- Stabilitätstheorie
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Die mathematische Stabilitätstheorie beschäftigt sich mit der Entwicklung von Störungen, die als Abweichung von bestimmten Zuständen dynamischer Systeme auftreten (Stabilität). Ein solcher Zustand kann etwa eine Ruhelage sein oder ein bestimmter Orbit, zum Beispiel ein periodischer Orbit.
Neben ihrer theoretischen Bedeutung findet die Stabilitätstheorie in der Physik und Theoretischen Biologie sowie in technischen Gebieten Anwendung, zum Beispiel in der Technischen Mechanik oder der Regelungstechnik.
Die Lösungsansätze für die Probleme der Stabilitätstheorie sind gewöhnliche und partielle Differentialgleichungen.
Inhaltsverzeichnis
Mathematische Stabilitätsbegriffe
Für die Charakterisierung der Stabilität der Ruhelage eines dynamischen Systems existieren mehrere Stabilitätsbegriffe mit jeweils etwas unterschiedlicher Aussage:
- Eine Ruhelage heißt Ljapunow-stabil, wenn eine hinreichend kleine Störung auch stets klein bleibt. Präziser formuliert: Für jedes existiert ein δ > 0 derart, dass für alle Zeiten und alle Trajektorien mit gilt: .
- Eine Ruhelage heißt attraktiv, wenn es ein δ > 0 derart gibt, dass jede Trajektorie mit für alle existiert und die folgende Grenzwertbedingung erfüllt:
- Eine Ruhelage heißt asymptotisch stabil, wenn sie Ljapunow-stabil und attraktiv ist.
- Eine Ruhelage heißt neutral stabil oder marginal stabil, wenn sie stabil, aber nicht asymptotisch stabil ist.
Für den Fall diskreter Systeme, die durch Differenzengleichungen beschrieben werden, ist die Ruhelage gleichzeitig Fixpunkt der Rekursionsgleichung und sind ähnliche Stabilitätsdefinitionen üblich.
Lineare zeitinvariante Stabilität
Bei linearen zeitinvarianten Systemen kann die Stabilität an der Übertragungsfunktion durch die Lage der Pole in der s-Ebene abgelesen werden.
- Asymptotische Stabilität: sämtliche Pole müssen in der linken s-Halbebene liegen,
- Instabilität: wenn mindestens 1 Pol in der rechten s-Halbebene liegt, oder wenn mindestens ein mehrfacher Pol auf der imaginären Achse der s-Ebene liegt.
- Grenzstabil: wenn kein Pol in der rechten s-Halbebene liegt, keine mehrfachen Pole auf der imaginären Achse der s-Halbebene liegen und mindestens ein einfacher Pol vorhanden ist.
Direkte Methode von Ljapunow und Ljapunow-Funktion
Ljapunow entwickelte 1883 die sogenannte Direkte oder Zweite Methode (die Erste Methode war die Linearisierung, siehe unten), um die oben genannten Stabilitätseigenschaften an konkreten Systemen zu überprüfen. Hierzu definiert man zunächst zu einem dynamischen System der Form und einer reellwertigen differenzierbaren Funktion die orbitale Ableitung
- .
Eine reellwertige differenzierbare Funktion V heißt Ljapunow-Funktion (für das Vektorfeld f), wenn für alle Punkte aus dem Phasenraum gilt. Eine Ljapunow-Funktion ist ein ziemlich starkes Hilfsmittel für einen Stabilitätsbeweis, wie die folgenden beiden Kriterien zeigen:
- Erstes Kriterium von Ljapunow: Gegeben sei ein dynamisches System . Gelten die Bedingungen
- ist eine Ruhelage des Systems,
- ist eine Ljapunow-Funktion für f,
- besitzt an der Stelle ein striktes lokales Minimum,
- dann ist die Ruhelage stabil.
- Zweites Kriterium von Ljapunow: Gilt zusätzlich zu den Voraussetzungen des ersten Kriteriums noch
- 4. auf einer Umgebung der Ruhelage gilt ,
- dann ist die Ruhelage asymptotisch stabil.
Die Verwendung einer Ljapunow-Funktion nennt man Direkte Methode, weil sich damit direkt aus dem Vektorfeld f ohne Kenntnis der Trajektorien (also ohne, dass man die Differentialgleichung lösen müsste) Aussagen über die Stabilität einer Ruhelage gewinnen lassen.
Ljapunowgleichung
Für den Fall linearer Systeme kann zum Beispiel immer eine positiv definite quadratische Form als Ljapunow-Funktion Verwendung finden. Sie erfüllt offensichtlich die obigen Bedingungen (1) und (2). Bedingung (3) führt auf die Ljapunow-Gleichung
ATR + RA = − Q.
Falls Q positiv definit ist, so ist eine Ljapunow-Funktion. Für stabile lineare Systeme lässt sich eine solche Funktion immer finden.
Stabilitätsanalyse linearer und nichtlinearer Systeme
Ein dynamisches System sei durch die Differentialgleichung gegeben. Wir betrachten eine Störung zum Zeitpunkt t. Wenn das System linear ist, kann diese Störung vollständig durch die Jacobi-Matrix der ersten Ableitungen nach ausgedrückt werden. Ist es nichtlinear, kann man es "linearisieren", d.h. die Funktion f nach δ um Taylor-entwickeln, sofern die Störung klein genug ist. In beiden Fällen ergibt sich für die Zeitentwicklung von δ
wobei die Jacobimatrix an der Stelle der Ruhelage ist. Diese Entwicklung wird demnach maßgeblich von den Eigenwerten der Jacobimatrix bestimmt. Konkret ergeben sich drei verschiedene Fälle:
- Der Realteil aller Eigenwerte der Jacobimatrix ist negativ. Dann fällt δ exponentiell und die Ruhelage ist asymptotisch stabil.
- Der Realteil eines Eigenwertes der Jacobimatrix ist positiv. Dann wächst δ exponentiell an und die Ruhelage ist instabil.
- Der größte Realteil aller Eigenwerte der Jacobimatrix ist Null. Für ein lineares System bedeutet dies marginale Stabilität der Ruhelage, falls für alle Eigenwerte mit verschwindendem Realteil die algebraische gleich der geometrischen Vielfachheit ist und Instabilität sonst. Bei nichtlinearen Systemen, die nur um die Ruhelage linearisiert wurden, kann die Stabilität allerdings auch noch von Termen höherer Ordnung in der Taylorentwicklung bestimmt werden. Die lineare Stabilitätstheorie vermag daher in diesem Fall keine Aussage zu machen.
Beispiele
Ein untersuchter Verformungszustand der Festigkeitslehre oder ein Bewegungszustand der Dynamik können ab einer zu bestimmenden Stabilitätsgrenze in einen anderen Zustand wechseln. Damit verbunden sind in der Regel nichtlinear ansteigende Verformungen oder Bewegungen, die zur Zerstörung von Tragwerken führen können. Um diese zu vermeiden, ist die Kenntnis der Stabilitätsgrenze ein wichtiges Kriterium zur Bemessung von Bauteilen.
Weitere Beispiele:
- Dynamik von Insektenpopulationen
- Eulerscher Knickstab,
- Kippen von schlanken Trägern,
- Beulen von Platten und Schalen
- Wachstum kleiner Störungen in einer Grenzschicht, die zum laminar-turbulenten Umschlag führen.
Siehe auch
Commons: Stability theory – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Eigenbewegung (Regelungstechnik)
- Lineare Stabilitätstheorie zur Stabilitätstheorie in der Strömungslehre
Literatur
- Herbert Amann: Gewöhnliche Differentialgleichungen. 2 Auflage. de Gruyter, Berlin 1995, ISBN 3-11-014582-0.
- W. Hahn: Stability of Motion. Springer, 1967.
- N. Rouche, P. Habets und M. Laloy: Stability Theory by Liapunov's Direct Method. Springer, 1977.
- Gerald Teschl: Ordinary Differential Equations and Dynamical Systems. American Mathematical Society, Providence 2011 (freie Onlineversion).
Weblinks
- „Stability“. In: Scholarpedia (englisch, inkl. Literaturangaben)
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