Klostermedizin

Klostermedizin

Die so genannte Klostermedizin ist ein Teil der mittelalterlichen Medizin und basiert vor allem auf der Phytotherapie. Der Begriff wurde geprägt, weil seit dem Frühmittelalter die Hospitäler von den Klöstern betrieben wurden; Mönche und Nonnen verfügten über grundlegende Kenntnisse zur Heilwirkung von Kräutern und Heilpflanzen. Die Medizin des Mittelalters innerhalb wie außerhalb der Klöster baute auf den Lehren von Galenos und Hippokrates auf und basierte vor allem auf der Humoralpathologie, also der Lehre von den Körpersäften.

Klostermedizin ist ein Begriff für eine Epoche der Medizingeschichte und wird von Wissenschaftlern nicht als Synonym für alternative Heilverfahren verwendet, auch nicht für die so genannte Hildegard-Medizin.

Inhaltsverzeichnis

Historischer Hintergrund

Nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches und durch die Unsicherheiten der sich neu bildenden christlichen Kultur in Europa kam es zu Umbrüchen in der Kultur und der Zivilisation, auch zum Verschwinden des bis dahin bestehenden medizinischen Systems, der Medizin des Altertums. Während die altgriechische Medizin in der byzantinischen Medizin fortlebte, konnten im lateinischen Westeuropa nur Bruchstücke gerettet werden. Die Germanischen Stammesrechte handelten mitunter verschiedene Problemen der Heilkunde ab, die sowohl Elemente aus der antiken wissenschaftlichen Medizin als auch aus der heidnisch-religiösen germanischen Heilkunde aufwiesen. Diese bestand wiederum aus einfachen Rezepten, aber auch Zaubersprüchen, Beschwörungen, Sagen und Gebeten.[1]

Als Klostermedizin wird in der Medizingeschichte die Zeit vom Frühmittelalter bis zum Hochmittelalter bezeichnet. Die Hauptphase dauerte vom 8. bis Mitte des 12. Jahrhunderts[2]. In dieser Zeit lag die medizinische Versorgung in Europa ausschließlich in den Händen von Mönchen und Nonnen. Im Westen galt Medizin in dieser Zeit als Handwerk und als angewandte Theologie, es gab außerhalb der Klöster keine Ausbildung für Ärzte. Krankheiten galten als von Gott gesandt, auch die Epidemien wie zum Beispiel die Pest. Eine Heilung ohne Gottes Hilfe galt als unmöglich.

Entwicklung der Klostermedizin

Etwa 527 gründete Benedikt von Nursia das erste Kloster auf dem Monte Cassino. In seiner Ordensregel (Regula Benedicti) legte er fest, dass die Krankenpflege die wichtigste Aufgabe der Mönche sei. Jedes Kloster sollte dafür einen eigenen Raum einrichten und einen Mönch ausbilden. Damit übernahmen die Klöster zu Beginn ihres Auftretens eine soziale Aufgabe für die Allgemeinheit. Das dahinter stehende Prinzip war die Barmherzigkeit (caritas). Diese Regel Benedikts war die Basis der Klosterheilkunde. Papst Gregor der Große befand die Regula Benedicti für vorbildlich und erklärte sie daher für alle katholischen Orden für verbindlich. Der Orden des Heiligen Lazarus, der Orden des Johannes und andere Orden gründeten zahlreiche Spitäler, wo Kranke ebenso wie Arme und Alte Zuflucht fanden.

Kaiser Karl der Große förderte die Heilkunde seiner Zeit, indem er ein Gesetz erließ, das Klöstern und auch Städten das Anlegen von Kräutergärten und die darin zu züchtenden Pflanzen verbindlich vorschrieb (capitulare de villis). Der so genannte St. Galler Klosterplan, der erhalten ist, zeigt die ideale Anlage eines Klostergartens; für jede Heilpflanze wurde ein eigenes Beet angelegt. Es handelte sich um 16 Pflanzen. Der Abt von Reichenau, Walahfrid Strabo (808–849), beschreibt in seinem Lehrgedicht Hortulus 26 Pflanzen. Zu den Heilpflanzen gehörten unter anderem Salbei, Wermut, Fenchel, Schlafmohn, Liebstöckel, Kerbel, Flohkraut, Betonie, Rettich und Minze.

Die Mönche und Nonnen sammelten Erfahrungswissen im Umgang mit den Heilkräutern und gaben ihr Wissen innerhalb der jeweiligen Klöster weiter. Jahrhundertelang waren außerhalb der Klöster keine ausgebildeten Mediziner tätig. In der Bevölkerung existierte eine Volksmedizin, die von Frauen und Hebammen tradiert wurde. Außerdem gab es Handwerksärzte, zu denen die Bader und die Scherer in den Badehäusern gehörten.

Die Klostermedizin fand ihren Höhepunkt im Werk Hildegards von Bingen im zwölften Jahrhundert, die fest an Gott als endgültige Heilung aller Krankheit glaubte[3].

Im Hochmittelalter wurde in Salerno eine der ersten medizinischen Universitäten in Europa gegründet. Von Spanien aus, wo das breite Wissen der orientalischen Medizin auf die abendländische Kultur traf, ging langsam eine Akademisierung der Laienmedizin aus. In Bologna wurde 1111 eine der ersten medizinischen Universitäten gegründet, 1187 folgte Montpellier, dann Paris. Im 13. Jahrhundert wurde die ärztliche Approbation eingeführt. In der Zeit der Renaissance verlor die Klostermedizin allmählich ihre Vorrangstellung gegenüber Laienheilern. Albertus Magnus bemühte sich darum, das Wissen der Klosterheilkunde mit der Medizin zu verbinden.

Auf Grund der Reformation wurden in Nordeuropa viele Klöster geschlossen, während der Gegenreformation entstanden jedoch wiederum neue. In dieser Zeit entstanden die Klosterapotheken, in denen vor allem Heilkräuter verkauft wurden. Es entstand eine Konkurrenz zu den weltlichen Apotheken, so dass mancherorts die Klosterapotheken verboten wurden. Heute befindet sich nach wie vor, aufbauend auf der Tradition der Klosterspitäler, ein Teil der Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft.

Werke zur Kräuterheilkunde

Die Heilkundigen in den Klöstern sammelten erhaltene medizinische Werke antiker Autoren, schrieben sie ab und bauten auf diesem Wissen auf. Das wichtigste antike Werk zur Kräuterheilkunde war die Materia medica (Arzneimittellehre) des griechischen Arztes Dioskurides, das fünf Bänden umfasst und Heilmittel überwiegend pflanzlicher, aber auch mineralischer und tierischer Herkunft beschreibt. Das älteste erhaltene Buch zur Klostermedizin im deutschsprachigen Raum ist das Lorscher Arzneibuch, eine Handschrift aus der Zeit Karls des Großen, also Ende des 8. Jahrhunderts. Es wurde im Kloster Lorsch bei Worms geschrieben und basiert auf dem "Capitulare de villis" Karls des Großen von 789. Der Hauptteil besteht aus Rezeptsammlungen. Wir finden in diesem Arzneibuch den wohl frühesten Versuch zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen, indem empfohlen wird, anstelle der teuren Kräuter aus dem Ausland ebenso wirksame einheimische Kräuter zu verwenden.Außerdem wird in dem Buch die Forderung erhoben, dass nicht nur Reichen, sondern auch Armen die Heilkunst zugänglich sein müsse.[4]

Im 11. Jahrhundert schrieb der Mönch Odo Magdunensis das Werk Macer floridus, das in ganz Mitteleuropa zu einem Standardwerk der Kräuterheilkunde wurde und damals so bekannt war wie heute die Schriften der Hildegard von Bingen, deren Kräuterheilkunde im Mittelalter wenig Beachtung fand. Das Werk beschreibt knapp 80 Heilpflanzen und die ihnen zugeschriebene Wirkung. Im Hochmittelalter wurde eine medizinische Schule in Salerno gegründet, in der einige medizinische Werke entstanden, darunter im 12. Jahrhundert das Circa instans, das rund 270 Pflanzen behandelt. Das Werk wurde (und wird) dem Salerner Autor Platearius zugeschrieben, die Urheberschaft ist jedoch in der Fachwelt umstritten.

Zwischen 1150 und 1160 verfasste Hildegard von Bingen ihre Abhandlungen zur Heilkunde, die unter den Namen Physica und Causae et curae (lateinisch: "Ursachen und Behandlungen") bekannt geworden sind. Sie selbst schrieb den Inhalt dieser Werke nach Aussage der Biografen göttlicher Eingebung zu. Teilweise werden darin bereits vorher beschriebene Behandlungen aufgenommen, einiges war aber völlig neu, auch einige Pflanzen galten bis dahin nicht als heilend, zum Beispiel die Ringelblume, Calendula officinalis. Die Physica besteht aus neun Bänden, zwei davon sind den Kräutern gewidmet, eines der Heilkraft der Bäume, andere verschiedenen Tieren, Edelsteinen und Metallen. Hildegard von Bingen hat auf der Basis der Säftelehre eine eigenständige medizinische Theorie entwickelt, die für das Mittelalter einmalig war.

Im deutschsprachigen Raum erlangte der Gart der Gesundheit, das 1485 von dem Arzt Wonnecke von Kaub geschrieben wurde, noch größere Bedeutung. Eine seiner Quellen war das Circa instans. Das Buch wurde mehrfach neu aufgelegt und diente wiederum als Quelle für andere Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts.

Forschung

In Deutschland gibt es eine Forschungsgruppe Klostermedizin am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg. Zu den Mitgliedern gehören Mediziner, Botaniker, Chemiker, Pharmazeuten und Historiker (siehe auch Gundolf Keil und Johannes Gottfried Mayer). Das Forschungsziel ist es, das von den Mönchen und Nonnen gesammelte Erfahrungswissen systematisch zu erfassen und der Öffentlichkeit, aber auch der modernen Medizin zugänglich zu machen. Dafür werden zunächst die lateinischen Texte übersetzt, ehe die beschriebenen Pflanzen wissenschaftlich untersucht werden.

Siehe auch

Literatur

  • Gundolf Keil und Paul Schnitzer (Hrsg.): Das Lorscher Arzneibuch und die frühmittelalterliche Medizin, Lorsch 1991 (= Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Sonderband 12)
  • Wolfgang U. Eckart: Geschichte der Medizin. Springer-Lehrbuch. Berlin 4. Aufl. 2001, ISBN 3-540-67405-5
  • Heidi Grun: Die Geschichte der Kräuter- und Heilpflanzenkunde, Verlag Monsenstein u. Vannerdat, Münster ISBN 3-86582-174-X
  • Kay Peter Jankrift: Mit Gott und schwarzer Magie. Medizin im Mittelalter. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (u.a.), Darmstadt 2005, ISBN 3-534-16511-X
  • Kay Peter Jankrift: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-07659-1
  • Johannes Gottfried Mayer/Konrad Goehl/Katharina Englert: Die Pflanzen der Klostermedizin in Darstellung und Anwendung. Mit Pflanzenbildern des Benediktiners Vitus Auslasser (15. Jh.) aus dem Clm 5905 der Bayerischen Staatsbibliothek München (= DWV-Schriften zur Medizingeschichte, Bd. 5). Baden-Baden, Deutscher Wissenschafts-Verlag 2009, ISBN 978-3-86888-007-6
  • Johannes Gottfried Mayer: Zu Geschichte und Geist der Epoche der Klostermedizin, in: Cistercienser Chronik, 109. Jg., Heft 2, 2002, S.183-198, ISSN 0379-8291
  • Johannes Gottfried Mayer, Bernhard Uehleke, Kilian Saum: Das große Handbuch der Klosterheilkunde. Verlag Zabert Sandmann, München 2005, ISBN 3-8289-2140-x.
  • Hermann Josef Roth: Missverstandene Klostermedizin. Spektrum der Wissenschaft, März 2006, S. 84 – 91 (2006), ISSN 0170-2971
  • Heinrich Schipperges: Die Kranken im Mittelalter. Verlag C.H. Beck München 1990, ISBN 3-406-33603-5

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Eckart: Geschichte der Medizin, 1998, S. 103.
  2. Eckart: Geschichte der Medizin, 1998, S. 101.
  3. Barbara Fehringer: Das "Speyerer Kräuterbuch" mit den Heilpflanzen Hildegards von Bingen. Eine Studie zur mittelhochdeutschen "Physica" - Rezeption mit kritischer Ausgabe des Textes, Würzburg 1994 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen, Beiheft 2)
  4. Erste Werke der Klostermedizin, Forschergruppe Klostermedizin

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