Phasenraum

Phasenraum

Als Phasenraum (auch: Zustandsraum) wird die Menge aller möglichen Zustände bezeichnet, die ein dynamisches System einnehmen kann. Ein Zustand wird beschrieben durch die Kombination der Werte sämtlicher Variablen des Systems zu einer bestimmten Zeit. In der Physik kann ein solcher Zustand zum Beispiel durch den Ort und den Impuls eines bewegten Teilchens gegeben sein, in der Thermodynamik durch Zustandsgrößen wie Druck und Temperatur, in der Biologie durch die Populationsbestände konkurrierender Spezies. Ein Zustand entspricht einem eindeutig bestimmten Punkt im Phasenraum, so wie jede Kombination von drei Raumkoordinaten einem Punkt im physikalischen Raum entspricht.

Der Phasenraum bildet damit einen mathematischen Raum, der von sämtlichen zeitlich veränderlichen Variablen des Systems aufgespannt wird. Meist handelt es sich dabei um die Lösungen von Differentialgleichungssystemen, aber auch andere Systeme, wie etwa iterierte Abbildungen sind möglich. Der Phasenraum kann auch sehr hochdimensional sein, wenn etwa in der Mechanik die Bewegung vieler Teilchen zugleich erfasst werden soll. Für Systeme mit bis zu drei Variablen kann der Phasenraum aber auch graphisch dargestellt werden. Diese Darstellung heißt Phasenraumportrait oder Phasenportrait und bietet die Möglichkeit, einige charakteristische Strukturen wie Nullklinen und Fixpunkte sowie das Vektorfeld der Dynamik ohne explizite Berechnung der Lösungsfunktionen zu erfassen. Ein solches Vorgehen nennt man Phasenraumanalyse.

Inhaltsverzeichnis

Trajektorien im Phasenraum

Die Menge aller Punkte, die von einem bestimmten Anfangspunkt aus die zeitliche Entwicklung des Systems bestimmen, heißt Trajektorie. Trajektorien bilden im Phasenraum kreuzungsfreie Kurven, so dass man von jedem der Punkte einer Trajektorie ihren weiteren Verlauf eindeutig bestimmen kann. Geschlossene Kurven, sogenannte Orbits, sind jedoch möglich, sie beschreiben oszillierende Systeme.

Trotz der Bedingung der Kreuzungsfreiheit können Trajektorien unterschiedlich dicht im Raum liegen. Dies wird durch die Phasenraumdichte, die auch in der statistischen Mechanik von zentraler Bedeutung ist, quantitativ beschrieben. Ein dynamisches System, dessen Trajektorien den gesamten Phasenraum ausfüllen, also jedem Punkt im Phasenraum beliebig nahe kommen, nennt man ergodisch. Wichtig für die Klassifikation eines dynamischen Systems ist auch die Entwicklung der Phasenraumdichte bzw. des Phasenraumvolumens mit der Zeit. Nimmt der Abstand zwischen annähernd parallel verlaufenden Trajektorien in einem Bündel ab, sinkt das Phasenraumvolumen. Das System nennt man dann dissipativ. Dissipative Systeme verlieren Energie an ihre Umgebung, es handelt sich also um offene Systeme. Systeme mit konstantem Phasenraumvolumen dagegen heißen konservative Systeme. Sie sind abgeschlossen, erhalten also die Gesamtenergie. Das gleiche wird mathematisch durch den Satz von Liouville ausgesagt.

Phasenraumanalyse

Phasenportrait des van-der-Pol-Oszillators mit Vektorfeld und typischen Trajektorien.

Das Phasenraumportrait gibt eine Möglichkeit, die zeitlichen Entwicklungen dynamischer Systeme graphisch zu analysieren. Dazu werden nur die dynamischen Gleichungen des Systems benötigt, eine explizite Darstellung der Zeitentwicklung, etwa durch analytisches Lösen einer Differentialgleichung, ist nicht nötig. Es folgen einige Elemente der Phasenraumanalyse in einem zweidimensionalen System x,y, das durch die Differentialgleichungen x' = fx(x,y) und y' = fy(x,y) beschrieben ist:

  • Einzeichnen des Vektorfelds der Dynamik: Für ein Raster von Punkten wird die Richtung der Bewegung im Phasenraum durch Pfeile dargestellt. Folgt man nun ausgehend von einem bestimmten Startpunkt dem Pfeil, kommt man zu einem neuen Punkt, wo man dieses Vorgehen wiederholen kann. So kann man anhand des Vektorfelds zusätzlich typische Trajektorien in das Phasenraumportrait einzeichnen, die qualitative Verhalten der zeitlichen Entwicklung einschätzen helfen. Beim van-der-Pol-Oszillator zum Beispiel laufen alle Trajektorien auf einen Grenzzyklus zu, was sich anhand von Beispieltrajektorien innerhalb und außerhalb des Zyklus illustrieren lässt. Für einfache dynamische Systeme kann man Vektorfeld und Beispieltrajektorien oft mit der Hand einzeichnen, bei komplexeren Systemen kann dies durch Computerprogramme geschehen.
  • Einzeichnen der Nullklinen: Eine Nullkline bezeichnet eine Kurve im Phasenraum, entlang derer sich eine der dynamischen Variablen nicht ändert. Im Fall des obigen zweidimensionalen Systems ist die x-Nullkline durch die Bedingung x' = fx(x,y) = 0 und die y-Nullkline durch die y' = fy(x,y) = 0 definiert. Diese Gleichungen lassen sich häufig auch dann nach einer der Variablen auflösen, wenn die Gesamtdynamik nicht analytisch integriert werden kann.
  • Bestimmen von Fixpunkten und ihrer Stabilität: Als Fixpunkte werden Zustände bezeichnet, die sich mit der Zeit nicht ändern. Solche Fixpunkte entsprechen den Kreuzungspunkten der Nullklinen im Phasenraum. Im obigen zweidimensionalen System erklärt sich das dadurch, dass an solch einem Kreuzungspunkt die Bedingung fx(x,y) = fy(x,y) = 0 erfüllt ist. Durch eine lineare Stabilitätsanalyse kann auch bestimmt werden, ob Trajektorien in der Nähe dieser Punkte angezogen oder abgestoßen werden.

Phasenräume in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen

Das Konzept des Phasenraums wird in vielen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen benutzt und zum Teil unterschiedlich spezifiziert.

Siehe auch

Literatur

  • Y. S. Kim: The physics of phase space. Springer, Berlin 1987, ISBN 3-540-17894-5.
  • Cosmas K. Zachos: Quantum mechanics in phase space - an overview with selected papers. World Scientific, Singapore 2005, ISBN 978-981-238-384-6.

Weblinks


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Synonyme:

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