- Drehscheibe
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Eine Drehscheibe ist eine Einrichtung zum horizontalen Drehen von Schienenfahrzeugen, seltener von Straßenfahrzeugen. Dieser Vorgang wurde vor allem bei Dampflokomotiven mit Schlepptender durchgeführt, die meist nur in Vorwärtsrichtung mit ihrer Höchstgeschwindigkeit fahren können. Daneben werden Drehscheiben zum raumsparenden Umsetzen eines Fahrzeuges in benachbarte Gleise benutzt. Ein sich drehender Teil in Brückenbauform wird manchmal auch Drehbühne genannt.
Inhaltsverzeichnis
Aufbau
Die Drehscheibe ist eine maschinentechnische Anlage, mit der ein Fahrzeug (zumeist Schienenfahrzeug) gewendet werden kann, beziehungsweise mit der zwischen 2 oder mehreren Gleisen wahlweise ein Fahrweg hergestellt werden kann. Häufig dient die Drehscheibe der Verbindung radialer Gleise auf engem Raum. Durch die Drehung der Drehscheibenbrücke können Lokomotiven oder andere Fahrzeuge in die gewünschte Position gebracht werden. Man unterscheidet Kreuzdrehscheiben (bei einfachen Verhältnissen, z. B. im Bergbau und bei Feldbahnen), Segmentdrehscheiben (bei beengten Platzverhältnissen, z. B. in Anschlussbahnen) und Brückendrehscheiben mit und ohne Schlepprahmen. Immer handelt es sich um Stahlkonstruktionen, bei denen Brücken die Fahrschienen zur Aufnahme der Fahrzeuge tragen. Die Drehscheibengruben sind kreisförmig oder als Kreissegment ausgebildet und können unterschiedliche Durchmesser haben. Einheitsdrehscheiben in Deutschland haben einen Durchmesser von 23 m oder 26 m, in der Schweiz 13 m oder 16 m. Andere Maße sind möglich. Die Auflagerung der Drehscheibenbrücke in der Mitte bzw. im Drehpunkt erfolgt auf dem Königstuhl. Die Auflagerung der Drehscheibenbrücke an den Enden erfolgt mit - in der Regel - spurkranzlosen Laufrädern, die auf dem in der Drehscheibengrube verlegten Drehscheibenlaufkranz rollen. Bei größeren Drehscheiben sind häufig mehrere Drehscheibenlaufkränze zu finden. Zwischen der Drehscheibenbrücke und dem anschließenden festen Gleis muss eine sichere Verbindung mittels Verriegelungseinrichtung hergestellt werden können. Diese Verriegelungseinrichtung wird häufig mit Rangiersignalen und der Drehscheibensteuerung gekoppelt. Drehscheiben wurden und werden durch Muskelkraft gedreht, im 20. Jahrhundert kam der Antrieb durch Elektromotoren, in seltenen Fällen auch Dieselmotoren sowie Druckluft auf. Bei motorgetriebenen Drehscheiben werden meist 2 der 4 Laufräder angetrieben.
Verwendung
Da die meisten Dampflokomotiven mit Schlepptender nur bei Vorwärtsfahrt mit voller Geschwindigkeit fahren dürfen, ist es notwendig, eine solche Lokomotive zu wenden, wenn die Fahrt in entgegengesetzter Richtung aufgenommen werden soll. Drehscheiben befanden sich daher vor allem an Kopfbahnhöfen, beispielsweise dem ersten Bahnhof von Altona oder dem Berliner Bahnhof in Hamburg. In Bahnbetriebswerken befanden sie sich direkt vor dem Lokschuppen, welche in großen Betriebswerken als Ringlokschuppen ausgelegt waren. Dort ermöglichten sie auch den Zugang zu den einzelnen Ständen, der sonst nur mit einer aufwändigen Weichenstraße möglich gewesen wäre. Vor allem in den 1950er Jahren erfolgte der große Niedergang der Dampflokomotiven und damit auch zeitverzögert jener der Drehscheiben.
Heutzutage werden bei Bahnbetriebswerken hauptsächlich Schiebebühnen eingebaut, da sie es ermöglichen, mit dem geringsten Platzbedarf mehrere parallel verlaufende Gleise zu bedienen. Man braucht nur ein paralleles Zufahrtsgleis und kann dann Abstellmöglichkeiten auf beiden Seiten der Bühne bedienen.
Moderne europäische Lokomotiven sind normalerweise Zweirichtungsfahrzeuge, so dass die Drehscheibe überflüssig ist. Somit sind sie im regulären Bahnbetrieb selten geworden, jedoch noch häufig in Eisenbahnmuseen zu sehen. Ein aus praktischen Gründen erwogener Neubau, wie 1988 bei der Vitznau-Rigi-Bahn, hat Seltenheitswert. Eher kommt es vor, dass wie bei der Minehead Railway Station eine 1968 entfernte Drehbühne aus primär nostalgischen Gründen 2008 neu gebaut wird.[1] Anders in Nordamerika, Australien und Neuseeland, wo viele Lokomotiven nur auf einer Seite einen Führerstand haben, besonders große, dieselelektrisch betriebene. Somit sind dort noch mehr Drehscheiben in ständiger Verwendung und werden sogar manchmal neu gebaut (beispielsweise die Canadian Pacific Railway in East Binghamton (New York) kurz vor 2000).
Große Drehscheiben waren etwa die 1941 von der Union Pacific Railroad für ihre Klasse-4000-Dampfloks, genannt „Big Boy“, (Gesamtlänge: 132 ft 9¼ in (40,47 m); Radstand: 117 ft 7 in (35,83 m) gebauten 135-Fuß-Drehscheiben (41 m) in Ogden (Utah), Green River (Wyoming) und Laramie (Wyoming).[2] Zumindest in Norden (Kalifornien) existierte bis zu einem Brand im Jahre 1962 eine 150-Fuß-Drehscheibe (45,72 m).[3] Eine andere Möglichkeit, Lokomotiven umzudrehen, sind Gleisdreiecke. Bei entsprechenden Anschlusslängen können damit auch ganze Züge umgedreht werden. Für die noch längere Dampflokomotive PRR-Klasse S1 wurde extra ein Gleisdreieck errichtet. Im Vergleich dazu hatte die größte dieselelektrische Lokomotive, die EMD DDA40X, eine Länge von knapp 30 m, und es wird bei diesen Typen oft in Mehrfachtraktion gefahren, was bei Dampflokomotiven nicht üblich war.
Ein weiteres Einsatzgebiet von Drehscheiben ist das Wenden von Schneepflügen. Daher blieben in schneereichen Regionen die Drehscheiben über die Ära der Dampflokomotiven hinaus erhalten.
In Verwendung sind unter anderem noch folgende Drehscheiben im Schienenverkehr:
- Deutschland
- Italien
- Bahnhof Franzensfeste
- Österreich
- Schweiz
- Bahnhof Disentis
- Bahnhof Erstfeld
- Bahnhof Landquart
- Bahnhof Sumvitg/Cumpadials
- Bahnhof Vitznau
Besondere Verwendungszwecke
Eine Kuriosität war die Drehscheibe von Corkscrew Gulch der Silverton-Eisenbahn in Colorado (USA). Da die Linie in einen Canyon führte, gab es dort große Steigungen und kleine Radien. Da der Hang bei Corkscrew Gulch für einen Wendebogen zu steil war und die Linie in entgegengesetzter Richtung weiterverlaufen sollte, wurde dort eine Spitzkehre gebaut, wodurch der Zug die Fahrtrichtung wechseln musste, um auf das jeweilige Streckengleis überzuwechseln. Es wurde dort eine Drehscheibe installiert, welche sowohl von der Berg- als auch von der Talseite über ein Gefälle erreichbar war. Bei einer Passierung wurden die Waggons von der Lokomotive getrennt, anschließend wurde die Lokomotive gewendet. Nachdem die Lokomotive das Gleis geräumt hatte, wurden der restliche Zug über die Neigung auf die Drehscheibe geführt. Sofern die Gesamtlänge der Waggons die Bühnenlänge der Drehscheibe übertrafen, mussten diese einzeln der Drehscheibe zugeführt werden. Die extremen Steigungen der Strecke erlaubten ohnehin nur sehr kurze Züge. Anschließend setzte die Lokomotive zurück, und die Waggons wurden zur Weiterfahrt wieder angekuppelt.
Bei der Wiener U-Bahn kommt es auf der Linie U2 durch einen über mehrere Stationen gefahrenen Kreisteil zu einseitigem Verschleiß. Um diesem entgegenzuwirken, dreht man die betreffenden Garnituren in bestimmten Zeitabständen um. Da ein halber Doppeltriebwagen nicht fahrfähig ist, hat die im November 1988 in Betrieb gegangene Drehscheibe beim Betriebsabahnhof Wasserleitungswiese (48° 14′ 29″ N, 16° 21′ 47″ O48.24146111111116.363180555556) einen Durchmesser von 40 m und ist damit die größte Europas.
Das Schiffshebewerk am Krasnojarsker Stausee kann man vom Aufbau her auch als Zahnradbahn beschreiben. Da es im Gegensatz zu Kanälen mit laufend gleichbleibender Wasserhaltung im Stausee und am Unterfluss zu starken Schwankungen kommt, kann kein mit Toren abgedichtetes stumpfes Ende verwendet werden. Der schräge Schienenteil fährt daher mit einem darauf waagrecht ausgerichteten Trog ins Wasser, nimmt das Schiff auf und hebt es den Berg zur Dammkrone hinauf. Das Gefährt dreht dann auf einer ungefähr 105 m großen Drehscheibe um 140 ° und kann somit wieder mit waagrechtem Trog in das obere Becken hinabfahren.[4]
Selten werden Drehscheiben auch bei straßengebundenen Fahrzeugen verwendet, ein bekanntes Beispiel ist die Drehscheibe Unterburg, eine Drehscheibe für Oberleitungsbusse im Solinger Stadtteil Burg an der Wupper. Zwei weitere Obus-Drehscheiben existierten früher in Großbritannien, dies waren die Drehscheibe Christchurch und die Drehscheibe Longwood. Eine vierte Obus-Drehscheibe bestand von 1976 bis 1985 im Obus-Tunnel von Guadalajara in Mexiko. Die beengten Platzverhältnisse im Untergrund ließen dort keine andere Lösung zu.[5]
Segmentdrehscheibe
Eine besondere Bauart ist die Segmentdrehscheibe. Bei ihr überstreicht der Brückenträger nur ein Segment des Kreises. Sie kann sich deswegen nicht vollständig drehen, ist also zum Wenden eines Fahrzeuges nur dann geeignet, wenn sie mindestens zu 180 Grad gedreht werden kann. Eine solche Segmentdrehscheibe befindet sich zum Beispiel vor dem Ringlokschuppen in Neuenmarkt-Wirsberg.
Sie dient primär der platzsparenden Umsetzung von Fahrzeugen auf anschließende Gleise, mitunter bei geringerem Platzbedarf als bei Weichen. Die aufwändige Errichtung und Unterhaltung ließ jedoch auch diese Bauart selten zur Ausführung gelangen. Eine erst kürzlich neu errichtete Segmentdrehscheibe ist im Bahnhof Bezau der Bregenzerwaldbahn anzutreffen. Weitere, nicht mehr betriebene Segmentdrehscheiben befinden sich am Hauptbahnhof Bayreuth oder im Bahnhof Klütz am Ende der Bahnstrecke Grevesmühlen–Klütz.
Es gibt auch Drehscheiben, die zwischen zwei Drehpunkten hin- und hergeschoben werden können und so besser zum Verteilen von Lokomotiven auf unterschiedliche Gleise geeignet sind.
Doppeldrehscheibe
Eine weitere Sonderbauform ist die Doppeldrehscheibe. Sie wurde an Orten installiert, an denen sehr viele Lokomotiven platzsparend abgestellt werden sollten.
Bei dieser Bauart sind die Aktionsradien zweier Drehscheiben überlappend ausgeführt. Somit sind die beiden Gruben miteinander verbunden und kreuzen sich die Drehscheibenlaufkränze im äußeren Grubenbereich, bedingt durch die Überlappung.
Eine Doppeldrehscheibe befand sich beispielsweise im Bahnbetriebswerk des Bahnhof Altona und im Betriebsbahnhof Köln.[6]
Sonstiges
Es gibt eine 'Drehscheibe Arbeitsgemeinschaft e.V.'; dieser Verein gibt auch eine Zeitschrift namens 'Drehscheibe' heraus.[7]
Einzelnachweise
- ↑ Turntable turnaround for West Somerset Railway, 5. Mai 2008, bbc.co.uk
- ↑ Railway gazette international, Band 79, Reed Business Pub., 1943, S. 192
- ↑ The Signalman's Journal, Band 43-44, Brotherhood of Railroad Signalmen of America, 1962, S. 64
- ↑ р. Енисей: Красноярский судоподъемник, lhp.rushydro.ru
- ↑ The Trolleybuses of Latin America in 2010 - Guadalajara. auf www.tramz.com
- ↑ Doppeldrehscheibe BW Köln
- ↑ http://www.drehscheibe-online.de
Weblinks
Commons: Drehscheibe – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienLiteratur
- Markus Tiedtke: Bahnbetriebswerke Teil 3. Drehscheiben und Lokschuppen. In: EK spezial. 34, EK Verlag, Freiburg 1994.
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