Stereografische Projektion

Stereografische Projektion

Die stereografische Projektion (auch konforme azimutale Projektion) ist eine Zentralprojektion, die zur Abbildung von Kugelflächen in die Ebene benutzt wird. Das Projektionszentrum PZ befindet sich auf der Kugel, die Bildebene ist eine Tangentialebene durch den gegenüber liegenden Punkt TP.

Die stereografische Projektion ist zur Abbildung des Himmels (Sternkarten) und der Erdoberfläche (Kartennetzentwürfe) geeignet. Ihre beiden Vorzüge, dass Winkel erhalten bleiben (Winkeltreue) und Kreise wieder als solche abgebildet werden (Kreistreue), wurden schon in der Antike entdeckt (vermutlich von Hipparchos um 130 v. Chr.) und bei der Abbildung des Himmels auf dem Astrolabium ausgenutzt.

In der Kristallographie findet die stereografische Projektion praktische Anwendung zur Darstellung der Gitterebenen eines Kristalls und in der Geologie bei der Kartierung von Gesteins-Klüften.

In der theoretischen Mathematik … motiviert man den anschauungswidrigen Abschluss der komplexen Zahlenebene durch einen einzigen Punkt …[1] (Punkt unendlich) mit Hilfe ihrer stereografischen Rückprojektion auf die Riemannsche Zahlenkugel.

Stereographische Projektion der unteren Hälfte einer Kugel-Oberfläche
und eines gegenüber der Bildebene geneigten Großkreises

Inhaltsverzeichnis

Mathematische Behandlung

Abbildung der Kugel

Stereografische Projektion einer Kugel (obere Hälfte) mit Breiten- und Längenkreisen von einem Pol aus
Nachweis der Kreistreue:
Die Strahlen aus dem Projektionszentrum PZ an den Urkreis K (Durchmesserpunkte 1 und 2) bilden einen schiefen Kreiskegel, dessen zu K paralleler Schnitt K' kreisförmig ist. Die Projektionsebene K‘’ schneidet die Kegelachse gleich schräg wie der Schnitt K', weshalb die in ihr liegende Schnittfigur ebenfalls ein Kreis (Punkte 1‘’ und 2‘’) ist.

Die mathematischen Grundlagen der stereografischen Abbildung werden deutlich, wenn die abzubildenden Punkte der Kugel durch ein Koordinatensystem mit den Größen λ für die Länge und φ für die Breite beschrieben werden können. Ein beliebiger Punkt A: = (λ,φ) der Kugeloberfläche wird durch das Projektionszentrum S auf der tangentialen Projektionsfläche als A': = (α,m) abgebildet.

Die zweidimensionalen Kartenkoordinaten α und m des Punktes A in der Projektionsfläche werden dann über folgende Abbildungsgleichungen gewonnen:

Für das Azimut (Richtung vom willkürlich festgelegten Bezugsmeridian α=0 der Kartenebene zum jeweiligen Kartenpunkt) gilt

\mathbf{\alpha = \lambda }

und für den Abstand m des Kartenpunktes

 m = 2 \cdot r \cdot \tan \frac{\delta}{2}, wobei gilt: \delta = \frac{\pi}{2} - \varphi

Werden nun der Berührungspunkt der Abbildungsebene und das Projektionszentrum als Pole verstanden, so stellen die Kurven

δ = const und m = const die Breitenkreise und

α = λ = const die polschneidenden Meridiane eins geografischen Koordinatensystems dar.

Die Längenverzerrung in Richtung eines Meridianes beträgt auf der Projektion der Einheitskugel

 h = \frac{1}{\cos ^{2} \delta /2} ,

Die zugehörige Längenverzerrung in Richtung des Breitenkreises ist k = h wegen der Winkeltreue der Abbildung. Die Längenverzerrung nimmt mit wachsendem Winkel δ deutlich zu:

δ = 0° : h = k = 1,000

δ = 30°: h = k = 1,072

δ = 60°: h = k = 1,333

δ = 90°: h = k = 2,000

Deshalb bleiben die stereografischen Abbildungen in der Praxis auf δ ≤ 90° beschränkt.

Weitere Besonderheiten der Stereografischen Projektion sind:

Das Bild des Projektionszentrums liegt im Unendlichen. Alle Kreise auf der Kugeloberfläche werden als Kreise abgebildet (Kreistreue). Somit werden auch die für die Navigation wichtigen Orthodrome (Abschnitte der Großkreise) nicht als Gerade, sondern als Kreise abgebildet. Die Meridiane durch das Projektionszentrum werden als Kreise mit unendlich großem Radius und somit als Gerade abgebildet.

Verallgemeinerung für höherdimensionale Räume

Die oben beschriebene Projektion ist der Spezialfall der allgemeinen stereografischen Projektion: Im dreidimensionalen Raum \mathbb{R}^{3} wird die zweidimensionale Kugeloberfläche \mathbb{S}^{2} (2-Sphäre) auf die Kartenebene und somit in den zweidimensionalen Raum \mathbb{R}^{2} abgebildet.

Im (n + 1)-dimensionalen Raum \mathbb{R}^{n+1} kann man die auf der n-Sphäre \mathbb{S}^{n} gelegenen Punkte mit den Koordinaten  \left(x_i\right) mittels der Abbildung

 \begin{align}
\sigma : \mathbb{R}^{n+1} \supset \mathbb{S}^{n} \backslash \{ \left(0, \ldots, 0 , 1\right) \}&\to \mathbb{R}^n\\
\left(x_1, x_2, \ldots, x_{n+1}\right) &\mapsto \left(\frac{x_1}{1-x_{n+1}}, \frac{x_2}{1-x_{n+1}}, \ldots, \frac{x_n}{1-x_{n+1}}\right)
\end{align}

in den \mathbb{R}^{n} abbilden.

Die Karte aus diesem Beispiel ist für den Punkt (0, \ldots , 0, 1) \in \R^{n+1}, genannt der Nordpol, natürlich nicht definiert. Betrachtet man die Karte mit xn + 1 + 1 statt 1 − xn + 1 im Nenner, dann wird die Sphäre bis auf den Südpol abgebildet. Man hat also einen möglichen Atlas gefunden. Dies zeigt damit auch, dass die n-Sphäre eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit ist.

Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene

Die stereographische Projektion kann unter anderem zur Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene \C herangezogen werden. Man erweitert \C \cong \R^2 um einen zusätzlichen Punkt, welcher hier mit \infty bezeichnet wird. Die Abbildung σ wird mittels der Abbildung

 \begin{align}
\hat{\sigma} : \mathbb{S}^2 &\to \hat{\C} = \C \cup \{ \infty \}\\
(x_1,x_2) &\mapsto
\begin{cases}
\sigma(x_1,x_2), & \mathrm{f{\ddot u}r}\ (x_1,x_2) \neq (0,1)\\
\infty, & \mathrm{f{\ddot u}r}\ (x_1,x_2) = (0,1)
\end{cases}
\end{align}

fortgesetzt. Man nennt nun U \subset \hat{\C} = \C \cup \{ \infty \} offen genau dann, wenn σ − 1(U) offen in \mathbb{S}^2 ist. Die Abbildung \hat{\sigma} wird somit zu einem Homöomorphismus und die Menge \hat{\C} heißt Ein-Punkt-Kompaktifizierung von \C.

Stereographische Projektion des nördlichen Sternen-Himmels auf einem Astrolabium
drehbare Sternkarte (hier in der heute meistens verwendeten, im Ergebnis ähnlichen mittabstandstreuen Azimutalprojektion)
die Bezeichnung Planisphere wurde vom Astrolabium übernommen
liegt die Abbildungsebene auf dem Erdpol, so werden die Meridiane als Gerade und die Breitenkreise als konzentrische Kreise um den Pol abgebildet;
der hervorgehobene Kreisinhalt ist die Hälfte der Erdoberfläche, er endet am Äquator
liegt die Abbildungsebene auf dem Äquator, so werden die Meridiane und die Breitenkreise als Kreise abgebildet;
der hervorgehobene Kreisinhalt ist die Hälfte der Erdoberfläche

Anwendungsbeispiele

Sternkarten

Da die Abbildung winkeltreu ist und Kreise wieder als solche abbildet, kann die stereografische Projektion für Sternkarten verwendet werden. Eine historische Anwendung ist die Abbildung des Sternen-Himmels auf einem Astrolabium. Das abgebildete Astrolabium enthält den nördlichen Himmel. Die Sterne (inklusive Tierkreis, Rete) sind um das Bild des nördlichen Himmelspols (Polarstern) drehbar. Der momentane Ort der Sterne ist auf der fixen Unterlage (Tympanon) ablesbar. Auf ihr ist die Safiha eingraviert, die aus den zum Zenit konzentrischen Höhenkreisen (Almukantarate), dem Horizont und den dazu rechtwinkligen Azimut-Keisen besteht.

Kartenprojektion

Bei der polaren stereografischen Projektion (der Berührpunkt der Abbildungsebene liegt im Nord- oder Südpol) werden die Meridiane des Geografischen Koordinatensystems der Erde als Geraden durch den Erdpol abgebildet(siehe Bild unten links). Die Navigationselemente Geografische Länge und Geografische Breite werden daher durch diese Projektionsart für Navigationszwecke an den Polen anschaulich wiedergegeben. Die Abbildung der Erdpole im Rahmen der Internationalen Weltkarte erfolgt ebenfalls über die Stereografische Projektion.

Wird der Berührungspunkt der Abbildungsebene in einen beliebigen Punkt der Erde,zum Beispiel in eine Hafenstadt gelegt, so werden die Längen- und Breitenkreise als beliebige Kreisbögen abgebildet. Allerdings kann die Richtung zu einem beliebigen Zielhafen als Gerade eingetragen werden. Diese auf der winkeltreue basierende Eigenschaft zusammen mit der leichten zeichnerischen Herstellbarkeit des Kartennetzentwurfes wurden bereits im Altertum erkannt und für Karten zur Navigation ebenso wie für Sternkarten genutzt.

In der Geophysik werden Karten über die Verteilung von Kräften oder Linienstrukturen auf der Erdkugel auf einem stereografischen Netzentwurf aufgebaut.Im Allgemeinen beschränkt man die Abbildung daher auf maximal eine Halbkugel.

Kristallographie

Anwendung findet die stereografische Projektion auch zur Darstellung der Gitterebenen eines Kristalls, zum Beispiel eines Diamants.

Siehe auch

Literatur

Quellen für die mathematischen Erläuterungen:

Allgemeine Beschreibung n-dim. Sphäre: Abschnitt 1.3.II, konformität: Abschnitt 3.1.
  • Günter Scheja, Uwe Storch: Lehrbuch der Algebra. Band 1. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Teubner, Stuttgart 1994, ISBN 3-519-12203-0.
Projektive Darstellung: Abschnitt V.H Bsp. 4
  • Günther Bollman, Günther Koch (Hrsg.): Lexikon der Kartographie und Geomatik. Band 1: A bis Karti. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg u. a. 2001, ISBN 3-8274-1055-X.

Weblinks

 Commons: Stereographic projection – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. I. N. Bronstein, K. A. Semendjajew: Taschenbuch der Mathematik. 23. Auflage. Verlag Deutsch, Thun u. a. 1987, ISBN 3-87144-492-8, S. 510 und 511.

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