Kraftwerk Lippendorf

Kraftwerk Lippendorf

f2

Kraftwerk Lippendorf
Die beiden Dampferzeuger des Kraftwerk Lippendorf (2006)
Die beiden Dampferzeuger des Kraftwerk Lippendorf (2006)
Lage
Kraftwerk Lippendorf (Sachsen)
Kraftwerk Lippendorf
Lage in SachsenSachsen Sachsen
Koordinaten 51° 10′ 59,4″ N, 12° 22′ 22,5″ O51.18317912.372909Koordinaten: 51° 10′ 59,4″ N, 12° 22′ 22,5″ O
Land Deutschland
Daten
Primärenergie Fossile Energie
Brennstoff Braunkohle (Mitteldeutsches Braunkohlerevier)
Leistung siehe Tabellen
Typ Thermisches Kraftwerk / Braunkohlekraftwerk
Betreiber Vattenfall Europe Generation AG
Betriebsaufnahme Oktober 1999

Das Kraftwerk Lippendorf ist ein mit Braunkohle befeuertes Dampfkraftwerk am Nordwestrand des Ortes Lippendorf der Gemeinde Neukieritzsch im Landkreis Leipzig. Es liegt etwa 15 km südlich von Leipzig, das auch über eine Fernwärmeleitung vom Kraftwerk mit Wärme versorgt wird.

Das Kraftwerk wird von der Vattenfall Europe Generation AG (früher VEAG) betrieben, die auch Eigentümerin eines Blockes (Block R) ist. Der Block S gehört der EnBW. Das Kraftwerk wurde am 22. Juni 2000 mit einer Rede des damaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder eingeweiht. Die Investitionen für das Kraftwerk (ohne Tagebaubetrieb) betrugen 2,3 Mrd. Euro.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Altes Kraftwerk Lippendorf, 2005 rückgebaut

Der erste Kraftwerksbau am Standort Lippendorf, das Industriekraftwerk Böhlen, entstand 1926. Dieses Kraftwerk versorgte die Chemiefabrik Böhlen. 1965 wurde ein neues Kraftwerk neben dem IKW Böhlen errichtet. Es diente der Versorgung des Böhlener Chemiewerkes und der Grundlastversorgung der südlichen DDR. Dieses Kraftwerk bestand aus einem Kondensationskraftwerk mit vier Kraftwerksblöcken je 100 MWel Nennleistung und aus einem Industriekraftwerk, welches hauptsächlich Dampf zur Chemiefabrik Böhlen lieferte, mit vier Sammelschienenturbosätzen je 50 MWel.

Wegen der nach 1990 gültigen Umweltgesetze entschieden die Eigentümer, dass eine Nachrüstung mit moderner Umwelttechnik aus technischen wie wirtschaftlichen Gründen nicht realisierbar sei. Deshalb planten die Vereinigten Energiewerke AG (VEAG) und die Bayernwerk AG auf dem Gelände des früheren Industriekraftwerkes Böhlen die Errichtung einer optimierten braunkohlengefeuerten Doppelblockanlage. Die VEAG beauftragte hierzu die Arbeitsgemeinschaft VEBA Kraftwerke Ruhr AG (VKR) und die Energie- und Umwelttechnik GmbH Radebeul (EUT) mit der Planung. Die erste Fassung der Planung wurde im Juli 1992 ausgeliefert. Es folgten Untersuchungen zur Wirkungsgradsteigerung durch Anhebung der Temperaturen für Frischdampf und -Dampf sowie zur Abwärmenutzung durch Rohgaskühlung. Diese Ergebnisse wurden am 16. November 1992 der VEAG vorgestellt. In der Planungsphase wurde vorerst ein Block-Nettowirkungsgrad von 39 % als Ziel gesetzt. Dieser konnte jedoch durch Optimierung nachträglich auf etwa 42,55 % gesteigert werden. Der Grundstein wurde am 29. November 1995 vom damaligen Ministerpräsidenten Sachsens, Kurt Biedenkopf, gelegt. Die erste Netzschaltung des Kraftwerkblockes S erfolgte am 18. Juni 1999 um 15:42 Uhr. Der baugleiche Block R ging am 15. Dezember desselben Jahres in den ersten Testbetrieb. Am 22. Juni 2000 wurde das Kraftwerk schließlich durch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder feierlich eingeweiht.

Mit der Inbetriebnahme der beiden Neubaublöcke erfolgte die schrittweise Stilllegung und der Rückbau des Altkraftwerkes Lippendorf. Der erste Kühlturm wurde am 6. Dezember 1997 gesprengt, der zweite wurde 2005 mittels hydraulischer Abbruchzange rückgebaut. Am 27. August 2005 wurde der Schornstein gesprengt, am 5. September 2005 folgte das Kesselhaus.

Die Erstbesetzung der Betriebsmannschaft wurde aus den im Umkreis bestehenden Kraftwerken Lippendorf und Thierbach gestellt.

Technische Beschreibung

Die Silhouette des Kraftwerks bestimmt das Bild im Süden von Leipzig

Das Kraftwerk besteht aus zwei Blöcken mit je 933,6 MWel Bruttonennleistung. Die beiden von Babcock errichteten Kessel mit je 2420 t/h Dampfleistung stellten zu ihrer Inbetriebnahme die modernste Großfeuerungstechnik für Braunkohle der Welt dar. Der Dampf jedes dieser Kessel treibt je einen Turbosatz, eine ABB-Turbinen-Generatoreinheit mit 1167 MVA, an. Weltrekorde zum Inbetriebsetzungszeitpunkt: die größten und effektivsten braunkohlebefeuerten Kraftwerksblöcke und die leistungsstärksten Einwellenturbinen. Sie hatten einen (zur Zeit der Errichtung technisch machbaren höchsten) Wirkungsgrad von 42,55 %. Die Nettoleistung der Kraftwerksblöcke beträgt jeweils 891 MWel. Auf Grund der Größe der Anlagen wurden diese für den Grundlastbetrieb ausgelegt. Durch die zusätzliche Auskopplung von Wärme zu Heizzwecken wird ein Brennstoffnutzungsgrad von insgesamt 46 Prozent erzielt. Die ausgekoppelte Fernwärmeleistung beträgt maximal 330 MWth. Sie wird der Stadt Leipzig sowie einigen Umlandkommunen zur Verfügung gestellt. Die für eine Wärmeübertragungsleistung von 330 Megawatt ausgelegte Fernwärmeleitung nach Leipzig hat eine Länge von 15 Kilometern.

Die für das Kraftwerk benötigte Braunkohlenmenge von durchschnittlich 10 Millionen Tonnen pro Jahr (2003: 11,7 Millionen Tonnen) wird aus dem Tagebau „Vereinigtes Schleenhain“ der MIBRAG geliefert. Die Kohle gelangt über eine etwa 14 Kilometer lange Bandanlage zum Kraftwerk – dort zunächst zu einem Kohlemisch- und Stapelplatz, wo sie auf 50 Millimeter Korngröße gebrochen und damit die unterschiedlichen Kohlequalitäten der Flöze durch Mischung ausgeglichen wird. Dort können bis zu 400.000 t Rohbraunkohle auf Vorrat gehalten werden, was etwa dem Verbrauch von 15 Tagen Kraftwerksbetrieb entspricht. Die vorgesehene Betriebsdauer des Tagebaus von 40 Jahren entspricht der technischen Lebenserwartung des Kraftwerks.

Durch die moderne Feuerungstechnik sowie umfangreiche Luftreinigungs- und Filteranlagen werden alle gesetzlichen Bestimmungen zur Luftreinhaltung erfüllt bzw. unterschritten. Da die zum Einsatz kommende Braunkohle einen relativ hohen Schwefelgehalt aufweist, kommt der Rauchgasentschwefelung eine besondere Bedeutung zu. Diese wird durch das so genannte Kalkstein-Additiv-Verfahren realisiert, welches als Ausgangsprodukt Gips liefert. Dieser dient als Rohstoff für eine nebenliegende Gipsfabrik (Gipskartonplatten) und für eine Firma, welche zahntechnischen Gips herstellt. Der restliche Gips wird per Bahn in verschiedene Länder Europas exportiert oder in einem Tagebaurestloch zur späteren Verwendung zwischengelagert. Die Bahnlogistik der benötigten Zusatzstoffe und des anfallenden Gipses führt die Mitteldeutsche Eisenbahn durch.

Antransport des Klärschlamms per LKW.

Seit 2004 werden jährlich etwa 275.000 Tonnen Klärschlamm (2,75 % des Gesamtbrennstoffbedarfes) mitverbrannt. Durch die KSMV (Klärschlamm-Mitverbrennung) werden die Klärschlämme der Braunkohlenfeuerung zudosiert, verbrannt und durch die umfangreichen Filteranlagen des Kraftwerkes fast vollständig unschädlich gemacht. Mit dieser Mitverbrennung werden etwa 41.000 Tonnen Braunkohle pro Jahr eingespart. Durch diese Brennstoffzugabe wird kein zusätzliches CO2 in den natürlichen Kreislauf eingebracht, jedoch verringert sich der Nettowirkungsrad um etwa 0,05 % auf 42,5 %. Dieser Nachteil steht aber im Bezug auf die Wirtschaftlichkeit (Einsparung der Braunkohlemenge und Entsorgungsvergütung) der Klärschlamm-Mitverbrennung im Hintergrund.

Technische Daten (Auslegungsdaten, wenn nicht anders benannt)

Gesamtübersicht

Bruttoleistung in MWel 1867,2
Kurzzeitbruttoleistung in MWel 1940
Scheinleistung in MVA 2334
Dampferzeuger 2 (baugleich)
Turbosätze 2 (baugleich)
Feuerungsart primär Braunkohlestaub, sekundär Kläranlagenrückstände, Anfahrbetrieb Heizöl Extra Leicht
Einsatzart Grundlast, bedingt durch EEG auch Mittellast
Rauchgasentstaubung Elektrofilter (2 Filter mit je 16 Einzelfeldern je Dampferzeuger)
Rauchgasentschwefelung Kalkstein-Additiv-Verfahren (2 Rauchgasentschwefelungsanlagen je Dampferzeuger)
Rauchgasentstickung nicht benötigt, da Grenzwerte durch NOx-arme Feuerung unterschritten werden
CO2-Verminderung1 durch Wirkungsgradsteigerung und teilweiser Primärbrennstoffsubstitution mit CO2-neutralem Sekundärbrennstoff 2
Fernwärmeauskopplung in MWth 330
Nettowirkungsgrad in % 42,5
Brennstoffausnutzungsgrad in % 46

1 nur bei Grundlastbetrieb
2 Kläranlagenrückstände

Dampferzeuger

Art Zwangdurchlauf
Bauart Turmbauweise 1
Höhe in m 163
Dampfleistung in t/h 2420
Brennkammerhöhe in m 90
FD Druck in bar 267,5
FD Temp. in °C 554
ZD Druck in bar 52
ZD Temp. in °C 583
Primärbrennstoffmenge in t/h ca. 750
Sekundärbrennstoffmenge in t/h ca. 22
Mühlen 8× NV 110 2

1 alle Heizflächen befinden sich in einem einzigen Zug angeordnet nach oben, Abgasabführung erfolgt in einem Leerzug nach unten
2 Nassventilatormühlen mit je 110 t/h maximalen Kohledurchsatz

Turbinen

Bauart 5-gehäusige einwellige Hochtemperatur-Kondensationsturbine
Länge in m 51,7
Frischdampfmenge in kg/s 672.2
Druck v. HD-Teil in bar 259,5
Temp. v. HD-Teil in °C 550
Zwischendampfmenge in kg/s 596,8
Druck v. MD-Teil in bar 50
Temp. v. MD-Teil in °C 582
Kondensatordruck in barabsolut 0,038
Drehzahl in min-1 3000

Kondensatoren

abzuführende Leistung in MWth1 890,76
Kondensatordruck in barabsolut 0,038
Kühlwassermenge in m³/s 20,9
Kühlwassereintrittstemperatur in °C 16,4
Kühlwassergeschwindigkeit in m/s 1,95
Wärmeaustauschfläche in m² 54.950
Außenabmessungen (B/H/T) in m 22/15/18
Nettogewicht in t 1140

1 zur Zeit technisch nicht nutzbare, aber für den Dampfturbinenprozess benötigte Abwärmeenergie

Generatoren

Hersteller ABB (Alstom)
Typ 50WT25E-158
Scheinleistung in MVA 1167
Wirkleistung in MWel 933,6
Schaltung Stern
Spannung in kV 27
Strom in kA 24,954
Leistungsfaktor, übererregt 0,8
Leerlaufkurzschlussverhältnis 0.505
Erregereinrichtung statisch
Erregerspannung in V 757
Erregerstrom in A 6001
H2-Überdruck in bar 5
Masse Stator in t 430,3
Masse Rotor in t 97
Frequenz in Hz 50
Drehzahl in min-1 3000
Kühlung H2/H2O

Maschinentransformatoren

Anzahl 2 1 2
Typ TWSM (Siemens) KDOR (ABB)
Scheinleistung in MVA 1100 1100
Übersetzung in kV 27/410 27/410
Stufen 27 27
Kühlart ODWF 2 ODWF
Schaltung YNd5 YNd5
uk in % 21–22 21–22
max. Kurzschlussdauer in s 8 8
Gesamtmasse in t 550 555
Ölmasse in t 92,5 102

1 Parallelschaltung eines Siemens- und eines ABB-Trafos je Block
2 O – Öl als inneres Kühlmittel, D – direkt gerichtete Strömung des inneren Kühlmittels (durch Ölpumpen und zielgerichtete Strömungsverteiler),
W – Wasser als äußeres Kühlmittel, F – forcierte Strömung (durch Kühlwasserpumpen)

Kühltürme

Anzahl 2
Bauart Naturzug Nasskühlturm
Kühlwasserdurchsatz in t/h 86.400
Höhe in m 174,5

Abgasabführung

Die durch Elektrofilter und Rauchgasentschwefelungsanlagen gereinigten Abgase werden unter Ausnutzung der Konvektion über die beiden 174,5 m hohen Kühltürme an die Umwelt abgegeben.

Hilfsdampfversorgung

Durch eine Hilfsdampfschiene ist es möglich, dass ein Block den anderen versorgen kann. Für den Fall des Stillstands beider Dampferzeuger gibt es Hilfsdampferzeuger:

Hilfsdampferzeuger
Anzahl 2
Art Naturumlauf mit zwei Trommeln
Brennstoff Heizöl EL
Dampfparameter 3,12 t/h, 500 °C, 30 bar

Eigenbedarfsversorgung bei Netzausfall

Lastabwurf auf Eigenbedarf (Inselbetrieb)
12 Batterieanlagen 220 V−
10 Batterieanlagen 24 V−
16 unterbrechungsfreie Leistungsstromversorgungen
1 Notstromdiesel 2000 kVA, 0,4 kV

Das Kraftwerk ist nicht selbstschwarzstartfähig.

Sonstiges

Blick vom Dach

Die beiden 164 Meter hohen Kesselhäuser waren bis zur Fertigstellung der 172 Meter hohen Kesselhäuser des Kraftwerkes Niederaußem im Jahr 2002 die höchsten Industriegebäude in Deutschland. Auf dem Kesselhaus R befindet sich eine Aussichtsplattform mit einer Windrose, welche besondere Ortsmarken in der Umgebung aufzeigt. Der höchste Punkt des Kraftwerkes ist der Schornstein der Hilfskesselanlage in einer Höhe von 180 m.

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Lippendorf Power Station – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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