Thulegesellschaft

Thulegesellschaft
Emblem der Thule-Gesellschaft

Die Thule-Gesellschaft war eine okkulte, antisemitische und völkisch orientierte Geheimgesellschaft, die kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs im August 1918 in München gegründet wurde und in ihrer besten Zeit rund 200 Mitglieder hatte. Sie wurde nach der in der griechischen Mythologie erwähnten Insel Thule benannt. Insbesondere im Jahre 1919 gab es zahlreiche Querverbindungen zur späteren Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). 1925 wurde die Thule-Gesellschaft aufgrund zahlreicher Mitglieder-Austritte und mangelnder Unterstützung aufgelöst.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte der Thule-Gesellschaft

Entstehungsprozess

Die alldeutsch und antisemitisch orientierte Thule-Gesellschaft wurde am 17./18. August 1918 mit der Bezeichnung „Thule Gesellschaft, Orden für deutsche Art“ von dem türkischen Staatsbürger Rudolf von Sebottendorf in München gegründet.[1] Hervorgegangen ist die Thule-Gesellschaft aus dem 1912 entstandenen Germanenorden.[1]

Versammlungsort der Thule-Gesellschaft war das Münchener Hotel „Vier Jahreszeiten“, dessen Inhaber, die Familie von Alfred Walterspiel, mit zum wichtigsten Gönner wurde.[1] Das Hotel galt schon während des Ersten Weltkriegs als bedeutendes Zentrum der nationalistischen Agitation des Alldeutschen Verbands.

Ideologie und Symbolik

Die rassistische Ideologie der Thule-Gesellschaft war stark von Guido von Lists (Mitglied im Germanenorden) Ariosophie inspiriert. Als Emblem der Thule-Gesellschaft wurde ein Hakenkreuz mit Strahlenkranz hinter einem blanken Schwert gewählt. Die Gestaltung der Swastika als Symbol der DAP beziehungsweise NSDAP geht auf Friedrich Krohn, Mitglied des Germanenordens und der Thule-Gesellschaft, zurück.[2]

Ausdruck fand die Ideologie der Thule-Gesellschaft in den beiden Periodika Runen, die den Beititel Zeitschrift für germanische Geistesoffenbarung und Wissenschaften trug, und im Münchener Beobachter und Sportblatt, das später von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) übernommen und in Völkischer Beobachter umbenannt wurde.[1]

Mitglieder und Gäste

Zu den Mitgliedern und Gästen gehörten Anwälte, Richter, Universitätsprofessoren, Polizeibeamte, Aristokraten, Ärzte, Naturwissenschaftler sowie reiche Geschäftsleute. Historiker beschreiben die Thule-Gesellschaft als eine konspirative Geheimverbindung mit rassistischer, speziell antisemitischer Gesinnung. Durch die Anwerbung von möglichst einflussreichen Mitgliedern sollte politische Macht gewonnen und rassistische und antisemitische Propaganda betrieben werden. Auf ihrem Höhepunkt hatte die Gesellschaft vermutlich einige hundert, zum Großteil gut betuchte Mitglieder.

Als gesichertes Mitglied der Thule-Gesellschaft gilt der Sportjournalist Karl Harrer, der zahlreiche Verbindungen zur Münchener Gesellschaft unterhielt.[3] Bei einigen Personen, die als Gäste dort gewesen sind, konnte die Mitgliedschaft nicht nachgewiesen werden; in der Literatur ist zum Teil recht diffus von „Mitgliedern“, „Anhängern“, „Teilnehmern“ und „Gästen“ die Rede. Nach Kershaw allerdings liest sich die „Liste der Mitglieder“ der Thule-Gesellschaft „wie ein ‚Who is who‘ führender Köpfe und früher Anhänger des Nationalsozialismus in München“.[4]

Keimzelle der NSDAP

Der in der Nachkriegszeit immer wieder hervorgehobene Kontakt zwischen der Thule-Gesellschaft und Adolf Hitler bestand über die Deutsche Arbeiterpartei (DAP), der späteren NSDAP. Über die DAP versuchte die Thule-Gesellschaft auch die Arbeiterschaft für ihre politisch-okkulten Ideen zu gewinnen. In der Forschung gibt es keinen Beleg dafür, dass Hitler ein unmittelbares Interesse an der Thule-Gesellschaft gehabt haben könnte. Diesbezüglich gab es lediglich kurzzeitig Querverbindungen über die DAP.

Aufgrund der Entstehungsgeschichte der DAP und des Umstandes, dass einige ehemals führende Mitglieder bzw. Gäste der Thule-Gesellschaft auch in der NSDAP wieder auftauchen, kann gesagt werden, dass auch Teile der Ideen der Thule-Gesellschaft mit zum Bestandteil der NSDAP werden konnten. Zu diesen Personen wurden neben dem späteren NS-Chefideologen Alfred Rosenberg unter anderem Julius Streicher (später Herausgeber des Blattes Der Stürmer und fränkischer Gauleiter), Hans Frank (späterer Generalgouverneur von Polen) und Rudolf Heß (späterer Stellvertreter Hitlers) gezählt. DAP-Mitgründer Anton Drexler war es auch, der Hitler zur Verwendung des Hakenkreuzes als Zeichen der NSDAP anregte.

Am 30. Mai 1919 hielt Dietrich Eckart einen Gast-Vortrag vor der Münchener Thule-Gesellschaft. Teilgenommen hatten an der Veranstaltung auch Alfred Rosenberg, Gottfried Feder und Rudolf Heß.[5] Umstritten ist, ob Eckart und Rosenberg bereits zuvor, in der Folge dieser Versammlung oder überhaupt Mitglieder dieser Gesellschaft waren.[6] 1946 schrieb Rosenberg in seinem NS-Erinnerungsbuch, dass die Thule-Gesellschaft nicht politisch tätig gewesen sei, aber sie hätte ein besonderes Interesse für germanische Frühgeschichte und völkischen Okkultismus gehabt.[7] Er schrieb zudem, dass er in jener Zeit den Münchener NS-Verleger Julius Friedrich Lehmann kennenlernte, der Thule-Mitglied gewesen sein soll.[7]

Auflösungsprozess

In den ersten Jahren hatte die Thule-Gesellschaft noch 200 Mitglieder, wobei insbesondere Sebottendorf stark ins Okkultistische abglitt, so dass am Ende weniger als 20 Mitglieder übrig blieben, die sich zu Gedenksitzungen versammelten.[1] Im Jahre 1925 wurde die Thule-Gesellschaft aufgrund mangelnder Unterstützung aufgelöst.[6]

Wirkungsgeschichte

Mythen und Legenden

Rund um die Thule-Gesellschaft rankten sich in der Nachkriegszeit viele, teils abenteuerliche Mythen, Legenden und Spekulationen, wie beispielsweise der Mythos der Reichsflugscheiben. Viele dieser Theorien entstammen dem Umkreis von Verschwörungstheoretikern wie Jan Udo Holey. So wurde wiederholt behauptet, dass die Thule-Gesellschaft intern eine stark okkulte oder gar satanische Ausrichtung besessen hätte. Jenseits einer gewissen Runen-Mystik konnte das aber nicht nachgewiesen oder belegt werden. Es gab auch unbelegte Behauptungen, wonach es noch einen inneren Orden, den Thule-Orden, gegeben habe. Auch für die Behauptung, dass Hitler selbst zu irgendeinem Zeitpunkt Mitglied der Thule-Gesellschaft gewesen sei, fehlen Belege.

Dietrich Bronder, dessen Berichte wissenschaftlich umstritten sind, stellte in seinem Buch „Bevor Hitler kam“ hingegen die Behauptung auf, der ehemalige Danziger Senatspräsident Hermann Rauschning bringe in seinem Buch Gespräche mit Hitler[8] Stellen, aus denen klar hervorgehe, dass Hitler „sich die okkulte Weltanschauung des Ordens zu eigen gemacht hatte und sich seiner Mission als „Zerstörer des Alten“ durchaus bewußt war.“ Die Rauschning-Zitate werden ihrerseits in ihrer Echtheit angezweifelt.[9]

Neofaschismus

Mit dem Bezug auf die Thule-Gesellschaft verbanden sich im Neofaschismus, zum Teil auch im politischen Rechtsextremismus, völkisch-okkulte Denkweisen und zahlreiche antisemitische Verschwörungstheorien.[10]

Der bekannteste Vertreter derartiger Thesen im deutschen Sprachraum ist Jan Udo Holey alias Jan van Helsing in seinen Büchern über „Geheimgesellschaften“.

Vergleichbare Ansichten verbreiteten Wilhelm Landig[11] und Miguel Serranos [12] mit einem Mythos im Sinne eines „esoterischen Hitlerismus“:[13] Der Rechtsextremismusforscher Andreas Klump schrieb: „Hierbei werden esoterische Themenfelder wie Auffassungen der Reinkarnations- und Wiederauferstehungslehre vermischt mit der Verteidigung des historischen Nationalsozialismus.“[10]

Klump sah in der Thule-Ideologie und der Ariosophie, alt-germanischen Glaubensvorstellungen und völkischen Ideologiefragmenten einen „Rahmen für das (historische) völkische Denken, in dessen Tradition verschiedene heutige rechtsextremistische Organisationen stehen.“ Dazu zählte er die „Artgemeinschaft“ (Hauptfunktionär sei hier Jürgen Rieger, NPD) und den „Bund für Gotterkenntnis“. Mit Begrifflichkeiten wie „arteigene natürliche Umwelt“ seien diese anschlußfähig an „Teile der esoterischen Szene“.[10]

Der Einfluss völkischen Gedankengutes aus der Thule-Ideologie für die Neue Rechte zeigte sich auch an Aktivitäten wie dem rechtsextremistischen Thule-Seminar, das 1980 gegründet wurde. Ziel der Organisation sei die Zurückdrängung des Pluralismus und der Idee der „offenen Gesellschaft“: „Der Egalitarismus in seinen verschiedenen Varianten: Christentum, Judentum, Marxismus und Liberalismus ist Hauptursache für die tiefe Dekadenz der modernen Welt."[14]

Auch andere rechtsextreme Einrichtungen lehnten sich an den „Thule“-Namen an, so das Thule-Netz in den 1990er Jahren.

Versatzstücke der völkischen Thule-Ideologie gibt es auch in anderer, die SS verherrlichender Literatur.

Unterhaltungsmedien

In der Comicverfilmung Hellboy holt die Thule-Gesellschaft 1944 einen Dämon aus einer Parallelwelt, um den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen.

Im Anime Fullmetal Alchemist – Der Film: Der Eroberer von Shamballa versucht die Thule-Gesellschaft ebenfalls ein Tor zu einer Parallelwelt zu erstellen.

Im Videospiel Clive Barker’s Jericho versucht die Thule-Gesellschaft im Handlungsverlauf, mit okkulten Methoden die Welt zu vernichten.

Siehe auch

Literatur

Quellen

  • Rudolf von Sebottendorf: Bevor Hitler kam. Urkundliches aus der Frühzeit der nationalsozialistischen Bewegung. Deukula-Verlag, München 1933.

Historische Hintergründe

  • Reginald Phelps: Before Hitler came: Thule Society and Germanen Orden. In: Journal of Modern History XXV. 1963, S. 245-261.
  • Hellmuth Auerbach: Teil II: Lexikon: Thule-Gesellschaft, S. 1. Digitale Bibliothek Band 25: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Verlag Klett-Cotta
  • Joachim C. Fest: Hitler. Eine Biographie 2. Buch, 1. Kapitel: Teil der Deutschen Zukunft – Thule-Gesellschaft und Deutsche Arbeiterpartei. Ullstein Verlag, Berlin 1973.
  • Hubert Cancik: Neuheiden“ und totaler Staat. Völkische Religion am Ende der Weimarer Republik. In: Cancik (Hrsg.): Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Republik. Düsseldorf 1982.
  • Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. 3. Aufl., Piper Verlag, München 1996, ISBN 3-492-03598-1.
  • Ian Kershaw / Jürgen Peter Krause: Hitler 1889–1936. 5. Kapitel: Der Bierkelleragitator. S. 173 ff. über die Vorläuferpartei der NSDAP und die Thule-Gesellschaft). 2. Auflage, Deutsche-Verlags-Anstalt DVA, Stuttgart 1998, ISBN 3-421-05131-3.
  • Franz Wegener: Heinrich Himmler. Deutscher Spiritismus, französischer Okkultismus und der Reichsführer SS. Kulturförderverein Ruhrgebiet, Gladbeck 2004, ISBN 3-931300-15-3.
  • Michael Hesemann: Hitlers Religion. Die fatale Heilslehre des Nationalsozialismus. 6. Kapitel: Trommler für Thule. Pattloch Verlag, S. 146 ff., München 2004, ISBN 3-629-01678-2.

Monografien

  • Hermann Gilbhard: Die Thule-Gesellschaft. Vom okkulten Mummenschanz zum Hakenkreuz. Kiessling Verlag, München 1994, ISBN 3-930423-00-6

Wirkungsgeschichte

  • Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus I / II. 2 Bände. Verlag Pahl-Rugenstein, Bonn 1991, ISBN 3760911358.
  • Friedrich Paul Heller / Anton Maegerle: Thule. Vom völkischen Okkultismus bis zur Neuen Rechten. Schmetterling-Verlag, Stuttgart 1995, ISBN 3-926369-09-4.
  • Friedrich Paul Heller / Anton Maegerle: Die Sprache des Hasses. Rechtsextremismus und völkische Esoterik. Stuttgart 2001, S. 71–113, ISBN 3-89657-091-9

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München 2005, S. 44 f. und 46 f., ISBN 3-89667-148-0.
  2. Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus; Graz 22000, ISBN 3-7020-0795-4, S. 133f.
  3. Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München 2005, S. 44.
  4. Ian Kershaw, Jürgen Peter Krause: Hitler 1889–1936. 2. Auflage, Stuttgart 1998, S. 183.
  5. Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, Gra / Stuttgart, 1997, S. 132. (Quelle: Johannes Hering: Beiträge zur Geschichte der Thule-Gesellschaft, mit Maschine geschriebenes Skript vom 21. Juni 1939, Bundesarchiv Koblenz, NS 26/865.)
  6. a b Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, Graz / Stuttgart, 1997, S. 189.
  7. a b Alfred Rosenberg: Letzte Aufzeichnungen, Göttingen 1955, S. 79 und 95. DNB (Bitte beachten, dass diese Schrift von seinem ehemaligen Mitarbeiter Hans-Günther Seraphim, Bruder von Peter-Heinz Seraphim, publiziert wurde. Dieser hatte partiell Passagen gestrichen, wie z.B. ein Vergleich mit diesem Buch zeigt: Serge Lang / Ernst von Schenck: Portrait eines Menschheitsverbrechers, St. Gallen 1947, DNB)
  8. Hermann Rauschning: Gespräche mit Hitler. 1938, Europa-Verlag, Zürich.
  9. vgl. Theodor Schieder: Hermann Rauschnings „Gespräche mit Hitler“ als Geschichtsquelle‎, 1972
  10. a b c Andreas Klump: Rechtsextremismus und Esoterik Verbindungslinien. Erscheinungsformen, offene Fragen. [1]
  11. Rüdiger Sünner: Schwarze Sonne. Entfesselung und Mißbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik, Freiburg im Breisgau 1999.
  12. Friedrich Paul Heller / Anton Maegerle: Thule. Vom völkischen Okkultismus bis zur Neuen Rechten. 1995
  13. Joachim Körber: Manche mögen’s kalt. Mythen der alten und der neuen Rechten: die Welteislehre und die Atlantissage. Jungle World Nummer 19 vom 30. April 2003. Dossier [2]
  14. Pierre Krebs: Das Deutschtum am Scheideweg: Identitätsschwund oder ethno-ontologische Neugeburt?. In: Elemente Nr. 6 1998, S.17; Zitat wiedergegeben in: Uwe Backes: Gestalt und Bedeutung des intellektuellen Rechtsextremismus in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Band 46 (2001), S. 28.

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