- Thiazid-Diuretika
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Als Thiaziddiuretika wird eine Gruppe harntreibender Substanzen bezeichnet, die als Weiterentwicklung der Carboanhydrasehemmer vom Typ des Acetazolamid zu sehen sind. Chemisch handelt es sich zum einen um Weiterentwicklungen von Chlorothiazid, einem der ersten im Labor entwickelten Diuretika, und einer Reihe anderer Stoffe, die aber alle auf dem gleichen Wirkprinzip beruhen. Durch Hemmung eines Transportproteins in den Nierenkanälchen kommt es zu verringerter Wiederaufnahme von Ionen aus dem Primärharn und damit infolge der Veränderung des osmotischen Drucks zur vermehrten Wasserausscheidung.
Inhaltsverzeichnis
Vertreter und chemischer Aufbau
Zu den Thiaziddiuretika gehören zwei chemisch verschiedene Gruppen: zum einen all jene Substanzen die einen Benzothiadiazin-Ring enthalten und als Thiazide bezeichnet werden, und zweitens jene ohne Benzothiadiazin-Ring, die als Thiazid-Analoga bezeichnet werden. Alle benötigen für ihre Wirkung ein Chlor-Atom bzw. eine CF3-Gruppe in unmittelbarer Nähe zur Sulfonamid-Gruppe. Diese Sulfonamid-Gruppe ist zwar verantwortlich für die Hemmung von Carboanhydrase (vgl. Carboanhydrasehemmer), die Wirkung der Thiaziddiuretika beruht jedoch nicht auf diesem Effekt.
Als Leitsubstanz gilt Hydrochlorothiazid (Markenname Disalamil® oder Esidrix®), ein Benzothiadiazin-Derivat. Weitere Substanzen dieser Gruppe sind Benzthiazid, Chlorothiazid, Hydroflumethiazid, Methyclothiazid, Polythiazid und Trichlormethiazid. Bendroflumethiazid wird kaum eingesetzt. Zu den Thiazidanaloga gehören hingegen Chlorthalidon (Hygroton®), Clopamid (Briserin®), Indapamid (Natrilix®), Mefrusid, Metolazon und Xipamid.
Pharmakologie
Wirkmechanismus
In der Niere werden Stoffwechselendprodukte aus dem Blut ausgefiltert und mit dem Urin ausgeschieden. Dabei werden zuerst täglich etwa 180 bis 200 Liter Primärharn produziert, der dann im darauffolgenden System aus Tubuli, Henle-Schleife und Sammelrohren durch Resorption von Wasser konzentriert wird, bis nur noch etwa 1 bis 1,5 Liter Endharn oder Sekundärharn übrigbleiben. Weiterhin werden wichtige Stoffe wie Glucose, Aminosäuren und Elektrolyte resorbiert.
Thiaziddiuretika wirken im proximalen Teil des distalen Tubulus im Nephron. Hier werden etwa sechs bis acht Prozent der ausgeschiedenen Natriumionen wieder aufgenommen. Diese Wiederaufnahme erfolgt mithilfe eines Transportproteins, dem Natrium-Chlorid-Symporter (Cotransporter). Er befindet sich auf der luminalen (dem Urin zugewandten) Seite der Tubuluszellen und transportiert neben Natrium auch Chloridionen in die Tubuluszelle. Triebkraft ist der aktive Transport von Natrium aus der Zelle heraus ins Blut durch die Natrium-Kalium-Pumpe, da dies ein Konzentrationsgefälle (Gradient) zwischen Tubuluszelle und dem Harn innerhalb des Tubulus aufbaut. Diese verminderte Natriumkonzentration innerhalb der Zelle dient auch als Treibkraft für den 3Na/Ca-Antiportcarrier, der Natrium in die Zelle hinein und Calcium herauspumpt. Durch die geringere Calciumkonzentration in der Zelle können Calciumionen passiv aus dem Urin über spezielle Kanäle aufgenommen werden. Chlorid- und Kaliumionen werden passiv durch Ionenkanäle ins Blut abgegeben.
Thiaziddiuretika wirken nun, in dem sie reversibel diesen Natrium-Chlorid-Kotransport hemmen. Natrium und Chlorid können nicht zurückabsorbiert werden, weshalb der Harn konzentriert bleibt. Dies führt durch Osmose zu vermehrter Wasserausscheidung. Die erhöhte Natriumkonzentration im Urin führt zu vermehrter Ausscheidung von Kaliumionen im Sammelrohr. Dieser Effekt kommt durch die im Sammelrohr luminal ständigen Kalium-Ionen-Kanäle zustande, welche die sich durch die Na+/K+-ATPase-Aktivität (die Na+/K+-ATPase steht apikal, dies heisst blutwärts gerichtet) in der Zelle kumulierenden Kalium-Ionen ins Lumen leitet.
Weiterhin hemmen Thiaziddiuretika in hoher Dosierung auch das Enzym Carboanhydrase. Verantwortlich hierfür ist die Sulfonamidgruppe.Die Behandlung mit Thiaziddiuretika hat neben der erhöhten Natriumausscheidung auch eine verminderte Calciumausscheidung zur Folge. Da der Na-Cl-Symporter kein Natrium mehr in die Zelle transportiert, ist die Natriumkonzentration in der Zelle reduziert. Dies regt den 3Na/Ca-Antiportcarrier an, mehr Natrium in die Zelle und gleichzeitig mehr Calcium aus der Zelle herauszupumpen. Die niedrige Calciumkonzentration in der Zelle führt zu erhöhter Resorption von Calcium. Deshalb können sie in der Behandlung von Nierensteinen in Folge von erhöhter Calciumkonzentration im Urin (Hypercalciurie) eingesetzt werden.
Bei Patienten mit Diabetes insipidus reagieren die Nieren nicht ausreichend auf das Antidiuretische Hormon (ADH), weshalb große Mengen von stark verdünntem Urin ausgeschieden werden. Thiazide helfen, in dem sie geringfügig die glomeruläre Filtrationsrate reduzieren und konzentrierteren Urin bilden.
Anwendungsgebiete
Die wichtigsten Indikationen für Thiaziddiuretika sind Bluthochdruck und chronische Herzschwäche. Außerdem werden sie in der Therapie von chronischen renalen, kardialen und hepatogenen Ödemen eingesetzt. Aufgrund der erhöhten Resorption von Kalzium werden sie in der Behandlung von Nierensteinen, die bei erhöhter Kalziumkonzentration im Harn auftreten, eingesetzt. Eine weitere Einsatzmöglichkeit ist die Behandlung von nephrogenem (von der Niere verursachtem) Diabetes insipidus. Bei Patienten, deren Vasopressinspiegel im Blut normal ist, aber deren Nieren nicht auf das Hormon reagieren, können Thiaziddiuretika helfen die Urinbildung zu reduzieren und die Osmolarität zu erhöhen.
Eingeschränkt können sie auch zu Beginn einer Therapie der chronisch venösen Insuffizienz für kurze Zeit zur Unterstützung einer Kompressionstherapie eingesetzt werden, um bestehende Ödeme zu vermindern. Zur ausschließlichen Behandlung ohne Kompression sind sie nicht geeignet.
Gegenanzeigen
Thiaziddiuretika dürfen nicht bei eingeschränkter Nierenfunktion (glomeruläre Filtrationsrate < 30 ml/min, Serumkreatinin > 2,0 mg/dl) angewandt werden, da sich die Nierenleistung hierdurch weiter verschlechtert. Eine Ausnahme bildet hier das Thiazidanalogon Xipamid, welches, wie auch Schleifendiuretika, bei höhergradig eingeschränkter Nierenfunktion eingesetzt werden kann. Bei schwerer Leberfunktionsstörungen besteht die Gefahr der Azotämie mit Ansammlung von Ammoniak und Entwicklung einer hepatischen Enzephalopathie. Ebenso gilt Vorsicht bei bereits bestehender Hypovolämie, schwerem Kaliummangel, Natriummangel und Hyperkalzämie.
Pharmakokinetik
Thiazide können oral (in Tablettenform) verabreicht werden und werden relativ rasch im Verdauungstrakt absorbiert. Chlorothiazid ist nicht sehr lipophil und kann deshalb, als einziger Vertreter, auch parenteral (als Infusion) verabreicht werden. Da es sich um organische Säuren handelt, werden sie in der Niere nicht im Nierenkörperchen filtriert, sondern im proximalen Tubulus aktiv ausgeschieden. Außerdem wird ein Teil über Galle und Stuhl ausgeschieden.
Nebenwirkungen
Durch den erhöhten Verlust von Kalium- und Natriumionen kann es zu Hypokaliämie (Kaliummangel) und Hyponatriämie (Natriummangel) kommen. Ebenfalls werden Chlorid- und Magnesiumionen in erhöhter Anzahl ausgeschieden. Ersteres kann zu hypochlorämischer Alkalose führen. Deshalb ist eine regelmäßige Überprüfung der Elektrolytkonzentration im Serum notwendig.
Durch eine Hemmung der Calcium-Ausscheidung kann es zu einer Hyperkalzämie kommen, insbesondere bei älteren Frauen oder wenn ein latenter primärer Hyperparathyreoidismus besteht.[1]
Verminderte Glukosetoleranz kann auftreten. Weiterhin beeinflussen Thiaziddiuretika den Fettstoffwechsel. Nach mehrwöchiger Anwendung können dosisabhängig Triglyzeride und LDL-Cholesterin erhöht sein, die aber nach Absetzen der Medikamente zum Normallevel zurückkehren.
Thiaziddiuretika werden im proximalen Tubulus vom Anionentransporter ausgeschieden. Dieser ist sonst unter anderem für die Ausscheidung von Harnsäure verantwortlich, wodurch es zur Ansammlung von Harnsäure im Blut kommen kann. Die Folge sind Hyperurikämie und in schweren Fällen Gicht. In seltenen Fällen können Pankreatitis auftreten.
Da Thiaziddiuretika eine Sulfonamidgruppe enthalten kann es bei Patienten mit Überempfindlichkeit gegen Sulfonamide zu allergischen Reaktionen kommen, die sich durch Hautausschlag, Eosinophilie und in seltenen Fällen interstitieller Nephritis[2] auszeichnen.
Wechselwirkungen
Da sie im proximalen Tubulus vom Anionentransporter ausgeschieden werden, beeinflussen sie die Wirkung einer ganzen Reihe anderer Medikamente, die ebenfalls auf diesem Weg ausgeschieden werden. Dazu gehören nichtsteroidale Antirheumatika (z. B. Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen), Lithium, Digoxin, Dofetilid oder Fluconazol.
Geschichte
Chlorothiazid wurde 1955 von Forschern bei MSD Sharp & Dohme synthetisiert, die dafür 1975 mit dem Special Public Health Award der Lasker Foundation ausgezeichnet wurden.[3] 1957 erfolgte die Markteinführung, und obwohl es ursprünglich für die Behandlung von Ödemen vorgesehen war, wurde relativ schnell auch die Wirksamkeit gegen Bluthochdruck entdeckt.
Quellen
Literatur
- Bertram G. Katzung: Basic and Clinical Pharmacology. Kapitel 15 Diuretic agents. Mcgraw-Hill Professional. 9th Edition, 2004, ISBN 978-0071410922
- Donald W. Seldin (Hrsgb.), Gerhard Giebisch (Hrsgb.): Diuretic Agents: Clinical Physiology and Pharmacology. Kapitel 3 A history of diuretics, S. 3 ff. und Kapitel Academic Press. 1st edition, 1997, ISBN 978-0126356908
- Craig, Stitzel: Modern Pharmacology with Clinical Applications. Kapitel 21 Diuretic Drugs, S. 249 ff. Lippincott Raven, 6th Edition, 2003, ISBN 978-0781737623
Einzelnachweise
- ↑ Wermers RA et al.: „Incidence and clinical spectrum of thiazide-associated hypercalcemia.“ Am J Med 2007; 120(10): S. 911.e9-15 Abstract
- ↑ Magil AB, Ballon HS, Cameron EC, Rae A: Acute interstitial nephritis associated with thiazide diuretics. Clinical and pathologic observations in three cases. in Am J Med. 1980 Dec;69(6):939-43. PMID 7446559
- ↑ The Lasker Foundation - Awards Aufgerufen am 2. Juni 2008
Weblinks
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