Sanatorium Wienerwald

Sanatorium Wienerwald
Ursprüngliches Emblem des Sanatoriums Wienerwald
Sanatorium Wienerwald 1904

Das Sanatorium Wienerwald ist ein ehemaliges Lungensanatorium (Lungenheilstätte) im niederösterreichischen Feichtenbach, einer Katastralgemeinde von Pernitz im Piestingtal. 1903/04 von den beiden Lungenspezialisten Hugo Kraus und Arthur Baer gegründet, erlangte das eher versteckt in einem Seitental der Piesting gelegene Haus alsbald Weltruhm. Betuchte Patienten aus ganz Europa, vornehmlich aus Osteuropa, aber auch tuberkulöse Gäste aus Übersee, etwa Kaffeeplantagenbesitzer aus Südamerika, frequentierten das exklusive Sanatorium, das in seiner Reputation etwa gleichauf lag mit den Heilstätten in Davos. Der Andrang war so groß, dass sich die beiden Ärzte entschlossen, das ursprünglich für etwa 90 Patienten ausgelegte Haus entscheidend zu vergrößern.

Als Dr. Hugo Kraus, der auch Erfinder und Konstrukteur der kalten Quarzlampe zur Kehlkopfbestrahlung war, 1930 erstmals die bereits aus der Schweiz bekannte Methode des künstlichen Pneumothorax in Österreich praktizierte, stieg das Interesse der betuchten Klientel exorbitant, so dass das Haus trotz seiner stolzen Preise[1] bis Mitte der 1930er Jahre praktisch permanent am Rande der Überlastung war.[2] Persönlichkeiten wie etwa Bundeskanzler Ignaz Seipel, der am 2. August 1932 ebenda verstarb, Kardinal Innitzer, oder Dr. Franz Kafka 1924 zählten zu den Patienten der auf 655 Meter Seehöhe gelegenen Höhenklinik.

Inhaltsverzeichnis

Hugo Kraus

Geboren wurde Hugo Kraus am 8. Juni 1872 in Caslau bei Pardubice/Böhmen. Er stammte aus einer traditionellen jüdischen Akademikerfamilie, sein Vater, Julius Kraus, war praktischer Arzt in Caslau. Kraus besuchte das Deutsche Gymnasium in Prag, es folgte das Medizinstudium an der Universität Prag, wo er 1897 promovierte. Danach war er Aspirant im Allgemeinen Krankenhaus Wien. Spezialisierung vorerst auf Pädiatrie, später auf Lungenheilkunde und Kehlkopferkrankungen. Danach wurde er Assistent des Vorstandes der med. Universitätsklinik Wien und Gründers der Lungenheilstätte Alland, Univ. Prof. Dr. Leopold von Schrötter, in dessen Sanatorium Alland. Um 1900 unternahm der Mediziner ausgedehnte Studienreisen in die Schweiz, mehrmals besuchte er das Basler Sanatorium in Davos Dorf.

1903 kaufte er (auf Anraten seines väterlichen Freundes Leopold Schrötter) gemeinsam mit seinem ehemaligen Studienkollegen, Dr. Baer, drei Bauernhöfe in Feichtenbach und es erfolgte die Gründung des Sanatoriums Wienerwald. Am 1. Juli 1904 eröffneten die beiden Pulmologen ihr Sanatorium. Der praktisch veranlagte Kraus widmete sich nun verstärkt der Tuberkuloseforschung und entwickelte einige technische Hilfsmittel, wie etwa die kalte Quarzlampe[3] zur Kehlkopfbestrahlung und führte 1930 die erste künstliche Pneumothorax-Operation in Österreich durch. Er galt als umtriebiger Wissenschafter, zielstrebig und geschäftstüchtig. Zahlreiche Publikationen in internationalen Fachzeitschriften festigten seinen Ruf als einer der führenden Lungenspezialisten Europas. Über seine Ära hinausweisend und bis dato bekannt ist etwa seine Abhandlung Zur Diagnostik kleiner Gasblasen über pleuritischen Ergüssen von 1911.[4] Auf der anderen Seite wird Kraus als emotionaler, gemütlicher Mensch, kontaktfreudig und leutselig beschrieben.[5] In Feichtenbach und Umgebung wurde Kraus von der Bevölkerung hochgeschätzt, denn er mischte sich nicht nur gern unters Volk, sondern behandelte auch die Einheimischen ohne auf Bezahlung zu bestehen.[2]

Am 21. April 1938 beschlagnahmte die SS im Beisein von Gestapo und dem Geschäftsführer des Lebensborn, Guntram Pflaum, das Sanatorium Wienerwald. Dr. Kraus flüchtete sich in ein Matratzenlager (eine Zeugin sprach von einem Messerstich im Brustraum, so dass sich überall im Sanatorium Blutspuren fanden), wo er einen Selbstmordversuch unternahm. Drei Tage später, am 24. April 1938, verstirbt Hugo Kraus im Krankenhaus Wiener Neustadt. Offizielle Todesursache: Selbstvergiftung.[2] Der genaue Hergang liegt im Dunklen, aber es gibt bis dato berechtigte Zweifel an dem verpfuschten Selbstmord des Arztes.

Arthur Baer

Arthur Baer wurde am 1. August 1872 als Sohn des jüdischen Maierhofpächters Moritz Bär in Roschowitz/Böhmen geboren. Wie Kraus besuchte auch er das Deutsche Gymnasium in Prag, es folgte das Medizinstudium an der Universität Prag, wo er 1897 promovierte. Danach war er ebenfalls Aspirant im Allgemeinen Krankenhaus Wien. Später ging Baer als Assistent in Peter Dettweilers Heilanstalt Falkenstein im Taunus. Dort lernte er auch seine spätere Frau Elisabeth Matwejewa Spitzmacher, eine Moskauer Deutschrussin aus reichem Hause, kennen, deren Vermögen den Grundstein zum Sanatorium Wienerwald bildete.

Es folgen zwei Jahre Studienaufenthalte in Frankreich und der Schweiz. Nach Gründung des Sanatoriums ist Baer der pragmatische Part des Ärzteduos. Er ist Mitglied der „Gutensteiner Sommergesellschaft“[6], gilt als ernst und verschlossen, pflegt wenig persönlichen Kontakt zu den Patienten. Wie auch seine Gattin war der begeisterte Jäger eine elegante Erscheinung, aber von völlig anderem Naturell. Das führte nicht nur zu Spannungen zwischen ihm und seiner Gattin, sondern auch zu einem Zerwürfnis mit Kraus.[5] In den späten 1920ern und 1930ern ordinierten die beiden Sanatoriumsleiter schließlich völlig getrennt voneinander. Die Patienten des Einen bekamen den Anderen zumeist nicht zu Gesicht.

Nach der Arisierung der Wienerwald wird Baer sofort nach Wien ins Landesgericht Wien verbracht. Nach tagelangen Gestapo-Verhören unterschreibt Baer schließlich den Verzicht auf alle Habe. Er flüchtet sich zu seinem Bruder nach Pardubice/Protektorat Böhmen und Mähren, wo der aus seiner eingebürgerten Heimat Feichtenbach vertriebene Medizinalrat mehr recht als schlecht eine kleine Ordination betreibt. Er stirbt völlig verarmt am 7. Oktober 1941. Offizielle Todesursache: „vigilium cordis“ (Herzklappenfehler), im Sterberegister Pardubice findet sich einfach nur „vitium cordis“. Es gibt aber auch Zeugenaussagen, dass er, zermürbt durch die Behandlung durch die Nationalsozialisten, Selbstmord begangen haben soll.[2]

Architektur

Planentwurf Bezugsebene 1903

Der Gründungsbau ist ein 13-achsiges, fünfgeschossiges Gebäude mit in der Dachlandschaft integrierter Mansarde im Stil des Späthistorismus/Heimatstil. Es zeigt von seiner Südseite eine deutliche Dreiteilung, wobei im zurückspringenden Mitteltrakt ein Pseudo-Mittelrisalit nur durch Dach und fehlende Balkone angedeutet ist. Da das Gebäude in Hanglage steht, ist die Bezugsebene eigentlich ein Obergeschoss, der Eingang lag ursprünglich nordseitig. Westseitig schloss sich eine hölzerne Liegeterrasse an das Gebäude.

Rohbau des Sanatoriums 1904

1909/10 wurde der Wintergarten, der das Foyer darstellte, aufgestockt, um Platz für einen modernen Operationssaal zu schaffen. Es gilt als erwiesen, dass Dr. Hugo Kraus das Konzept für sein Sanatorium von einer Studienreise in die Schweiz mitbrachte. Es tauchen auch tatsächlich frappante bauliche Ähnlichkeiten mit dem Basler Sanatorium in Davos auf, das Kraus 1902 besuchte. Diese Ähnlichkeit geht sogar soweit, dass selbst die Ausrichtung beider Gebäude identisch ist und es kann mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass nicht der ausführende Maurermeister Johann Jauernik, sondern der technisch hochbegabte Mediziner selbst den Planentwurf zum Sanatorium Wienerwald gezeichnet hat.

Anfang der 1920er Jahre erfolgte der Zubau eines nordöstlichen Erweiterungstraktes, dessen oberstes Geschoss als Mansarde in einem tief herabgezogenen Walmdach ausgebildet war und der Bau eines Wohnhauses mit quadratischem Grundriss mit ebenfalls tief herabgezogenem Walmdach, in dessen Untergeschoss vier Garagen untergebracht waren, von den Einheimischen scherzhaft als „das Dreimäderlhaus“ bezeichnet. Spätere Umbauten waren 1938, 1951/52 (Franz Mörth), 1962 (Mörth), 1967 (Viktor Adler), und der Zubau eines Hallenbades 1979/80. Die Neugestaltung der Fassade des Haupthauses durch Franz Mörth, der auch das Gebäude der Arbeiterkammer Wien entwarf, gilt als typisches Beispiel für die architektonische Wiederaufnahme der Neuen Sachlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Interieur

Sanatorium Wienerwald Speisesaal um 1904

So nobel zurückhaltend und konservativ das Sanatorium Wienerwald auch in seinem äußeren Erscheinungsbild durchgeplant war, so fortschrittlich und modern präsentierte es sich in seinem Inneren. Streng nach aseptischen Kautelen achteten die Sanatoriumsgründer darauf, dass die hygienischen Anforderungen durch den Einsatz modernster Materialien gewährleistet waren. Die Böden wurden, sofern sie nicht - wie in den Ordinations- und Sanitärräumen - gekachelt waren, durchgehend mit Linoleum belegt, an den Wänden befanden sich Tapeten aus Lincrusta, einem linoleumähnlichen Material. Alles sollte leicht wasch- bzw. abwaschbar, glatt, impermeabel und nach Möglichkeit desinfizierbar bzw. sterilisierbar sein.

Sanatorium Wienerwald Salon um 1904

Stilsicher schufen die beiden Sanatoriumsgründer gleichzeitig aber auch ein Ambiente, das den Vergleich mit den berühmten Sanatorien der Schweiz, wie etwa dem später durch Thomas Manns Zauberberg berühmt gewordenen Waldsanatorium Professor Jessens, nicht zu scheuen brauchte:

Sanatorium Wienerwald Musikzimmer um 1904

Die Einrichtung der Patientenzimmer bestand aus fugenfrei verarbeiteten, weiß lackierten Möbeln, die zum Teil mit Glas- und Marmorplatten belegt waren. Ein großer Wintergarten im Erdgeschoss diente als Foyer, über das man zur Zentralstiege gelangte. Im 1. und 2. OG befanden sich ostseitig über dem Speisesaal jeweils eine Arztwohnung, die über ein separates Stiegenhaus zu betreten war. Es existierte von Anfang an ein Patientenlift und ein Speisenaufzug versorgte die nicht gehfähigen Patienten in den oberen Geschossen. Den Patienten standen neben einem, mit Thonet- und Mundus-Tischen und Bugholz-Sesseln ausgestatteten, Speise- und Festsaal, ein eleganter Salon und ein Musikzimmer zur Verfügung.

Bei seiner Eröffnung entsprach das Haus allen Standards einer modernen Lungenheilanstalt und übertraf diese sogar in manchen Bereichen. Trotzdem waren Kraus und Baer bemüht, die Qualität laufend zu verbessern. Als auf Initiative von Dr. Kraus ein Operationssaal gebaut wurde, war dieser zwar klein, aber einer der modernsten seiner Zeit.

Kriegerheilstätte

Die 1915/16 inmitten des Ersten Weltkrieges gebaute Kriegerheilstätte, ein 25-achsiger, längsgestreckter Bau wurde bereits im Winter 1920 ein Raub der Flammen. Sie verfügte über ein gemauertes Erdgeschoss und ein hölzernes offenes Obergeschoss, in dem die Liegeflächen untergebracht waren. Das Gebäude bot Platz für etwa sechzig Patienten. Gegliedert wurde die schlichte Anlage lediglich durch einen deutlich vorspringenden dreiachsigen Mittelrisalit, den ein kleines Türmchen krönte.

Zur Gründung der Kriegerheilstätte kam es auf Initiative Dr. Baers, der bereits mit erstem Tag des Ersten Weltkrieges in die Armee der Doppelmonarchie einberufen worden war. Baer wurde jedoch bald darauf unter der Auflage, seine Tätigkeit in den Dienst des Militärs zu stellen, vom aktiven Wehrdienst freigestellt. Man hatte erkannt, dass mit Kriegsbeginn aufgrund der unhygienischen Bedingungen die Zahl der lungenkranken Soldaten explosionsartig angestiegen war.

Der Arzt kam diesem Versprechen auf seine Art nach, indem er den Bau einer Kriegerheilstätte auf Sanatoriumsgrund vorantrieb. Dazu stellten Kraus und Baer das Grundstück, auf dem die Heilstätte entstehen sollte, auf vorerst zehn Jahre kostenfrei zur Verfügung. Finanziert wurde der Bau der Heilstätte vorwiegend aus Geldern der Ärzteschaft, allen voran ist das Engagement Hofrat Dr. Hermann Schlesingers zu nennen, der einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Privatvermögens stiftete.

Am 6. Juli 1916 durch den Protektor des Österreichischen Roten Kreuzes, Erzherzog Franz Salvator eröffnet, diente das Gebäude vorerst tatsächlich der Behandlung lungenkranker Offiziere der K.u.k.-Monarchie, wurde aber, durch Wegfall seiner ursprünglichen Bestimmung, ab 1919 als reiner Frauentrakt des Sanatoriums verwendet.

Am 31. Oktober 1920 brach, vermutlich durch ein defektes Ofenrohr, Feuer im Aufenthaltsraum der Heilstätte aus. Dazu kam, dass infolge der niederen Außentemperatur von minus 10 °C sowohl Wasserleitung, als auch Löschteich zugefroren waren. Obwohl dennoch alles versucht wurde, den Brand zu löschen, konnte nicht verhindert werden, dass das gesamte Bauwerk bis auf die Grundmauern abbrannte.

Liegehalle, Park und Terrainkur

Trinkhalle
Details mit Park u. Trinkhalle

Anschließend an das Haupthaus der Sanatoriumsanlage befand sich eine hölzerne Liegeterrasse, auf der die Patienten, soweit sie körperlich dazu fähig waren, die verordnete Liegekur absolvieren konnten. Dazu wurden vom Haus eigene anatomisch geschwungene und weiß lackierte Stahlrohrliegen zur Verfügung gestellt, Decken und Fußpelze mussten von den Patienten jedoch selbst mitgebracht werden, da Dr. Kraus die Praxis des Ausleihens von Anstaltsinventar, wie es damals in den Sanatorien durchaus üblich war, als unhygienisch bemängelte und daher ablehnte. Bettlägerige und moribunde Patienten wurden auf die Balkone geschoben oder konnten zumindest bei offenem Fenster das heilsame Klima auf sich einwirken lassen.

Bestehende Reste der Parkanlage im Herbst 2007

Das Sanatorium wurde von einem großzügig angelegtem Park umgeben, in dem Lungenkranke in besserem Allgemeinzustand eine regelmäßige Terrainkur bewältigen mussten. Es handelt sich dabei um ein bis heute anerkanntes Klimaexpositionsverfahren, bei dem sich der Patient im Gelände bewegt und bei dem sich zusätzlich zu den therapeutischen Klimafaktoren die Bewegung positiv auf den Patienten auswirkt. Genau nach Steigung und Länge der Gehzeit angelegte Serpentinenwege durchzogen den mit heimischen und zum Teil exotischen Gehölzen und Gewächsen ausgestatteten Landschaftspark, der langsam und unmerklich von einer Art Lustgarten mit Pavillons usw. in über Dreißig Hektar Wald und Wiesen überging. In jeweils Dreier- und Vierergruppen gepflanzte edle Bäume strukturierten diese, ganz im Sinne des Historismus angelegte, Ideallandschaft. Die hauseigene Gärtnerei versorgte den Park mit in eigenen Glashäusern herangezogenen Pflanzen, die dem Wandelgarten ein fast mediterranes Flair verliehen. Auf historischen Aufnahmen sind Palmen, Yuccas und riesige Agaven zu sehen, die den Sommer über in die Parkgestaltung integriert wurden.

Den Patienten stand darüber hinaus eine sogenannte Lufthütte zwecks Klimaexposition bzw. Heliotherapie zur Verfügung. Auch eine hölzerne Kegelbahn zur sportlichen Betätigung war in das Konzept eingebunden.

Von all dieser Pracht war in der Kernzone um das Sanatorium bis 2008 für das geschulte Auge noch das eine oder andere erkenntlich, jahrelange Vernachlässigung und massive Schlägerungen in den Jahren 2006 bis 2008 haben jedoch vor allem Wald und Randbereiche unwiederbringlich zerstört. Im Winter 2008/09 wurde in Verkennung der Bedeutung auch der historische Park nahezu vollständig abgeholzt. Durch exzessiven Einsatz von schwerem Gerät wurde obendrein die komplexe Struktur der Parkanlage nachhaltig vernichtet.

Arisierung und Lebensborn

Im April 1938 wurde das Sanatorium im Zuge des Anschlusses an NS-Deutschland „arisiert“. Dr. Hugo Kraus verübte dabei Selbstmord, sein Kollege Dr. Baer wurde verhaftet und gezwungen das Sanatorium dem Lebensborn e.V. zu überschreiben. Er verstarb 1941 verarmt in Pardubice. Noch 1938 wurde das Haus nach den Richtlinien der Reichsarchitektur umgebaut, das heißt vereinfacht, die Liegehalle wurde in ein zweigeschossiges festes Gebäude umgewandelt. Dabei verlor der Bau die typischen Merkmale des Heimatstils, wie etwa die drei prägenden Türmchen in der Dachlandschaft und das Fachwerk.

In der folgenden Zeit diente das Haus zunächst unter dem Namen „Heim Ostmark“ - schon bald darauf aber in Anlehnung an seinen ursprünglichen Namen „Heim Wienerwald“ - dem Lebensborn als Mütterheim. Es war das erste von nur zwei realisierten Lebensbornheimen auf dem Boden der Ostmark. Zumindest 1200, wahrscheinlich aber über 1700 Kinder wurden hier geboren. Natürlich kamen in den Lebensbornheimen auch behinderte Kinder zur Welt. Sie scheinen in der Geburtenstatistik zumeist nicht auf. Oftmals genügte eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, damit sie aus den Heimen entfernt wurden. Das einzige bekannte Dokument dazu lieferte der Heimleiter der Wienerwald, Dr. Norbert Schwab.[7] Er schreibt von einer Überstellung eines behinderten Mädchens in die Reichsanstalt am Spiegelgrund, die „im Sinne einer Ausmerze tätig“ sei.

Die Säuglingssterblichkeit lag in den Heimen in etwa gleichauf mit der im „Altreich“, also bei rund 6 %. Die Totgeburten scheinen aber ebenfalls nur bedingt in den Geburtenbüchern auf. Was mit diesen Totgeburten und verstorbenen Säuglingen geschah, liegt daher weitgehend im Dunklen. Im Falle der Wienerwald handelt es sich immerhin um rund 100 Babys. Der verstorbene Hausmeister des Heimes Wienerwald, Herr Josef P., gab am 30. Dezember 1994 in einem Interview zu, im Auftrage des Verwalters Decker zumindest eines davon „beim Heim“ verscharrt zu haben[2].

Zwar kam der „Lebensborn“ im erklärten Lieblingsheim des Reichsführers (er scheint auch immer wieder als Pate in den Namensgebungsurkunden des Heimes auf) SS Heinrich Himmler (RFSS), der Wienerwald, auch unehelichen Müttern in Not zugute, aber es diente den SS-und NS-Parteiführern doch eher dazu, ihre schwangeren Geliebten dorthin abzuschieben, ohne dass die Ehefrau (die u. U. später ebenfalls dort entband) etwas davon mitbekam. Schwangerschaft und Geburt wurden geheim gehalten und in eigenen „Lebensborn“-Standesämtern (in diesem Fall: Pernitz 2) attestiert. Die Wienerwald war das einzige reine Mütterheim im System des Lebensborn. In allen anderen Heimen wurde der „Lebensborn“ auch für die Verschleppung und „Eindeutschung“ mittel- und osteuropäischer Kinder missbraucht.

Nachkriegsgeschichte als ÖGB-Heim

Als ehemaliges Hotel Feichtenbach im Sommer 2005
Das Sanatorium Wienerwald: Heilstätte, Lebensbornheim, ÖGB-Heim, zuletzt Hotel Feichtenbach. Winter 2007

Von 1945 bis Ende 1948 führte vorerst das Wiener Jugendhilfswerk ein Kindererholungsheim für unterernährte Kinder aus Wien in den Räumlichkeiten des Sanatoriums. Dadurch blieb das Gebäude vor dem Zugriff der russischen Besatzung verschont. In dieser Zeit wurden insgesamt über 4100 (!) Kinder in Feichtenbach aufgepäppelt. Der Plan eines Umbaus in eine Lungenheilstätte der Stadt Wien zerschlug sich bereits Mitte 1948, ein Restitutionsverfahren wurde eingeleitet.

1950 mussten die Besitzer die schwer in Mitleidenschaft gezogene Wienerwald verkaufen und der Österreichische Gewerkschaftsbund begann 1951 nach Plänen des Architekten Franz Mörth einen großangelegten Umbau, der dem Haus nun ein völlig neues Aussehen verlieh. Freitragende Stahlbetonbalkone und ein flaches Satteldach bestimmten nun die Wirkung des neuen „Urlauberheimes Karl Maisel der Metall- und Bergarbeiter“ des ÖGB in Feichtenbach.[1]

1952 entstand nach den Plänen Mörths ein Freibad und eine Jugendherberge auf dem Gelände der 1920 abgebrannten Kriegerheilstätte, 1962 wurde ein Restaurationspavillon südostseitig angefügt. Weitere Umbauten im Jahre 1967 (sie betrafen vorwiegend die Aufstockung des Mörthschen Restaurationspavillons, den Angestelltenspeisesaal sowie den Ausbau der Wäscherei zum Angestelltenwohnhaus), nun durch Viktor Adler, sowie die Errichtung einer Miniaturgolfanlage, auf der 1984 die österreichische Staatsmeisterschaft im Bahnengolf ausgetragen wurde, folgten.

1979/80 wurde nordseitig ein Hallenbad von gigantischen Ausmaßen angefügt, welches den Betrieb des Hauses schließlich unrentabel machte. Es beinhaltete neben der eigentlichen Badehalle unter Anderem Sauna, Tischtennisräume und eine automatische Kegelbahn.

Nachdem es eine Zeit lang der Krankenkasse als Kur- bzw. Erholungsheim gedient hatte, wurde das ehemalige Sanatorium Wienerwald zum „Hotel Feichtenbach“ umfunktioniert.

Die jüngere Vergangenheit

Gedenkstein vor dem ehemaligen Sanatorium

1992 wurde zum Gedenken an die Gründer Hugo Kraus und Arthur Baer und deren Schicksal in der NS-Zeit ein Gedenkstein vor dem ehemaligen Sanatorium errichtet.

Seit 2002 ist das inmitten einer gigantischen Parkanlage stehende Gebäude ohne Nutzung.

Im März 2007 geriet das ehemalige Sanatorium und Gewerkschaftsheim unvermutet wieder in die Schlagzeilen, als durch Hinweise aus der Bevölkerung ein Fall von Animal-Hoarding bekannt wurde. Eine Frau hatte über 80 Tiere, vornehmlich Hunde und Katzen, in dem Haus untergebracht. Das ohne Genehmigung betriebene Tierheim wurde am 22./23. März durch Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt und den Amtstierarzt aufgelöst.

Im Januar 2009 erschien der Roman "Feichtenbach - eine Faction" der Autorin Eleonore Rodler im Verlag Vabene (ISBN 3851672240). Das Buch beleuchtet die Lebensborn-Ära des Hauses und erzählt das Schicksal zweier Knaben, welche in Feichtenbach geboren, nach Deutschland gebracht und getrennt zur Adoption freigegeben wurden.

Literatur

  • Leopold von Schrötter: Uber den Stand der Bestrebungen zur Bekämpfung der Tuberkulose in Oesterreich, o.O., o.J. [8]
  • Arthur Baer, Hugo Kraus: 30 Jahre Sanatorium Wienerwald – aus Anlass des dreissigjährigen Bestehens des Sanatorium Wienerwald, Heilanstalt für Lungenkranke, Pernitz, Nieder-Österreich, Chwala, Wien [1934] [9]
  • Renate Wechdorn: Sanatorium Wienerwald, Wien, Techn. Univ., Dipl.-Arb., 1983 [10]
  • Rotraut Hackermüller: Das Leben, das mich stört. Eine Dokumentation zu Kafkas letzten Jahren, 1917 bis 1924, Medusa Verlag, Wien [u.a.] 1984, ISBN 3-85446-094-5
  • Hiltraud Ast, [Hrsg.] Marktgemeinde Gutenstein: Feichtenbach, eine Tallandschaft im Niederösterreichischen Schneeberggebiet, Hollinek, Wien 1994, ISBN 3-85119-257-5
  • Günther Knotzinger: Das SS-Heim Wienerwald. Eigenverlag, Feichtenbach 2001.
  • Eleonore Rodler: Feichtenbach - eine Faction, Edition Va Bene, Wien, Klosterneuburg 2009, ISBN 3851672240, ISBN 978-3-85167-224-4

Einzelnachweise

  1. a b E. Th.: Neues Leben in Feuchtenbach. Ein Urlaubsheim der Metall- und Bergarbeiter. In: Arbeiter-Zeitung, 2. April 1952, S. 6.
  2. a b c d e Das SS-Heim Wienerwald, 2001, S. 4, 15fff, 55.
  3. Eine kalte Quarzlampe für die Kehlkopfbestrahlung, Lung, Springer New York, Vol. 81, Nov. 1932, S. 635 bis 638.
  4. Zur Diagnostik kleiner Gasblasen über pleuritischen Ergüssen, Lung, Springer New York, Vol 21, Okt. 1911, S. 297 bis 302.
  5. a b Hackermüller, Das Leben, das mich stört, S. 100.
  6. Hiltraud Ast: Sommerfrische der Kaiserzeit. Die großbürgerliche Sommergesellschaft und ihre einheimischen Gastgeber, Begegnung zweier sozialer Schichten, Perlach-Verlag, Augsburg [u.a.] 1990, ISBN 3-922769-21-7, S. 65.
  7. Georg Lilienthal: Der „Lebensborn e.V.“, ein Instrument nationalsozialistischer Rassenpolitik, Fischer [u.a.], Stuttgart 1985, ISBN 3-437-10939-1, S. 103.
  8. Katalogzettel Österreichische Nationalbibliothek
  9. Permalink Österreichischer Bibliothekenverbund
  10. Permalink Österreichischer Bibliothekenverbund
47.92194444444416.003888888889520

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