Schulterblatt (Straße)

Schulterblatt (Straße)
Schulterblatt, vom Pferdemarkt aus gesehen, rechts Schanzenstraße, 2008
Der gleiche Blick, um 1900

Das Schulterblatt ist eine Straße in den Hamburger Stadtteilen Sternschanze, Altona-Nord und Eimsbüttel und gilt als Kern des Schanzenviertels. Es ist entstanden aus der Landstraße nach Eimsbüttel und lag im Grenzgebiet zwischen Altona und Hamburg. Von Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg war sie eine Einkaufs- und Vergnügungsstraße. Seit Mitte der 1980er Jahre hat sie sich durch die Eröffnung zahlreicher Gaststätten zu einer Kneipenstraße entwickelt.

Inhaltsverzeichnis

Name

Gasthausschild Schulterblatt, Ursprung des heutigen Straßennamens

Der Name geht zurück auf ein Wirtshaus, das das Schulterblatt eines Wals als Aushängeschild benutzte, so dass die Straße ab etwa 1700 im Volksmund Beim Schulterblatt genannt wurde.[1] Das Wirtshaus selbst fand 1717 im Altonaer Grundbuch Erwähnung. Auf einer Karte zum Grenzvergleich zwischen Altona und Hamburg aus dem Jahr 1745 ist die Straße als Bey dem Schulter Blat eingetragen. Die offizielle Benennung in Schulterblatt erfolgte im Jahr 1841.[2]

Bis in die Nachkriegszeit wurde weitverbreitet von der Schulterblatt gesprochen.[3] Es handelte sich dabei um eine aus dem Missingsch übertragene Ungenauigkeit im Gebrauch des Genus. Diese Ausdrucksweise ist jedoch heutzutage weitgehend verschwunden, stattdessen wird grammatikalisch korrekt das Schulterblatt verwendet.

Lage und Verlauf

Schulterblatt, 2010. In der Bildmitte der Kreuzungsbereich mit Juliusstraße / Susannenstraße sowie Markstände auf der „Piazza“

Das Schulterblatt liegt knapp vier Kilometer westlich der Hamburger Innenstadt im Grenzbereich der Bezirke Hamburg-Mitte, Altona und Eimsbüttel. Es bildet zusammen mit der Budapester Straße, dem Neuen Pferdemarkt und der Eimsbütteler Chaussee einen Straßenverlauf, der der ehemaligen Landstraße von der Stadtgrenze Hamburgs am Millerntor in nordwestlicher Richtung bis nach Eimsbüttel entspricht. Die Straße selbst ist 800 Meter lang und liegt in den Stadtteilen Sternschanze, Altona-Nord und Eimsbüttel.

Das Schulterblatt beginnt am nördlichen Ende des Neuen Pferdemarkts, an dem auch, nordöstlich abzweigend, die Schanzenstraße ihren Anfang nimmt, und verläuft in einem leichten Bogen nach Nordwesten. Nach 80 Metern mündet links die Lerchenstraße ein und nach etwa 300 Metern kreuzt der Straßenzug Juliusstraße/Susannenstraße. Im Anschluss verbreitert sich an der rechten Seite der Fußgängerbereich zu einem „Piazza“ genannten Platz. Nach gut einhundert Metern münden auf der rechten Straßenseite die Rosenhofstraße und dreißig Meter weiter links die Eifflerstraße. Anschließend unterquert die Straße eine Brücke der Hamburg-Altonaer Verbindungsbahn. Nach weiteren einhundert Meter kreuzt der Straßenzug Max-Brauer-Allee/Altonaer Straße das Schulterblatt. In der Straßenmitte befindet sich seit dem Jahr 2008 die Grenze zwischen den Stadtteilen Altona-Nord, Sternschanze und Eimsbüttel und damit zwischen den Bezirken Altona und Eimsbüttel. Unmittelbar nördlich davon zweigt schräg nach links die Eimsbütteler Straße ab, nach wenigen Metern auf der rechten Seite die Amandastraße. Das Schulterblatt endet auf Höhe der Nagels Allee und geht dort in die Eimsbütteler Chaussee über. Anstelle der ehemalige Einmündung der Margarethenstraße, gegenüber der Nagels Allee, trennt auf der rechten Seite seit den 1960er Jahren lediglich ein Fußweg zwischen Häuserzeilen den Straßenverlauf.

Grenzgebiet und Grenzverschiebungen

Ausschnitt der Grenzkarte von 1745, worauf die Grenzzeichen zwischen der Stadt Hamburg und Altona beschrieben
Grenzstein im Pflaster des Schulterblatts

Die Gegend beim Schulterblatt war seit der Gründung Altonas im 16. Jahrhundert dessen nordöstliche Grenze, sowohl zum Hamburger Berg, der späteren Vorstadt St. Pauli, wie zu den Ländereien des St. Johannis-Klosters. Zu diesen gehörten die Gebiete vor dem Heidberg von Heimichhude, (der späteren Sternschanze und Schanzenstraße), der Schäferkamp und das Dorf Eimsbüttel, die nach der Reformation ab 1536 unter der Rechtsgewalt der Stadt Hamburg und der Verwaltung der Klosterstiftung standen. Als Grenze wurde dabei das Tal des Pepermöhlenbek angesehen, der zeitweise auch Borchgrave (Grenzgraben) genannt wurde.[4] Er entsprang am Heidberg, verlief westlich der heutigen Bartelsstraße und Lindenallee und mündete in der Gegend der heutigen Marthastraße in die Isebek.[5]

Grenzstreitigkeiten waren an der Tagesordnung, bis es 1739 zwischen der damals dänischen Stadt Altona und Hamburg zum Grenzvergleich kam. Dabei wurde der von Altonaer Seite beanspruchter Gebietszwickel Bey dem Schulter Blat aus der hamburgischen Umgebung ausgegrenzt. „Die alte Grenze zwischen Hamburg und Altona folgte [...] einer Linie, die den Taleinschnitt des Pepermöhlenbek und die Westseite des Neuen Pferdemarktes verbindet. Dazwischen durchschnitt sie die Straßenblocks. Dort verlief entlang einer Palisade ein Kontrollgang, der teilweise heute noch sichtbar ist.“[6] Dieser Gebietszwickel ist auch in der heutigen Bebauung noch nachvollziehbar: er verläuft entlang der Schanzenstraße 1 bis 7, knickt ab in einer Hofeinfahrt zwischen der Schanzenstraße Nr. 7 und Nr. 23 (die dazwischenliegenden Hausnummern fehlen aus eben diesem Grunde), zieht sich durch das Blockinnere schräg über den Hamburger Hof (Schulterblatt 24 a-h) und wird mit dem spitz zulaufenden Grundriss des Boardinghouses (Schulterblatt 36) aufgenommen.

Markierung des ehemaligen Grenzverlaufs: links Altona, rechts Hamburg

Damit ergab sich für das Schulterblatt die Situation, dass im ersten Abschnitt die Grundstücke beidseitig, und ab Höhe der heutigen Hausnummer 49 bis zur Einmündung der Eimsbütteler Straße linksseitig zu Altona gehörten. Die rechte Straßenseite, ab der heutigen Hausnummer 58, hingegen war Klosterland. Die Grenze zu Eimsbüttel wiederum verlief von der heutigen Altonaer Straße schräg über das Schulterblatt entlang der Eimsbütteler Straße. Am 29. Dezember 1845 wurden die Grenzen der Vorstadt St. Pauli erweitert „durch die Hinzuziehung des ganzen ehemaligen Rosenhofs, so daß die Vorstadt bis an die Dorfschaft Eimsbüttel grenzte und eine gerade Linie in der Verlängerung der Westseite der Weidenallee diesen Zuwachs gegen die Sternschanze abschloß.“[7]

Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 und der damit einhergehenden Eingemeindung Altonas nach Hamburg kam es zu weiteren Gebietsverschiebungen. Die Grenze zwischen St. Pauli und Altona wurde auf der linken Straßenseite bis zur Juliusstraße und auf der rechten bis zur Bahnbrücke vorverlegt, der Abschnitt zwischen Juliusstraße und Bahnbrücke gehörte zum Stadtteil Altona-Altstadt, hingegen das Stück nördlich der Bahn bis hin zur Eimsbütteler Straße zu Altona Nord. Die linke Straßenseite von der Eimsbütteler Straße bis zum Nagelsweg und die rechte vom Bahndamm bis zur Einmündung Margarethenstraße wiederum waren Eimsbüttel zugehörig. Damit zog sich das Schulterblatt nicht nur durch vier Stadtteile, sondern unterstand auch der Verwaltung von drei verschiedenen Bezirken: Neben Altona und Eimsbüttel auch dem Bezirk Hamburg-Mitte für den St. Pauli-Abschnitt.

Mit dem Gesetz über die räumliche Gliederung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6. Juli 2006 wurde zum 1. März 2008 der neue Stadtteil Sternschanze geschaffen und dem Schulterblatt eine neue Zuordnung gegeben. Linksseitig bis zur Bahnbrücke und rechts bis zur Altonaer Straße gehört es nun zu eben diesem neuen Stadtteil und damit wieder zu Altona. Der linksseitige Abschnitt nördlich der Bahn bis zur Eimsbütteler Straße verblieb bei Altona-Nord, der Eimsbütteler Teil beginnt ab der Eimsbütteler Straße und der Altonaer Straße.[8]

Als Erinnerung an die Grenzziehung von 1739 befindet sich an dem Eckhaus Schulterblatt / Schanzenstraße, einem vierstöckigen Wohn- und Geschäftshaus der Gründerzeit, im reichhaltigen Fassadenschmuck oberhalb des zweiten Stockwerks zur Schanzenstraße hin das Hamburger und zum Schulterblatt das Altonaer Wappen, beide laubumkränzt und von Putten getragen. Einen weiteren Hinweis geben einige historische Grenzsteine mit der Markierung „A|H“, die in dem Abschnitt von der Einmündung Susannenstraße bis zur Bahnbrücke in das Gehwegpflaster aufgenommen sind. Sie stammen aus dem Jahr 1889, stehen unter Denkmalschutz und befinden sich vor den Hausnummern 88, 92 und 98.[9] Auf der zum Fußgängerbereich ausgebauten Piazza wird der ehemalige Grenzverlauf seit dem Jahr 2002 durch unterschiedliche Pflasterung hervorgehoben.

Geschichte

Das Schulterblatt war Teil einer Landstraße, die spätestens seit dem 13. Jahrhundert bestand, auf der Höhe des späteren Millerntors vom Elbhöhenweg abzweigte und Richtung Eimsbüttel weiter nach Pinneberg verlief.[10] Das Gebiet stand ab dem 12. Jahrhundert im Eigentum der Grafen von Schauenburg und Holstein, die ständig in finanziellen Nöten steckend, 1246 den Hamburger Berg und 1293 die Ländereien nordwestlich der Eimsbüttler Landstraße an das Kloster Herwardeshude, dem späteren St. Johanniskloster, verpfändeten. Das Gebiet südwestlich der Straße blieb Teil der Grafschaft Holstein, ging 1261 in die Grafschaft Holstein-Itzehoe und 1290 in die Grafschaft Holstein-Pinneberg über und wurde im Jahr 1664, mit Verleihung der Stadtrechte an Altona, zu dessen nördlichem Grenzbereich.[11]

Erschließung

Die erste nachgewiesene Bebauung an der Landstraße nach Eimsbüttel war ein Wirtshaus mit dem Namen „Schulterblatt“, das nach der dänischen Belagerung von 1686 entstanden ist und 1717 im Stadtgrundbuch von Altona eingetragen wurde. Der Name geht zurück auf das Schulterblatt eines Wals, das der Wirt sich von Walfängern der 1685 in Altona gegründeten Grönlandkompanie hatte mitbringen lassen und als Aushängeschild seiner Gastwirtschaft verwendete.[12] In der Sammlung des Hamburgmuseums befinden sich zwei dieser Schilder: eines ist neben einigen Zeichnungen beidseitig mit dem Schriftzug Schulter=Blatt verziert, auf einem weiteren ist der Satz Hier schenkt man Bier und Brantewein zu lesen.

Karte aus dem Jahr 1853

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts hatten sich an der Gegend des Schulterblatts einige „Privatleute“ angesiedelt, eine erste Apotheke ist für das Jahr 1773 nachgewiesen, die von einem Georg Vogelsank betrieben wurde.[10] Am 27. Dezember 1813 brannten die französischen Besatzer sämtliche Ansiedlungen vor den Hamburger Wallanlagen nieder, so auch die 26 Häuser am Schulterblatt: „Um der Sternschanze eine freie Übersicht zu verschaffen, war der Rosenhof, das Schulterblatt, selbst über die hamburgische Grenze hinaus, dann der Schäferkamp und der größte Theil Eimsbüttels [...] abgebrannt und demoliert und fast alle Baumbepflanzung niedergehauen.“[7]

Die Bewohner kehrten nach Abzug der Franzosen zurück und bauten ihre Häuser wieder auf. Auch erste Gewerbebetriebe eröffneten am Schulterblatt, so wurde am 28. September 1831 im Hamburgischen Correspondent bekanntgegeben, dass ein gewisser John Blankley und seine Söhne in der neu errichteten Eisengießerei Teilhaber wurden.[13] Diese hatte ihren Standort hinter der Einmündung der Lerchenstraße.

Blick aus Richtung Eimsbüttel in das Schulterblatt mit der Bahnbrücke, um 1905

Die städtische Erschließung und Bebauung des Schulterblatts, wie des gesamten Schanzenviertels, begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts sowohl von Hamburger wie von Altonaer Seite. Der Bau der Verbindungsbahn zwischen dem Bahnhof Altona und dem Bahnhof Klosterthor von 1864 bis 1866 brachte der Straße eine verkehrsgünstige Verbindung. Beim Schulterblatt verlief die Bahnlinie an der Grenze zu Eimsbüttel. Links der Straße, zur Friedenstraße (der heutigen Lippmannstraße) hin, wurde der Bahnhof Schulterblatt als Station zwischen den Bahnhöfen Altona und Sternschanze angelegt. Dazu baute man parallel zur Bahnlinie die Parallelstraße (seit 1945 Eifflerstraße). Der Bahnhof Schulterblatt bestand bis 1891, er wurde im Zuge der Verlegung der Trasse auf einen Damm aufgehoben und ab 1893 durch den Bahnhof Holstenstraße ersetzt.[14] Im Jahr 1903 konnte die Eisenbahnbrücke über das Schulterblatt fertiggestellt werden, es handelte sich um eine stählerne Balkenbrücke, die auf Steinwiderlagern und zwei Reihen Stützen konstruiert war.[15] 2005 wurde sie durch den Neubau einer Betonverbundbrücke ersetzt.[16]

Geschäfts- und Vergnügungsstraße

Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war die Bebauung weitgehend abgeschlossen, die letzte große Lücke wurde 1930 mit der Fertigstellung des Boardinghouse des Westens am Schulterblatt 24-36 geschlossen. Die verschiedenen Baustufen sind, insbesondere auf der linken Straßenseite vor der Juliusstraße, teilweise noch nachvollziehbar. So stehen dort noch zweigeschossige Häuser der ersten Baustufe um 1860, ursprünglich alleinstehende Vorstadthäuser, neben dreigeschossigen Mietshäusern von etwa 1870 bis 1880 und imposanten vierstöckigen Gründerzeithäusern, die um 1890 errichtet wurden. Mit dem Ausbau wurde das Schulterblatt zur Geschäftsstraße, die Erdgeschosse waren weitgehend Läden vorbehalten, die darüberliegenden Etagen zumeist mit großbürgerlichen Wohnungen belegt. In den Hinterhöfen siedelte sich Gewerbe an, vielfach aber waren sie auch mit Arbeiterquartieren, Wohnhöfen und so genannten Terrassen (hinter einem Vorderhaus längs zur Straßenachse verlaufende, zweiseitige Häuserriegel) bebaut. Diese brachten zwar durch separate Küchen, Etagentoiletten und belichtete Treppenhäuser einen gewissen Fortschritt in der Hygiene mit sich, standen dennoch durch die Enge und Dichte der Anlagen in der Tradition der Gängeviertel.[17]

Auf der Höhe Eimsbütteler Straße, um 1900, am linken Bildrand das „Belle-Alliance-Hotel“

Mit der ersten Bebauung entstanden am Schulterblatt zudem zahlreiche Vergnügungssätten. Bereits seit 1835 bestand auf dem Grundstück der heutigen Roten Flora ein Tivoli genanntes Sommertheater mit Ausflugsgarten, ab 1859 in einem Fachwerkrundbau als Schmidts Tivoli und ab 1889 in einem ganzen Gebäudekomplex mit Gartenanlagen als Gesellschafts- und Concerthaus Flora fortgeführt. Ein weiterer bekannter Bau aus Anfang des 19. Jahrhunderts war das Belle Alliance am Schulterblatt 115-119, hinter der Einmündung der Eimsbütteler Straße, mit großen Gesellschaftssälen, ab 1906 als Kino genutzt.

Blick von der Nagels Allee über das Schulterblatt in die Margarethenstraße, links das Kaufhaus Bucky am Anfang der Eimsbütteler Chaussee, um 1910

Auch zahlreiche Wirtshäuser eröffneten bereits im 19. Jahrhundert, so das „Bierhaus Schulterblatt“ am Anfang der Straße, die „Kaisersäle“ an der Ecke der heutigen Max-Brauer-Allee und die „Wartburg“ an der Ecke zum Nagelsweg. Einige Bekanntheit hatten auch die Lokale „Zauberflöte“ an der Ecke Juliusstraße und die „Skatdiele“ gegenüber der Flora. Ab Ende der 1920er Jahre bestand im Haus Nummer 47-49 „Hansens Kino“. Insbesondere im Eimsbütteler Teil des Schulterblatts, nördlich der Bahntrasse, entwickelten sich etwa ab der Jahrhundertwende größere Ladengeschäfte und Kaufhäuser. An der Ecke zur Altonaer Straße befand sich der Laden von Oscar Kautzky, an der Einmündung der Amandastraße das Kaufhaus Poetsch. Es hatte einen jüdischen Eigentümer und wurde in den 1930er Jahren von Karstadt übernommen. Eine Straßenecke weiter, an der Kreuzung Margarethenstraße, am Anfang der Eimsbütteler Chaussee, lag das weit bekannte Kaufhaus Bucky. Es ist 1890 als Woll- und Weißwarengeschäft von Carl Bucky, einem Juden, gegründet worden. Ende der 1920er Jahre machte es durch eine für die damalige Zeit noch ungewöhnliche Neon-Leuchtreklame auf sich aufmerksam.[18] Auch der Werbeslogan „Selbst die Tante aus Kentucky, kommt zum Ausverkauf nach Bucky“ ist vielfach überliefert.

Bis 1943 galt das Schulterblatt zusammen mit der Eimsbütteler Chaussee durch die zahlreichen Läden, Kaufhäuser, Kinos und Vergnügungsstätten als Nerv des geschäftigen Lebens außerhalb der Altonaer und Hamburger Innenstadtbereiche. „Man ging abends etwa von der Sillemstraße zum Neuen Pferdemarkt - über Eimsbütteler Chaussee, Schulterblatt: die eine Straßenseite rauf, die andere runter. Dann wurde angeguckt, was man sich kaufen wollte, aber nicht konnte, weil ja das Geld nicht da war.“[19]

Weitere Entwicklung

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kam es ab April 1933 zu wiederholten Übergriffen und Boykottaufrufen gegen Geschäfte mit jüdischend Inhabern, Scheiben wurden eingeworfen und NS-Parolen an die Häuser geschmiert. Bis 1938 wurde eine Vielzahl von Läden und Firmen „arisiert“. So kündigte zum Beispiel die Firma Dasking mit dem Anzeigentitel „Hoppla, jetzt kommen wir!“ die Übernahme des Kaufhauses Bucky an.[20] Weitere, heute bekannte, enteignete Läden waren das Fachgeschäft für Optik, Foto und Kino Campbell & Co., Schulterblatt 156a, das Wäschegeschäft Gazelle, Schulterblatt 140, die Möbelhandlung Elias Kreph, Schulterblatt 32, die Seidenwaren-Handlung Willy Mees & Co., Schulterblatt 144/146, das Herrenkonfektionsgeschäft von Jacob Pfifferling, Schulterblatt 125, das Speier Schuhwarenhaus, Schulterblatt 140/142 und das Damenhutgeschäft von Ferdinand Stern, Schulterblatt 128.[21]

Im Zweiten Weltkrieg wurden große Teile des Schulterblatts in der ersten Angriffswelle der Operation Gomorrha in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1943 zerstört. Betroffen war vor allem der Eimsbütteler Teil ab der Bahnlinie, dessen Gebäudebestand nahezu vollständig ruiniert wurde, aber auch einzelne Gebäude und insbesondere Hinterhöfe im vorderen Abschnitt. Der Wiederaufbau nach dem Krieg war in den meisten Fällen notdürftig, teilzerstörte Häuser wurden um nicht mehr brauchbare Stockwerke gekürzt, vollständig zerstörte mit ein- bis zweigeschossigen Provisorien ersetzt. Im Eimsbütteler Teil fand in den 1960er Jahren eine vollständige Neustrukturierung und -bebauung statt, in dessen Zuge die Margarethenstraße und auch die parallel zum Schulterblatt verlaufende Bartelsstraße verkürzt wurden. In diesem Bereich ist heute der sogenannte Lindenpark angelegt, durch den, in Verlängerung der heutigen Margarethenstraße, ein Fußweg zum Schulterblatt führt.

Das Schulterblatt der Nachkriegszeit wies, wie das ganze Schanzenviertel, bis in die 1980er Jahre den Charakter einer zerstörten Straße auf, einige Fassaden behielten über Jahrzehnte schwarze Schutzfarbe, die Bausubstanz galt als „heruntergekommen“ und die Mieten als billig. Ab den 1960er Jahren kam es verstärkt zum Zuzug von Migranten und Studenten, es entwickelte sich eine subkulturelle und „politisch links“ geltende Szene mit einer alternativen Infrastruktur von Läden und Kneipen. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit bekam der erfolgreiche Protest der Anwohner gegen den geplanten Bau eines Musical-Theaters am Standort der Flora im Jahr 1988, wie auch die ein Jahr darauf folgende und bis heute andauernde Besetzung des Restgebäudes als Rote Flora.

Straßenszene, „Piazza“ gegenüber der Roten Flora, 2005

Von 1986 bis 2009 war das Schulterblatt Sanierungsgebiet.[22] Die Bewohner wehrten sich lange Zeit gegen die damit einhergehende Umstrukturierung und Aufwertung des Viertels, die höhere Mieten mit sich brachten, ein Problem, das heute unter dem Schlagwort Gentrifizierung gefasst wird. Streitpunkte, neben den baulichen Veränderungen, waren die Schließung von sozialen Einrichtungen, wie zum Beispiel der Drogenberatungsstelle FixStern am Schulterblatt 75 zur Jahreswende 2003/2004. Damit wurde die ab Mitte der 1990er Jahre von Anwohnern und Medien problematisierte Entwicklung einer sogenannten offene Drogenszene zu einer Auseinandersetzung um die strukturelle Zukunft des gesamten Quartiers, prägnant zusammengefasst unter der Überschrift: „Das Fenster zum Elend ist zu“.[23]

Inzwischen prägt vor allem die Gastronomie das Bild der Straße. Insbesondere die im Jahr 2002 zwischen Susannenstraße und Rosenhofstraße angelegte Piazza, inoffiziell auch als Achidi-John-Platz bezeichnet [24], ist mit zahlreichen Gaststätten und Straßencafés belegt. Durch davon ausgehenden Lärm und Schmutz sowie die Einengungen der Bürgersteige durch herausgestellte Tische und Stühle entstehen Nutzungskonflikte zwischen Hausbewohnern, Gastronomen und Gästen.[25]

Bebauung

Das Schulterblatt weist eine intensive Mischnutzung mit Wohnbebauung, zahlreichen, überwiegend kleinen bis mittleren Läden, Gastronomiebetrieben und Dienstleistungsfirmen auf. Die Erdgeschosse des vorderen Abschnitts bis zur Bahnbrücke sind nahezu durchgängig von Ladengeschäften belegt. Die Bebauung besteht aus unterschiedlichen Bautypen verschiedener Dekaden seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit Ende des 20. Jahrhunderts wurden, neben umfangreicher Sanierung, einige der älteren Häuser abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Insgesamt sind in diesem Teil 25 Wohngeschäftshäuser unter Denkmalschutz gestellt, zudem der Hamburger Hof bei der Hausnummer 24 als Hinterhof-Ensemble sowie die Pianofabrik bei der Nummer 58 als Fabrikanlage. Den größten Teil dieser Unterschutzstellungen nehmen als Gesamtensemble die Gründerzeithäuser von vor der Einmündung der Susannenstraße bis zur Rosenhofstraße (Hausnummern 58a bis 86) ein, mitsamt weiteren Gebäuden in eben diesen Straßen.[9] Der Bereich hinter der Bahnbrücke Richtung Eimsbüttel wurde nach den Kriegszerstörungen neu strukturiert und ist hauptsächlich mit einer aufgelockerten Bebauung aus den 1960er Jahren belegt.

Boardinghouse des Westens

Boardinghouse des Westens

Beherrscht wird die rechte Straßenseite des ersten Abschnitts von dem langgezogenen Bau des Boardinghaus des Westens mit der Hausnummer 26-36. Auffällig sind die streng gegliederte Fassade und ein den Gehweg überkragender turmartiger Erkervorbau, der sich aus der spitzwinkligen Form des Grundstücks schräg zur Straßenachse ergab, die dem ehemaligen Grenzverlauf entspricht. Die für ein Wohnhaus untypische Architektur ist ein Ergebnis mehrerer Umplanungen infolge der Weltwirtschaftskrise.[26] Das Haus wurde 1930/1931 von den Architekten Rudolf Klophaus, August Schoch und Erich zu Putlitz für den Geschäftsmann C. Hinrichsen erbaut und galt als Sonderfall unter den Großwohnanlagen der zwanziger Jahre: ein bürgerliches Einküchenhaus sollte das Wohnen in der Stadt mit Gemeinschaftseinrichtungen und dem Service eines Hotels ermöglichen, die Wohnungen waren verschiedener Größe und konnten mit und ohne Bedienung oder Reinigung, auf längere oder kürzere Zeit gemietet werden, die Mieten wurden als hoch bezeichnet. Im Erdgeschoss befanden sich Läden.[27] Doch das Wohnexperiment scheiterte, bereits 1933 wurden Kleinwohnungen eingerichtet. 1941 erfolgte eine Umwandlung zum Verwaltungsgebäude und die Landesversicherungsanstalt zog ein. Von 1971 bis 1975 wurde es zur Unterbringung von damals so genannten Gastarbeitern genutzt. In den Jahren 1976 bis 1989 übernahm es die Firma Montblanc, die seit 1910 an der Schanzenstraße produzierte, als Kontorhaus.[28] In der Wendezeit wurde es kurzfristig für die Unterbringung von Aussiedlern der DDR genutzt, anschließend wieder für Bürozwecke vermietet. So ist es seit 1989 Hauptgeschäftssitz der Stadterneuerungsgesellschaft (STEG), bis 2007 war die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) im oberen Stockwerk untergebracht.

Pianoforte-Fabrik

Vorderhaus 58 der ehemaligen Pianofortefabrik mit den im Jahr 2009 aufgebauten Stockwerken

Ein nicht von der Straße sichtbares Element des Schulterblatt ist der 1873 aus rotem Ziegel errichtete Gewerbehof bei der Hausnummer 58, der mit seinem südlichen Bereich hinter dem Boardinghouse liegt. Er wurde von dem Architekten C.E. Hermann für Isermanns Pianoforte-Fabrik mit Werkstätten, Kontorhaus und Lager geplant und mehrmals erweitert. Um die drei Innenhöfe zogen später viele kleine Firmen ein, so eine Kautschukwäscherei, eine Maschinenfabrik und eine Gewürzmühle. 1908 wurde das Vorderhauses zum Wohnhaus umgebaut, 1910 bekamen die Hofanlagen einen Mittelflügel. Im Jahr 1919 kam es zur Zwangsversteigerung, neue Eigentümerin wurde die Industria Grundstücksgesellschaft mbH. Ab 1942 waren im Block C Zwangsarbeiter untergebracht.[20]

Das Vorderhaus wurde während des Zweiten Weltkriegs beschädigt und 1950 eingeschossig wieder aufgebaut. Im Jahr 2009 erfuhr es eine Aufstockung um weitere zwei Stockwerke, dabei verklinkerte man die Gesamtfassade, an benachbarte Gründerzeitbauten angepasst, mit klassischen Stilelementen. Der Innenhofkomplex war bereits Mitte der 1990er Jahre saniert worden, dabei riss man die südlich gelegenen Remisen ab und ersetzte sie durch Neubauten. Die Anlage wird weiterhin gewerblich, insbesondere durch Firmen der sogenannten Neuen Medien, teilweise aber auch zu Wohnzwecken genutzt.

Hinterhöfe

Während die Straßenbebauung in weiten Teilen großzügige Wohngeschäftshäuser aufweist, entstanden im Blockinneren Hinterhöfe für Gewerbe- und Wohnnutzungen. Vor allem im vorderen Abschnitt der rechten Straßenseite, in dem Geviert Schulterblatt, Susannenstraße, Bartelsstraße und Schanzenstraße, ist ab Mitte des 19. Jahrhunderts, teilweise schon vor der Randbebauung, ein verwinkeltes System von Hinterhäusern, Terrassen und Passagen entstanden.[17]

Im südlichen Abschnitt befindet sich auf der rechten Seite hinter den Hausnummern 14 und 24 der sogenannte Hamburger Hof. Die beiden langgestreckten, drei- und viergeschossigen Putzriegel, erbaut zwischen 1869 und 1882, umschließen an der Nord- und Ostseite einen dreieckigen Platz, dessen unbebaute Seite durch eine Mauer auf der historischen Grenzlinie zwischen Hamburg und Altona geschlossen wird. Nördlich grenzt die Pianoforte-Fabrik an. Der Hof steht zusammen mit den von der Schanzenstraße zugänglichen Hinterhäusern der Bachterrasse (Hausnummer 41a) und Balkonterrasse (Hausnummer 35-37) als Ensemble unter Denkmalschutz. Sein Name ist darauf zurückzuführen, dass ein auf Hamburger Territorium gelegener Wohnhof allein über Altonaer Gebiet, jenseits der Stadtgrenzen, erschlossen war. Maßgebliche Auswirkungen hatte dies während der Choleraepidemie von 1892: während in dem, an das Altonaer Wassernetz angeschlossenen, Hamburger Hof mit damals 345 Bewohnern kein einziger Krankheitsfall auftrat, waren in den direkt angrenzenden, mit Hamburger Wasser versorgten Häusern hohe Opferzahlen zu beklagen.[29]

Das Haus Schulterblatt 62 hat einen Durchgang zu einem Hofbereich, in dem sich ein großangelegter Spielplatz befindet, genannt BaSchu, der 1997 auf Elterninitiative hin entstanden ist. Er zieht sich durch den gesamten Innenblock und hat am anderen Ende einen Ausgang zur Bartelsstraße. Bis zu der Zerstörung im Bombenkrieg 1943 befand sich hier die größte Hinterhofterrasse des Schanzenviertels, der so genannte Millionenhof. Die Bezeichnung verwies mit leicht ironischem Anklang auf die enge und dunkle Bebauung mit zwei parallel verlaufende Hinterhausreihen vom Schulterblatt bis zur Bartelsstraße, in der „Millionen“ wohnten, die der ärmeren Bevölkerungsschicht angehörten. An der südlichen Seite zieht sich über 60 Meter die vierstöckige Backsteinfassade der Pianoforte-Fabrik, in dem anschließenden freien Bereich Richtung Ausgang Bartelsstraße, heute als Bolzplatz benutzt, schloss bis 1943 der kriegszerstörte nördliche Teil der Bachterrasse (Schanzenstraße 41a) an. Nördlich liegen weitere, heute noch erhaltene Hinterhöfe, die von der Susannenstraße aus zugänglich sind.

Schulterblatt, Braunschweiger Hof

Eine architektonische und historische Besonderheit ist der sogenannte Braunschweiger Hof auf der linken Straßenseite bei der Hausnummer 59. Es handelt sich um zwei Backsteinetagenbauten der Hannoverschen Bauschule, die für Altona ungewöhnlich und untypisch ist. Die Nordzeile, vom Durchgang aus rechts, ist ein 1873 erbautes Haus, das bei seiner Entstehung zur Juliusstraße hin frei stand und das Vorderhaus zu der 1875 errichteten Südzeile darstellte. Diese wiederum war über den Durchgang des Vorderhauses Schulterblatt Nr. 57/Nr. 61 zugänglich. Das Ensemble wies eine gemischte Wohn- und Gewerbenutzung auf, die rechte Zeile enthielt einen Bierkeller mit Zugang vom Hof, der 1896 umgebaut und mit einem Conditorofen ausgestattet wurde. In der linken waren Pferdeställe und eine Kutschenzimmerei im Erdgeschoss untergebracht. „Sowohl Erschließungstyp als auch Grundrißzuschnitte weisen auf Wohn- und Familienvorstellungen zurück, die ihre Wurzeln in vorindustriellen Wohnformen haben.“[17]

Flora

Hauptartikel: Rote Flora
Flora-Theater, um 1900

Am Schulterblatt 71, im Abschnitt zwischen der Juliusstraße und der Eifflerstraße, befindet sich das ehemalige Concerthaus Flora, seit 1989 als Stadtteilzentrum besetzt und seitdem Rote Flora genannt. Das Gebäude wurde 1888 für die Kaufleute Theodor Mutzenbecher und Lerch als „Gesellschafts- und Concerthaus Flora“ erbaut. Zu dem Komplex gehörten zahlreiche Nebengebäude, wie der 1890 entstandene Crystallpalast, dessen Rückseite hinter den Häusern der Juliusstraße lag, und ein Ballsaal im hinteren Teil des Grundstücks, das bis an die Grundstücke der Friedensallee, die heutige Lippmannstraße, reichte. Verbunden waren die einzelnen Elemente durch zahlreiche offene Veranden und Gänge innerhalb des Flora-Gartens. Ab 1895 wurde es als Flora Theater weiter geführt, in dem zahlreiche beliebte Varieté-Aufführungen stattfanden. Ab Ende der 1920er Jahre wurde ein Programm für ein breiteres Publikum angeboten, so führte man z. B. Ringkämpfe vor. Ab 1936 erfolgte ein Umbau des hinteren Ballhauses zur Garagenhalle, in den Obergeschossen wurden Kleinwohnungen geschaffen. 1941 entstand im Flora-Garten ein Hochbunker für 700 Personen. Während des Zweiten Weltkriegs blieb die Flora weitgehend unbeschädigt. 1949 konnte sie nach einer geringfügigen Renovierung wieder eröffnen.

Von 1953 bis 1964 diente das Gebäude als Kino mit 800 Plätzen. 1964 kaufte die Sprinkenhof AG als stadteigene Grundstücksgesellschaft das Gebäude und vermietete es an das Discountunternehmen 1000 Töpfe. 1974 wurden das Dachgeschoss und das zweite Obergeschoss abgetragen und durch ein Flachdach ersetzt. 1987 wurde das Gebäude dem Musical-Produzenten Friedrich Kurz an Hand gegeben, mit dem Ziel, dort ein Musical-Theater einzurichten. Gegen diese Pläne entstand ein vielfältiger Widerstand von Anwohnern, Gewerbetreibenden und autonomen Gruppen, die von einem derartigen Großprojekt eine Umstrukturierung des Viertels und damit einhergehende Mietsteigerungen befürchteten. Dennoch kam es ab April 1988 zum Abriss des größten Teils des Gebäudekomplexes, lediglich ein Rumpf des Eingangsgebäudes am Schulterblatt blieb erhalten. Doch zahlreiche Aktionen, eine Bauplatzbesetzung im Juni 1988 und permanentes Einreißen der Bauzäune führten im September 1988 dazu, dass trotz täglicher Polizeibewachung die Investoren das Musicalprojekt an diesem Standort aufgaben.

Rote Flora, Juli 2007

Anschließend bemühten sich Initiativen aus dem Stadtteil um den Erhalt des Restgebäudes. Im August 1989 bot die Stadt den Initiativen überraschend einen befristeten sechswöchigen Nutzungsvertrag an, um die Vorstellung einer alternativen Nutzung öffentlich zu präsentieren. Die Gruppen nutzten diese Gelegenheit zur provisorischen Wiederherstellung der Ruine und eröffneten am 23. September 1989 die Rote Flora offiziell als Stadtteilzentrum. Nach Ablauf der sechs Wochen wurde die Flora am 1. November 1989 für besetzt erklärt. Seitdem wird das Gebäude als kultureller und politischer Treffpunkt genutzt. Es gibt keine bezahlten Stellen, keine Fördergelder, die Belange des Projekts werden im Rahmen der Selbstverwaltung organisiert.

Ab 1992 fanden mehrmals sogenannte Vertragsverhandlungen zwischen Stadt und Flora-Besetzern statt, jeweils unter den Vorzeichen, bei Nichtabschluss werde geräumt werden. Tatsächlich aber führten die Verhandlung zu keinem Ergebnis, die angedrohte Räumung wurde jedoch nicht vollzogen, die Rote Flora blieb besetzt. Im November 1995 brannte das obere Stockwerk durch einen technischen Defekt aus, das Gebäude wurde durch Eigenarbeit der Besetzer mit breiter Unterstützung wieder in Stand gesetzt. Im März 2001 verkaufte der Senat der Stadt Hamburg das Haus für 370.000 DM an den Immobilienkaufmann Klausmartin Kretschmer, der dabei zusicherte, am Status der Roten Flora nichts ändern zu wollen.[30] Aufmerksamkeit erregt die Flora zeitweilig durch groß angelegte Polizeiaktionen vor dem Hintergrund politischer Auseinandersetzungen oder den regelmäßig im Schanzenviertel stattfindenden Straßenfesten. Anlässlich des 20jährigen Bestehens der Roten Flora wurde im Herbst 2009 unter anderem ein Reihe von Veranstaltungen organisiert, die die Geschichte und die Perspektiven des Projekts thematisierten. In diesem Zusammenhang äußerte sich der Eigentümer Klausmartin Kretschmer in einem Interview dahingehend, dass er die Zukunft des besetzten Hauses in Frage stellte und erstmalig eine Räumung ins Gespräch brachte.

Belle Alliance

Das Belle Alliance an der Einmündung der Eimsbütteler Straße, um 1890
Der gleiche Ort im Jahr 2011

Ein im Krieg zerstörtes und nicht mehr aufgebautes, vormals weit bekanntes Etablissement war das Belle Alliance am Schulterblatt 115-119 / Ecke Eimsbütteler Straße 2. Sein Vorläufer, das Timm’sche Wirthshaus Belle Alliance wurde bereits 1827 in einem Hamburger Reiseführer von Professor Schütz erwähnt und insbesondere „der sehr angenehme Garten“ hervorgehoben. Der Namenszusatz war eine nach dem Sieg über Napoleon 1815 weit verbreitete Würdigung des preußischen Beitrags zu den Befreiungskriegen. Die 350 Meter weiter Richtung Eimsbüttel liegende und 1870 entstandene Bellealliancestraße wurde eben nach diesem Wirtshaus benannt.

1860 übernahm F.A. Stricker, ehemaliger Maurergeselle und Schankwirt in der Großen Freiheit 36, das Belle-Alliance und baute es mehrfach um und zu einem Hotel und Theater aus: „Er lockte mit Flügelball und ‚Orchestre parisien‘, Garten und Kegelkugelschieben. Ein Lustgarten also, der alle zwei bis sieben Jahre den Wirt wechselte, erweitert wurde und schließlich einen über tausend Quadratmeter großen Tanzsaal besaß. Rauschende Feste fanden hier statt, die nahe kolossale Flora stellte ‚La Belle Alliance‘ nicht in den Schatten.“[31] Doch wurde das Haus bereits im 19. Jahrhundert auch als Versammlungsort der Arbeiterbewegung genutzt, so wird zu einer von Korbmachern ausgegangenen Streikbewegung im Jahr 1868 berichtet: „Da man in Hamburg die Versammlungen verbietet, ziehen die Streikenden in langen Zügen, oft mit klingendem Spiel, durch Altona zum ‚Belle-Alliance‘ in Eimsbüttel“.[32]

1906 wurde in dem großen Tanzsaal von Jeremias Henschel ein Theater lebender Photographien eingerichtet, im Volksmund Belle-Kino genannt. 1908 galt es mit etwa 1900 Plätzen als das größte Lichtspieltheater Hamburgs. 1911 und 1918 wurde es nochmals erweitert, die Leinwand auf 35 Quadratmeter vergrößert und Platz für ein Zwanzig-Mann-Orchester geschaffen.[33] 1924 wurde das Restaurant im Hause geschlossen, das Kino bestand weiter bis zum Zweiten Weltkrieg. Das Haus wurde in der Nacht zum 25. Juli 1943 während der Operation Gomorrha zerstört. Seit den 1960er Jahren steht an seiner Stelle ein nüchterner siebenstöckiger Klinkerbau der Nachkriegsarchitektur.

Öffentlicher Personennahverkehr

Das Schulterblatt wird von keinem öffentlichen Verkehrsmittel durchfahren, an der Kreuzung Max-Brauer-Allee/Altonaer Straße befindet sich jedoch eine Haltestelle der querenden Buslinie 15 des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV), die von Altona hinunter zur Alsterchaussee fährt. Die nächstgelegene S-Bahn- und U-Bahn-Station Sternschanze ist von der Mitte des Schulterblattes aus etwa 300 bis 400 Meter Fußweg entfernt.

Bahnhof Schulterblatt an der Hamburg-Altonaer Verbindungsbahn

Von 1865 bis 1891 hatte die Straße mit dem Bahnhof Schulterblatt einen direkten Zugang zur Verbindungsbahn. Er lag an der eigens dafür parallel zur Bahnlinie gebauten Parallelstraße (seit 1945 Eifflerstraße), wurde aber ab 1893 durch den Bahnhof Holstenstraße ersetzt. Letzte Spuren dieses Bahnhofs verschwanden im Jahr 2005 bei dem Neubau der Brücke über das Schulterblatt.

Bis 1970 führten mehrere Straßenbahnlinien durch das Schulterblatt, zeitweise bis zu fünf Linien parallel. Die Hauptlinien befuhren dabei den Straßenzug vom Pferdemarkt bis zur Eimsbütteler Chaussee, die Altonaer Ringbahn von der Allee (heute Max-Brauer-Allee) bis zur Juliusstraße. Vorgänger der Straßenbahn war die Pferdebahn, die ab 1882, zunächst auf der Strecke der Ringbahn, eingesetzt wurde. Ab 1898 wurde sie nach und nach durch die elektrifizierten Bahnen ersetzt. Nach 1960 fuhren nur noch zeitweise (z. B. als Nachtlinie) einzelne Straßenbahnen durch das Schulterblatt.[34]

Literatur

  • Projektgruppe Wohnen im Stadtteil: Der Schulterblatt. Ein Viertel verändert sich. Hamburg 1982
  • Hans-Günther Freitag/Hans-Werner Engels: Altona. Hamburgs schöne Schwester. Hamburg 1982 ISBN 3-7672-1135-1

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Projektgruppe Wohnen im Stadtteil: Der Schulterblatt. Ein Viertel verändert sich, Hamburg 1982, S. 25
  2. Reinhold Pabel: Alte Hamburger Straßennamen, Edition Temmen, Bremen 2001
  3. Projektgruppe Wohnen im Stadtteil: Der Schulterblatt. Ein Viertel verändert sich, Hamburg 1982
  4. Dieser ist nicht mit dem gleichnamigen Bach zu verwechseln, der zwischen St. Pauli und Altona in die Elbe mündete und der Straße Pepermölenbek ihren Namen gab. Straßenverzeichnis St. Pauli
  5. Wilhelm Melhop: Historische Topographie der Freien und Hansestadt Hamburg von 1895 - 1920: unter Benutzung amtlicher Quellen, Hamburg 1923, S. 263
  6. Hermann Hipp: Freie und Hansestadt Hamburg. Geschichte, Kultur und Stadtbaukunst an Elbe und Alster. 3. Auflage, Köln 1996, ISBN 3-7701-1590-2, S. 252; siehe auch: Bibliothekssystem Universität Hamburg: Grenzkarte, worauf die Grenzzeichen zwischen der Stadt Hamburg und Altona beschrieben, abgerufen am 11. Februar 2011
  7. a b Cipriano Francisco Gaedechens: Historische Topographie der Freien und Hansestadt Hamburg von 1880 bis 1895 (nebst vielen Nachträgen aus älterer Zeit), Mauke, Hamburg 1880-1895
  8. Karte Sternschanze des Statistischen Landesamtes, abgerufen am 10. Februar 2011
  9. a b Liste der erkannten Denkmäler des Denkmalschutzamt Hamburg, abgerufen am 11. Februar 2011
  10. a b Ernst Heinrich Wichmann: Der Hamburger Berg, Vorstadt St. Pauli. Historisch-topographisch dargestellt. Hamburg 1879
  11. Projektgruppe Wohnen im Stadtteil: Der Schulterblatt. Ein Viertel verändert sich, Hamburg 1982, S. 12
  12. Wilhelm Melhop: Historische Topographie der Freien und Hansestadt Hamburg von 1895 - 1920: unter Benutzung amtlicher Quellen, Hamburg 1923
  13. Faksimiledruck des Hamburger Correspondenten des Jahres 1831 als google-book, abgerufen am 11. Februar 2011
  14. Cipriano Francisco Gaedechens: Historische Topographie der Freien und Hansestadt Hamburg von 1880 bis 1895, Hamburg 1880-1895
  15. Sven Bardua: Brückenmetropole Hamburg. Baukunst-Technik-Geschichte bis 1945. Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 2009, ISBN 978-3-937904-88-7, S. 27
  16. WTM Engineers: Eisenbahnüberführung Schulterblatt Hamburg, abgerufen am 9. Februar 2011
  17. a b c Jörg Haspel: Hamburger Hinterhäuser: Terrassen - Passagen - Wohnhöfe. Hamburg, 1987
  18. Katharine Marut-Schröter, Jan Schröter: Eimsbüttel im Wandel, Medien-Verlag Schubert, Hamburg 1992, ISBN 3-9802319-9-2
  19. Frieda Runge: Im Schanzenviertel 1925 bis 1933; in: Jens Michelsen (Hrsg.): Eimsbüttler Promenaden, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1994, ISBN 3-926174-85-4, S. 117-130
  20. a b Werner Skrenty (Hrsg.): Hamburg zu Fuß. 20 Stadtteilrundgänge, Neu bearbeitete Auflage Hamburg 1992, ISBN 3-87975-619-8
  21. Frank Bajohr: „Arisierung“ in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945, Hans Christians Verlag, Hamburg 1997, ISBN 3-7672-1302-8
  22. steg: Sanierungsgebiet Schulterblatt, abgerufen am 14. Februar 2011
  23. Schanze: Das Fenster zum Elend ist zu, abgerufen am 14. Februar 2011
  24. nach einem im Dezember 2001 durch einen Brechmitteleinsatz gestorbenen mutmaßlichen Dealer, Artikel im Hamburger Abendblatt vom 13. Juli 2006, abgerufen am 14. Februar 2011
  25. steg: Schulterblatt-Platz im Hamburger Schanzenviertel: Urbanes Leben kontra Wohnqualität?, abgerufen am 14. Februar 2011
  26. Ralf Lange: Architekturführer Hamburg, Stuttgart 1995, ISBN 3-930698-58-7, S. 94
  27. Hermann Hipp: Freie und Hansestadt Hamburg. Geschichte, Kultur und Stadtbaukunst an Elbe und Alster., S. 253
  28. Projektgruppe Wohnen im Stadtteil: Der Schulterblatt. Ein Viertel verändert sich, Hamburg 1982, S. 85
  29. Winkle: Chronologie und Konsequenzen der Hamburger Cholera von 1892, abgerufen am 11. Februar 2011
  30. Hamburger Abendblatt 16. März 2004
  31. Udo Pini: Zu Gast im alten Hamburg. Erinnerungen an Hotels, Gaststätten, Ausflugslokale, Ballhäuser, Kneipen, Cafés und Varietés, Hamburg 1997, ISBN 3-8803-4350-0
  32. Helmuth Warnke: „... nicht nur die schöne Marianne“. Das andere Eimsbüttel, VSA-Verlag, Hamburg 1984, ISBN 3-87975-285-0, S. 28
  33. Homepage Film- und Fernsehmuseum Hamburg: Belle-Alliance-Theater, abgerufen am 11. Februar 2011
  34. Straßenbahnlinien-Übersicht Schulterblatt
53.5611111111119.9627777777778

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