Vera Lengsfeld

Vera Lengsfeld
Vera Lengsfeld (2009)

Vera Lengsfeld, geschiedene Kleinschmidt,[1] geschiedene Wollenberger, (* 4. Mai 1952 in Sondershausen, Thüringen) ist eine deutsche Politikerin (seit 1996 CDU, vorher Bündnis 90/Die Grünen).

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach dem Abitur begann Vera Lengsfeld 1970 ein Studium der Geschichte der Arbeiterbewegung an der Karl-Marx-Universität Leipzig und studierte ab 1972 Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Anschluss an das Studium arbeitete sie als Lektorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Philosophie in der Akademie der Wissenschaften der DDR. Seit 1975 war sie Mitglied der SED. Nach einem Parteiverfahren wurde sie an das Wissenschaftliche Informationszentrum der Akademie der Wissenschaften versetzt. 1981 verließ sie die Akademie und ging zum Verlag Neues Leben, wo sie als Lektorin arbeitete. Im Jahre 1983 wurde sie wegen ihres Protestes gegen die Stationierung sowjetischer Atomraketen in der DDR aus der SED ausgeschlossen und ihr ein Berufsverbot erteilt. Sie begann 1985 ein Studium der Theologie am Sprachenkonvikt Berlin.

Seit 1981 war sie in verschiedenen Oppositionsgruppen tätig. Sie war im Herbst 1981 Mitbegründerin des Pankower Friedenskreises, später einer Berufsverbotsgruppe und 1987 der Kirche von Unten. Sie war in der Gruppe Gegenstimmen aktiv[2] und moderierte im Jahre 1986 das erste Menschenrechtsseminar in der evangelischen Gemeinde Berlin-Friedrichsfelde. Zudem verkehrte sie in der Umwelt-Bibliothek und beteiligte sich hier an Protestaktionen. Ihr Engagement umfasste die Organisation zahlreicher Großveranstaltungen der Friedens- und Umweltbewegung der DDR, u. a.: „Friedenswerkstatt“, „Friedensseminar“, „Umweltseminar“, „Menschenrechtsseminar“, „Kirchentag von Unten“. Sie war Mitglied des Fortsetzungsausschusses für das Delegiertentreffen der Friedenskreismitglieder, welche unter dem Titel „Konkret für den Frieden“ jährlich zusammenkamen.

Im Januar 1988 wurde sie auf dem Weg zur Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in Ost-Berlin verhaftet. Nach ihrer Untersuchungshaft in Berlin-Hohenschönhausen wurde sie vom Stadtbezirksgericht Lichtenberg wegen „versuchter Zusammenrottung“ zu einer Haftstrafe verurteilt.[3] Im Februar 1988 wurde sie wie fast alle im Zusammenhang mit der Demonstration verhafteten Bürgerrechtler in den Westen abgeschoben.[4] Sie ging nach Cambridge in Großbritannien, wo sie am St. John's College Philosophy of Religion studierte. Am Morgen des 9. November 1989 kehrte sie in die DDR zurück.

Im Zuge der Friedlichen Revolution trat die Bürgerrechtlerin in die Grüne Partei in der DDR ein und wurde für diese am 18. März 1990 in die Volkskammer der DDR gewählt, war bis zu deren Auflösung am 2. Oktober 1990 stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Abrüstung und Verteidigung. Außerdem arbeitete sie als Vertreterin der Grünen Partei an der Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des „Runden Tisches“ mit. Dieser Verfassungsentwurf wurde allerdings von der Volkskammer nicht behandelt. Am 3. Oktober wurde Vera Wollenberger als gewesene Volkskammerabgeordnete in den Deutschen Bundestag übernommen.

Vera Wollenberger (1990)

Mit den Wahlen zum 12. Deutschen Bundestag am 2. Dezember 1990 wurde Vera Wollenberger für das Wahlbündnis aus Bündnis 90 und den ostdeutschen Grünen Mitglied des Deutschen Bundestages.

1991 erfuhr sie aus den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit, dass ihr Ehemann, der Lyriker Knud Wollenberger, sie als „IM Donald“ bespitzelt hatte. Sie reichte die Scheidung ein und nahm ihren Geburtsnamen wieder an.

In einer Bundestagsdebatte zum Zweiten Golfkrieg 1991 drückte sie auf außergewöhnliche Weise ihre Kritik daran aus, indem sie eine Minute ihrer Redezeit mit Schweigen füllte, bis ihr Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth das Wort entzog, begleitet von Zurufen aus der Fraktion der CDU/CSU: „Zirkus!“, „Die soll sich untersuchen lassen!“[5] Nach dem Zusammenschluss von Bündnis 90 und den Grünen zu einer neuen Partei 1993 wurde Vera Lengsfeld bei den Bundestagswahlen 1994 erneut in den Bundestag gewählt.

Im Juni 1996 war Vera Lengsfeld an der Gründung des Berliner Bürgerbüro e.V. beteiligt, einem Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur.[6]

Aus Protest gegen den Beschluss von Bündnis 90/Die Grünen, Koalitionen mit der PDS einzugehen, schloss sie sich mit anderen Bürgerrechtlern wie Günter Nooke und Ehrhart Neubert am 17. Dezember 1996 der CDU an. Lengsfeld wechselte im Bundestag zur CDU/CSU-Fraktion.

Bei den Wahlen zum 14. Deutschen Bundestag am 27. September 1998 wurde sie über die Landesliste der CDU in Thüringen gewählt und bei der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 über die gleiche Liste wiedergewählt. Im gleichen Jahr erschien auch ihre Autobiographie.

2005 unterlag sie in ihrem Thüringer Wahlkreis bei der Aufstellung für die Direktkandidatur zum Bundestag, woraufhin sie erklärte, auch nicht mehr als Listenkandidatin zur Verfügung zu stehen. Damit endete ihre Zeit als Abgeordnete im Deutschen Bundestag vorerst mit der Konstituierung des Parlaments zur 16. Wahlperiode am 18. Oktober 2005. Für die Wahlen zum Bundestag 2009 kandidierte Lengsfeld im Bundestagswahlkreis Berlin-Friedrichshain – Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost erneut für die CDU.[7] Für Aufsehen sorgte ihr Wahlplakat, das Lengsfeld und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel tief dekolletiert mit dem Slogan „Wir haben mehr zu bieten“ zeigt.[8][9] Das angestrebte Direktmandat verfehlte sie deutlich.[10]

Ihr Sohn Philipp Lengsfeld, der im Herbst 1988 aus politischen Gründen von der Ost-Berliner Carl-von-Ossietzky-Oberschule relegiert worden war,[11][12] ist heute Schatzmeister der CDU-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung des Berliner Bezirks Pankow.[13]

Lengsfeld war in erster Ehe mit dem Journalisten Sebastian Kleinschmidt, Sohn von Karl Kleinschmidt, verheiratet.[14]

Ehrungen

Für ihren Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte in der DDR erhielt Lengsfeld 1990 den Aachener Friedenspreis. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.

Publizistische Tätigkeit

Obwohl sie als Bürgerrechtlerin eher linke Ansichten vertrat, öffnete sie sich in den vergangenen Jahren auch für liberal-konservative Positionen. Sie hat nach eigenem Angaben Druck auf den ehemaligen CDU-Abgeordneten Martin Hohmann ausgeübt, um ihn zum Rücktritt zu veranlassen, kritisierte aber auch z. B. in einem Interview in der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit den Umgang der Politik mit ihm.

Lengsfeld ist Kolumnistin des Weblogs Die Achse des Guten, in dem u. a. der Autor Henryk M. Broder regelmäßig publiziert. Sie ist Autorin mehrerer Bücher und schreibt häufig Beiträge für überregionale Zeitungen und Zeitschriften: Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Spiegel und Focus. Sie gibt aus Prinzip auch solchen Zeitschriften Interviews, deren Haltungen sie grundsätzlich nicht teilt. Einer „hysterischen Einengung der Meinungsvielfalt, der Stigmatisierung und Ausgrenzung konservativer Auffassungen“ möchte sie entgegentreten, eine Medienkampagne der SPD, „alle Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag auf mögliche rechtsradikale Gesinnung hin zu überprüfen“ lehnte sie ab, und gab „schon deshalb [...] der Jungen Freiheit ein Interview“. Umgekehrt würde sie ja auch von niemandem unter den Verdacht des Linksradikalismus gestellt, nur weil sie dem Neuen Deutschland und der Jungen Welt schon Interviews gegeben habe.[15]

Werke

  • Virus der Heuchler. Innenansicht aus Stasiakten, Verlag Espresso/Elefanten Press, Berlin 1992, ISBN 3-88520-435-5
  • Mein Weg zur Freiheit. Von nun an ging’s bergauf. Verlag Langen Müller, München 2002, ISBN 3-7844-2857-6.
  • Neustart! Was sich in Politik und Gesellschaft ändern muss. Umdenken lohnt. Freiheit und Fairness statt Gleichheit und Gerechtigkeit. Herbig Verlag, München 2006, ISBN 3-7766-2490-6.
  • Ich wollte frei sein. Die Mauer, die Stasi, die Revolution. Herbig Verlag, München 2011, ISBN 978-3-7766-2669-8

Literatur

  • Müller-Enbergs, Marianne Schulz, Jan Wielgohs (Hg.): Von der Illegalität ins Parlament. Werdegang und Konzept der neuen Bürgerbewegungen. Ch. Links Verlag, Berlin 1991, ISBN 3-86153-017-1.
  • Marianne Subklew-Jeutner: Der Pankower Friedenskreis. Geschichte einer Ost-Berliner Gruppe innerhalb der Evangelischen Kirchen in der DDR 1981-1989, Der Andere Verlag, Osnabrück 2003, ISBN 3-89959-145-3
  • Marianne Subklew: Massive Belagerung. Der „Große Friedenskreis“ Pankow als Stasi-Zersetzungsobjekt. In: Horch und Guck, 18. Jg., Heft 65 (3/2009), S. 20-23.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vera Lengsfeld: Von nun an ging's bergauf--: mein Weg zur Freiheit. Langen Müller 2002 ISBN 3784428576, S. 63
  2. Gruppe Gegenstimmen abgerufen am 21. Juli 2010
  3. Vgl. Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen: Kurzbiografie Lengsfelds.
  4. Details zur Demonstration auf jugendopposition.de abgerufen am 21. Juli 2010
  5. 3. Sitzung des Deutschen Bundestages in der 12. Wahlperiode am 17. Januar 1991 (PDF-Datei)
  6. Vgl. Webseite des Bürgerbüros.
  7. Ulrich Zawatka-Gerlach: Vera Lengsfeld tritt für die CDU in Kreuzberg an. In: Der Tagesspiegel, 23. Oktober 2008
  8. Claudia Kade, David Böcking: Lengsfeld wirbt mit Busenfreundin Merkel In: Financial Times Deutschland online vom 10. August 2009
  9. CDU-Abgeordnete macht Wahlkampf mit Merkel-Dekolleté In: Spiegel Online vom 10. August 2009
  10. Wahlinfo 2009 /
  11. Wiebke Hollersen, Der Rausschmiss, Berliner Zeitung, 30. September 2009
  12. Ereignisse an der Berliner Ossietzky-Schule, abgerufen am 21. Juli 2010
  13. CDU Kreisverband Pankow
  14. Detlef Kühn, Viele Niederlagen, FAZ, 19. August 2002
  15. Vera Lengsfeld, Aktuelle Stellungnahmen, Presseerklärungen und Interviews / Interview in der Jungen Freiheit, 18. Dezember 2003

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