- Kulturgeschichte der Kartoffel
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Die spanischen Entdecker und Eroberer fanden in der Neuen Welt zahlreiche ihnen bisher unbekannte Pflanzen und Früchte, die heute ein selbstverständlicher Teil der Ernährung des Menschen in der alten Welt sind, wie Tomaten, Bohnen, Paprika und Mais. Für Europa erlangte die Kartoffel die größte Bedeutung.
Die Spanier lernten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts von den Inkas die papa (Quechua pápa) kennen. Die Ähnlichkeit zur Batate führt zur Vermischung der beiden Begriffe, so dass ab dem 17. Jahrhundert beide Pflanzen (und ihre jeweiligen Früchte) als patata bezeichnet werden. Erst ab dem 18. Jahrhundert wird wieder zwischen der Kartoffel (spanisch: patata in Spanien und papa in Hispanoamerika) und der Batate (spanisch: batata) unterschieden. Die englische Bezeichnung potato leitet sich hiervon ab. Der deutsche Name Kartoffel erinnert eher an Trüffel, italienisch tartufolo, mit denen sie am Anfang verglichen wurden. Den französischen Ausdruck pommes de terre hat man als Erdäpfel übersetzt. Die Kartoffel hat und hatte regional bzw. dialektal unterschiedliche Bezeichnungen, zum Beispiel Erdäpfel, Erdbirnen, Töften, Schocken, Mäusle oder Tuffeln. Deutsche historische Bezeichnungen sind Ertüffel und Tartuffel.[1] In der Pfalz und angrenzenden Regionen wie Saarland, Hunsrück und Nordbaden ist die Bezeichnung Grumbeer ("Grund-Birne") für die Kartoffel allgemein geläufig.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte der Kartoffel
Von Südamerika nach Europa
In den Anden Südamerikas kultivierten die einheimischen Völker Kartoffeln in zahlreichen Sorten bereits seit Jahrhunderten. Die Termine der meisten religiösen Feste der Inka entsprachen im Kalender den Pflanz- und Erntezeitpunkten dieser Erdfrucht. Die angebauten Sorten waren bereits hoch entwickelt, den verschiedensten Anbaulagen und unterschiedlichen Verwendungszwecken angepasst und weit entfernt von den Urformen, wie sie von der Natur hervorgebracht wurden. In den kargen Bergen war die papa die Hauptnahrung der Einheimischen. In Peru lässt sich die Kartoffel in bis zu viertausend Meter Höhe anbauen, dort wo Mais nur noch in den günstigsten, frostfreien Lagen gedeihen kann.
Die Entdeckung der Kartoffel durch die Spanier
- 1532: im Verlauf der Eroberungskampagne des Inkareiches (1531–1536) stößt der spanische Conquistador Francisco Pizarro bis zu den Anden, dem Areal der Kartoffel, vor. Einen konkreten Beweis, dass Pizzaro sich neben Gold auch für die Kartoffel interessiert hat, gibt es nicht.
- 1536: eine von Gonzalo Jiménez de Quesada in die Hochebene von Kolumbien geführte Expedition, lernt im Jahre 1537 in dem Dorf Sorocotá (in der heutigen Provinz Vélez) verbürgterweise die Kartoffel kennen. Die Kunde von diesem ersten Kontakt mit der Kartoffel wurde 1601 in einem Manuskript von Juan de Castellanos festgehalten, das aber erst im 19. Jh. veröffentlicht wurde.
- 1552: Francisco López de Gómara macht in seiner Historia general de las Indias als erster die Existenz der Kartoffel publik. In diesem Werk berichtet er, der aber selbst nie in Amerika war, dass die Einheimischen der Collao Hochebene (Altiplano, Titicacasee) sich von Mais und papas (Kartoffeln) ernähren und „hundert und mehr Jahre alt” werden.
- 1553: Pedro Cieza de Léon, ein direkter Augenzeuge, der weite Teile der Anden gegen Ende der 1530er und im Laufe der 1540er Jahren durchquert hatte und dabei des Öfteren auf die Kartoffel gestoßen war, verrät uns in seiner Chronik von Peru (1553), wie die Kartoffel in der Gegend von Quito verwendet wurde: gekocht und dann verspeist, oder durch Gefriertrocknen zu chuño verarbeitet und haltbar gemacht. [2]
Aus Peru über die Kanaren nach Spanien
- Um 1562: auf ihrem Weg von Südamerika nach Spanien macht die Kartoffel Zwischenstation auf den (spanischen) Kanarischen Inseln. Dies weiß man, weil im November 1567 drei Fässer, die Kartoffeln, Orangen und grüne Zitronen enthielten, von Gran Canaria nach Antwerpen, und im Jahre 1574 zwei Fässer mit Kartoffeln von Teneriffa via Gran Canaria nach Rouen verschifft wurden. Geht man davon aus, dass mindestens fünf Jahre nötig waren, um so viele Kartoffel zu erhalten, dass sie zum Exportartikel werden konnten, so fand die Einbürgerung der Pflanze auf den Kanaren spätestens 1562 statt.
- Um 1570: Der früheste Beleg dafür, dass die Kartoffel Spanien erreicht hat, findet sich in den Büchern des Hospital de la Sangre in Sevilla, das im Jahre 1573 Kartoffeln eingekauft hat. Man nimmt an, dass die Kartoffel Spanien spätestens 1570 und frühestens 1564/65 erreicht hat, da ansonsten der Botaniker Clusius, der das Land 1564 auf der Suche nach neuen Pflanzen bereiste, sie wohl bemerkt hätte.
Von Spanien aus gelangt die Kartoffel nach Italien und breitet sich dann langsam auf dem europäischen Festland aus.[2]
England und Irland
- Auf die britischen Inseln soll die Kartoffel ohne den Umweg über Spanien gelangt sein. Wer die Kartoffel dorthin gebracht hat ist unbekannt. Francis Drake war es jedenfalls nicht, wahrscheinlich auch nicht Walter Raleigh, auch nicht Thomas Harriot, Namen, die immer wieder in diesem Zusammenhang genannt werden.
- Historisch belegt ist nur, dass die Kartoffel spätestens 1596 in England angekommen war, denn in dem Jahr erschien in London der Katalog der Pflanzen, welche der Botaniker John Gerard in seinem Garten in Holborn züchtete, und darin kam auch die Kartoffel vor.
- Was Irland anbelangt, wo man vor allem in der Gegend von Cork daran festhält, die Kartoffel verdanke man Walter Raleigh, da gibt es noch die Theorie, die besagt, bei der Plünderung der an der Küste der grünen Insel gestrandeten Wracks der von Drake 1588 besiegten spanischen Armada seien auch zur Verpflegung der Mannschaft mitgeführte Kartoffeln erbeutet worden. Tatsächlich scheint die Kartoffel zwischen 1586 und 1588 in Irland angekommen zu sein. Ihr Anbau ist ab 1606 nachgewiesen, und noch vor dem Ende des 17. Jahrhunderts hatte sie sich zum Grundnahrungsmittel der Iren entwickelt. [3]
Botanische Werke
- Neben Gerards oben erwähntem Katalog, war im Jahre 1596 der Phytopinax des Basler Botanikers Gaspard Bauhin erschienen, der in diesem Werk eine der ersten Beschreibungen der Kartoffel geliefert und ihr den botanischen Namen Solanum tuberosum gegeben hat. Bauhin schreibt, er habe von dem berühmten Dr. Laurentius Scholtz (Scholz), in dessen Garten die Kartoffel wachse, [im Jahre 1590] eine Zeichnung dieser Pflanze erhalten, auf welcher jedoch weder die Blüten noch die Knollen dargestellt seien. Scholz soll bereits im Herbste 1587 in seinem Garten zu Breslau die Kartoffel angebaut haben.
- Im Dezember 1597 publiziert Gerard sein Herball (Kräuterbuch), in dem er der Kartoffel ein ganzes Kapitel widmet
- Im Jahre 1601 erscheint in Antwerpen das Buch Rariorum Plantarum Historia (Naturgeschichte seltener Pflanzen) von Carolus Clusius (Charles de l’Écluse) mit einer Beschreibung und einer Abbildung der Kartoffel. Im Januar 1588 hatte er seinen ersten Kontakt mit der Kartoffel, als ihm Philippe de Sivry, der Gouverneur von Mons (Belgien), zwei Knollen als Geschenk zukommen ließ. De Sivry hatte seine Kartoffeln im Vorjahr von einem Freund des päpstlichen Legaten in Belgien unter dem Namen Taratoufflo erhalten. Clusius lebte Anfang 1588 noch in Wien, zog dann aber im Laufe desselben Jahres nach Frankfurt, wo er die Knollen in seinem Garten anpflanzte. Ob die Kartoffel dann wirklich, von dort aus Deutschland eroberte und in die Schweiz sowie nach Frankreich (Franche-Comté, Dauphiné, Vivarais), so wie dies behauptet wurde, vordrang, das ist eine andere Frage. Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass es um das Jahr 1600 in den meisten europäischen Ländern Botaniker oder Liebhaber gab, welche die Kartoffel als kostbare Rarität in ihren eigenen Gärten oder jenen ihrer vornehmen und reichen Dienstherren züchteten. [2]
Das Verkosten der oberirdischen Früchte endete oft mit Bauchschmerzen oder Vergiftungserscheinungen, und so entstanden bald zahlreiche Vorurteile gegenüber dieser schön blühenden Pflanze aus Übersee.
Es gibt viele auch widersprüchliche Geschichten und Anekdoten, wie die Kartoffel in Europa zur Agrarfrucht wurde. Die zeitgenössischen Berichte sind sehr ungenau, wurde doch die Kartoffel von damaligen Berichterstattern allzu oft mit Süßkartoffel und vor allem Topinambur verwechselt. Diese Bodenfrüchte haben zwar ein wenig Formähnlichkeit, sind aber biologisch nicht miteinander verwandt.
Verbreitung der Kartoffel im europäischen Raum
Es dauerte einige Generationen, bis aus der botanischen Kostbarkeit eine Hauptnahrungsquelle der breiten Bevölkerung in Europa wurde. Viele Vorurteile und traditionsbedingte Hemmnisse standen ihr zu Beginn im Weg. Außerdem war ein Problem, dass alle ursprünglichen Wildkartoffeln für die Knollenbildung ausreichend lange Zeiten nächtlicher Dunkelheit („Nachtschatten“) benötigen. Unter den Bedingungen des europäischen Langtag-Sommers brachten sie deshalb nicht Knollen der Größe hervor, die man im ursprünglichen Verbreitungsgebiet nahe dem Äquator ernten konnte. Dieses Problem musste zunächst verstanden und durch entsprechende Pflanzenzüchtung behoben werden.
Auf Irland wurden Kartoffeln allerdings schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts angebaut, da sie die ideale Frucht für diese karge Insel zu sein schien. Ausbringung und Ernte waren auch ohne besondere Werkzeuge möglich, Wild und weidendes Vieh pflegten dem Kartoffelkraut keinen Schaden zuzufügen und man konnte auch auf schlechten und steinigen Böden und in steilen Hanglagen Kartoffeln anbauen. Der wichtigste Vorteil war der anderthalbfache Flächenertrag im Vergleich zum Anbau von Getreide. Zum Schluss war auch die häusliche Zubereitung viel einfacher als beim Getreide: Kartoffeln muss man weder dreschen, noch mahlen, noch zu Brot backen. An dem bescheidenen Torffeuer, das die Hütten wärmte, wurden auch Kartoffeln gar gekocht. Irland war damals eine englische Kolonie, die Vieh und Getreide ins Mutterland exportieren musste. Die Kartoffeln blieben den Bauern oft als einzige Nahrungsquelle.
Im Kloster Seitenstetten in Niederösterreich verfasste der Benediktinerabt Caspar Plautz ein Kochbuch mit Kartoffelrezepten, das 1621 in Linz erschien.[4] Kartoffeln baute man in Bayern spätestens um 1647 in dem von den fränkischen Hohenzollern regierten Pilgramsreuth bei Rehau an, dann wieder 1649 im Berliner Lustgarten. Der Lustgarten war auf Weisung des „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm von Brandenburg von seinem Hofgärtner Michael Hanff zusammen mit dem Hofbotanicus Johann Sigismund Elsholtz 1647 anstelle eines bereits im 16. Jahrhundert angelegten, aber nach dem Dreißigjährigen Krieg verwüsteten Nutz- und Küchengartens angelegt worden. Elsholtz bezeichnete in seiner Schrift „Flora marchica“ die Kartoffeln, die damals noch als Zierpflanzen angesehen wurden, als „Holländische Tartuffeln“ und schrieb in seinem „Diaeteticon“ über sie: „Diese Wurzeln wachsen von sich selbst in America / und denen nahe daran belegenen Inseln [..] Diese anmuthige Wurzeln kommen selten zu uns […] Alsdan aber uebergehen sie die liebligkeit der Castanien und der gemeinen Zuckerwurz gar weit / und waeren wehrt / dass man sie auch bey uns zu ziehen vermoechte.“
1747 begann Johann Georg von Langen südlich von Braunlage im Oberharz den Kartoffelanbau.
In Preußen sorgte Friedrich der Große für den großflächigen Anbau der Kartoffel. Die Devise des Alten Fritz war: "Kartoffel statt Trüffel!" Seine Propagandafeldzüge für die Kartoffeln sind kaum weniger bekannt als seine Kriegszüge. In beiden Fällen spielte die Armee eine wichtige Rolle. Es wird erzählt, er habe rund um Berlin die ersten Kartoffelfelder anlegen und von Soldaten bewachen lassen. Sie sollten aber nicht so genau hinschauen oder so tun als ob sie schliefen, damit die Bauern von der Kostbarkeit dieser Frucht überzeugt würden, denn auch in Preußen galt: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Die Bauern hätten dann, ganz im Sinne des Königs, diese Erdäpfel hinter dem Rücken der Soldaten geklaut und gekostet und schließlich selbst angebaut. Sicher ist, dass Friedrich der Kartoffel mit Verordnungen zum Durchbruch verhalf. So erließ er am 24. März 1756 eine Circular-Ordre, die den Kartoffelanbau anordnete: In dieser heißt es, an „sämmtliche Land- und Steuer-Räthe, Magisträte und Beamte“[5] gerichtet, unter anderem:
„Es ist Uns in höchster Person in Unsern und anderrn Provintzien die Anpflanzung der sogenannten Tartoffeln, als ein nützliches und so wohl für Menschen, als Vieh auf sehr vielfache Art dienliches Erd Gewächse, ernstlich anbefohlen. [...]“
„Übrigens müßt ihr es beym bloßen Bekanntwerden der Instruction nicht bewenden, sondern durch die Land-Dragoner und andere Creißbediente Anfang May revidieren lassen, ob auch Fleiß bey der Anpflantzung gebraucht worden, [...]“
In die Schweiz kam die Kartoffel wegen ihrer Blütenpracht zuerst als seltene Topfpflanze. Erst hundert Jahre später, am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, wurde sie als Speisekartoffel angebaut. Die Anbaubedingungen waren ähnlich wie im Ursprungsland Peru. Die Kartoffel wurde allerdings nicht bis in viertausend Meter Höhe wie in den südamerikanischen Anden angepflanzt, sondern höchstens bis knapp über der Waldgrenze bei etwa zweitausend Meter. Kartoffeln wurden dann rasch zur beliebten Volksspeise: als Rösti fanden sie Einzug in die traditionelle Schweizer Küche.
Der aus dem Herzogtum Luxemburg (damals ein Teil der Österreichischen Niederlande) stammende "Erdäpfelpfarrer" Johann Eberhard Jungblut steht im Rufe, im Jahre 1761 Kartoffeln aus seiner Heimat in Niederösterreich eingeführt zu haben.[6] In Luxemburg selbst wurde die Kartoffel Anfang des 18. Jahrhunderts angepflanzt. Siehe: Kulturgeschichte der Kartoffel (Luxemburg)
Unter Maria Theresia wurde der Anbau gefördert. So wurde er erstmal in Pyhrabruck, einem Ort in der Gemeinde Unserfrau-Altweitra im Kaiserthum Österreich befohlen.[7] Populär wurde die Kartoffel in Österreich aber erst in den während der Napoleonischen Kriegen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.[8]
Hungersnöte
Die Einführung der Kartoffel in Europa blieb nicht ohne Schattenseiten. Als Hauptnahrungsquelle des Volkes verbesserte sie zwar die Ernährungsmöglichkeiten in Europa für die Landbevölkerung zunächst stark und ließ indirekt nach der Katastrophe des dreißigjährigen Krieges und nach zahlreichen Seuchen die Bevölkerungszahl wieder wachsen. Für breite Bevölkerungsschichten wurde die Kartoffel allerdings zur praktisch einzigen Ernährungsgrundlage, am deutlichsten in Irland. Wenn die Kartoffelernte gering war, stiegen die Getreide- und Brotpreise und die Menschen mussten hungern. Dies geschah lokal häufiger, meist als Folge von Schlechtwetterperioden, wegen Trockenheit oder zu viel Regen.
Als dann am Anfang des 19. Jahrhunderts aus Amerika auch Kartoffelkrankheiten eingeschleppt wurden, waren die Kartoffelmonokulturen schutzlos. Eine Missernte folgte der anderen und verursachte Hunger beim Großteil des Volkes. Viele Millionen Menschen verhungerten in Europa, besonders während der Großen Hungersnot in Irland, wo die Abhängigkeit von der Kartoffel besonders groß war, zumal dieses Land von seinen Exporterlösen für Getreide finanziell abhängig war. Hier starben innerhalb von zwei Jahren über eine Million Menschen an Hunger. Sie hätten sich auch das Brot nicht kaufen können, denn die meisten sahen ihr Leben lang kein Bargeld. Wer es sich irgendwie leisten konnte, wanderte somit – meist in die USA – aus.
In den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland zahlreiche öffentliche Grünanlagen umgenutzt, um statt Blumen und Rosen darauf Kartoffeln und anderes Gemüse anzubauen. Auch in der Schweiz wurden während der sogenannten Anbauschlachten auf jedem kultivierbaren Quadratmeter Land Kartoffeln angebaut.
Kunst, Literatur
Zahlreiche Sprüche um die Kartoffel werden bis heute tradiert: „Die dümmsten Bauern ernten die dicksten Kartoffeln.“, „Kartoffelessen macht dumm.“ und „Jetzt musst du eine Zeit lang Kartoffeln essen.“ (Jetzt musst du ganz sparsam leben.).
Wenn ein Maler das Leben der Armen abbilden wollte, wenn ein Schriftsteller eine bäuerliche Familie schilderte, waren ab dem 19. Jahrhundert Kartoffeln ein beliebtes Thema, um das einfache Leben zu beschreiben. Das Bild L'Angélus (Abendgebet auf dem Feld) von Jean-François Millet entstand 1855 und wurde etwa ab der Jahrhundertwende massenhaft reproduziert. Es zeigt eine Frau und einen Mann beim Gebet auf dem Feld; im Vordergrund steht ein gefüllter Korb mit frisch geernteten Kartoffeln, hinter dem Paar eine Schubkarre mit gefüllten Säcken.[9] Auch Vincent van Goghs Gemälde Die Kartoffelesser von 1885 ist weltbekannt. Als Teilnehmer an einer Schlacht erscheinen Kartoffeln auf Raoul Michaus surrealistischem Bild La Bataille des Pommes de Terre 1948.
Industrialisierung
Für die aufkommende Industrialisierung in England und später dann auch auf dem europäischen Kontinent war die Ernährung der zunehmenden städtischen Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Im Gegensatz dazu konnte die Landbevölkerung den größten Teil ihrer Nahrung selber produzieren. Selbst Landlose hatten mindestens einen Pflanzplatz, einen Minigarten, um wenigstens das Gemüse nicht kaufen zu müssen. Für das Stadtproletariat waren Obst und Gemüse praktisch unerreichbar. Gerade die Hauptnahrung Kartoffel lieferte neben den notwendigen Kalorien auch Spurenelemente und Vitamine, wie es wohl kein anderes Hauptnahrungsmittel hätte tun können. In der Schweiz fand die Industrialisierung zuerst vor allem im ländlichen Raum statt. Auch hier hatten die meisten Arbeiterfamilien neben ihren Kosthäusern noch Gemüse und vor allem Kartoffeln angebaut.
Als auch in der Schweiz die Städte wuchsen, war die städtische Arbeiterschaft viel schlechter ernährt als die ländliche. Die ersten städtischen Sozialsiedlungen sorgten für Pünt oder Schrebergärten, wo die Familie ihr Gemüse, vor allem Kohl und Kartoffeln, selber züchten konnte. Zahlreiche Reformer empfahlen die Gartenarbeit für den Arbeiter als eine Erholung. In der Kolonie Monte Verità oberhalb Ascona bauten um die Jahrhundertwende selbst wohlhabende Städter barfuß, ja sogar nackt in der Sonne ihre Kartoffeln und ihr Gemüse an, um sich mit der Mutter Erde wieder zu versöhnen und ihren Körper und Geist zu heilen.
Auswanderung
Nicht nur in Irland, überall in Europa nahm die Bevölkerung dank verbesserter Ernährung im neunzehnten Jahrhundert rasch zu. Bald haben aber auch die gesteigerten Erträge nicht ausgereicht, um alle zu ernähren. Wer dem Hunger entging und die Überfahrt im Zwischendeck bezahlen konnte, wanderte aus.
Gegenwart und Zukunft
Die große Zeit der Kartoffelanbaukultur in Europa war sicher das 19. Jahrhundert. Bemerkenswert ist immerhin, dass die Kartoffel das einzige pflanzliche Massenprodukt des Agrarmarkts der Europäischen Union ist, für das es keine Marktordnung gibt bzw. je gab. Das Fehlen einer „Europäischen Kartoffelmarktordnung“ macht deutlich, dass dieses Produkt in Europa nach wie vor zu nicht-subventionierten Weltmarktbedingungen produziert werden kann.
Schnellgerichte und Fertignahrung werden sicher auch dann noch Spuren von Kartoffeln enthalten, auch wenn andere Ausgangsstoffe auf dem Weltmarkt noch billiger zu beschaffen sind. Das gilt wohl auch für die großindustrielle Verwertung, wie auch für die Kartoffel als Vieh-Futtermittel. In vielen Ländern der Welt, wo jedoch Mangel- und Fehlernährung herrscht, könnte der Kartoffelanbau einen Teil der Ernährungsproblematik lösen helfen.
In Österreich lag der Selbstversorgungsgrad im Jahr 2006 bei etwa 96 %, wobei die Hauptanbaugebiete in den beiden Bundesländern Nieder- und Oberösterreich liegen. Im Durchschnitt aß der Österreicher im selben Zeitraum 53,6 kg.[10]
Literatur
- Armin Bollinger: So nährten sich die Inka. Rüegger Verlag, Grüsch 1986, ISBN 3-7253-0283-9.
- Klaus Henseler: Die Kartoffel auf der Briefmarke. Die Entdeckung eines alltäglichen Nahrungsmittels. Rauschenplat, Cuxhaven 2001, ISBN 3-935519-01-X.
- Henry Hobhouse: Sechs Pflanzen verändern die Welt. Chinarinde, Zuckerrohr, Tee, Baumwolle, Kartoffel, Kokastrauch. 4. Auflage, Klett-Cotta, Hamburg 2001, ISBN 3-608-91024-7, 401 S.,(spannend zu lesende Geschichte aus ungewöhnlicher Perspektive)
- Jos. A. Massard: 300 Jahre Kartoffel in Luxemburg: (I) Europa entdeckt die Kartoffel. (II) Grundbirne, Grompir, Gromper: die Kartoffel erobert Luxemburg. (III) Die Kartoffel in Luxemburg im 19. Jh. Lëtzebuerger Journal 2009, [ I ] Nr. 15 (22. Jan.): 23; Nr.16 (23. Jan.): 10, Nr. 17 (24./25. Jan.): 11; [ II ] Nr. 18 (27. Jan.): 23, Nr. 19 (28. Jan.): 21; [ III ] Nr. 20 (29. Jan.): 9, Nr. 21 (30. Jan.): 21. Anmerkungen u. Quellen.
- Alexander Moutchnik: Soziale und wirtschaftliche Grundzüge der Kartoffelaufstände von 1834 und von 1841–1843 in Russland. In: Heinz-Dietrich Löwe (Hrsg.): Volksaufstände in Russland. Von der Zeit der Wirren bis zur „Grünen Revolution“ gegen die Sowjetherrschaft (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte; Bd. 65). Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2006, ISBN 3-447-05292-9, S. 427-452.
- Helmut Ottenjann: Die Kartoffel. Geschichte und Zukunft einer Kulturpflanze. Museumsdorf, Cloppenburg 1992, ISBN 3-923675-30-5.
- Larry Zuckerman: Die Geschichte der Kartoffel von den Anden bis in die Friteuse. Claassen, Berlin 2004, ISBN 3-546-00364-0.
Einzelnachweise
- ↑ Wilhelm F. K. Fuess: Die Geschichte der Kartoffel, Berlin : Forschungsinstitut für Stärkefabrikation, 1939, S. 70; S. 73 (Karte 8: Die volkstümlichen Namen der Kartoffeln)
- ↑ a b c Massard 2009, Nr. 15 (siehe Literatur).
- ↑ Massard 2009, Nr. 16 (siehe Literatur).
- ↑ Honorius Philoponus [= Pseudonym von Caspar Plautz], Nova Typis Transacta Navigatio. Novi Orbis Indiae Occidentalis ..., [Linz] 1621.
- ↑ in: Sammlung der in dem souverainen Herzogthum Schlesien und dessen incorporirten Grafschaft Glatz in Finantz-, Justiz-, Criminal-, geistlichen-, Consistorial-, Kirchen-Sachen etc. publicirten Edicte ... - Breslau : Korn, 1759; ZDB-ID 3107747.
- ↑ Massard 2009, Nr. 19 (siehe Literatur).
- ↑ Unserfrau-Altweitra abgerufen am 17. Oktober 2011
- ↑ Kartoffel: die kraftvolle Knolle auf Medizin populär abgerufen am 17. Oktober 2011
- ↑ Museum für Volkskultur in Württemberg, Außenstelle des Württembergischen Landesmuseum [sic!] Stuttgart, 13 Dinge. Form Funktion Bedeutung. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum für Volkskultur in Württemberg Waldenbuch Schloß vom 3. Oktober 1992-28. Februar 1993, Stuttgart 1992, ISBN 3-929055-24-4, S. 182
- ↑ Österreicher lieben Erdäpfel auf der seite des Lebensministeriums vom 20. September 2007 abgerufen am 17. Oktober 2011
Weblinks
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