Richard Freudenberg

Richard Freudenberg

Richard Freudenberg (* 9. Februar 1892 in Weinheim; † 21. November 1975 Reutte/Tirol) war ein deutscher Politiker und Fabrikant.

Inhaltsverzeichnis

Werdegang

Freudenberg war persönlich haftender Gesellschafter der Lederfabrik Carl Freudenberg in Weinheim, des größten Arbeitgebers der Stadt. Bereits von 1919 bis 1924 war er für die DDP Mitglied des Landtages von Baden, anschließend bis 1933 ihr Landesvorsitzender. Auch im Stadtrat seiner Heimatstadt Weinheim vertrat er die Demokraten, wie sie in Baden nur genannt wurden.

Unter Richard Freudenberg erwarb die Firma, die bis dahin nur ein Gerbereibetrieb gewesen war, in der Zeit des Nationalsozialismus drei Schuhfabriken, darunter die Schuhfabrik und Handelskette Conrad Tack in Burg bei Magdeburg von der jüdischen Familie Krojanker. Diese Firma war die zweitgrößte Schuhfabrik Deutschlands und der größte Abnehmer von Leder der Firma Freudenberg[1]. Bereits im Herbst 1932 verhandelte man über eine Übernahme durch Freudenberg. Als dann von 1933 an die Lage für die jüdischen Eigentümer der Firma Tack, die Familie Krojanker, unhaltbar wurde, übernahm Freudenberg die Krojanker-Anteile zu einem damals gerechten Preis.[2] Die Verhandlungen fanden in einer freundschaftlichen Atmosphäre statt.[3]. Hermann Kronjanker „nahm sich nach Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz im August 1935 in Berlin das Leben“[4]. Bis 1936 erwarb Freudenberg die größte deutsche Kinderschuhfabrik Gustav Hoffmann und 1938 von jüdischen Eigentümern die Babyschuhfabrik Fisch in Heidelberg. Die Übernahme der „arisierten“ österreichischen DELKA und, nach der deutschen Eroberung Frankreichs, die „Germanisierung“ der französischen Firma André in Nancy scheiterten jeweils an lokalen politischen Widerständen[5].

Nach nicht ganz zweimonatiger Amtszeit als kommissarischer Bürgermeister der Stadt Weinheim wurde er am 27. Mai 1945 wegen Beleidigung vom Counter Intelligence Corps verhaftet. Nach zwei Monaten kam er jedoch wieder frei, da sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als haltlos erwiesen hatten.[6]

Freudenberg wurde von November 1945 bis zum Frühjahr 1947 in verschiedenen US-amerikanischen Internierungslagern festgehalten, bis er in seinem Spruchkammerprozess in Weinheim eindeutig beweisen konnte, dass er die Nationalsozialisten nicht unterstützt hatte. Dazu waren unzählige Aussagen aus der Belegschaft und Bevölkerung nötig.[7] In ihrer Urteilsbegründung stellte die Spruchkammer der Stadt Weinheim fest, „dass nicht nur die Gesamthaltung des Betr. in jeder Beziehung einwandfrei war und dass er sich nicht nur passiv verhalten, sondern dass er auch nach dem Maß seiner Kräfte dem Nationalsozialismus aktiv Widerstand entgegengesetzt hat, und zwar sowohl in aller Öffentlichkeit wie auch in Fällen, die, wenn sie zur Kenntnis der Parteistellen gelangt wären, die schwerwiegendsten Folgen für den Betr. gehabt hätten. Der Abschluss dieser Widerstandshandlungen bildete sein Eintreten für eine kampflose Übergabe Weinheims an die amerikanischen Truppen.“[8]

Man hatte ihm unter anderem die Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat der Deutschen Bank, seine Ernennung zum Wehrwirtschaftsführer und die Mitgliedschaft in der NSDAP zum Vorwurf gemacht. Richard Freudenberg konnte aber widerlegen, im geschäftsführenden Arbeitsausschuss der Deutschen Bank gewesen zu sein.[9] Die Firmenleitung der Firma Freudenberg war am 30. Januar 1943 geschlossen der NSDAP beigetreten, um eine drohende Schließung des Betriebs zu vermeiden. Die NSDAP datierte den Parteieintritt auf den 20. Oktober 1941 zurück.[10] Im Jahre 1938 war er trotz Anfeindungen durch die Nationalsozialisten als Wehrwirtschaftsführer ernannt worden.[11]

Von 1934 an steuerte die Firma Freudenberg jährlich 36.000 RM zur Adolf-Hitler-Spende bei, eine Zwangsabgabe aller Betriebe zugunsten der NSDAP, berechnet nach der Lohn- und Gehaltssumme des jeweiligen Betriebs.[12] Man achtete jedoch darauf, keine größeren Zuwendungen als erforderlich zu machen.[13]

Er war Mitbegründer der Parteilosen Wählervereinigung Weinheim (PWV), dem Vorläufer der heutigen FWG. Für diese zog er 1947 in den Stadtrat ein. Er stand zwar politisch der FDP/DVP nahe, trat ihr aber nicht bei, u.a. weil er – im Gegensatz zur FDP/DVP – das Mehrheitswahlrecht propagierte.

Bei der Bundestagswahl 1949 kandidierte Freudenberg als parteiloser Direktkandidat im Wahlkreis Mannheim-Land. Er profitierte davon, dass die FDP/DVP auf einen eigenen Kandidaten verzichtet und zu seiner Wahl aufgerufen hatte, und zog in den Deutschen Bundestag ein. Dort gehörte er bis zum 5. Dezember 1952 als Hospitant der FDP-Fraktion an. Nachdem er sich gegen Beitritt Deutschlands zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) ausgesprochen und auch dagegen gestimmt hatte, wurde er aus der FDP-Fraktion ausgeschlossen.[14] Den Rest seiner Amtszeit verbrachte er als fraktionsloser Abgeordneter. Bis zum 26. Februar 1953 war er stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Außenhandelsfragen und des Beirates für Handelspolitische Vereinbarungen. Eine der wichtigsten regionalpolitischen Entscheidungen der Nachkriegszeit, die Gründung des neuen Südwest-Staates Baden-Württemberg nach einer Volksabstimmung 1951, geht auf Freudenbergs maßgebliche Einflussnahme zurück. Noch 1950 hatte eine Probeabstimmung keine Mehrheit für den Gesamtstaat ergeben - die Lösung im Sinne der Befürworter brachte Freudenbergs nicht unumstrittener Vorschlag, nicht in zwei, sondern in vier Wahlbezirken abstimmen zu lassen und einen Gesamtstaat zu gründen, wenn drei der Bezirke dafür votieren sollten.

Bei der Bundestagswahl 1953 scheiterte er mit 20,8 % der Erststimmen am Kandidaten der CDU. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag wurde er für die PWV im November 1953 in den Kreistag des Landkreises Mannheim gewählt. Seit 1962 war Freudenberg Ehrenmitglied des Landesverbandes der FWG. Im gleichen Jahr verlieh ihm die Stadt Weinheim die Bürgermedaille in Gold. Nach der Auflösung der christlich-liberalen Koalition forderte er gemeinsam mit Dolf Sternberger am 9. November 1966 in einem Aufruf an die Bundestagsabgeordneten die Bildung einer großen Koalition zum Zwecke der Einführung des relativen Mehrheitswahlrechts. 1971 schied er aus Altersgründen aus dem Stadtrat und dem Kreistag aus.

Freudenberg machte sich auch als Wohltäter Weinheims einen Namen, so stiftete er aus Privat- und Firmenvermögen insgesamt mehrere Millionen DM. Durch seine Spenden wurden u.a. ermöglicht: Erweiterungsbau des Werner-Heisenberg-Gymnasiums (1952); Krankenhausmodernisierung (1955); Bau des Sportzentrums mit Hallenbad und Großsporthalle (1958–62); Bau der Dietrich-Bonhoeffer-Schule (1967); Zweiter Erweiterungsbau für das Gymnasium (1974).

Ehrungen

Literatur

  • Rudolf Vierhaus und Ludolf Herbst (Hrsg.): Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949–2002. Band 1, A–M, Saur, München 2002, ISBN 3-598-23781-2, S. 224–225
  • Anne Sudrow : Der Schuh im Nationalsozialismus : eine Produktgeschichte im deutsch-britisch-amerikanischen Vergleich, Göttingen : Wallstein, 2010 ISBN 978-3-8353-0793-3 . Zugl.: München, Univ., Diss., 2009.
  • Petra Bräutigam: Mittelständische Unternehmer im Nationalsozialismus : wirtschaftliche Entwicklungen und soziale Verhaltensweisen in der Schuh- und Lederindustrie Badens und Württembergs, München : Oldenbourg, 1997 ISBN 3-486-56256-8. Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1995

Einzelnachweise

  1. Anne Sudrow:Der Schuh im Nationalsozialismus, S.502f
  2. Vgl. Schuster, Sibylla: Die Lederfabriken Freudenberg und Hirsch in der Zeit des Dritten Reiches. In: Die Stadt Weinheim zwischen 1933 und 1945. Weinheimer Geschichtsblatt 38, 2000, S. 313-349, S. 325.
  3. Ein Brief, in dem Hermann Krojanker sich für „freundschaftliche, vornehme Form“ der Verhandlungen bedankt, ist bei Karin Hönicke : „Tack" - Europas ältester Schuhgroßbetrieb. 110 Jahre Schuhindustrie in Burg, Oschersleben 2005, S. 233 abgedruckt.
  4. Anne Sudrow:Der Schuh im Nationalsozialismus, S.502, Anm. 55. Zur Vita der Familienangehörigen Krojanker siehe die noch lückenhaften Einträge und Verweise bei Joseph Walk (Hrsg.), Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. hrsg. vom Leo Baeck Institute, Jerusalem. München : Saur, 1988 ISBN 3-598-10477-4.
  5. Anne Sudrow:Der Schuh im Nationalsozialismus, S.503
  6. Vgl. Wilderotter Stefan D.: Richard Freudenberg, Liberaler Politiker und Unabhängiger Bundestagsabgeordneter, Heidelberg 1992, S. 40-41.
  7. Vgl. Schuster, S. 347.
  8. Freudenberg Familienarchiv 1/00273 Entnazifizierungsakte Spruch, Blatt 4 Seite 1.
  9. Zur Arbeitsweise des Aufsichtsrats der Deutschen Bank: Das gesamte Gremium des Aufsichtsrates kam nur etwa zweimal im Jahr zusammen. Eine wirklich aktive Beteiligung zeigte nur etwa ein Drittel der Mitglieder. Die übrigen Mitglieder begnügten sich damit, den Arbeitsausschuss zu ernennen, dem die ihre Funktion zwischen den Sitzungen des Aufsichtsrates übertrugen. Vgl. Enzensberger, Hans Magnus (Hg.): OMGUS. Ermittlungen gegen die Deutsch Bank, Nördlingen 1985, S. 36.
  10. Schuster, Sibylla: Die Lederfabriken Freudenberg und Hirsch in der Zeit des Dritten Reiches. In: Die Stadt Weinheim zwischen 1933 und 1945. Weinheimer Geschichtsblatt 38, 2000, S. 313-349, S. 325.
  11. Vgl. Wilderotter, S. 36 sowie siehe Kopie der Entnazifizierungsakte in Freudenberg Familienarchiv 1/00273
  12. Vgl. OMGUS, S. 315.
  13. Vgl. Freudenberg Familienarchiv 1/00273.
  14. Vgl. Wilderotter, S. 84ff.
  15. Vgl. Ehrenbürgerbrief in Freudenberg Familienarchiv 1/00172
  16. Vgl. Ehrenbürgerurkunde in Freudenberg Familienarchiv 1/00203
  17. Vgl. Ehrenbürgerbrief in Freudenberg Familienarchiv 1/00154

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