Königsstädtisches Theater

Königsstädtisches Theater

Das Königsstädtische Theater (manchmal auch Königsstädter Theater genannt) am Berliner Alexanderplatz war ein privat geführtes und finanziertes Volkstheater im Gegensatz zu den Hofbühnen der Stadt. Es wurde nach dem Vorbild der Pariser Boulevardtheater und der Wiener Vorstadttheater von Carl Theodor Ottmer erbaut und am 4. August 1824 von Karl Friedrich Cerf eröffnet, der es bis zu seinem Tod 1845 führte. Es war eine Aktiengesellschaft, aber stark von höfischen Zuschüssen abhängig. 1932 wurde das ursprüngliche Gebäude, das seit 1851 für andere Zwecke genutzt worden war (siehe Alexanderplatz), abgerissen. Der Name wurde nach 1850 auf andere Theater übertragen, hauptsächlich auf das Wallner-Theater.

Inhaltsverzeichnis

Ursprüngliches Gebäude

Das Königsstädtische Theater
Henriette Sontag in ihrer Berliner Zeit

Die Bühne war dem Volksstück gewidmet, das seit den Befreiungskriegen einen besonderen Nimbus hatte. Der Wiener Kongress hatte den Ruhm der privatwirtschaftlichen Wiener Theater in die Welt hinausgetragen. So befürwortete der König eine ähnliche Einrichtung in Berlin. Ludwig Tieck setzte sich dafür ein, dass eine stehende Bühne für das „heitere“ Theatergenre die Komödiantenbuden an Niveau übertreffen konnte. Das Königsstädtische Theater wurde zum ersten „bürgerlichen“ Theater Berlins.

Wie für diese Art Bühnen üblich, pflegte das Königsstädtische Theater ein Mischrepertoire zwischen Posse, Melodram, Singspiel und Pantomime. Typische Produkte waren Louis Angelys Das Fest der Handwerker (1829) oder Franz Gläsers Des Adlers Horst (1832). Es durfte weder Tragödien noch ernste Opern aufführen. Seit 1825 war Karl von Holtei als Hausautor tätig. Carl Blum versuchte hier, eine deutsche Variante des Vaudevilles einzuführen. Theaterautoren wie Angely, David Kalisch und Adolf Glaßbrenner prägten die Berliner Lokalposse, deren Witz politischer war als bei ihrem Wiener Gegenstück. Berühmte Schauspieler und Sänger wie Josef Spitzeder, Heinrich Schmelka und Friedrich Beckmann verhalfen dem Theater zu seinem Ruf. Glaßbrenner und Beckmann schufen auf dieser Bühne den Eckensteher Nante als stehende Rolle der Berliner Lokalposse. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden auch italienische (und französische) Opern gegeben. Henriette Sontag war zwei Jahre lang der Gesangsstar und brillierte in Partien von Gioachino Rossini. 1833 wurde Franz Grillparzers und Conradin Kreutzers Oper Melusina uraufgeführt.

Mit der Thronbesteigung von Friedrich Wilhelm IV. 1840 verlor das Königsstädtische Theater die höfischen Subventionen und konnte sich nur noch schwer halten. In der Märzrevolution von 1848 fanden aufrührerische Ereignisse im Theater und seiner Umgebung statt. In der zensurfreien Folgezeit gingen politisch unerwünschte Stücke über die Bühne, sodass sie bei der Wiedereinführung der Zensur 1851 geschlossen wurde. 1850 war zudem das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater (heute: Deutsches Theater Berlin) eröffnet worden, in dem ebenfalls Possen und Volksstücke gegeben wurden.

„Man tritt ein in das Königstädter Theater. Man wählt sich einen Platz im ersten Rang, denn dahin kommen verhältnismäßig weniger Leute; und soll man eine Posse sehen, muss man bequem sitzen und sich nicht im Entferntesten durch jene Kunst-Wichtigkeit genieren lassen, die bewirkt, dass viele sich in ein Theater pferchen lassen, um ein Stück zu sehen, so als sei dies eine Sache der ewigen Seligkeit. (...) Das Orchester ist fertig, der Vorhang hebt sich schon ein bisschen, da fängt jenes andere Orchester an, das nicht dem Stock des Konzertmeisters gehorcht, sondern einem inneren Trieb folgt, jenes andere Orchester, der Naturlaut der Galerie, die Beckmann bereits in den Kulissen erahnt hat. Im allgemeinen habe ich in der Loge weit zurück gesessen, konnte deshalb den zweiten Rang und die Galerie überhaupt nicht sehen, die wie ein Mützenschirm über meinen Kopf hinausragten. Um so abenteuerlicher wirkt dieses Lärmen. Wohin ich blicken konnte, war überall großenteils Leere; der große Raum des Theaters verwandelte sich mir in den Bauch jenes Meeresungeheuers, in dem Jonas gesessen hat; das Lärmen auf der Galerie war wie eine Bewegung in des Ungeheuers viscera. Von dem Augenblick an, wo die Galerie zu musizieren begonnen hat, bedarf es keines Akkompagnements; denn Beckmann animiert sie und sie Beckmann.(...) So lag ich in meiner Loge, weggeworfen wie die Kleider eines Badenden, hingestreckt an jenen Strom des Lachens, des Mutwillens und des Jubels, der ohne Unterlass an mir vorüberbrauste: ich konnte nichts sehen als des Theaters Raum, nichts hören als den Lärm, in dem ich wohnte. Nur dann und wann erhob ich mich, sah Beckmann zu und lachte mich so müde, dass ich vor Mattigkeit wieder am Rande des brausenden Flusses niedersank.“

Sören Kierkegaard: Die Wiederholung[1]

Wallner-Theater

Das neue Wallner-Theater seit 1864

Die Lizenz und damit den berühmten Theaternamen erbte Rudolf Cerf von seinem Vater. 1852–1854 nannte er das ehemalige Gebäude des Circus Renz an der Charlottenstraße 90 Neues Königsstädtisches Theater (siehe Berliner Theater).

1855 wurde die Lizenz von dem Schauspieler und Schriftsteller Franz Wallner erworben. Sein Gebäude an der Blumenstraße, zuvor ein Theater in Concordia, führte bis 1858 den Namen Königsstädtisches Vaudeville-Theater. Kapellmeister war August Conradi. 1858–1864 wurde es Wallner-Theater genannt, nachdem Cerf sich zurückgezogen hatte. Es widmete sich nach wie vor hauptsächlich der Lokalposse und erlebte mit Schauspielern wie Karl Helmerding oder Anna Schramm eine Glanzzeit. Das Haus lag an der Blumenstraße 9b, der Eingang war beim Grünen Weg (heute Singerstraße). Oft wird daher der Ausruf „Ach, du grüne Neune!“ auf dieses Theater zurückgeführt.

1864 baute Wallner etwas weiter südlich, in der Wallner-Theater-Straße 35, ein neues Wallner-Theater. Es galt als eines der größten (für 1200 Zuschauer) und schönsten Berlins.[2]Rudolf Bial wurde hier Kapellmeister. Im neuen Wallner-Theater wirkten so unterschiedliche Komponisten wie Paul Lincke, Emil Nikolaus von Reznicek oder Victor Hollaender als Dirigenten. Theodor Herzl debütierte 1888 als Lustspielautor mit dem Stück Seine Hoheit. Schwänke wie Pension Schöller (1890) wurden uraufgeführt.

Das alte (oben, rechts neben dem dunkel eingezeichneten Residenz-Theater) und das neue Wallner-Theater (hier als Schiller-Theater bezeichnet)

Aus dem Gebäude wurde 1894–1918 das Schiller-Theater Ost. Camilla Spira oder Lotte Lenya spielten nach dem Ersten Weltkrieg auf dieser Bühne. Nach einem erfolglosen Zwischenspiel als „Nationalsozialistisches Volkstheater“ wurde das Haus 1930 zur dritten Piscator-Bühne und damit eine Stätte des multimedialen Avantgarde-Theaters. Das zeitkritische Stück § 218 – gequälte Menschen von Karl Credé-Hoerder wurde hier aufgeführt. Das Theater wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, nachdem es noch als Schallplatten-Studio gedient hatte. Heute erinnert bloß die Wallnerstraße daran. Am Ort des Theaters befindet sich ein Sportplatz.

Das alte Wallner-Theater wurde wiederum zur „Gastwirtschaft mit Vereinstheater“. Wallner verpachtete es 1868 an Theodor Lebrun, worauf es offiziell Bundeshallen-Theater genannt wurde. 1869–1870 wurde ein Theater an der Greifswalder Straße Königsstädtisches Theater genannt. Seit 1872 führte das Haus an der Blumenstraße wieder den Namen Königsstädtisches Theater. Wechselnde Namen folgten. Im Westen unmittelbar daran angrenzend, befand sich seit 1871 das Residenz-Theater. Schauspieler, die später zum Film gingen, wie Harry Walden oder Hans Mierendorff begannen hier ihre Laufbahn. Schon 1910 wurde es in ein Kino umgewandelt. Daneben stand ein Tanzpalast, die Gegend war ein Ausgehviertel der Stadt. – Nur noch ein Haus aus den 1920er-Jahren (Singerstraße 1) am Ort der „grünen Neune“ mit einem Rest der alten Blumenstraße erinnert noch an diesen untergegangenen Teil von Berlin.

Weitere Schauspieler am Wallner-Theater waren Ernst Formes und Ernestine Wegner.

Literatur

  • Otto Franz Gensichen: Kulissenluft. Wallnertheater-Erinnerungen, Berlin: Paetel-Verlag 1909.
  • Erika Wischer: Das Wallner-Theater unter der Direktion von Franz Wallner (1855–1868). Das Berliner Lokalpossen-Theater des Nachmärz. München: Schoen 1967.
  • Otto Schneidereit: Berlin wie es weint und lacht. Spaziergänge durch Berlins Operettengeschichte, Berlin: Lied der Zeit 1976.
  • Hans-Rüdiger Merten: Vergessene Theater im alten Berlin. Eine Spurensuche, Berlin: Trafo-Verlag 2006. ISBN 3896265997.
  • C. T. Ottmer: Architektonische Mitteilungen. Erste Abteilung: Das Königstädt'sche Schauspielhaus zu Berlin, in zehn Zeichnungen, mit erläuterndem Text, in besonderer Beziehung auf das, nach exzentrischen Kreisen amphitheatrisch erbaute Spektatorium. Vieweg, Braunschweig 1830 (20 Seiten Text, 10 Tafeln; einsehbar im Lesesaal der Bibliothek des Deutschen Museums in München, Signatur: 3000 / 1982 B 296).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Kopenhagen 1843. Deutsch von Günther Jungbluth, München (DTV) 2005, S. 372f
  2. Preise und Sitzplan des Wallner-Theaters anno 1873 im Berliner Adressbuch (online); Einträge Nr. 8 und Nr. 9
52.52041666666713.415361111111

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