Liebknecht-Luxemburg-Demonstration

Liebknecht-Luxemburg-Demonstration
Gedenkstätte der Sozialisten, Berlin-Friedrichsfelde. Zielpunkt der Demonstration

Die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration ist eine jährliche politische Großdemonstration zum Gedenken an die am 15. Januar 1919 ermordeten revolutionären Sozialisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Sie findet regelmäßig um das Datum ihres Todestages, am zweiten Januarwochenende, in Berlin statt und verläuft in der Regel vom Frankfurter Tor bis zur Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde.

Gruppen, die sich in die Tradition der Oktoberrevolution stellen, beziehen auch Lenin in das Gedenken ein und sprechen daher abgekürzt von der LLL-Demonstration. Antifa-Gruppen und undogmatische oder Demokratische Sozialisten bevorzugen die eingangs genannte Bezeichnung, abgekürzt als LL-Demonstration.

Inhaltsverzeichnis

Weimarer Republik

Die Demonstration entwickelte sich in der Weimarer Republik aus Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Spartakusaufstands (5. bis 12. Januar 1919). Am 25. Januar 1919 wurden 32 von 165 amtlich festgestellten Toten des Aufstands, darunter Karl Liebknecht, auf dem Friedhof Berlin-Friedrichsfelde beerdigt. Aus diesem Anlass riefen USPD und KPD zu einer Massendemonstration auf, die eine große Teilnehmerzahl fand.

Für Rosa Luxemburg war zunächst ein leerer Sarg beigesetzt worden, da ihre Leiche noch nicht aufgefunden worden war. Am 1. Juni 1919 wurde ihre Leiche im Landwehrkanal Berlins entdeckt; am 13. Juni wurde sie nachträglich beerdigt. Der Friedhof musste wegen des enormen Andrangs geschlossen werden.[1]

Nach seinem Tod am 21. Januar 1924 wurde auch Lenin als Revolutionär und Begründer der Sowjetunion in diese Ehrung einbezogen. Am 13. Juni 1926 wurde ein von Mies van der Rohe geschaffenes Mahnmal für die ermordeten Sozialisten auf dem Friedhof Lichtenberg eingeweiht, das die Nationalsozialisten 1933 zerstörten.

Deutsche Demokratische Republik

1949 wurde die Gedenkstätte nach der Gründung der DDR erneuert. Dort waren die Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Feiern ein jährlicher von der SED organisierter Aufmarsch mit einer Ehrentribüne für die Staats- und Parteiführung.[2]

Der Aufmarsch fand zwischen dem U-Bahnhof Frankfurter Allee und der Gedenkstätte statt. An der Spitze des Zuges befand sich das gesamte SED-Politbüro mit dem Generalsekretär an der Spitze. Am Ziel nahm die Staats- und Parteispitze die Plätze auf der Ehrentribüne ein und der Zug aus mehr als hunderttausend Menschen lief an der Tribüne vorbei. Den Abschluss bildeten die paramilitärischen Kampfgruppen der Arbeiterklasse.

Die Zuschauer bildeten Abordnungen Berliner Betriebe. Diese waren von den Partei- und Gewerkschaftsfunktionären der Betriebe ausgewählt und mit Fahnen, Transparenten und Spruchbändern versehen. Die verwendeten Losungen wurden von der Parteispitze vorgegeben. Die Standorte der einzelnen Betriebsgruppen war geplant und festgelegt.

Zu den Aufmärschen gehörte bis Anfang der achtziger Jahre die Mitführung außerordentlich großer Fotos der Mitglieder der Parteispitze. In den 1980ern wurde nur noch das Bild von Partei- und Staatschef Erich Honecker mitgeführt.[3]

Am 17. Januar 1988 wollten Bürgerrechtler bei der offiziellen "Kampfdemonstration" Plakate mit dem in der SED-Presse verschwiegenen Zitat Rosa Luxemburgs Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden zeigen.[4] Etwa 120 oppositionelle Demonstrationsteilnehmer wurden durch Mitarbeiter der Stasi und Volkspolizisten verhaftet, obwohl sie lediglich beabsichtigten, Luxemburg-Zitate sowie den DDR-Verfassungsartikel 27 über das - freilich im SED-Staat nicht gewährte - Recht auf freie Meinungsäußerung zu präsentieren.[5] Die rituelle Macht-Demonstration der SED wurde dennoch erstmals offen mit dem Streben von Oppositionellen und Ausreisewilligen nach Pluralismus und Demokratie konfrontiert.[6] Unter den Inhaftierten befanden sich der Liedermacher Stephan Krawczyk, der gegen sein Berufsverbot protestieren wollte, die Bürgerrechtlerin Vera Wollenberger und die Mitarbeiter der Umwelt-Bibliothek Till Böttcher[7], Andreas Kalk[8] und Bert Schlegel[9]. Letztere hatten besagtes Transparent im Atelier des Vaters von Till Böttcher hergestellt.[10] 25 Personen, die zuvor schriftlich zum Verzicht auf die Demonstrationsteilnahme genötigt worden waren und die Unterschrift dazu verweigert hatten, wurden in die Bundesrepublik ausgebürgert. Weitere Bürgerrechtler, die auf die Verhaftungen öffentlich aufmerksam machten,[11] darunter Bärbel Bohley, Freya Klier und Wolfgang Templin, wurden am 25. Januar des Jahres verhaftet und im Februar ausgebürgert. Der öffentliche Demonstrationsversuch und die folgenden überregionalen Proteste (tägliche Mahngottesdienste in Ost-Berlin, Leipzig, Rostock, Jena, Meiningen und anderen Städten) gegen die Verhaftungen[12] gelten als Auftakt zur Friedlichen Revolution von 1989.[13] Zunächst aber ging der Plan des Ministeriums für Staatssicherheit auf, durch die selektiven Ausbürgerungen einen Keil in die oppositionelle Szene zu treiben.[14] Das war jedoch nur ein "Pyrrhussieg der SED"[15].

Bundesrepublik Deutschland seit 1990

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wird die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration von einem Bündnis verschiedener linksgerichteter Gruppen, Parteien und Einzelpersonen in der Bundesrepublik Deutschland veranstaltet. Sie hat sich zu einem festen Treff- und Sammelpunkt heterogener Kräfte der Politischen Linken mit zehntausenden Teilnehmern entwickelt. Dazu gehören auch Sozialisten aus weiteren Staaten Europas.

1996 kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten von den Autonomen sowie Sympathisanten der in Deutschland als terroristische Vereinigung geltenden Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). 2000 wurde die damals auf den 9. Januar angesetzte Demonstration wegen einer Terrordrohung gegen die Teilnehmer kurzfristig von den Berliner Behörden verboten. Ein Teil der Veranstalter, darunter Antifagruppen und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), demonstrierte daraufhin ohne Genehmigung am 9. Januar gegen das Demonstrationsverbot. Dabei kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Daraufhin wurde die Demonstration im Verfassungsschutzbericht desselben Jahres erwähnt.[16] Der überwiegende Teil der Veranstalter jedoch verlegte die Demonstration auf den 15. Januar; deren Verlauf blieb weitgehend ohne Zwischenfälle.[17]

2003 stand die Demonstration im Zeichen des bevorstehenden Irakkrieges. Nun nahmen viele zur Friedensbewegung gehörende Gruppen daran teil, so dass die Teilnehmerzahl der Demonstration auf geschätzte 10.000 bis 12.000 Personen anwuchs, gemeinsam mit dem „stillen Gedenken“ erreichte die Ehrung Luxemburgs und Liebknechts an diesem Tag 80.000 bis 100.000 Teilnehmer. In den Folgejahren nahm sie wieder ab, bewegte sich aber konstant bei einigen Zehntausend. Thema der überwiegend gewaltfrei verlaufenden Proteste waren zuletzt vor allem die Hartz IV-Gesetze. Globalisierungskritiker warben vor und bei der LL-Demonstration 2007 für Protest gegen den G8-Gipfel im Juni jenes Jahres.[18]

Ebenfalls am zweiten Januarwochenende findet seit 1996 auf Initiative der parteiunabhängigen marxistischen Zeitung Junge Welt eine jährliche Rosa-Luxemburg-Konferenz zur Aktualität ihres Werkes und sozialistischen Perspektiven statt, deren Teilnehmer meist auch die Demonstration besuchen.[19]

2007 zündeten zwei Männer auf der Demonstrationsroute der Frankfurter Allee mehrere aneinander gebundene Böller. Zu Schaden kam niemand. Die Täter stellten sich kurz nach der Tat. Nach Polizeiaussagen hätte die Explosion schwere Verletzungen verursachen können.[20]

Teilnehmer der Demonstration waren in den letzten Jahren:

Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao, 13. Januar 2008.

Teilnehmer, die Plakate mit Abbildungen von Stalin und Mao mitführen, lösen damit regelmäßig interne Konflikte aus.

Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz haben die Demonstrationen „einen hohen Symbolwert für den deutschen Linksextremismus“.[24]

Stilles Gedenken

Viele Besucher der jährlichen Ehrung nehmen nicht primär an der Demonstration vom Frankfurter Tor zum Friedhof Friedrichsfelde teil, sondern am „Stillen Gedenken“. Dazu ruft die Partei Die Linke regelmäßig auf. Dabei gehen den ganzen Tag über Menschen zum Gedenkstein der Sozialisten in der Gedenkstätte des Friedhofs Friedrichsfelde, um dort rote Nelken niederzulegen.

Diese Veranstaltung verläuft in der Regel ohne Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Teilnehmern. Nur im Jahr 2000 wurde die Ehrung wegen einer anonymen Drohung, dass die Teilnehmer mit einer Maschinenpistole und Handgranaten beschossen werden sollten, verboten. Trotzdem nahmen viele Menschen daran teil. Innerhalb der damaligen PDS wurde die Entscheidung, das „stille Gedenken“ abzusagen, kontrovers diskutiert.[25]

Einzelnachweise

  1. Deutsches Haus der Geschichte: Die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs
  2. Geschichtsskizze der Demonstration
  3. Klaus Taubert, "Gedenkzug in eigener Sache", einestages, Spiegel Online, 6. Januar 2011
  4. Luxemburg-Liebknecht-Demonstration auf jugendopposition.de abgerufen am 21. Juli 2010
  5. Von der Staatssicherheit beschlagnahmte Plakate abgerufen am 21. Juli 2010
  6. Fotos weiterer Plakate auf jugendopposition.de abgerufen am 21. Juli 2010
  7. Till Böttcher auf jugendopposition.de abgerufen am 21. Juli 2010
  8. Andreas Kalk auf jugendopposition.de abgerufen am 21. Juli 2010
  9. Bert Schlegel auf jugendopposition.de abgerufen am 21. Juli 2010
  10. Video: Interview mit Till Böttcher zur Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 1988 und Fotos der Plakate auf jugendopposition.de abgerufen am 21. Juli 2010
  11. Audio-Dokument Radio Glasnost, Januar 1988 Appell von Freya Klier abgerufen am 21. Juli 2010
  12. Dokument der Kontakttelefon-Gruppe abgerufen am 21. Juli 2010
  13. Verhaftungen auf der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration auf bildungsserver.berlin-brandenburg.de abgerufen am 21. Juli 2010
  14. Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR. Beck, München 2009 ISBN 978-3-406-58357-5, S. 262-286.
  15. Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989, Berlin 1997, ISBN 3-86153-163-1. S. 696.
  16. Verfassungsschutzbericht 2000 (pdf): Passage zur VVN und Demo-Notiz, S. 145
  17. Andreas Bodden, Sozialistische Zeitung 20. Januar 2000: Rückblick auf Verbot und Verlauf der Demonstration 2000
  18. Aufruf des Anti-G8-Bündnisses
  19. Junge Welt: Über die Rosa-Luxemburg-Konferenz
  20. Diskussion zur LL-Demo 2007: Haftbefehle nach Böller-Anschlag auf Demo
  21. Demonstrationsaufruf für den 13. Januar 2008 auf Antifa.de
  22. Deutscher Freidenker-Verband aktuell: Aufruf zur LL-Demo 2007
  23. Hans-Christian Ströbele bei der Demo 2005
  24. Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – ein Traditionselement des deutschen Linksextremismus, S. 11 hrsg.: Bundesamt für Verfassungsschutz April 2008
  25. PDS-Pressedienst, 14. Januar 2000: Verbot der Liebknecht-Luxemburg-Ehrung am 9. Januar - Chronologie einer Entscheidung

Literatur

  • Barbara Könczöl: »Dem Karl Liebknecht haben wir’s geschworen, der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand« – Der Wandel des 15. Januar als politischer Gedenktag von KPD und der SED (1920 bis 1989). In: Hermann Weber und andere (Hrsg. im Auftrag der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur): Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung. Aufbau Verlag, Berlin 2005, ISSN 0944-629X, S. 171-188
  • Barbara Könczöl: Märtyrer des Sozialismus: Die SED und das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Campus Verlag GmbH, 2008, ISBN 3-593-38747-6
  • Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR. Beck, München 2009 ISBN 978-3-406-58357-5, S. 262-286. (Kapitel "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden")
  • Henryk M. Broder, Klaus Wiegrefe: Die göttliche Rosa. In: Der Spiegel. Nr. 3, 17 (17. Januar 2000, online).

Weblinks

 Commons: Liebknecht-Luxemburg-Demonstration – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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