,v) für alle λ > 0. Wie im Endlichdimensionalen folgt aus der Existenz aller Richtungsableitungen nicht, dass δF(a) additiv und damit linear ist. Auch wenn die Abbildung linear ist, folgt nicht, dass sie stetig ist.
Für den Begriff Gâteaux-Differenzierbarkeit gibt es mehrere nicht verträgliche Konventionen:
Manche Autoren nennen ein Funktional F Gâteaux-differenzierbar im Punkt a, falls alle δF(a,v) existieren, und bezeichnen dann die Abbildung δF(a) als Gateaux-Ableitung von F im Punkt a. Andere fordern zusätzlich, dass δF(a) linear und stetig ist.
Ganz analog definiert man Gâteaux-Differenzierbarkeit und Gâteaux-Ableitung für Operatoren F von einem normierten Vektorraum V in einen andern normierten Vektorraum W (typischerweise ein Banach-Raum). Die in der Definition der Gâteaux-Ableitung geforderte Konvergenz versteht sich dann im Sinne der Norm von W. Entsprechendes gilt für die Stetigkeit von .
Fréchet-Differenzierbarkeit
→ Hauptartikel: Fréchet-Ableitung
Der totalen Differenzierbarkeit im Endlichdimensionalen entspricht bei unendlich-dimensionalen Vektorräumen die Fréchet-Differenzierbarkeit. Gegeben seien Banachräume V und W, eine offene Teilmenge , eine Abbildung und ein Punkt .
Die Abbildung F heißt Fréchet-differenzierbar, wenn eine beschränkte (also stetige) lineare Abbildung und eine Abbildung existieren, so dass für alle mit gilt
und
Dabei steht im Zähler die Norm von W, im Nenner die von V.
Der lineare Operator heißt in diesem Fall Fréchet-Ableitung von F an der Stelle a.
Zusammenhänge
Wie im Endlichdimensionalen ist jede Fréchet-differenzierbare Abbildung F auch Gâteaux-differenzierbar und die Gâteaux-Ableitung stimmt mit der Fréchet-Ableitung überein. Umgekehrt braucht F im Punkt a selbst dann nicht Fréchet-differenzierbar zu sein, wenn die Gâteaux-Ableitung δF(a) linear und stetig ist.
Differenzierbare Abbildungen zwischen differenzierbaren Mannigfaltigkeiten
Die Differenzierbarkeit von Abbildungen zwischen differenzierbaren Mannigfaltigkeiten wird auf die Differenzierbarkeit ihrer Kartendarstellungen zurückgeführt. Dabei muss Stetigkeit schon vorausgesetzt werden.
Es seien M und N differenzierbare Mannigfaltigkeiten der Dimensionen m bzw. n und der Differenzierbarkeitsklasse Cr und es sei eine stetige Abbildung. Zu jedem Punkt existiert dann eine Karte (U,ϕ) von M um p, das heißt eine offene Umgebung , die p enthält, und ein auf U definierter Homöomorphismus auf eine offene Teilmenge des . Genauso existiert auch eine Karte (V,ψ) von N um den Bildpunkt . Da F stetig ist, können die Karten so gewählt werden, dass F(U) ganz in V liegt. Unter der Kartendarstellung von F bezüglich dieser Karten versteht man dann die Abbildung
Die Abbildung F heißt stetig differenzierbar, falls sie stetig ist und ihre Kartendarstellungen stetig differenzierbar sind. Sie heißt k-mal stetig differenzierbar (für ), oder von der Klasse Ck, falls ihre Kartendarstellungen k-mal stetig differenzierbar.
Die Differenzierbarkeit hängt nicht von der Wahl der Karten ab (solange ist), da die Kartenwechselabbildungen Cr-Diffeomorphismen sind. Ist M oder N der euklidische Raum, so kann man dort auf die Karte verzichten. Insbesondere gilt:
Eine Funktion ist genau dann r-mal stetig differenzierbar, wenn das für ihre Kartendarstellungen , bezüglich Karten (U,ϕ) von M gilt.
Analog definiert man die komplexe Differenzierbarkeit für komplexwertige Funktionen auf komplexen Mannigfaltigkeiten und Abbildungen zwischen komplexen Mannigfaltigkeiten
Für die Definition der Ableitung einer Abbildung F zwischen Mannigfaltigkeiten bzw. einer Funktion f auf einer Mannigfaltigkeit siehe Tangentialraum und Pushforward.
Begriffserweiterungen
Folgende Konzepte sind Verallgemeinerungen der Differenzierbarkeit:
- schwache Ableitungen
- Differenzierbarkeit im Sinne von Distributionen
Literatur
Im Prinzip sämtliche einführende Literatur zu Analysis und/oder Differentialrechnung. Beispielsweise seien genannt:
- Otto Forster: Analysis 1. Differential- und Integralrechnung einer Veränderlichen. Vieweg, Braunschweig 72004. ISBN 3-528-67224-2
- Otto Forster: Analysis 2. Differentialrechnung im Rn. Gewöhnliche Differentialgleichungen. Vieweg, Braunschweig 62005. ISBN 3-528-47231-6
- Konrad Königsberger: Analysis. 2 Bde. Springer, Berlin 2004, ISBN 3-540-41282-4
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