Selbstmordattentat

Selbstmordattentat

Ein Selbstmordattentat ist ein Mordanschlag auf einen oder mehrere Menschen oder belebte geschützte Objekte durch einen Täter, bei dem der Verlust des eigenen Lebens die notwendige Bedingung zum Gelingen des Attentats darstellt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Opfern des eigenen Lebens für ein bestimmtes Ziel findet sich schon in der römischen Geschichtsschreibung. In der Neuzeit wird diese Opferbereitschaft noch radikalisiert, indem der eigene Tod nicht nur als Möglichkeit in Kauf genommen wird, sondern mit der Tat einhergeht. Der Täter opfert sich nicht nur, sondern beabsichtigt mit seiner Tat, noch möglichst viele Menschen mit in den Tod zu reißen. Der eigene Tod wird von Beginn an als sicher vorausgesetzt. Mögliche Gründe sind ideengeschichtliche Veränderungen. In größerem Maße werden Selbstmordattentate allerdings erst durch die waffentechnische Entwicklung ermöglicht. Ausschlaggebend ist die Entwicklung von Sprengwaffen und ihre relativ einfache Handhabung bzw. Herstellung.

Militärstrategisch sind Selbstmordattentate und andere vergleichbare Aktionen asymmetrische Kriegführung ausrüstungsmäßig Unterlegener gegenüber waffentechnisch sehr viel hochgerüsteter, dafür aber andere schwache Seiten aufweisender Feinde.

In seiner modernen Form, die sich seit den 1970er Jahren, verstärkt seit 1982 entwickelte, wurden Selbstmordattentate zunehmend zum Merkmal des islamistischen Terrors. Andere Bezeichnungen sind Selbstmordanschlag, Suizidanschlag, Suizidattentat, Selbsttötungsattentat, Selbsttötungsanschlag und umgangssprachlich manchmal auch Kamikaze.

Selbstmordattentate sind heute eine wachsende militärische Taktik terroristischer Gruppen. Ihre Zunahme wird durch den von wirtschaftlicher und informationeller Globalisierung ermöglichten Widerstreit konkurrierender Ideologien begründet. Dazu kommt die heute größere Offenlegung wirtschaftlicher Disparitäten.

Motivgrundlagen

Damit im Zusammenhang stehen die Entwicklung des religiösen Fundamentalismus zu einem Konkurrenzmodell zur freiheitlichen, demokratischen und säkularen Moderne. Die waffentechnische Entwicklung erlaubt es heute zudem viel mehr als früher, mit relativ einfachen und von einer einzigen Person bedienbaren Waffen oder umfunktionierten zivilen Geräten (wie Flugzeugen, Tanklastern usw.) eine vergleichsweise große Gruppe an Gegnern tödlich zu treffen, ohne dass der Anschlag in der Vorbereitung sehr viel Aufsehen erregt - dafür aber sehr viel Medienpräsenz bewirkt im Sinne heute immer wichtigerer informeller Kriegsführung. Dazu trägt im extremen Fall die heute wachsende Miniaturisierung und Privatisierung auch von Massenvernichtungswaffen mit immer verletzlicherer komplexer Umwelt bei.[1]

Nachdem Selbstmordattentate gegen Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Kamikaze-Angriffe japanischer Piloten ins Bewusstsein rückten, werden sie seit den 1980er Jahren zunehmend vor allem in Israel, Irak, Afghanistan und Sri Lanka eingesetzt. Weltweit waren zwischen 1980 und 2001 nur drei Prozent aller Terroranschläge Selbstmordattentate, sie sind jedoch für mehr als die Hälfte der durch Terror verursachten Todesfälle in diesem Zeitraum verantwortlich, und zwar ohne die Anschläge auf das World Trade Center (New York). Selbstmordattentate gelten deshalb als eine effektive Methode zur Tötung von Menschen. Die meisten Opfer forderten die Anschläge auf das World Trade Center, es gab aber auch Anschläge, die nur den Täter verletzten oder töteten.

Selbstmordattentäter folgen häufig einem vermeintlich höheren Ziel und sehen sich selbst als Widerstands- oder Glaubenskämpfer. Bei Selbstmordattentaten steht fast immer eine Organisation im Hintergrund, da ohne sie die technologische und taktische Logistik eines Attentats nicht zu bewältigen wäre. Terrororganisationen müssen für einen möglichst hohen Erfolg auf früher gewonnene Erfahrung bei Anschlägen zurückgreifen.

Während früher militärische und politische Ziele angegriffen wurden, werden heute viel häufiger Zivilisten zum Ziel der extremen politischen und religiösen Gruppen. Dies wird mit dem taktischen Gewinn für die Terroristen, der aus der wichtigen Rolle der öffentlichen Meinung für die Gestaltung der Politik in den angegriffenen Demokratien resultiert, erklärt.

Klassifizierungen

Unterschieden wird nach der Art, wodurch der Tod des Attentäters eintritt:

  • Das „klassische“ Selbstmordattentat, bei dem sich der Täter zeitgleich mit den Opfern tötet. Meist erfolgt dies durch Sprengstoff, der am Körper, z. B. in einem Sprengstoffgürtel oder in einem Fahrzeug, deponiert ist und vom Attentäter gezündet wird. Diese Art des Selbstmordattentates wurde erst 1982 im Umfeld der späteren Hisbollah im Libanon entwickelt und verbreitete sich dann von dort aus in die Welt.
  • Ein Attentat, bei dem er sich nach Durchführung selbst tötet.
  • Ein Attentat, bei dem der vom (vermeintlichen) Haupttäter getragene Sprengsatz von einem Mittäter mit einer Fernsteuerung oder durch einen Zeitzünder zur Explosion gebracht wird (z. B. bei den sogenannten schwarzen Witwen). Das Attentat kann mit oder ohne Wissen des Haupttäters erfolgen, dem dabei zumindest teilweise auch eine Opferrolle zukommen kann.
  • Ein Angriff, bei dem der Täter von anderen getötet wird, umgangssprachlich Himmelfahrtskommando genannt.

Weiterhin unterscheidet man nach den Zwecken des Selbstmordattentats:

  • Erzeugen einer starken Wirkung in der öffentlichen Meinung.
  • Erlangung eines Märtyrerstatus im Rahmen der so interpretierten Religion, um ein "Leben im Paradies" zu erreichen.
  • Wegfall des hohen logistischen Aufwandes für den Täter, sein Leben während des Attentates und danach zu schützen und sich selbst möglichst unverletzt vom Anschlagsort zu entfernen.
  • Erzielen einer höheren Wirkung durch die Ausführung als Selbstmordattentat. Manche Anschläge wären anders gar nicht durchführbar gewesen wie z. B. die Anschläge auf das World Trade Center in New York 2001.
  • Erschwernis, die Hintermänner zu ermitteln, weil keine Gefangenen gemacht werden können, die Hinweise geben könnten. Gegenmaßnahmen sind daher meist auf Festnahmen bei misslungenen Selbstmordattentaten beschränkt.
  • Anrichten eines möglichst großen Schadens beim Gegner.
  • Verunsichern des Gegners durch Demonstration äußerster Entschlossenheit.
  • Dem Gegner seine Machtlosigkeit gegen derartige Attentate vor Augen führen.

Frühe Beispiele

Frühe Selbstmordattentate gab es in der Antike bei den christlichen Circumcellionen in Nordafrika und im Mittelalter bei den muslimischen Assassinen im vorderen Orient. Im Alten Testament im Buch der Richter, Kapitel 16 wird ein Selbstmord von Samson beschrieben, bei dem über 3000 Männer und Frauen starben. Manche sehen in diesem Selbstmord, der ursächlich für den Tod vieler war, unter Vernachlässigung der Umstände ein Selbstmordattentat. 1809 erzwang der 17-jährige Napoleonattentäter Friedrich Stapß, dessen Vorhaben scheiterte, durch seine Aussagen, dass man ihn hinrichtete. 1864 sprengte der preußische Pionier Carl Klinke beim Angriff auf die Düppeler Schanzen sich selbst in die Luft und soll, der Legende nach, so den Deutsch-Dänischen Krieg entschieden haben. Im 20. Jahrhundert haben zunächst während des 2. Weltkrieges die Angriffe der japanischen Kamikazeflieger wie auch das deutsche Projekt Selbstopfer von sich reden gemacht. Ein bekannter Vorfall aus dem Zivilleben ist das Schulmassaker von Bath im Jahr 1927.

Am 21. März 1943 versuchte der Wehrmachtsoffizier Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff Adolf Hitler durch ein Selbstmordattentat zu töten. Hitler eröffnete anlässlich des Heldengedenktages eine Ausstellung sowjetischer Beutewaffen im Berliner Zeughaus. Von Gersdorff war abkommandiert, als Experte die Ausstellung zu erläutern. Er wollte Hitler und die anwesende Führungsspitze (Göring, Himmler, Keitel und Dönitz) mit zwei Clam-Haftminen, die er in den Manteltaschen trug, in die Luft sprengen. Nachdem von Gersdorff den Zeitzünder bereits aktiviert hatte, lief Hitler durch die Ausstellung, ohne vor Ausstellungsstücken innezuhalten, und verließ das Gebäude unerwartet frühzeitig. Von Gersdorff entschärfte die 10-Minuten-Zeitzünder deshalb auf einer Toilette des Zeughauses.

Die Märtyrerangriffe der Bassidschis während des ersten Golfkrieges zwischen dem Irak und den Iran werden gemeinhin als Ausgangspunkt zu der Entwicklung moderner Selbstmordattentate im Libanon ab 1982 angesehen. Einige Wissenschaftler argumentieren allerdings, dass die Anschläge im linksextremistischen Umfeld der 60er und 70er Jahre wurzeln.[2] So wird beispielsweise auf die Verstrickungen um einen der Angriffe der Japanischen Roten Armee am 30. Mai 1972 auf dem ehemaligen Flughafen Lod, heute Ben Gurion, bei Tel Aviv verwiesen.

Täterprofil

Noch in den 1980ern kam Strentz zu den Schlüssen, der typische palästinensische Terrorist sei zwischen 17 und 23 Jahren alt, komme aus einer großen und verarmten Familie und habe eine geringe Bildung.[3] Heute sind solche Ergebnisse überholt. Entgegen der verbreiteten Vorstellung, dass Selbstmordattentäter aus Verzweiflung über ihre armen Verhältnisse in ausgegrenzten Schichten der Bevölkerung handeln, kommen die Attentäter meist aus dem (gehobenen) Mittelstand. Sie haben eine überdurchschnittlich gute Ausbildung, sogar Universitätsabschlüsse und zeigen keine Anzeichen einer Psychopathologie. Die wohl bekanntesten Täter, die der Anschläge des 11. September 2001, waren der Planer Mohammed Atta, der aus einer Mittelstandsfamilie stammt und der wohlhabende Ziad Jarrah, der aus einer reichen Familie stammend christliche Schulen besucht hatte und Alkohol trank. Auch wenn die Selbstmordterroristen meistens junge, unverheiratete Männer waren, muss man doch von einer vielfältigeren Demographie ausgehen, gibt es doch darunter auch verheiratete Männer in den Vierzigern oder junge Frauen.

Die Wahrscheinlichkeit, zum Attentäter zu werden, steigt nicht mit der eigenen Armut, sondern mit der politischen Unfreiheit der Gesellschaft, aus der er kommt. Dies gilt besonders für instabile Gesellschaften mit schwacher Regierung.

Der zunehmende Einsatz von Frauen wird von Clara Beyler damit erklärt, dass diese ihre Frustration über ihre untergeordnete Rolle in der Gesellschaft mit einer Demonstration ihrer Stärke und Macht ausleben. Seit Frauen seit 2003 bis 2004 häufiger zu Selbstmordattentäterinnen werden, wurde es schwieriger, Täterprofile zu erstellen. Auf Israel bezogen wird der Einsatz von Frauen als Selbstmordattentäterinnen mit der Tatsache in Zusammenhang gebracht, dass Arafats al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden säkular-nationalistisch sind.

Palästinenser

Bei der medialen Inszenierung ihrer Selbstmordattentäter ließen sich die Palästinenser vom japanischen Vorbild der Abschiedsinszenierung der Kamikaze-Piloten inspirieren. Ein Bindeglied zwischen Fern- und Nahost waren hier aber auch teilweise von Nordkorea unterstützte japanische Selbstmordterroristen (Japanische Rote Armee), die im Mai 1972 das erste, allerdings noch weitgehend improvisierte, Selbstmordattentat im Nahen Osten verübten, bei dem sich einer der Terroristen sprengte.

Die palästinensischen Fedajin systematisierten ab 1974 diese Waffe. Ihre Terroristen sprengten sich in den darauf folgenden Jahren bei den Anschlägen auf israelischem Territorium immer wieder in die Luft. Die Palästinenser gaben später ihre Erfahrung an die Gegner des iranischen Schah-Regimes, die damals im Libanon Zuflucht fanden, weiter.

Ab 1993 wurden Selbstmordattentate auch unter Palästinensern wieder populär, wobei die ersten Attentate von der Hamas durchgeführt wurden. Bald jedoch folgten auch andere Gruppierungen wie etwa Islamischer Dschihad und der Al-Aqsa-Brigaden der Al-Fatah. Bis heute wurden bei etwa 140 Anschlägen die Attentäter und weitere 500 Menschen getötet und über 3.000 Personen verletzt.

Legt man einen Zeitraum von November 2000 bis November 2003 zugrunde, in dem 103 Anschläge stattfanden so wurden im Durchschnitt bei einem Selbstmordattentat 4,3 Menschen getötet und 29,9 Menschen verletzt. Die Effektivität dieser Anschläge war dabei sehr variabel. In diesem Zeitraum waren nur 15 Attentate für 3,500 Opfer verantwortlich, 22 töteten nur den Attentäter. Laut Statistiken der Tzahal wurde in den letzten vier Monaten des Jahres 2000 kein einziger Anschlag verhindert, 2001 waren es 21, 2002 schon 112 und in den ersten elf Monaten des Jahres 2003 waren es 179 verhinderte Anschläge. Eine Kooperation von zwei Attentätern, die gleichzeitig oder zeitversetzt (etwa um ärztliche Helfer zu töten), ein Ziel angriffen, führte nicht zu einer doppelten Anzahl von Opfern, sondern nur der Hälfte mehr. In dem erwähnten Zeitraum betrug das Durchschnittsalter der Attentäter 21,7 Jahre, der jüngste war 16, der Älteste 48 Jahre alt. Die meisten Attentäter waren zwischen 17 und 26 Jahre alt. 7 von 112 Attentätern waren Frauen, 92 waren Männer, und von 4 wurde kein Geschlecht bekannt. Frauen konnten fast doppelt so viele Menschen ermorden wie Männer. 87 von 103 Anschlägen wurden mit Sprengstoffgürteln oder ähnlichen Instrumenten durchgeführt, in 14 Fällen wurde ein Auto genutzt, was sich aber als ineffektiv erwies. Auto-Bomber konnten im Durchschnitt nur 10,2 Opfer treffen. Die Mehrheit der Anschläge (76 von 103) wurde gegen die eindeutig leichter verwundbaren rein zivilen Ziele geführt, 10 Fälle hatten eindeutig Soldaten zum Ziel. Die meisten Opfer pro Anschlag wurden in Cafes oder Restaurants erzielt (im Durchschnitt 68,3), auf der Straße ausgeführte Anschläge resultierten im Durchschnitt in 31,2 Opfern. Wenn der Selbstmordattentäter bei einem Checkpoint gestoppt wurde, kam es im Durchschnitt nur zu 1,2 Opfern.

94 von 103 Anschlägen fallen auf das Konto von Hamas, den der Fatah nahestehenden Al-Aqsa-Brigaden und den Palästinensischen Islamischen Jihad, 2 wurden von der Fatah selbst ausgeführt, und 1 jeweils von PFLP und Fatah Tanzim. Die Hamas-Attentäter waren dabei in der durchschnittlichen Anzahl der Opfer erfolgreicher als die anderer Gruppen. Das liegt laut Untersuchungen sowohl an der technologischen und organisatorischen Überlegenheit der Hamas als auch an ihrer Auswahl der individuellen Attentäter. Der relative Erfolg der Hamas liegt, so vermuten Eli Berman und David Latin, in ihrer Positionierung am radikalen Ende des politischen Spektrums begründet. So konnte sie überzeugtere und qualifiziertere Freiwillige gewinnen. Bei allen Gruppen konnte die im Laufe der Zeit gewonnene Erfahrung nicht in einer höheren Anzahl von Opfern pro Anschlag resultieren, wohl weil die israelische Seite in der Opferminimierung noch erfolgreicher war.

Ariel Merari von der Universität Tel Aviv hat, als der führende Wissenschaftler auf dem Gebiet, Selbstmordattentate im Falle Israels empirisch untersucht. Er stützt sich dabei auf Medienberichte, Interviews mit gefangengenommenen erfolglosen Tätern, Interviews mit den Hintermännern und Befragungen der Familien der Mörder.

In seiner 2004 veröffentlichten Studie definiert er Selbstmordattentate als "beabsichtigte Selbsttötung mit dem Zweck, andere zu töten, im Dienste eines politischen oder ideologischen Zieles." Es sei dabei von einer hoch riskanten Mission genauso zu unterscheiden wie von missglückten Bombentransporten oder dem Selbstmord mit politischer Aussage. Er untersuchte die verschiedenen populären Begründungsmuster wie religiöser Fanatismus, Armut, Ignoranz, Rache für persönliches Leid, Gehirnwäsche, sowie psychopathologische Ursachen.

In dem untersuchten Zeitraum von April 1993 bis Mai 2004 waren zumeist - in 89 % der Fälle - zivile Ziele betroffen (Kaufhäuser, Busse, Restaurants), in 11 % der Fälle wurden israelische Soldaten angegriffen. Dort, wo der Täter zweifelsfrei ermittelt werden konnte, war es die Hamas (80 Anschläge), der PIJ (44 Fälle), die Fatah (36 Angriffe) und die PFLP (9 Fälle). In 13 Fällen kooperierten mehrere Terrororganisationen. Die Täter sind durchschnittlich 21 Jahre alt, wobei der jüngste Täter 16 Jahre und der älteste 53 Jahre zählte. Mehr als 90 % waren unverheiratet und nicht verlobt. 95 % der palästinensischen Täter waren männlich (im Falle des Libanon wären es 84 %). Die Täter kamen aus allen gesellschaftlichen Klassen, weshalb Merari Armut als Ursache ausschließt. 77 % der Täter hatten ein Gymnasium besucht und 20 % sogar die Universität, teilweise mit einem vollen Abschluss (12 % der palästinensischen Durchschnittsbevölkerung besuchten eine Universität). Der Anteil derer, die aus so genannten Flüchtlingslagern stammen, ist dabei überproportional hoch. Vor Beginn der Intifada kamen 56 % der Attentäter aus Flüchtlingslagern, während der Intifada 40%. 21 % der palästinensischen Bevölkerung leben in diesen Lagern. Nach Merari ist religiöser Fanatismus weder ein notwendiger noch ein hinreichender Faktor zur Erklärung der Anschläge. Neben der Tatsache, dass einige der Gruppen säkular sind, gaben die Mitglieder von Hamas und Islamischen Dschihad nicht die Religion als Hauptgrund an. Im Gegenteil: viele sehr religiöse Palästinenser lehnen die Taten ab. Auch persönliche Rache schließt Merari als Hauptgrund aus, denn 93 % der (potentiellen) Täter hätten keine Zeit in Gefängnissen verbracht; 87 % seien nicht in Zusammenstößen mit der Tzahal verletzt worden. 93 % hätten keinen Verwandten ersten Grades durch Einsätze der Tzahal verloren und 80 % verloren keinen guten Freund. Selbstmordattentäter seien auch nicht geisteskrank und zeigten auch keine üblichen Risikofaktoren für Selbstmordkandidaten, allenfalls die Hälfte zeige suizidale Symptome. Eine Ausnahme hiervon war der behinderte palästinensische Knabe Jamas, der sich, erst 10 Jahre alt, bei einem israelischen Checkpoint töten sollte. Dass er scheiterte und von der israelischen Armee aus seiner Situation befreit werden musste, zeigt die relative Erfolglosigkeit von psychisch kranken Kandidaten.

Nach all dem schließt Merari, der typische Attentäter sei ein Phänomen sui generis und passe nicht in verbreitete psychologische und soziale Erklärungsmuster für Selbstmorde. Andererseits hätten Selbstmordattentäter meist eine schwach ausgeprägte Personalität mit geringem Selbstwertgefühl und seien oft sozial ausgegrenzt. Ihr Denken sei dabei gleichzeitig starr und konkret. Nach ihrer Motivation befragt wurde angegeben die Gründe lägen in nationaler Erniedrigung, darin 'Gottes Willen zu tun', persönlicher Rache, sowie der Hoffnung auf das Paradies.

Merari kommt zu dem Schluss, die Attentate seien ein Gruppen-, kein Individualphänomen. Gruppen, nicht Individuen, planen sie. In den extremistischen Gruppen erfahren die Attentäter ein Gemeinschaftsgefühl und Führung durch charismatische Führer. Dabei ist neben der Indoktrination durch die Gruppen und dem aufgebauten Gruppengefühl und Gruppenzwang auch die allgemeine öffentliche Atmosphäre von Bedeutung, besonders, wie sie sich in den Medien oder dem Erziehungssystem äußert. Durch sie wird nicht nur die generelle Anzahl der Freiwilligen, sondern auch über Zeitpunkt und Zahl der Attentate bestimmt. Oft seien die Hintergründe jedoch nur missionsspezifisch zu erklären.

Die Attentäter sind zu gleichen Teilen Freiwillige und Individuen, die durch die Gruppe angesprochen wurden. Die Einigung fällt dann normalerweise innerhalb einer Woche, in der Hälfte der Fälle sogar sofort. In einem Drittel der Fälle vergehen weniger als 10 Tage von der Einigung bis zur Ausführung der Tat. In 60 % der Fälle wird die Tat innerhalb des ersten Monats durchgeführt.

Nachdem die Attentäter persönliche Dinge hinter sich gebracht haben (Geschenke und Photos sind üblich) werden die bekannten Bekennervideos produziert - meist einen Tag vor dem Anschlag. Vor der Ausführung sind die Täter zumeist bereits in einem Tunnel, einige zögern allerdings, wobei sich dieser Drang mit der Nähe zu Ziel verstärkt. Auf ihrem Weg dienen Eskorten, Instruktionen oder Mobiltelefone zu ihrer mentalen Begleitung. Notwendig dafür, dass die Tat dann noch abgebrochen wird, ist eine Rechtfertigung oder Ausrede.

Hisbollah

Die schiitische Hisbollah war es, die - von der Islamischen Republik Iran massiv unterstützt - ab 1983 die Autobombe als weiteres Instrument des Selbstmordattentats einführte. Die meisten Selbstmordanschläge in den achtziger Jahren gegen die israelischen Besatzer im Libanon wurden jedoch von Mitgliedern pro-syrischer säkularer Organisationen verübt.

Sie waren auch die ersten, die die als Märtyrer bezeichneten Selbstmordattentäter unmittelbar vor ihrem Einsatz auf Video verewigten und das Band nach dem Anschlag dem Fernsehen zuspielten. Hierbei bauten sie auf der Erfahrung der palästinensischen linksmarxistischen Terrororganisation Volksfront für die Befreiung Palästinas-Generalkommando auf, denen in der Folge des Japanische Rote Armee-Anschlags von 1972 erste systematische Selbstmordattentate zugeschrieben werden und deren Selbstmordterroristen bereits ihre Suizidmissionen in einem Film dokumentiert hatten.[4]

Die Hisbollah hat Selbstmordattentate nur sehr gezielt und sparsam eingesetzt, verstand es aber mit spektakulären Videos weltweit auf sich aufmerksam zu machen. Ihr System zur Versorgung der Angehörigen der Selbstmordattentäter, die einen hohen sozialen Status genießen, hatte ebenfalls Vorläufer im Kampf- und Propagandasystem der palästinensischen Fedayin. Die Selbstmordattentate der Hisbollah führten zwar zum Rückzug der US-Amerikaner und Franzosen aus dem Libanon während des libanesischen Bürgerkriegs, waren jedoch keineswegs die direkte Ursache für den späteren Rückzug Israels aus dem Südlibanon.

Krueger und Maleckova untersuchten 2002 den wirtschaftlichen und den Bildungsstatus von Hisbollahkämpfern, die zwischen 1982 und 1994 im Kampf mit Israel ums Leben kamen. Daraus lassen sich wohl auch Rückschlüsse auf den Status ihrer Selbstmordattentäter ziehen. Es zeigte sich, dass sie etwas weniger Arme unter ihnen fanden, als in der Gesamtbevölkerung (28 % im Vergleich zu 33 %), dass sie aber signifikant häufiger eine sekundäre Schulausbildung genossen als die durchschnittliche Gesamtbevölkerung (33 % gegenüber 23 %).[5]

Tamil Tigers

Die Tamil Tigers in Sri Lanka übernahmen ab 1987 Selbstmordattentate, wobei das erste eine recht genaue Kopie des Anschlags auf das US-Hauptquartier in Beirut 1983 war. 1991 töteten die Tamil Tigers den indischen Premierminister Rajiv Gandhi durch ein Selbstmordattentat. Der srilankische Oppositionsführer Gamini Disanyake wurde 1994 durch ein Selbstmordattentat getötet. Chandrika Bandaranaike Kumaratunga überlebte 1999 ein Selbstmordattentat, sie verlor dabei jedoch ein Auge.

Kaschmir

In Kaschmir wurden 1989 die ersten Selbstmordattentate begangen, ohne sich jedoch stark auszubreiten.

Tschetschenien

In Tschetschenien oder von Tschetschenen in Russland wurden Selbstmordattentate etwa seit dem Jahre 2000 begangen.

Ausweitung

Die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA machten Selbstmordattentate schlagartig zum Zentrum der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit.

Seit dem Jahre 2002 werden Selbstmordattentate in immer weiteren Ländern verübt, darunter auch Afghanistan, Marokko, die Türkei, Pakistan und Saudi-Arabien.

Irak

US-Soldaten der 978. Militärpolizei-Kompanie helfen irakischen Feuerwehrleuten und Polizisten nach einem Selbstmordattentat in Baqubah im Irak
Die israelische Polizei überprüft 10 Palästinenser, unter ihnen ein Selbstmordattentäter mit einer 5-Kilo Bombe, nachdem sie sich mit ihnen eine Verfolgungsjagd auf der Autobahnstrecke Jerusalem - Tel Aviv geliefert hatte. Die Polizei war zuvor durch eine Geheimdienstnachricht vor einem bevorstehenden Angriff in der Gegend von Jerusalem gewarnt worden.

Seit dem Einmarsch der USA in den Irak 2003 wird das Land immer mehr zum Ziel von Selbstmordattentaten. Mehrere Selbstmordattentate in einer Woche waren Mitte 2006 die Regel. Im Irak wurden auch zunehmend Frauen als Selbstmordattentäterinnen rekrutiert.

Siehe auch: Samira Jassam

Gegenmaßnahmen in Israel

Es ist unmöglich, alle potentiellen Ziele zu schützen. Wenn Selbstmordattentate scheitern, dann an glücklichen Zufällen, spontaner mangelnder Motivation des Attentäters, oder durch Terror-Abwehr durch den Gegner oder die prospektiven Opfer. Neben der (gesetzlich verpflichtenden) Platzierung von Wächtern an den Eingängen zu Restaurants und Supermärkten bzw. an Busstationen, wird in Israel versucht, durch Straßensperren, Checkpoints und eine Sperranlage dem Problem Herr zu werden. Die Sperranlage zum Gazastreifen und zum Westjordanland erwies sich dabei als die bisher effektivste Abwehrmaßnahme. Die allgemeine Einstellung der Bevölkerung zu Selbstmordattentaten durch bestimmte Politiken zu ändern, wäre wohl am effektivsten, war bisher aber im Fall von Israel nicht erfolgreich.

Auch durch ein hohes Maß an öffentlichem Bewusstsein konnte in mehreren Fällen der Attentäter als solcher identifiziert werden und damit die Zahl der Opfer reduziert werden. Sicherheitspersonal wird in der Identifizierung und der Beeinflussung von Attentätern ausgebildet. Empirische Forschung zeigt, dass Beistehende zwar Angst verspüren, aber gleichzeitig noch vollständig zu rationalen nutzenorientierten und z.T. altruistischen, Handlungen fähig sind, die unter Einbeziehung vorhandener Informationen den Schaden minimieren können. Beistehende sind nicht demoralisiert und auf wilde Flucht beschränkt, es hat sich auch gezeigt, dass nur in ganz speziell gelagerten Fällen, das eigene Wohl auf Kosten anderer gesucht wird, und der Respekt für das Leben und den Besitz anderer aufgegeben wird. In einem Zeitraum von November 2000 bis November 2003 wurden in Israel etwa 40 von 103 Anschlägen durch Handlungen von Beistehenden beeinflusst.

Bei den 16 Anschlägen, die an Checkpoints stattfanden, wurden beispielsweise 9 durch Anwesende ausgelöst, die intervenierten. Solche Interventionen und Gegenmaßnahmen resultieren entweder aus Informationen oder nur Verdächtigungen. Durch Interventionen verliert der Attentäter die Kontrolle über Zeit und Ort des Anschlages und kann so bei der Opfermaximierung gehindert werden. Bei Fällen mit Intervention liegt die durchschnittliche Zahl von Opfern mit 16,9 deutlich unter der von 45,1, wenn keine Intervention stattfindet. Aus Israel wurden zahlreiche Fälle gemeldet, in denen Sicherheitspersonal oder Beistehende den Tod vieler Opfer verhinderten, indem sie den Attentäter stoppten, dabei kamen sie oft selbst ums Leben.

Andere Maßnahmen stützen sich auf technologische Entwicklungen wie etwa Roboter. Die Maßnahmen sind nicht ohne Erfolg. In Israel scheitern heute die allermeisten Attentate bereits im Vorfeld. Im ersten Halbjahr 2004 etwa konnten mehr als 100 versuchte Anschläge verhindert werden, nur 6 Versuche waren erfolgreich. Zwischen Oktober 2000 und August 2004 waren von 541 Angriffen nur 135 erfolgreich. Andere Maßnahmen, deren Erfolg oder Misserfolg nicht in dieser Statistik berücksichtigt ist, sind gezielte Tötungen, Armeeoperationen, und die Arbeit der Geheimdienste. Wichtig für deren Erfolg ist eine Kontrolle der Gebiete, sprachliche Fähigkeiten, effektive Zusammenarbeit und eine gute Interaktion zwischen den Schaltzentralen und dem Feld. Ein anderes Feld für Maßnahmen ist die Abschreckung der Gesellschaft im Allgemeinen und der Gruppen im Besonderen. Um den negativen Druck auf den potentiellen Attentäter und seine Familie zu erhöhen, wurden bis vor kurzem in Israel die Häuser von Angehörigen von Selbstmordattentätern zerstört. Die drohende Hauszerstörung brachte auch wirklich immer mehr Familien dazu, ihre eigenen Familienmitglieder vor einem Attentat anzuzeigen.

Ursachen und Erklärungsversuche

Allgemein geht man davon aus, dass ein Selbstmordattentäter irrational handelt, dass ihn bestimmte religiöse, politische oder soziale Faktoren außerhalb gängiger Rationalität stellen, wo der gesunde Menschenverstand des Selbsterhaltungstriebes seine Wirkungskraft verloren hat. Neben der heute widerlegten Vorstellung, die ausweglose Lage der Täter sei die Ursache für diesen finalen Schritt, gilt vor allem fanatisierte Religiosität als Ursache für Selbstmordattentate.

Religiöser Fanatismus

Besonders der Islam wurde in dieser Hinsicht als Verursacher genannt, denn in der Tat werden derzeit die weitaus meisten Selbstmordattentate von Muslimen begangen. Das amerikanische Verteidigungsministerium stellte in einer Studie über Selbstmordattentäter fest:

„Seine Handlungen eröffnen ihm ein Szenario, in dem er selbst, seine Familie, sein Glaube und sein Gott nur gewinnen können. Der Bomber sichert sich die Errettung und die Freuden des Paradieses. Er verteidigt seinen Glauben und kann sich, erinnert als tapferer Krieger, in eine lange Reihe von Märtyrern einreihen. Und endlich, durch die Art seines Todes, wird ihm garantiert, dass er Allahs Wohlgefallen besitzt. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird das selbstlose Opfer des einzelnen Muslims, das er zur Zerstörung der Feinde des Islam bringt, eine geeignete, realisierbare und willkommene Handlungsoption.“

Der Bericht der Counterintelligence Field Activity (CIFA) zitiert eine Reihe von Quellen aus dem Koran, die sich auf den Dschihad (Heiliger Krieg), Märtyrertum, oder das Paradies beziehen, in dem für den Märtyrer wunderschöne Herrenhäuser und Jungfrauen zu erwarten sind. Man weiß, dass vor Anschlägen von den Terroristen üblicherweise solche Passagen aus dem Koran rezitiert werden. Gegen diese Theorie wird eingewandt, dass es auch in nicht-muslimischen Gesellschaften Suizidattentäter gibt, wie etwa die Tamil Tigers in Sri Lanka, die Kurdische Arbeiterpartei in der Türkei oder eben die japanischen Kamikaze-Angriffe im 2. Weltkrieg.

Das Selbstmordattentat als Reaktion auf Besetzung

Abweichend von dieser Theorie gibt es Forscher, die die herausragende Rolle der Religion auf muslimische Selbstmordattentäter zu relativieren suchen. Robert A. Pape von der University of Chicago geht davon aus, dass sich hinter der religiösen Rhetorik recht profane Zwecke verbergen. Er sieht Selbstmordattentate weniger als Produkt des islamischen Fundamentalismus, sondern vielmehr als eine Reaktion auf fremde Besatzung. „Obwohl sie von Amerikanern als Ungläubigen spricht, ist al-Qaida weniger mit unserer Konversion befasst, als damit uns aus arabischen und muslimischen Ländern zu entfernen.“

An dieser Theorie wird wiederum kritisiert, dass sie zum einen nicht begründen kann, warum im Irak nicht vornehmlich amerikanische Soldaten, sondern Zivilisten verschiedener islamischer Konfessionen zum Opfer von Terroranschlägen werden, zum anderen, dass es viele Besatzungssituationen gibt, in welchen Selbstmordattentate nicht als Taktik angewandt werden. So gebe es beispielsweise keine Selbstmordterrorismus tibetischer Buddhisten. Auch die japanischen Kamikaze entstanden nicht als Reaktion auf Besatzung. In seiner Studie definierte Pape den Begriff der Besetzung zudem sehr weit: „Auch die Präsenz amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien in den 1990er Jahren fiel in seiner Darstellung in diese Kategorie.“

Selbstmordattentate als effektive Kampfmethode

Andere Theorien sehen schlicht den strategische Nutzen, nach der Selbstmordattentate eine effektive Kampfmethode sind, als Grund für seine Existenz an: Selbstmordattentate sind beweglich, vielseitig, zielgenau und extrem tödlich. Sie überraschen den Gegner, können seine Verteidigungsmaßnahmen umgehen und können zu relativ geringen Materialkosten einen immensen psychologischen Schaden anrichten. Die Religion als Legitimationsbasis für Selbstmordattentate sei oft nur ein ideologischer Deckmantel für rationale Entscheidungen.

Individuelle Täterpsychologie und gruppendynamische Prozesse

Einige Ansätze zielen auf die individuelle Täterpsychologie, auf Familiendynamiken, für die eine häufige Opfer-Täter-Dynamik spricht, auf Gruppendruck und organisationelle Dynamiken oder eine Kombination aller oben genannten Faktoren. Die individuelle Motivation ein Selbstmordattentat auszuführen hängt, nach dieser Theorie, von organisationellen Praktiken der Rekrutierung und von ideologischen Anreizen ab. Die Fähigkeit der Organisationen wiederum, Selbstmordattentate auszuführen, hängt von den strukturellen Möglichkeiten ab, zu denen nicht nur ein schwacher Staat, sondern eine größere gesellschaftliche Akzeptanz für suizidalen Terror gehöre. Zu dieser Akzeptanz komme es, wenn kulturelle Normen und historische Narratologien Märtyrertum begünstigen, wenn legitime Autoritäten extreme Gewalt fördern und wenn sich Gemeinschaften in einem politischen Konflikt bedroht fühlen.

In einer Vergleichsstudie zur Einstellung der libanesischen und der palästinensischen Gesellschaft zu Selbstmordattentaten stellte Simon Haddad von der Notre-Dame-Universität fest, dass in beiden Gesellschaften Frauen Selbstmordattentate eher unterstützen als Männer. Im Libanon stellte er eine Beziehung zum geringen Einkommen der befragten Bevölkerung fest, bei den Palästinensern gibt es einen statistischen Zusammenhang mit dem Wohnort in den so genannten Flüchtlingslagern. Wichtigster einzelner prognostischer Indikator für die positive Einstellung zu Selbstmordattentaten ist allerdings die Zustimmung zum politischen Islam (Islamismus). Dies gilt für die Palästinenser noch mehr als für Libanesen. Eine Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research (PCPSR) von 2001 stellte fest, dass die Unterstützung von Terroraktionen gegen israelische Zivilisten unter Berufstätigen mit qualifizierter Ausbildung höher war als unter geringqualifizierten Arbeitern (43,3 % im Vergleich zu 34,6 %); des Weiteren war sie weiter verbreitet unter den Palästinensern mit höherer Schulbildung als unter Analphabeten (39,4 bzw. 32,3 %).[5]

Dawud Gholamasad Forschungen zum Thema der Motivation aus der Prozesssoziologie haben einen ganzheitlichen Ansatz als Bezugsrahmen. Er führt Selbstmordattentate auf den Kampf um einen (kollektiven) Selbstwert zurück, der sich nicht aus einer individualistischen Perspektive erklären lässt und auch nicht auf religiöse Motive reduziert werden kann.

Literatur- und kulturwissenschaftliche Aspekte

Arata Takeda geht gegen das kulturalistische Othering des Phänomens des Selbstmordattentats vor und untersucht eine Reihe von Beispielen aus der abendländischen Literatur, die vergleichbare Phänomene beinhalten, verhandeln, bejahen oder auch verurteilen (Sophokles: Aias, John Milton: Samson Agonistes, Schiller: Die Räuber, Albert Camus: Les Justes). Er setzt damit den orientalisierenden oder gar islamisierenden Tendenzen der öffentlichen Wahrnehmung die These entgegen, dass das Selbstmordattentat ein potentiell universelles Verhaltensmuster sei, das – unabhängig von Kultur oder Religion – unter bestimmten situativen Variablen und systemischen Determinanten auftrete. Dazu zählt Takeda „das als Unrecht empfundete Leid, die totale Asymmetrie der Machtverhältnisse, das krankhaft gesteigerte Verlangen nach Gerechtigkeit, die Identifikation und Solidarität mit allen Unrecht Erleidenden und […] die selbstmörderische Aggression gegen typisierte Feindbilder“.[6]

Medizinische Aspekte

Besonders Selbstmordattentate durch Selbstsprengungen werfen verschiedene neuartige medizinische Probleme auf, da die Verletzungsmuster besonders der mitverletzten Personen sich sehr spezifisch darstellen und die Erstversorgung der Verletzten besonders schwierig ist. Die Verletzungen umstehender Personen sind neben der direkten Einwirkung der Explosion (Verbrennungen, Schnittwunden, Quetschungen, Knochenfrakturen) zusätzlich durch das Eindringen von verschiedenen Geweben (besonders Knochensplitter) des Attentäters charakterisiert. Nicht vollständig entfernte fremde Gewebsteile können zu Abkapslungen, Abstoßungsreaktionen und Entzündungen führen, weshalb sie unmittelbar nach dem Eindringen, aber bei schwieriger Identifizierung als Fremdgewebe auch noch nach mehreren Monaten entfernt werden müssen.[7] Umherfliegende Gewebeteile, Blut und vor allem eindringende Knochensplitter können neben den Verletzungen auch zu zusätzlichen Infektionen mit parenteral übertragbaren Viren wie HIV, Hepatitis-B-Virus (HBV) oder Hepatitis-C-Virus (HCV) führen. Da angeborene, chronische HBV-Infektionen im Nahen Osten häufig sind, sind die durch Selbstmordattentäter auftretenden Infektionen dort bedeutend.[8]

Da die überwiegende Absicht eines Selbstmordattentates die Tötung und Verletzung möglichst vieler Personen darstellt, ist aufgrund der oft hohen Zahl an Verletzten das Erstversorgungsmanagment als Massenanfall von Verletzten und die Triage der verletzten Überlebenden sehr schwierig. Die oft gleichförmigen, jedoch mehrfachen Verletzungen[9] verursachen oft Kapazitätsprobleme in den medizinischen Versorgungseinrichtungen[10], zumal wenn diese in medizinisch unterversorgten Gebieten vorkommen. Die Identifizierung von Opfern ist bei schweren Verstümmelungen und Verbrennungen nicht einfach. Die Identifizierung und Zuordnung von Leichenteilen basiert meist auf genetischen Untersuchungen, wobei auch genetische Spuren des Täters zur Auffindung von Verwandten und damit zur kriminalistischen Aufklärung genutzt werden.[11]

Siehe auch

Literatur

  • Elhakam Sukhni: Die ,Märtyreroperation' im Dschihad: Ursprung und innerislamischer Diskurs. Akademische Verlagsgemeinschaft München, 2011. ISBN 3-869-24107-1
  • Hans Magnus Enzensberger: Schreckens Männer. Versuch über den radikalen Verlierer. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2006.
  • Thorsten Gerald Schneiders: Heute sprenge ich mich in die Luft. Suizidanschläge im israelisch-palästinensischen Konflikts. Ein wissenschaftlicher Beitrag zur Frage des Warum. Lit, 2006. ISBN 3-8258-8763-4.
  • Dirk Lange: Die politisch motivierte Tötung. Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-631-56656-5.
  • Lorenz Graitl: Massen, Mörder, Märtyrer. Zur Sozialpsychologie von Selbstmordattentaten. In: IZ3W Nr. 293, S. 10-13, 2006 [1]
  • Dawud Gholamasad: Selbstbild und Weltsicht islamistischer Selbstmord-Attentäter. Tödliche Implikationen eines theozentrischen Menschenbildes unter selbstwertbedrohenden Bedingungen. Klaus-Schwarz, 2006. ISBN 3-87997-331-8
  • Christoph Reuter: Mein Leben ist eine Waffe: Selbstmordattentäter, Psychogramm eines Phänomens. Bertelsmann, 2002, ISBN 3-570-00646-8.
  • Christoph Reuter: Selbstmordattentäter: warum Menschen zu lebenden Bomben werden. Goldmann, 2003, ISBN 3-442-15240-2.
  • Joseph Croitoru: Der Märtyrer als Waffe: die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats. Hanser, 2003, ISBN 3-446-20371-0, auch bei dtv, 2006, ISBN 3-423-34326-5 (Auszüge unter: [2].
  • Joseph Croitoru: Selbstmordattentate ursprünglich nicht islamistisch. [3].
  • Gerhard Scheit: Suicide Attack: Zur Kritik der politischen Gewalt. Ca ira, Freiburg 2004.
  • Wolfgang Schmidbauer: Der Mensch als Bombe. Eine Psychologie des neuen Terrorismus. Rowohlt, Hamburg 2003:.
  • Arata Takeda: Ästhetik der Selbstzerstörung. Selbstmordattentäter in der abendländischen Literatur. München: Wilhelm Fink, 2010. ISBN 978-3-7705-5062-3
  • Arata Takeda: Skizze einer ‚anderen‘ Kulturgeschichte des Selbstmordattentats. Ein ungewöhnlicher Spaziergang durch die abendländische Literatur International Max Planck Research School on Retaliation, Mediation and Punishment, Guest Lecture Series, 2010.
  • Klaus Walter: "Wäre sein Leib eine Kanone, er hätte sein Herz auf ihn geschossen." - Eine psychoanalytische Betrachtung des arabischen Selbstmordattentäters. GRIN, 2007, ISBN 3638700364 (Wissenschaftlicher Aufsatz 2003 Fachbereich Psychologie - Persönlichkeitspsychologie).
  • Jozef Niewiadomski: Märtyrer, Selbtsopfer, Selbstmordattentäter.In: Opfer-Helden-Märtyrer. Das Martyrium als religionspolitische Herausforderung. Tyrolia, Innsbruck 2011, S. 275-291, ISBN 978-3-7022-3105-7

Weblinks

 Commons: Selbstmordattentat – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. W. Laqueur: The new terrorism: Fanaticism and the arms of mass destruction. New York, 1999. Sowie: W. Enders, T. Sandler: Is transnational terrorism becoming more threatening? Atime series investigation. Journal of Conflict Resolution 44, 2000, S. 307-332. Und: B. Hoffman: Inside terrorism, New York 1998.
  2. Thorsten G. Schneiders,: Heute sprenge ich mich in die Luft. Suizidanschläge im israelisch-palästinensischen Konflikt. Ein wissenschaftlicher Beitrag zur Frage des Warum. Münster 2007, S. 54 ff.
  3. R. Strentz: A terrorist psychosocial profile. Past and present. FBILaw Enforcement Bulletin 57, 1988, S. 13-19.
  4. Siehe G. Thorsten Schneiders: Heute sprenge ich mich in die Luft. Suizidanschläge im israelisch-palästinensischen Konflikt. Ein wissenschaftlicher Beitrag zur Frage des Warum. Münster 2007, S. 54 ff.
  5. a b A. B. Krueger, J. Maleckova: Education, poverty, political violence, and terrorism: Is there a connection? Working Paper No. w9074, National Bureau of Economic Research, 2002. In: Onlinefassung.
  6. A. Takeda: Ästhetik der Selbstzerstörung. Selbstmordattentäter in der abendländischen Literatur. München 2010, S. 44.
  7. D. M. Weigl et al.: Small-fragment wounds from explosive devices: need for and timing of fragment removal. J. Pediatr. Orthop., 2005 25(2), S. 158-161 PMID 15718893
  8. I. Braverman et al.: A novel mode of infection with hepatitis B: penetrating bone fragments due to the explosion of a suicide bomber. Isr. Med. Assoc. J., 2002 4(7), S. 528-529 PMID 12120465
  9. H. Zafar et al.: Suicidal bus bombing of French Nationals in Pakistan: physical injuries and management of survivors. Eur. J. Emerg. Med., 2005 12(4), S. 163-167 PMID 16034261
  10. Z. U. Malik et al.: Mass casualty management after a suicidal terrorist attack on a religious procession in Quetta, Pakistan. J. Coll. Physicians Surg. Pak. (2006) 16(4): S. 253-256 PMID 16624186
  11. J. Hiss, T. Kahana: Trauma and identification of victims of suicidal terrorism in Israel. Mil Med., 2000, 165(11), S. 889-893 PMID 11143441

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