Polytechnische Oberschule

Polytechnische Oberschule
Polytechnische Oberschule in Berlin Marzahn 1984

Die Polytechnische Oberschule (Abkürzung POS, gesprochen P-O-S) war die allgemeine Schulform im Schulsystem der DDR und umfasste zehn Klassen. Sie entstand 1959 aus einer Reform der achtjährigen Grundschulen bzw. zehnjährigen Mittelschulen. Konzeptionell handelte es sich um eine einheitliche zehnjährige Gemeinschaftsschule ohne innere oder äußere Differenzierung während des regulären Unterrichts, so dass der Klassenverband über alle Schuljahre erhalten blieb. Zum Ende der 10. Klasse erfolgte der Schulabschluss mit Abschlussprüfung, der zur Aufnahme einer Lehre und zum Fachschulstudium berechtigte.

Inhaltsverzeichnis

Die Bezeichnung „polytechnische Oberschule“ und ihre Besonderheiten

Amtlich hieß die POS seit ihrer Einführung im Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens 1959 Zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule, verkürzt polytechnische Oberschule. Die Attributierung polytechnisch wurde kleingeschrieben. Das Ministerium für Volksbildung bezeichnete die POS in den amtlichen Dokumenten allerdings des Öfteren uneindeutig als Oberschule. Mit dem Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem 1965 änderte sich der ministerielle Schriftgebrauch von polytechnische Oberschule in Polytechnische Oberschule.

Die komplexe Bezeichnung „zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule“ enthielt bereits Teile der neuen Eigenschaften der Schule im Namen.

  • Die Attributierung zehnklassig beschreibt die Schule als integrativen Schultyp ohne Gliederung und institutionelle Separation und Selektion, welcher die Klassen 1 bis 10 umfasste und somit eine vollausgebaute Schule ohne Mehrstufenklassen darstellte.
  • Die Attributierung allgemeinbildend beschreibt die Ausrichtung der Schule. Das Ziel war eine moderne, allseitige Allgemeinbildung, die keine Geringschätzung bestimmter Fächergruppen zuließ. Auch eine neigungsdifferenzierte Spezialisierung und damit Verengung der Schulbildung zum Beispiel in einem Kurssystem wurde abgelehnt.
  • Die Attributierung polytechnisch beschreibt die Idee des allgegenwärtigen polytechnischen Unterrichts und die daraus folgende Verbindung von geistig-schöpferischem Denken und praktisch-produktiver Arbeit sowie gesellschaftlich-nützlicher Tätigkeit als grundlegendes Charakteristikum der Schule.
  • Der in der deutschen Bildungstradition herausgehobene Begriff der Oberschule stellte den kompliziertesten Bestandteil der Namensgebung dar. Eine Oberschule war eine höhere Lehranstalt. Eine höhere Schule lehrte höhere Bildung und wurde streng von der Elementarschule und der Primarbildung getrennt. Im engeren Sinne galten deswegen nur Gymnasien, Realgymnasien und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Oberrealschulen als höhere Lehranstalt, die außerdem noch mit dem Abitur abschlossen. Oberschulen in diesem Sinne sowie dem gegliederten Schulsystem wurde der Vorwurf gemacht, zu einer hohen Selektivität und damit verbunden zu hohen Ungerechtigkeit zu führen und den unteren Ständen und den ärmeren Milieus keinen oder nur sehr erschwert Zugang zu gewähren.

Die Einheitsschule in Form einer Oberschule zu konstruieren, bedeutete die Beendigung der institutionellen Trennung von Primar- und Sekundarbildung und dehnte eine Vielzahl der Lehrinhalte des Gymnasiums in die Klassen 1 bis 4 aus. Weil neben der Polytechnischen Oberschule keine Grundschule und keine Mittelschule mehr existierte, erhielten auf diese Weise alle Kinder einheitlich Zugang zu oberschulischer Bildung, was eine bis heute einmalige Veränderung des Schulwesen auf deutschem Boden bedeutet. Die POS wurde aufgebaut als Realgymnasium, genauer als Realprogymnasium (Realgymnasium ohne gymnasiale Oberstufe). Die Lehrpläne der Fächer Deutsche Sprache, Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Geographie, Astronomie, Polytechnik und Sport hatten nach Maßstäben des zeitgenössischen gegliederten Schulsystems und auch nach heutigen Maßstäben mindestens gymnasiales Niveau.

Geschichte

Die Gründung der polytechnischen Oberschule als Schulform fällt in den Abschluss der Phase des Aufbaus der sozialistischen Schule (1949–1962). Sie ersetzte die bis dahin in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR als Einheitsschule existierende achtjährige Grundschule.

Pädagogische Grundlage für die POS war das Konzept des polytechnischen Unterrichts, in dem sich idealerweise in allen Fächern theoretisch-durchdringendes und praktisch-umgestaltendes Tun verbinden sollten. An der Konzeption beteiligte Pädagogen der DDR formulierten dabei als Ziel, dass den Schülern „Liebe zur Arbeit“ nahegebracht werden sollte und dass man fächerübergreifend an Erfahrungen anknüpfen werde, die die Schüler während des Unterrichtstages in der Produktion gesammelt haben würden. In Vorbereitung auf die Etablierung der POS wurde zunächst ohne langen Vorlauf für das Schuljahr 1958/59 eine neue Stundentafel eingeführt, die das neue Schulfach Einführung in die sozialistische Produktion in Industrie und Landwirtschaft (ESP), verbunden mit wöchentlich einem Tag praktischen Unterrichts in der Produktion, enthielt.

Im Januar 1959 wurden auf einer Tagung des Zentralkomitees der SED die Thesen „Über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik“ verabschiedet, die noch einmal die Umgestaltung des Schulwesens im Sinne des polytechnischen Unterrichts bekräftigten und sie programmatisch untermauerten: „Es geht darum, die Schule in organisatorischer Weise zur sozialistischen Schule umzuwandeln. [...] Deshalb wird der Vorschlag unterbreitet, eine zehnklassige, allgemeinbildende polytechnische Oberschule aufzubauen.“[1] Auf Grundlage dieser Thesen verabschiedet die Volkskammer am 2. Dezember 1959 das Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik. Mit der Gründung der POS ging die Verabschiedung einer neuen Schulordnung am 12. November 1959 (die bereits die enge Zusammenarbeit zwischen Schulen und Betrieben regelt) einher.

Zunächst umfasste das Regelsystem der POS nur die Klassen eins bis acht, das bedeutete, dass die nach und nach eingeführte 9. und 10. Klasse nicht zur Regelschulzeit zählte. Insbesondere in Städten gab es diese Klassenstufen, wenn auch nicht in jeder Schule. Erst Anfang der 1970er Jahre wurde mit einer nochmals umfassenden Neustrukturierung des Bildungssystems der DDR die Regelschulzeit auf 10 Jahre verlängert, womit auch die Klassen 9 und 10 in die POS integriert wurden.

Der innere Aufbau der POS

Die POS wurde nach innen in eine Reihe von Stufen gegliedert. Dieses Stufensystem erfuhr mehrmals eine Änderung in den verschiedenen Perioden der DDR-Bildungspolitik. Generell ist es nicht mit den Schulstufen der westdeutschen Schule vergleichbar, weder vom Ansatz her, noch in den Bezeichnungen. Das Stufensystem war zunächst eine Erscheinung aus vergangener Weimarer Schultradition, ohne im Schulalltag irgendwie konkret institutionalisiert zu sein, denn bereits die Auflösung des gegliederten Schulsystems 1946 schuf eine einheitliche achtklassige Schule. Somit diente das Stufensystem als Verfeinerung auf dem Papier und in den Lehrplänen, um die Verwaltungsarbeit, die Steuerung des Lehrplanes, die Organisation der Stundentafel und des Unterrichtes pragmatischer und leichter gestalten zu können. 1982 verschwand die Stufung de facto völlig und es existierte nur noch eine in allen Aspekten von Klasse 1 bis 10 organisch gelenkte Oberschule für alle Kinder. Im engeren Sinne zeigte das Stufensystem deutlich die reformpädagogischen Einflüsse, die in der Polytechnischen Oberschule existierten, denn die Lehrpläne und die Konzeption der Stufen beachteten die Spezifik des Älterwerdens und der Entwicklung der Kinder, sodass eine kindgerechte und dem Kind zugewandte Bildungs- und Erziehungsarbeit gewahrt werden sollte.

Unterstufe

Schulanfang in der DDR, 1980

Die Unterstufe umfasste von 1946 bis 1970 die Klassen 1 bis 4, mit Ende der Einführung des neuen Lehrplanwerks 1971 die Klassen 1 bis 3. Neben heimatkundlicher deutscher Sprache und Literatur sowie Mathematik wurde die Lehre in den polytechnischen Fächern Schulgarten, Werken, in den musischen Fächern Zeichnen, Musik und im Fach Körpererziehung bzw. Sport erteilt. Pflichtmäßig gab es des Weiteren in der 3. und 4. Klasse Nadelarbeit, später nur noch als fakultativer Unterricht angeboten. Der Unterricht wurde in der Regel durch Lehrer für die unteren Klassen („Unterstufenlehrer“) nach dem Klassenlehrer- und Klassenleiterprinzip abgedeckt, d. h. die Fächer Deutsch (mit den Lehrgängen Lesen, Schreiben, Rechtschreibung und Grammatik, mündlicher und schriftlicher Ausdruck und Heimatkunde), Mathematik und eines der Fächer Schulgarten, Werken, Kunsterziehung, Musik oder Sport wurde von einem einzigen Lehrer gegeben, der einen Klassenverband auf diese Weise von der 1. bis zur 4. Klasse begleitete. Die Unterstufenlehrer hatten in der DDR eine stark pädagogisch-praktische Ausbildung an den Instituten für Lehrerbildung (IfL) und unterrichteten in den Klassen 1 bis 4. Sie erhielten neben der pädagogischen und psychologischen sowie auf Methodik ausgerichteten Ausbildung in den Fächern Mathematik und Deutsch auch eine gleichberechtigte Drittfachausbildung für Sport, Werken, Kunsterziehung, Schulgarten oder Musik. Die für das Fach Werken ausgebildeten Unterstufenlehrer erhielten im Unterschied zu den anderen Fächern die Befähigung, dieses Fach bis zur 6. Klasse zu unterrichten. Dafür wurden spezielle Räumlichkeiten für die unterschiedlichen handwerklichen, künstlerischen sowie theoretischen Arbeiten eingerichtet.

Teil des Sportunterrichts oder der Ferienbetreuung war entsprechend den örtlichen Möglichkeiten bereits in der Unterstufe, typischerweise in der 3. Klasse, der Schwimmunterricht. Um das kommunal orientierte Schulnetz zu stärken, das 1988 auch in vielen 1000-Einwohner-Dörfern eine (oft einzügige) Oberschule unterhielt und deswegen in der Bevölkerung enormen Zuspruch und Rückhalt genoss, forcierte die DDR vor allem auf dem Lande den Bau eines einheitlichen Turnhallengebäudes und eines einheitlichen Schwimmhallengebäudetyps (25-m-Becken). Planungen sahen vor, mittelfristig (ca. Ende der 1990er Jahre) jeder Schule eine eigene, direkt angeschlossene Turnhalle zu bauen und mittels günstiger Standortwahl unproblematischen Zugang zu Schwimmhallen zu ermöglichen. Vor allem in den südlichen Bezirken der DDR und in der Oberlausitz war dieses Ziel bereits Ende der 1980er so gut wie erreicht, so dass dort umfangreicher Sportunterricht im Turnen und Schwimmen die Normalität war.

Viele Kinder der Unterstufe besuchten nach dem Unterricht den Hort, den es an jeder Schule gab und der die Hauptform der Nachmittagsbetreuung für Schulkinder in der DDR war. Die Kinder wurden teilweise im selben Raum betreut, in dem sie vormittags Unterricht hatten, es gab jedoch häufig eigenständige Hortanlagen außerhalb der Schulen oder in separaten Flügeln der Schulgebäude. Die Erzieher, die ebenfalls ein Fachschulstudium an den Instituten für Lehrerbildung bzw. den Pädagogischen Instituten absolviert hatten und im Grunde Lehrer für ein Fach der Unterstufe darstellten, arbeiteten eng mit dem Klassenleiter zusammen, so dass nachmittäglich auf Defizite und Stoffprobleme von Schülern eingegangen werden konnte. Diese Kooperation von Lehrer bzw. Klassenleiter und Erzieher bremste einerseits nicht den straffen Fachunterricht der Einheitsschule und bot andererseits genügend Raum, zurückbleibende Schüler frühzeitig auszumachen und dann koordiniert bzw. gezielt fördern zu können. Die Maßnahmen geschahen in Beratung mit den Eltern, die über die aufgestellte, planmäßige Förderung informiert wurden. Als Indikator galten DDR-typisch der Zensurendurchschnitt und das gemeinschaftliche Verhalten der Unterstufenschüler.

In der Unterstufe setzten auch die seit Anfang der 1950er Jahre gut organisierten Interessenszirkel und Arbeitsgemeinschaften ein, die den Kindern am Nachmittag eine reichhaltige und breitgefächerte Freizeitgestaltung boten. Neben dem vielfältigen Kindersport gab es vor allem Arbeitsgemeinschaften musischer Ausrichtung, d. h. Kunst, Musik, Bildhauerei, und Arbeitsgemeinschaften für Mathematik-Naturwissenschaften-Technik. Hier fand, neben der wiederkehrenden Berufsberatung in der Schule, die maßgebliche Lenkung der Mädchen auf mathematische, technische und naturwissenschaftliche Berufsbilder statt, indem die Mädchen von klein auf kontinuierlich mit Technik und Wissenschaft in Berührung gebracht und darin gefördert werden konnten. Ebenso behielten die Horterzieherinnen bzw. Horterzieher die Interessen und Neigungen der Kinder im Hinterkopf, so dass die Interessenszirkel und Arbeitsgemeinschaften besser auf die Kinder zugeschnitten oder eine günstigere Gestaltung des Pionierferienlagers in den Sommerferien wahrgenommen werden konnten.

Mit der Schule zumeist eng verwoben war die Mitgliedschaft in der Pionierorganisation Ernst Thälmann, in die die meisten Schüler und Schülerinnen der 1. Klasse eintraten. Die Kinder waren nun Jungpioniere. Das äußere Merkmal der Pionierorganisation war in den ersten Klassen ein blaues Halstuch. Ab der vierten Klasse wurde ein rotes Halstuch getragen. Die Schüler nannten sich nun Thälmannpioniere. Dieses Halstuch wurde bis einschließlich zur 7. Klasse getragen. Zu den regelmäßigen Programmen gehörten neben Pioniernachmittagen auch Altstoffsammlungen.

Generell waren weitaus mehr weibliche als männliche Lehrkräfte in der Unterstufe tätig.

Mittelstufe

Die Mittelstufe begann formal mit der 4. Klasse. Die 4. Klasse sollte eine Brückenfunktion zwischen Unterstufe und Mittelstufe übernehmen und die Schüler auf die ausdifferenzierten Unterrichtsfächer sowie auf ihre erste Fremdsprache vorbereiten. In den Schulen unterschied sie sich aber inhaltlich nicht von der Unterstufe. Auch unterrichteten die Unterstufenlehrer bis zur 4. Klasse, so dass praktisch die Mittelstufe erst mit der 5. Klasse anfing.

Mit der Neustrukturierung des Bildungssystems in den späteren 1970er Jahren und der Abkehr von den Stufen entfiel auch die Mittelstufe als solche. Das Lehrplanwerk etablierte endgültig eine einheitliche, organische Linienführung des Fachunterrichtes von Klasse 1 bis 10, so dass die Kinder nicht mehr in Übergängen von Stufe zu Stufe sondern fließend von Klasse zu Klasse gesehen werden sollten. Allerdings wurden weiterhin die Eigenheiten des Bildungs- und Erziehungsprozesses in den unteren Klassen betont und gesondert im Lehrplanwerk erläutert. Indes erfolgte eine sukzessive Gleichstellung der Lehrer für die unteren Klassen mit den Diplomlehrern, da das Fachschulstudium zum Unterstufenlehrer auf fünf Jahre ausgebaut wurde.

Ab Klasse 5 setzte das Fachlehrerprinzip ein; der Lehrplan sah Unterricht in den Fächern Deutsche Sprache und Literatur, Mathematik, Biologie und Geographie, Werken, Geschichte, Kunsterziehung, Musik und Sport vor, ab der 6. Klasse außerdem Physik. Ab 1951 war Russisch für alle Schüler die 1. Fremdsprache, vorher konnten die Schüler zwischen Englisch, Französisch und Russisch als Fremdsprache wählen. Werken wurde als Unterrichtsfach bis zur 6. Klasse aus der Unterstufe übernommen und meist vom ausgebildeten Unterstufenlehrer unterrichtet. Der heimatkundliche Deutschunterricht begann eine zunehmende Integration der Teildisziplinen und enthielt noch die Lehrgänge Grammatik und Orthographie, mündlicher und schriftlicher Ausdruck sowie Literatur.

Oberstufe

Schüler der 23. Polytechnischen Oberschule Artur Becker Berlin-Lichtenberg Klasse 8a zu Besuch im Armeemuseum Karlshorst. Zehn Schüler wurden während dieser Jugendstunde als Mitglieder in die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft aufgenommen

Die Oberstufe umfasste im Sprachgebrauch der DDR die Klassen nach der Unterstufe und vor der Abiturstufe. Das Aufkommen der Mittelstufe 1971 weichte dies auf, doch mit der abermaligen Reform des Lehrplanwerkes 1982/90 entfiel die Bezeichnung zusammen mit den anderen. In der Oberstufe war der naturwissenschaftliche Unterricht voll ausgebaut; in der 7. Klasse kam Chemie als vierte Naturwissenschaft hinzu. Der beliebte Astronomieunterricht vervollständigte in der 10. Klasse die Stundentafel.

Der polytechnische Unterricht erreichte ebenfalls den höchsten Ausbau. Werken fiel fort; neben TZ (Technisches Zeichnen) wurden ESP (Einführung in die sozialistische Produktion: Konstruktion, Mechanik, Maschinenbau, Elektronik, Mikroelektronik) und UTP (Unterrichtstag in der Produktion) erteilt. UTP wurde ab 1971 PA (Produktive Arbeit) genannt. Das Lehrplanwerk von 1959 unterschied umfassend in Land- und Stadtschulen, so dass 2 verschiedene Ausrichtungen existierten: industriell-schwerindustriell und agrartechnisch. Der PA-Unterricht variierte somit je nach örtlichen Gegebenheiten. Während die Schüler in städtischen Gebieten in Industriebetrieben handwerklich geschult, in industrieller Massenfertigung, Maschinenkunde und Automatisierungstechnik unterwiesen wurden und in den oberen Klassen der Oberstufe auch Einsätze in der realen Produktion hatten, konnten Schüler in ländlichen Gebieten in der landwirtschaftlichen Produktion oder der Agrochemie arbeiten. Das Traktorfahren oder Mähdrescherfahren zu lernen, war in der LPG bzw. MTS ebenfalls möglich, so dass die PA auch maschinisierte Tätigkeiten der Feldarbeit umfassen konnte. In den späten 1980er Jahren kam Unterricht in Rechen- und Informationstechnik/Informatik hinzu, wo Grundkenntnisse der Mikrocomputertechnik und in der BASIC-Programmierung vermittelt wurden. Die Einbindung der Informationstechnologien geschah im vgl. zur Bundesrepublik defensiv. Der fakultative Unterricht in Informatik sollte Anfang der 1990er Jahre in einen obligaten, regulären Unterricht umgebaut werden. An der EOS geschah dies bereits ab dem Schuljahr 1989/90.

Ebenfalls konnte eine weitere Fremdsprache fakultativ belegt werden. Für den Wechsel zur EOS war diese notwendig, so dass Schüler, die sich Chancen auf die Zulassung zur EOS ausrechneten und das Abitur ablegen wollten, diesen fakultativen Unterricht auf jeden Fall besuchten. Auch andere Schüler konnten die zweite Fremdsprache wählen; allerdings wurde Schülern mit großen Problemen in Deutsch oder Russisch die Teilnahme erschwert oder in der Regel ganz verwehrt. Das Angebot zur zweiten Fremdsprache war beliebt und gut frequentiert.

Die meisten Schulen boten als zweite Fremdsprache Englisch an, einige auch Französisch oder sehr selten Spanisch. Mehrere zweite Fremdsprachen parallel wurden kaum angeboten. Dies ist zum einen mit einem Mangel an Französischlehrern zu begründen, zum anderen damit, dass die Englischkurse viel beliebter waren. Da aber etwa 15 % der Abiturienten Grundkenntnisse in Französisch besitzen sollten, wurde deshalb an den sogenannten Französisch-Schulen häufig kein Englisch gelehrt. Die Schüler, die später das Abitur ablegen wollten, mussten somit Französisch als zweite Fremdsprache lernen oder die Schule wechseln. Um den Klassenverband zu erhalten, wurde die zweite Fremdsprache in einer Randstunde – am Nachmittag oder auch in einer sogenannten nullten Stunde, das heißt vor Beginn des eigentlichen Unterrichts – gelehrt.

Ab der 9. Klasse wurde seit 1978 das obligatorische, aber nicht benotete Fach Wehrunterricht – zumeist als Blockveranstaltung – gelehrt. Dieses beinhaltete eine vormilitärische Ausbildung in Form von Unterricht über die Grundlagen der „sozialistischen Landesverteidigung“, der teilweise von NVA-Offizieren gehalten wurde. Der Unterricht beinhaltete am Ende der 9. Klasse ein zweiwöchiges Wehrlager für die Jungen und einen Lehrgang in Zivilverteidigung (unter anderem Ausbildung in Erster Hilfe) für die Mädchen und diejenigen Jungen, die nicht in das Wehrlager fuhren. Dies war in den ersten Jahren noch die Mehrheit der Jungen, da es noch nicht genug Plätze im Wehrlager gab. Gegen Ende der DDR-Zeit nahmen fast alle Jungen am Wehrlager teil. Diese wurden größtenteils auf den Anlagen und mit Ausrüstungsgegenständen der Gesellschaft für Sport und Technik durchgeführt. Die Struktur in den Wehrlagern ähnelte sehr der einer militärischen Einheit. Als Gruppenführer wurden vorwiegend Schüler, die den Offiziers- oder Unteroffiziersberuf ergreifen wollten, und als Zugführer zumeist Offiziersschüler der NVA eingesetzt.

In der 8. Klasse erfolgte für die Mehrheit der Jugendlichen der Wechsel von den Pionieren zur einzigen staatlichen Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ), ebenso wie die staatlich organisierte Jugendweihe mit 14 Jahren.

Die oberen Klassen der Oberstufe boten den Schülern seit Ende der 1970er Jahre darüber hinaus differenzierende Wahlfächer an, die den Neigungen und Interessen der Schüler größeren Raum bieten sollten.

Unterricht und Stundentafel

Stundentafel für die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule 1959

angewiesen in [2]

Klasse 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Obligatorischer Unterricht
Deutsche Sprache und Literatur 9 12 14 16 7 6 5 5 5 4
Russisch 6 5 4 3 3 3
Mathematik 6 6 6 6 6 6 6 5 5 5
Physik 3 3 3 3 4
Chemie 2 3 3 4
Biologie 3 2 2 2 2 2
Geographie 2 2 2 2 2 1
Astronomie 1
Technisches Zeichnen 1 1 1 1
ESP und UTP 3 4 4 4
Werken 1 1 1 2 2 2
Nadelarbeit 1 1
Geschichte 1 2 2 2 2 2
Staatsbürgerkunde 1 2
Kunsterziehung 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Musik 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Turnen 2 2 3 3 3 3 2 2 2 2
Pflichtwochenstunden 20 23 27 30 32 33 34 34 35 36
Fakultativer Unterricht
2. Fremdsprache 4 4 3 2
Nadelarbeit 1 1
Wochenstunden höchstens 20 23 27 30 33 34 38 38 38 38
Proportionen des obligatorischen Unterrichts
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1-10
 % Geisteswissenschaften 55,0 60,9 59,3 60,0 50,0 45,5 38,2 35,3 37,1 33,3 46,1
 % MNT 35,0 30,4 29,6 30,0 40,6 45,5 55,9 58,8 57,1 61,1 46,1
 % Körpererziehung 10,0 8,7 11,1 10,0 9,4 9,1 5,9 5,9 5,7 5,6 7,9

Wie der Stundentafel entnommen werden kann, wurden im Vergleich zum zeitgenössischen und zum heutigen Schulsystem der Bundesrepublik Deutschland deutlich höhere Wochenstundenumfänge erteilt. Der Sonnabend als regulärer Unterrichtstag ermöglichte es, dass selbst in den höheren Klassen kaum langer Nachmittagsunterricht stattzufinden brauchte und die Oberstufenschüler an den Nachmittagsarbeitsgemeinschaften und -interessenszirkeln partizipieren konnten.

Die deutsche Sprache wurde in der Unterstufe besonders intensiv unterrichtet, was es zuließ, die sprachlogischen Lehrgänge in Orthographie und Grammatik vor der 10. Klasse abschließen zu können. Dies sicherte Raum für ein breites Repertoire von Literatur und schuf wegen der geringeren Wochenstundenzahl Raum für andere Fächer. Außerdem kam der Mathematik eine zentrale Rolle zu. Des Weiteren stechen die besonders hohen Stundenzahlen für die Naturwissenschaften, allen voran Physik und Chemie, hervor. Walter Ulbricht äußerte sich mehrmals zur wichtigen Rolle des Chemieunterrichts, da die chemische Industrie ein führender Wirtschaftszweig der DDR war und das Chemieingenieurwesen zur Bewältigung der „wissenschaftlich-technischen Revolution“ als unabdingbar angesehen wurde[3]. Geographie gehörte zu den Naturwissenschaften, da die Inhalte der physischen Geographie die ökonomische und politische Geographie überwogen. Die Polytechnik als Kernelement der Oberschule war Bestandteil des Unterrichts von der 1. bis zur 10. Klasse und avancierte ab der 7. Klasse neben der Mathematik zum wichtigsten Fach.

Es ist auch ersichtlich, dass im Gegensatz zu den heutigen Gepflogenheiten fast aller Bundesländer die einmal eingeführten Fächer grundsätzlich durchgängig unterrichtet wurden und nicht schuljahresweise ausgesetzt worden sind.

Die Proportionen des Fachunterrichts zeigen insgesamt ein Gleichgewicht der geisteswissenschaftlichen Fächer und der mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Fächer. Allerdings war der Unterricht in diesen Fächergruppen nicht gleichmäßig verteilt, sondern in der Unterstufe überwog der Deutschunterricht, während in der Oberstufe die MNT-Fächer den Schwerpunkt bildeten. Das Schwergewicht der „Oberschulbildung für alle Kinder“ lag nach der gründlichen und umfassenden Beherrschung der deutschen Sprache verbindlich auf Mathematik, Naturwissenschaften und Technik. Dies steht der seit 1958 gültigen Linie des gegliederten westdeutschen Schulsystems diametral gegenüber[4].

Stundentafel für die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule 1971

Klasse 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
1. Hj 2. Hj
Deutsche Sprache und Literatur 11 10 12 14 14 7 6 5 4+1 3+1 3
Russisch 6 5 3 3 3 3
Mathematik 5 5 6 6 6 6 6 6 4 5 4
Physik 3 2 2 3 3
Chemie 2 4 2 2
Biologie 2 2 1 2 2 2
Geographie 2 2 2 2 1 2
Astronomie 1
Polytechnik 4 4 5 5
davon TZ (1) (1)
ESP (1) (1) (2) (2)
PA (2) (2) (3) (3)
Werken 1 1 1 1 2 2 2
Schulgarten 1 1 1 1
Geschichte 1 2 2 2 2 2
Staatsbürgerkunde 1 1 1 2
Kunsterziehung 1 1 1 1 2 1 1 1 1 1
Musik 1 1 1 2 1 1 1 1 1 1 1
Sport 2 2 2 2 3 3 3 2 2 2 2
Pflichtwochenstunden 21 21 24 27 29 31 33 32 32+1 31+1 32
fakultativ
2. Fremdsprache 3 3 3 2
fakultative Kurse nach Rahmenprogramm(*) 2 2
Nadelarbeit 1 1
Wochenstunden höchstens 21 21 24 27 30 32 33 35 35+1 34+1 34

Diese Stundentafel blieb bis 1989 in Kraft. Sie wurde lediglich dahingehend modifiziert, dass zu Beginn der 80er Jahre die fakultativen Kurse nach Rahmenprogramm in der 9. und 10. Klasse der Oberstufe einsetzten und die ursprünglich als Reservestunde gedachte zusätzliche Unterrichtsstunde im Fach Deutsch für die 8. und 9. Klasse permanent eingebunden wurde.

Fakultativer Unterricht

Der fakultative Kursunterricht wurde Ende der 1960er Jahre als Ansatz der Differenzierung konzipiert und konnte von den Schülern der Oberstufe in den Klassen 9 und 10 wahrgenommen werden. Hierfür wurde zunächst eine große Zahl von Arbeitsgemeinschaften nach allgemein verbindlichen Rahmenprogrammen (AGR) geschaffen, die den obligatorischen Unterricht als erweiternde oder vertiefende Lehrgänge ergänzen sollten. Wie in der Einheitsschule der DDR üblich, waren diese Zusatzkurse mit verwandten Pflichtfächern der Stundentafel didaktisch-methodisch weitreichend verzahnt. Der fakultative Unterricht sollte dazu dienen, den verschiedenen Interessen und Neigungen der älteren Oberschüler gerechtzuwerden. Zugleich sollte gesteigerter Wert auf selbständiges Lernen und wissenschaftliche Stoffaneignung gelegt werden, die die Schüler befähigen sollten, mit dem prinzipiellen Erkennen und Lösen von anspruchsvollen Problemen vertraut zu werden.

Einige Beispiele, welche Rahmenprogramme unter anderem für Arbeitsgemeinschaften in der Schulpraxis zur Verfügung standen:

  • Über den atomaren Aufbau der Stoffe, Bodenfruchtbarkeit, Mikrobiologie, Agrochemie, Chemie des Wassers, Chemie des Erdöls, Chemie der Metalle, Angewandte Chemie, Astronautik, Astronomie, Chemische Technologie, Metallurgie, Maschinenbau, Bauwesen, Instandsetzung, Elektronische Datenverarbeitung, Elektronik, BMSR-Technik, Tier- und Futterproduktion,
  • Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Musik, Literatur, Architektur, Sozialistische Architektur in der DDR, Umweltgestaltung, Ausgewählte Bereiche der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Grundfragen der marxistisch-leninistischen Philosophie

Anfang der 1980er Jahre wurden die Arbeitsgemeinschaften strenger systematisiert und unter der neuen Bezeichnung als fakultative Kurse nach Rahmenprogramm auf ein überschaubares Maß von zweiundzwanzig Lehrgängen reduziert:

  • Mathematik
  • Informatik
  • Elektronik
  • Technische Anwendungen der Physik
  • Astronomie und Raumfahrt
  • Chemie des Wassers
  • Mikrobiologie
  • Informationsverarbeitung und Prozeßautomatisierung
  • Kfz-Technik
  • Heimatliches Territorium
  • Sozialistische Landeskultur
  • Einführung in grundlegende Fragen der marxistisch-leninistischen Philosophie
  • Ausgewählte Probleme der internationalen Politik der Gegenwart
  • Ausgewählte Bereiche der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung
  • Zur Entstehung und Entwicklung des sozialistischen Weltsystems
  • Forschen – Entwickeln – Gestalten
  • Kochen – Servieren
  • Nähen – Maschinelles Stricken
  • Literatur
  • Musik
  • Kunsterziehung
  • Russische Konversation

Schulabschluss

Das Wort Schulabschluss stand ab 1959 in der Einheitsschule der DDR synonym für das erfolgreiche Absolvieren der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule. In einer Woche legten die Schüler eine zentrale Abschlussprüfung ab. Diese bestand aus vier in der gesamten DDR einheitlichen schriftlichen Prüfungen:

  • Deutsche Sprache und Literatur
  • Mathematik
  • Naturwissenschaft
  • Fremdsprache (Russisch)

Die Organisation der Prüfungswochen änderte sich mehrfach. In den 60er Jahren mussten die Prüfungsarbeiten in Deutsch, Mathematik und der Naturwissenschaft an drei aufeinanderfolgenden Tagen von Montag bis Mittwoch bestritten werden. Die Russischprüfung erfolgte eine Woche später. Auch durfte die Naturwissenschaft vom Schüler frei bestimmt werden aus einem der Fächer Physik, Chemie und Biologie. Später wurde nur eine verminderte Wahlfreiheit zugestanden: Für jede Abschlussprüfung gab das Ministerium für Volksbildung zwei der drei naturwissenschaftlichen Fächer nach einer speziellen Rotation vor. Zum Beispiel PhysikChemie, im darauffolgenden Jahr ChemieBiologie, im darauffolgenden Jahr BiologiePhysik und so fort. Dieses Muster wurde erst in den 80er Jahren wieder aufgegeben. In die Zeugnisnote flossen Vorzensur und Zensur der schriftlichen Prüfung jeweils zu 50% ein. Uneindeutige Leistungen wie bspw. 1,5 wurden gerundet, wobei die Prüfung in der Regel den Ausschlag gab.

Wenn die schriftliche Prüfungsleistung von der Vorzensur erheblich abwich, wurde keine mündliche Nachprüfung durchgeführt. Ein unerwartet gutes Prüfungsergebnis eines relativ schlechten Schülers interpretierte die DDR-Schule zugunsten des Schüler als einen erstrebenswerten Erfolg, der eine gute Prüfungsvorbereitung und ein gutes Bestreiten der Prüfung erforderte und der keinesfalls mit Nachprüfungen relativiert oder zerstört werden sollte. Umgekehrt wurde ein unerwartet schlechtes Prüfungsergebnis eines guten Schülers ebenfalls nicht mit einer Nachprüfung korrigiert. Argumentiert wurde, dass im Leben Misserfolge unvermeidlich sind, dass ein Mensch schlechte Tage hat und dass einiges nicht immer durch zweite Chancen berichtigt werden könne.

Zusätzlich musste jeder Schüler die Sportprüfung absolvieren.

Einige Wochen nach den schriftlichen Prüfungen erfolgten die mündlichen Prüfungen. Obligatorisch musste jeder Schüler zwei mündliche Prüfungen absolvieren, maximal konnten fünf mündliche Prüfungen stattfinden. Wie viele Fächer und welche Fächer geprüft wurden, wurde von der Lehrerkonferenz für jeden Schüler individuell festgelegt. Der Schüler hatte hierbei keinen Einfluss auf die Entscheidungen und kein Mitsprache- oder Einspruchsrecht. In der Regel wurde ein Schüler in Fächern geprüft, in denen die Zensuren keine eindeutige Bewertung ermöglichten. Herausragende Schüler, die auf Grund ihrer fachlichen Leistungen für die Verleihung der Lessing-Medaille vorgeschlagen wurden, mussten zwangsläufig in fünf Fächern mündlich geprüft werden.

In die Zeugnisnote flossen Vorzensur und Zensur der mündlichen Prüfung jeweils zu 50 % ein. Uneindeutige Leistungen wie bspw. 1,5 wurden gerundet, wobei das Prüfungsergebnis in de Regel den Ausschlag gab. Wurde ein Schüler in einem Fach schriftlich und mündlich geprüft, gingen die Einzelleistungen normalerweise mit jeweils 33 % ein, d. h. 33 % Vorzensur, 33 % schriftliche Prüfung, 33 % mündliche Prüfungen.

Die Vorzensur eines Faches wurde den Schülern im Vorfeld der schriftlichen und mündlichen Prüfungen nicht mitgeteilt.

Mündliche Prüfungen in weiteren Fächern konnte ein Schüler beantragen, wenn er sich dadurch eine Hebung der Gesamtnote erhoffte. Dies war auch in den bereits schriftlich geprüften Fächern möglich, um beispielsweise eine misslungene schriftliche Prüfung durch eine bessere mündliche Prüfung auszugleichen. Die Genehmigung solcher Korrekturprüfungen war aber nicht die Regel und konnte verweigert werden, insbesondere dann, wenn ein Schüler in mehreren Fächern oder mehr als einer Prüfung sehr schlechte Ergebnisse vorzuweisen hatte.

Das Abschlusszeugnis enthielt neben den Einzelnoten in den Fächern ein Gesamtprädikat (Mit Auszeichnung; Sehr gut; Gut; Befriedigend; Genügend; Ungenügend), das sich aus dem Notendurchschnitt ergab. Der Abschluss der 10. Klasse (POS) berechtigte zur Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung zum Facharbeiter und einem Studium an einer Fachschule (Krankenschwester, Unterstufenlehrer und Krippen- bzw. Kindergartenerzieher waren ab den 1970er Jahren Fachschulausbildungen).

Der Staat garantierte die Zuteilung eines Ausbildungsplatzes für jeden Schulabgänger. Wer die Lernziele nicht erreichte oder frühzeitig in das Berufsleben einsteigen wollte, konnte bis in die 1970er Jahre mit dem Abschluss der 8. Klasse ausscheiden, was allerdings die Lehrzeit um ein Jahr verlängerte. In den späteren Jahren war das vorzeitige Beenden der POS nach der achten oder seltener nach der neunten Klasse auf Antrag der Eltern und Zustimmung der Schule ebenfalls möglich, wurde aber seltener praktiziert. Voraussetzung war die Absolvierung der zehnjährigen Schulpflicht, der Schüler musste also zwei Schuljahre wiederholt haben bzw. die Schulausbildung für weitere zwei Jahre an der Berufsschule fortsetzen. Mit den entsprechenden Abgangszeugnissen konnte eine Berufsausbildung in bestimmten Berufen, vorwiegend in den Bereichen Industrieproduktion, Handwerk und Landwirtschaft, absolviert werden, die dann allerdings oft nur einen Abschluss als (gering qualifizierter) Teilfacharbeiter zuließ.

Ein Abschlusszeugnis der POS wird heute in der Regel als dem Realschulabschluss gleichwertig anerkannt, ein Abgangszeugnis der 9. Klasse der POS wird einem Hauptschulabschluss gleichgestellt, ebenso ein Abgangszeugnis der 8. Klasse in Verbindung mit einem darauf folgenden Facharbeiterzeugnis.

Allgemein war das Niveau der Schulbildung an der POS vor allem im mathematisch-naturwissenschaftlichen und technischen Bereich höher als das an einer heutigen Realschule, während sie in den sprachlichen Fächern etwa dem heutigen Standard glich, wobei der Unterschied darin liegt, dass sechs Jahre lang Russisch als erste Fremdsprache gelehrt wurde und Englisch nur vier Jahre gelernt werden konnte, wobei die Teilnahme daran freiwillig war.

Schüler, die das Abitur ablegen wollten, wechselten nach der 10. Klasse (bis 1981 in der Regel nach der 8. oder auch nach der 10. Klasse) an die erweiterte Oberschule (EOS). Alternativ dazu gab es in der DDR die Berufsausbildung mit Abitur. Schüler, die eine technische Fachrichtung an einer Fachschule oder einer Ingenieurhochschule studieren wollten, wählten häufig diesen Weg. Neben einem Abitur hatte man nach dreijähriger Lehrzeit eine mehr oder weniger intensive Berufsausbildung in dem ausgewählten Beruf. Der Berufspraxis wurde dabei nur unwesentlich weniger Stellenwert zugemessen als bei einer ‚normalen‘ Lehre, da die Schüler meist nach der Lehrausbildung auch in dieser Fachrichtung studierten.

Studenten, die diesen Bildungsweg wählten, hatten zwar mit ihren Erfahrungen in der praktischen Arbeit einen erheblichen Vorteil gegenüber EOS-Schülern, mussten die Abiturfächer Biologie bzw. Chemie für bestimmte naturwissenschaftliche Studienrichtungen jedoch an Volkshochschulen belegen.

Neben der Berufsausbildung mit Abitur gab es an einigen Spezialschulen das Abitur mit Berufsausbildung. Bei dieser stand das Abitur im Vordergrund, aber zusätzlich erreichten die Schüler eine Berufsausbildung.

Schüler, die an einem Studium im (sozialistischen) Ausland interessiert waren, besuchten die ABF II in Halle.

Schüler der Einschulungsjahrgänge 1954–1958 legten neben dem Abitur 1966–1970 nach einer gleichzeitig erfolgten Berufsausbildung die Facharbeiterprüfung ab.

Spezialisierung

Neben den „normalen“ Schulen gab es verschiedene sogenannte Spezialschulen unterschiedlicher Richtungen. Dies waren vor allem die Russischschulen, die Kinder- und Jugendsportschulen, die Spezialschulen mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Richtung und die Spezialschulen für Musik. Auf diese konnten Schüler kommen, die auf dem entsprechenden Gebiet besonders gute Leistungen zeigten; dies musste an manchen Schulen in einer Aufnahmeprüfung nachgewiesen werden. Ein Platz an einer Spezialschule war auch deshalb begehrt, da diese personell und finanziell besonders gut ausgestattet waren und der Übergang auf eine solche Schule oft vor der 9. Klasse erfolgte. Nachdem 1984 die erweiterte Oberschule erst mit der 11. Klasse begann, gewannen manche Spezialschulen weiter an Reiz, da sich an diesen der Beginn mit der 9. Klasse nicht veränderte. An den Spezialschulen wurde in den Spezialfächern deutlich intensiver und mit einer erhöhten Stundenzahl unterrichtet.

Die Russischschulen (oder an mehrzügigen Schulen so genannte R-Klassen) konnten ab der 3. Klasse besucht werden. Diese führten erweiterten intensiven Fremdsprachenunterricht durch, ohne von den sonstigen Anforderungen an Polytechnischen Oberschulen abzulassen. Es gab kein spielerisches Heranführen der Kinder wie gegenwärtig in den Grundschulen, sondern ohne Zeitverzug setzte umfangreicher Grammatik- und Orthoepieunterricht ein, der in normalen Polytechnischen Oberschulen erst mit der 5. Klasse begann. Das Fach Russisch erteilten jeweils zwei Lehrer pro Klasse, so dass die Lerngruppen sehr klein wurden. Diese Schulen waren relativ weit verbreitet und konnten auch ohne Internat besucht werden. Vergleichsweise selten gab es solche Schulen auch für die französische oder die englische Sprache. Weiterhin gab es in jedem Bezirk eine mathematisch-naturwissenschaftliche Spezialschule, auf die besonders mathematik- oder physikbegabte beziehungsweise -interessierte Schüler kamen.

Im Rahmen der staatlichen Sportförderung kam den Kinder- und Jugendsportschulen mit angeschlossenem Internat eine besondere Bedeutung zu, auf die Kinder je nach Sportart in verschiedenen Jahrgangsstufen wechseln konnten. Anders als bei den anderen Spezialschulen war hier ein Rückgang – bei nicht mehr genügender sportlicher oder auch schulischer Leistung – auf die Heimatschule durchaus normal.

In Berlin, Weimar, Dresden und Halle gab es außerdem noch so genannte Spezialschulen für Musik. Die Schüler sollten direkt auf ein Studium an einer Musikhochschule vorbereitet werden. An diese Schulen wechselten die Schüler mit der 6. Klasse.

Sonstiges

Ein Unterrichtstag bestand aus durchschnittlich sechs Unterrichtsstunden, die am Vormittag unterrichtet wurden. Unterstufenschüler hatten eine wöchentliche Unterrichtsbelastung von bis zu 30, Mittel- und Oberstufenschüler von höchstens 38 Schulstunden. 36 Wochenstunden stellte die Normbelastung dar, die für alle Schüler ab der 5. Klasse als zweifelsfrei zumutbar galt, aber die die Stundentafeln beim Pflichtunterricht nicht überschreiten sollten, um Spielraum nach oben zu lassen (für etwaigen verstärkten Sonderunterricht im Falle von Unwegsamkeiten beim Schulwechsel oder für weiterführende fakultative Angebote). Doppelstunden (90 Minuten) gab es nur in den oberen Klassen zur Durchführung geschlossener Themen (Experimente), zum Schreiben von umfangreichen Klassenarbeiten beziehungsweise Aufsätzen, in den Fächern mit praktischer oder körperlicher Betätigung oder zur Vorbereitung der schriftlichen Prüfungen. Nachmittagsunterricht mit ein bis zwei Unterrichtsstunden (7. und 8. Stunde) an einigen Wochentagen begann mit der 7. Klasse. Bis zum März 1990 war der Sonnabend normaler Schultag mit verkürztem Unterricht; in den unteren Klassen zwei bis drei und in den höheren nicht mehr als fünf Stunden. Offiziell wurde am 5. März 1990 der Sonnabend als Unterrichtstag abgeschafft, einige Schulleiter taten dies jedoch (meist in Rücksprache mit den zuständigen Schulämtern) schon früher. Der Unterrichtsbeginn variierte je nach Schule zwischen 7:00 und 8:00 Uhr. Im Ausnahmefall, der sogenannten nullten Stunde (Beginn beispielsweise 6:40 Uhr bei normalem Schulbeginn um 7:30 Uhr), konnte er jedoch noch früher liegen.

Im DDR-Fernsehen wurden am Vormittag und frühen Nachmittag regelmäßig Schulfernsehsendungen für die folgenden Fächer ausgestrahlt und öfter wiederholt:

  1. Chemie
  2. ESP (Einführung in die sozialistische Produktion)
  3. Geschichte
  4. Heimatkunde
  5. Literatur
  6. Physik
  7. Staatsbürgerkunde
  8. Russisch (Мы говорим по-русский – Wir sprechen Russisch)
  9. Geographie
  10. Englisch (English for you).

Zur Unterstützung gab es für den Sprachunterricht die Zeitschrift По Свету (Po Swetu) mit Artikeln in Russisch, aber auch in Englisch und Französisch und für den Mathematikunterricht die Zeitschrift alpha.

Nachdem lange Zeit der Rechenschieber und das Tafelwerk als Rechenhilfe verwendet wurden, wurde ab dem Schuljahr 1984/85 (beginnend mit den 11. Klassen der EOS) und ab dem Schuljahr 1987/88 in der 7. bis 10. Klasse der POS, der Schultaschenrechner SR-1 eingesetzt, der für subventionierte 123 Mark der DDR (frei 800 Mark) erworben werden konnte oder (wenn auch nur sehr selten) von der Schule zur Verfügung gestellt wurde. 1987 fanden die letzten Abschlussprüfungen der 10. Klasse in Mathematik statt, welche ausschließlich mit dem Rechenschieber und Logarithmentafeln bewältigt werden mussten. In den Zwischenjahrgängen wurde der Taschenrechner zentral ab dem Schuljahr 1987/88 parallel zu Rechenschieber und Tafelwerk eingeführt.

Änderungen in der Zeit der Wende

In der Zeit der politischen Wende 1989/1990 und unmittelbar danach entbrannte eine heftige Diskussion über das Schulsystem der DDR. Die Verantwortung für die Schulpolitik wurde den Bundesländern übertragen, daher fielen die Veränderungen je nach Bundesland unterschiedlich aus.

In allen Ländern trat das Fach Gemeinschaftskunde an die Stelle von Staatsbürgerkunde, der Wehrunterricht entfiel. Die Fächer TZ, ESP und PA wurden durch das Fach Technik ersetzt. Auch wurde die ideologische Indoktrination und die Bevormundung bezüglich der Zulassung zur EOS beseitigt. Die Pflicht Russisch als erste Fremdsprache zu lernen wurde zu einem Angebot heruntergestuft, das sich aber in der Praxis nicht gegen Englisch als erste Fremdsprache durchsetzen konnte.

Überwiegend wurde das Prinzip der Einheitsschule durch die frei gewählten Landesparlamente durch das gegliederte Schulsystem ersetzt. Auch der Name Polytechnische Oberschule verschwand aus dem Sprachgebrauch.

Literatur

  • René Frenzel (Hrsg.): Die sozialistische Schule. Deutscher Zentralverlag, Berlin 1960.
  • Helmut Klein, Ulrich Zückert: Lernen für das Leben. Panorama, Berlin 1980.
  • Heinz-Elmar Tenorth, Sonja Kudella, Andreas Paetz: Politisierung im Schulalltag der DDR. Durchsetzung und Scheitern einer Erziehungsambition. Deutscher Studien-Verlag, Weinheim 1997, ISBN 3-89271-648-X.
  • Horst Schaub, Karl G. Zenke: Wörterbuch Pädagogik. dtv, München 2007, ISBN 978-3-423-34346-6.

Quellen

  1. Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung der Deutschen Demokratischen Republik 1946–1990
  2. Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung und des Staatssekretariats für Berufsbildung der Deutschen Demokratischen Republik 1959–1990
  3. Lehrplanwerk der 10klassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der Deutschen Demokratischen Republik 1959
  4. Lehrplanwerk der erweiterten 12klassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der Deutschen Demokratischen Republik 1961
  5. Lehrplanwerk der 10klassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der Deutschen Demokratischen Republik 1964/71
  6. Lehrplanwerk der Erweiterten allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der Deutschen Demokratischen Republik 1971
  7. Lehrplanwerk der 10klassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der Deutschen Demokratischen Republik 1982/90
  8. Lehrplanwerk der Erweiterten allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der Deutschen Demokratischen Republik 1980/82
  9. Neuner, Gerhart: Allgemeinbildung, Lehrplanwerk, Unterricht
    Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR, Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin, 1973
  10. Neuner, Gerhart: Allgemeinbildung und Lehrplanwerk
    Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR, Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin, 1988

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Zitat aus: Über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik, Thesen des ZK der SED, in: René Frenzel (Hrsg.): Die sozialistische Schule. Berlin 1960.
  2. Ministerium für Volksbildung der Deutschen Demokratischen Republik: Verfügungen und Mitteilungen Lfd. Nr. 28/59
    Anweisung über die Stundentafeln der allgemeinbildenden Schulen der Deutschen Demokratischen Republik
    Vom 4. Mai 1959
  3. Chemiekonferenz des Zentralkomitees der SED und der Staatlichen Plankommission über das Chemieprogramm des V. Parteitages, November 1958
  4. „Tutzinger Maturitätskatalog“ Wilhelm Flitner, Westdeutsche Rektorenkonferenz, Kultusministerkonferenz, 1958

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