Ernst Ludwig Dietrich

Ernst Ludwig Dietrich

Ernst Ludwig Dietrich (* 28. Januar 1897 in Groß-Umstadt; † 20. Januar 1974 in Wiesbaden) war ein deutscher evangelischer Theologe und Orientalist und von 1933 bis 1945 Landesbischof der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

Inhaltsverzeichnis

Ausbildung und berufliche Anfänge

Dietrich studierte 1915-19 Theologie und Orientalistik an den Universitäten Gießen und Marburg und promovierte 1922 zum Dr. phil. Nach dem Studium besuchte er das Predigerseminar in Friedberg und wurde 1920 Pfarrassistent in Mainz. 1923 wurde er Pfarrer in Wackernheim bei Mainz, 1927 in Hamburg-Barmbek und 1929 an der Marktkirche zu Wiesbaden.

Landesbischof im Nationalsozialismus

Unter dem Druck der politischen Verhältnisse vollzogen die Landeskirchentage in Wiesbaden, Frankfurt und Darmstadt am 12. September 1933 ihren Zusammenschluss zur Landeskirche Nassau-Hessen und Reichsbischof Ludwig Müller setzte den erst 36-jährigen Pfarrer Dr. Ernst Ludwig Dietrich am 8. Februar 1934 als Landesbischof an die Spitze der neuen Landeskirche.[1] Im selben Jahr publizierte Dietrich einen Beitrag in der Zeitschrift Junge Kirche, Heft 15: „Die Ereignisse ... haben auch den Blinden die Augen geöffnet und die einzigartige Größe des Führers, die mir immer feststand, aller Welt gezeigt“.[2]

Dietrich gehörte den völkischen „Deutschen Christen“ an und hatte sich schon vor seiner Ernennung – wie die große Mehrheit seiner hessischen Kollegen – für den sogenannten Arierparagraphen ausgesprochen, dem zufolge „Nicht-Arier“ aus dem kirchlichen Dienst entlassen werden sollten. Während seiner kurzen aktiven Amtszeit setzte er sich für das Führerprinzip in der Kirche ein, mit dem die „Deutschen Christen“ die demokratische Organisation der kirchlichen Hierarchie zugunsten autoritärer Strukturen auflösen wollten. Dietrich stieß mit seiner Amtsführung z. T. auf offenen Widerstand in der Pfarrerschaft.

Der spätere stellvertretende Kirchenpräsident Karl Herbert (1907-1995) wertet in seinem postum erschienenen Buch „Durch Höhen und Tiefen. Eine Geschichte der EKHN“ das autoritäre Vorgehen des jungen Landesbischofs Lic. Dr. Dietrich gegen bisherige Führungseliten als eine wichtige Mitursache für die Entstehung und Ausbreitung der „Bekennenden Kirche“ in Nassau–Hessen. Herbert betont gleichwohl, dass das von Dietrich verfochtene kirchliche Führerprinzip auch späteren Repräsentanten der Bekennenden Kirche zumindest 1933 nicht fremd war.

Gegen Bischof Dietrich erging 1936 ein staatliches Amtsverbot, und er wurde Pfarrverwalter in Wiesbaden. Den Titel des Landesbischofs trug er allerdings bis 1945. Ab 1938 distanzierte er sich zunehmend vom Weg der „Deutschen Christen“. „Die Unmöglichkeit des Führerprinzips in der Kirche“, so äußerte er jetzt, „habe ich in meinem eigenen Leben erfahren müssen“. Einem Pfarrer-Kollegen gegenüber bekannte er in derselben Zeit, er habe nun das Spiel durchschaut, das mit der Kirche getrieben werde. Die Bekennende Kirche habe von Anfang an diese Machenschaften verstanden und sich von niemandem täuschen lassen.

Nachkriegszeit

Im Stuttgarter Schuldbekenntnis vom 19. Oktober 1945 bekannten die Oberhäupter der einzelnen Landeskirchen ihre Mitschuld am durch den Nationalsozialismus verursachten Leid und am Zweiten Weltkrieges. Martin Niemöller, einer der führenden Köpfe der „Bekennenden Kirche“, wurde nach der Absetzung von Bischof Dietrich 1947 zum Kirchenpräsidenten der neukonstituierten EKHN berufen. Ernst Ludwig Dietrich wurde 1946 für die Dauer von 3 Jahren vom Pfarramt suspendiert. Er wandte sich verstärkt seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit als Theologe und Orientalist zu und schloss 1954 eine zweite Promotion zum Dr. theol. ab. Vom Jahre 1949 an wirkte er als Dozent am Orient-Institut Frankfurt am Main und ab 1956 auch als Lehrbeauftragter an der dortigen Universität.

Familie und Persönliches

Ernst Ludwig Dietrich war verheiratet mit der Patentochter seines Amtsvorgängers als Landesbischof August Kortheuer, Gertrud Dietrich, geb. Ohly (* 31. August 1896). Sie hatten zwei Kinder: Hanndiether (Hanno) Dietrich, als Soldat gefallen in Russland, und Wolfgang Dietrich, Dr. med., Radiologe in Japan, später München und Kleve/Niederrhein. – Ernst Ludwig Dietrich verfügte über eine hervorragende musikalische Begabung und beschäftigte sich als Pianist, Cembalist und Organist insbesondere mit den Werken Johann Sebastian Bachs und der „Alten Musik“.

Schriften

  • Sub sebut, die endzeitliche Wiederherstellung bei den Propheten, Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 40, Gießen 1925. - 66 S.
  • Der Mahdi Mohammed Ahmed vom Sudan nach arab. Quellen, in: Der Islam 14, 1925. - S. 199-288
  • Der Urmensch als Androgyn, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte LVIII, 1939, S. 297-345
  • Die "Religion Noahs", ihre Herkunft und ihre Bedeutung, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 1 no 4 1948, S. 301-315.
  • Außerbiblische Worte Jesu / Grundtext u. Übertragung, Wiesbaden 1950. - 64 S. ISBN: B0000BHFJB
  • Das Judentum im Zeitalter der Kreuzzüge, Saeculum Bd. 3, 1952 S. 94-131.
  • Das rel.-emphatische Ich-Wort, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 4 1952, S. 1-23.
  • Handbuch der Orientalistik. Erste Abteilung: Der Nahe und der Mittlere Osten:, 3. Band. Erster Abschnitt: Semitistik. Mit Beiträgen von Carl Brockelmann, Ernst Ludwig Dietrich, Johann Fück, Bertold Spuler. Leiden/Köln 1953.
  • Die hebräische Literatur der nachbiblischen Zeit, HOI/3, 1954, S. 70-132.
  • Die rabbinische Kritik an Gott, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 7, 1955, S. 194-244.
  • Die Lehre von der Inkarnation im Islam, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 9, 1957, S. 129-149.
  • Das jüdisch-christliche Religionsgespräch am Ausgang des 16. Jahrhunderts nach dem Handbuch des R. Isaak Troki, in: Judaica 16, 1958, S. 1-39.
  • Das orientalische Judentum in seinen religiösen Vorstellungen von der nachbibl. Zeit bis zur Gegenwart, HOI/8, 2, 1961, S. 325-404.
  • Handbuch der Orientalistik. Erste Abteilung: Der Nahe und der Mittlere Osten:, 3. Band. Zweiter Abschnitt: Religionsgeschichte des Orients in der Zeit der Weltreligionen. Mit Beiträgen von Johannes Leipoldt, Geo Widengren, Alfred Adam, Bertold Spuler, Ernst Ludwig Dietrich, Johannes W. Fück, A.J. Arberry, R. Strothmann, Annemarie von Gabain. Leiden/Köln 1961.
  • 22 Artikel in der Enzyklopädie: Religion in Geschichte und Gegenwart. Tübingen 1961: Armenpflege, Elbogen, Entsündigung, Erwählung, Gleichnis und Parabel, Gott, Haggada, Halacha, Judentum, Kabbala, Kasuistik, Offenbarung, Pharisäer, Rabbiner, Responsen, Sadduzäer, Schma, Schmone 'Esre, Schriftauslegung, Sittlichkeit, Sopherim, Talmud.
  • Der chinesische Kaiserstaat, Christentum, Manichäismus, Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus, Saeculum Weltgeschichte. Bd. 3. Die Hochkulturen im Zeichen der Weltreligionen (1), von: Ernst Ludwig Dietrich, Herbert Franke, Freiburg 1967. - 494 S. ISBN: B0000BTCDK

Einzelnachweise

  1. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 110.
  2. Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Fischer Taschenbuch 2005, S. 110.

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