Wasserstoffatom

Wasserstoffatom

Ein Wasserstoffatom ist ein Atom des chemischen Elements Wasserstoff (Symbol: H), das unter den auf der Erde herrschenden Bedingungen nur als zweiatomiges Wasserstoffmolekül vorkommt (gasförmiges H2).

Das 1H-Atom in der Nuklidkarte

Das Atom besteht aus einem einfach positiv geladenen Atomkern (mit einem Proton und null bis zwei Neutronen) und einem negativ geladenen Elektron. Elektron und Atomkern sind aufgrund ihrer entgegengesetzten elektrischen Ladung aneinander gebunden (coulombsches Gesetz).

Das Wasserstoffatom ist das am einfachsten aufgebaute aller Atome und bietet daher den Schlüssel zum Verständnis des Aufbaus und der Eigenschaften aller Atome. Es ist das einzige Atom, für das die quantenmechanische Schrödinger-Gleichung analytisch, d. h. in mathematisch geschlossener Form, gelöst werden kann. Die Spektrallinien des Wasserstoffatoms sind mit hoher Genauigkeit berechenbar, und können mit den gemessenen Werten verglichen werden, wie zum Beispiel das bekannteste Linienmultiplett, die Balmer-Serie.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte der Modellvorstellung des Wasserstoffatoms

Das 1913 entwickelte Bohrsche Atommodell stimmte in seiner Vorhersage der Spektrallinien gut mit experimentellen Beobachtungen überein, und zeigt auch eine hohe Übereinstimmung mit den 1925/26 berechneten quantenmechanischen Werten. Das quantenmechanische Modell lieferte zusätzlich die geometrische Struktur der Elektronenorbitale, und löste das Bohrsche Atommodell mit seinen Ad-hoc-Annahmen ab.

Verfeinerungen des quantenmechanischen Modells führten zu theoretischen Bestätigungen in der Detailstruktur der Spektrallinien des Wasserstoffatoms, das damit gleichzeitig zum Standardtest der Quantenmechanik avancierte.

Wichtige Phänomene, die anhand des Wasserstoffatoms erkannt oder verstanden wurden, sind unter anderem das Pauli-Prinzip und der Zeeman-Effekt.

Die am Wasserstoffatom abgeleiteten Prinzipien der Atomphysik bilden die Grundlage zur Beschreibung aller Atome. Allerdings kann das quantenmechanische Modell bei Atomen mit mehr als einem Elektron nur näherungsweise gelöst werden. Weiter haben Kenntnisse von Aufbau und Eigenschaften des Wasserstoffatoms zum Verständnis des Aufbaus chemischer Moleküle beigetragen.

Experimentelle Untersuchungen der Linienspektren

Termschema (Energieniveauschema) des Wasserstoffs

Seit 1885 werden die Absorptions- und Emissionsspektren des Wasserstoffatoms untersucht. Sie werden verursacht durch den Übergang des gebundenen Elektrons von einem höheren in ein niedrigeres Niveau (Emission) oder umgekehrt (Absorption). Dabei werden die möglichen Linien klassifiziert nach dem Grundniveau und benannt nach ihren jeweiligen Entdeckern. Mathematisch werden die Übergänge durch die Rydberg-Formel beschrieben.

Name der Serie Grundniveau Wellenlängenbereich Entdeckungsjahr
Lyman-Serie 1 ultraviolett 1906
Balmer-Serie 2 sichtbar 1885
Paschen-Serie 3 infrarot 1908
Brackett-Serie 4 infrarot 1922
Pfund-Serie 5 infrarot 1924

Lösung der Schrödinger-Gleichung (Wasserstoffproblem)

Die dreidimensionale Schrödinger-Gleichung (eine partielle Differentialgleichung) kann aufgrund der Kugelsymmetrie der elektromagnetischen Wechselwirkung in drei unabhängige Gleichungen separiert werden. Jede der drei Einzelgleichungen kann mathematisch exakt gelöst werden.

Die wichtigste Gleichung ergibt die Energiezustände und Energiewerte des Elektrons im Wasserstoffatom; es ist üblich, die verschiedenen diskreten Energiewerte über die Hauptquantenzahl n als En zu bezeichnen. Der tiefste Energiezustand ist E1, die weiteren Anregungszustände sind E2 und E3.

Die beiden anderen Gleichungen enthalten die Winkelabhängigkeit (Bahndrehimpulsquantenzahl, magnetische Quantenzahl).

Das Wasserstoffatom ist eines der wenigen quantenmechanischen Systeme, die sich exakt berechnen lassen. Die Lösung der Schrödinger-Gleichung für das Wasserstoffatom ist auch deshalb ein Standardverfahren der universitären Physik- und Chemieausbildung und wird auch als Wasserstoffproblem bezeichnet.

Mathematische Details

verschiedene Orbitale des Wasserstoffs

Die Separation der Schrödinger-Gleichung führt zu drei Gleichungen, die von jeweils einer der drei Kugelkoordinaten \,r (Abstand vom Mittelpunkt), \vartheta (Breitenwinkel) und φ (Längenwinkel) abhängen. Eine vollständige Lösung ergibt sich als das Produkt der Lösungen dieser 3 Gleichungen.

Jede Lösung \,\Psi der Schrödinger-Gleichung für das Wasserstoffatom wird durch die drei Zahlen \, n, l, m , Quantenzahlen genannt, gekennzeichnet. Dabei ist die Haupt- oder Energiequantenzahl \,n eine beliebige positive Zahl, die Drehimpulsquantenzahl \,l nimmt für gegebenes \,n die Werte von 0 bis n − 1 an, und die magnetische Quantenzahl \,m läuft für gegebenes \,l von l bis + l. Die Lösungsfunktion ist dann

 \Psi_{nlm}(r,\vartheta,\varphi) = R_{nl}(r) Y_{lm}(\vartheta, \varphi )

mit

Für die niedrigsten Orbitale ergibt sich damit:

\begin{align}
\Psi_{100} &= \sqrt{4 \over a_0^3} e^{-r/a_0} \cdot \sqrt{1 \over 4\pi}\\
\Psi_{200} &= \sqrt{1 \over 8 a_0^3} \left(-{r \over a_0} + 2\right)e^{-r/2a_0} \cdot \sqrt{1 \over 4\pi}\\
\Psi_{210} &= \sqrt{1 \over 24 a_0^3} \left({r \over a_0}\right)e^{-r/2a_0} \cdot \sqrt{3 \over 4\pi} \cos \vartheta\\
\Psi_{2,1,\pm 1} &= \mp \sqrt{1 \over 24 a_0^3} \left({r \over a_0}\right)e^{-r/2a_0} \cdot \sqrt{3 \over 8\pi} \sin \vartheta e^{\pm i \varphi}\\
\end{align}

Die Energieeigenwerte sind

H \Psi_{nlm} = E_n \Psi_{nlm} \,

mit

E_n = -{{m_r c^2 Z^2 \alpha^2} \over {2 \cdot n^2}} = -{{m_r e^4 Z^2} \over {(4\pi\epsilon_0)^2 \hbar^2}} {{1} \over {2n^2}}= -{{e^2 Z^2} \over {4 \pi \epsilon_0 a_0}}\cdot {{1}\over {2 n^2}} \, .

Hierin ist α die Feinstrukturkonstante und mr die reduzierte Masse des Systems aus Elektron und Proton. Die Drehimpuls- und magnetischen Eigenwerte sind durch

L^2 \Psi_{nlm} = {\hbar}^2 l(l+1) \Psi_{nlm} \,

und

L_z \Psi_{nlm} = \hbar m \Psi_{nlm} \,

gegeben.

Die Drehimpulsquantenzahl misst hierbei den Bahndrehimpuls des Elektrons, und die magnetische Quantenzahl seine Projektion auf eine beliebige Richtung, die im Allgemeinen als z bezeichnet wird (z steht dabei für die z-Achse). In dieser einfachsten Behandlung des Wasserstoffatoms sind die Energiewerte nur von der Hauptquantenzahl \,n abhängig. Alle Lösungen mit gleichem \,n besitzen hier die gleiche Energie. Man sagt daher, sie sind entartet bezüglich der Quantenzahlen \,l und \,m. Die Entartung bezüglich \,l ist dabei eine Besonderheit von (-a/r)-Potentialen.

Unter Berücksichtigung weiterer Effekte (Spin, Relativitätstheorie) ergibt sich eine zusätzliche Aufhebung der Energieentartung.

Alternativen zur Schrödinger-Theorie

In der heisenbergschen Matrizenmechanik hat Wolfgang Pauli für das Wasserstoffatom erstmals eine Lösung gefunden[1], indem er die Rotationssymmetrie in vier Dimensionen (O(4)-Symmetrie) ausnutzte, die vom Drehimpuls und dem Laplace-Runge-Lenz-Vektor erzeugt wird. Durch Erweiterung der Symmetriegruppe O(4) zur Dynamischen Symmetriegruppe O(4,2) konnten nicht nur das Spektrum, sondern auch die Dipol-Matrixelemente für alle atomaren Übergänge in einer irreduziblen Gruppendarstellung vereint werden.[2]

Im Jahre 1979 gelang auch eine Lösung für das Wasserstoffatom in Feynmans Pfadintegral-Zugang zur Quantenmechanik[3][4]. Durch die hier entwickelte Lösungsmethode wurde der Anwendungsbereich der Feynmanschen Methode erheblich erweitert.

Weitere Entwicklung

Aufspaltungen der Energieniveaus des Wasserstoffatoms

Die Schrödinger-Gleichung gibt eine in erster Näherung ausgezeichnete Beschreibung des Wasserstoffatoms. Sie vernachlässigt allerdings eine Reihe von zweitrangigen Eigenschaften der beteiligten Elementarteilchnen, die experimentell nachweisbar sind. Durch Berücksichtigung dieser Eigenschaften im erweiterten quantenmechanischen Modell lassen sich jene Beobachtungen ebenfalls erklären.

Relativistische Effekte

Die Schrödinger-Gleichung ist eine nichtrelativistische Gleichung und verwendet den klassischen Ausdruck für die kinetische Energie. Zur korrekten Beschreibung muss man deshalb eine relativistische Gleichung für die zeitliche Entwicklung verwenden. Beim Wasserstoffatom ist der Energieunterschied aber nicht sehr groß, daher kann man die Effekte störungstheoretisch im Rahmen der Schrödinger-Gleichung behandeln, um genauere Werte für die Energieeigenwerte zu erhalten.

Spin

Der Spin des Elektrons ist ebenfalls ein nicht klassischer Effekt, der sich in der relativistischen Dirac-Gleichung verstehen lässt, welche für Fermionen mit Spinwert \tfrac{1}{2} zugeschnitten ist.

Aufgrund seines Spins besitzt das Elektron ein magnetisches Moment, das mit anderen magnetischen Momenten und Magnetfeldern wechselwirken kann.

Die Wechselwirkung mit dem magnetischen Moment, welches das Elektron durch seine Bewegung um den Atomkern erzeugt, wird dabei als Spin-Bahn-Kopplung bezeichnet. Diese und andere relativistische Effekte bewirken eine Aufspaltung der nicht-relativistisch entarteten Energieniveaus, die Feinstruktur des Wasserstoffatoms. Berücksichtigt man noch die Wechselwirkung von Spin und Bahndrehimpuls mit dem Kernspin, ergibt sich eine noch feinere Aufspaltung, die sogenannte Hyperfeinstruktur.

In Anwesenheit von Magnetfeldern beobachtet man aufgrund des Spins des Elektrons den anomalen Zeeman-Effekt.

Quantenfeldtheoretische Effekte

Die Quantenmechanik des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, welche die Schrödingergleichung zugrundelegt, ist eine nichtrelativistische Einteilchen-Theorie und kann als solche nur Näherung einer Theorie sein, welche relativistische Effekte berücksichtigt. Auch die Beschreibung eines Elektrons mit Hilfe der relativistischen Diracgleichung bei so genannter minimaler Kopplung an ein elektromagnetisches Feld bringt vor der zweiten Quantisierung einige mathematische Probleme mit sich.

Beispiele für übergeordnete Theorien sind alle relativistischen Quantenfeldtheorien. Das sind Vielteilchentheorien, in denen alle Kräfte durch Wechselwirkungsteilchen erklärt werden, wodurch dann neue Effekte auftreten. Ein wichtiges Beispiel sind die Vakuumfluktuationen. Diese bedingen zum Beispiel die Lamb-Verschiebung (engl. lamb shift) der Energiewerte, die erstmals im Lamb-Retherford-Experiment nachgewiesen wurde. Die Quantenelektrodynamik, eine Quantenfeldtheorie in der die Wirkung des elektromagnetischen Feldes letztendlich auf Photonen, die "Licht-Teilchen", zurückgeführt wird, liefert die momentan genauesten Korrekturen zum Wasserstoffmodell.

Einzelnachweise

  1. W Pauli: Über das Wasserstoffspektrum vom Standpunkt der neuen Quantenmechanik. In: Zeitschrift für Physik. 36, 1926, S. 336–363. doi:10.1007/BF01450175.
  2. Hagen Kleinert: Group Dynamics of the Hydrogen Atom. In: Lectures in Theoretical Physics, edited by W.E. Brittin and A.O. Barut, Gordon and Breach, N.Y. 1968. 1968, S. 427-482.
  3. Duru I.H., Hagen Kleinert: Solution of the path integral for the H-atom. In: Physics Letters B. 84, Nr. 2, 1979, S. 185–188. doi:10.1016/0370-2693(79)90280-6.
  4. Duru I.H., Hagen Kleinert: Quantum Mechanics of H-Atom from Path Integrals. In: Fortschr. Phys. 30, Nr. 2, 1982, S. 401–435. doi:10.1002/prop.19820300802.

Literatur

  • David J. Griffiths: Introduction to Quantum Mechanics. 2. Auflage. Prentice Hall International, Upper Saddle River, NJ 2004, ISBN 0-13-111892-7 (Abschnitt 4.2 setzt sich genauer mit dem Wasserstoffatom auseinander).
  • B. H. Bransden, Charles J. Joachain: Physics of Atoms and Molecules. Longman, London 1982, ISBN 0-582-44401-2.
  • Hagen Kleinert: Path Integrals in Quantum Mechanics, Statistics, Polymer Physics, and Financial Markets: 5th Edition. 5. Auflage. World Scientific Publishing Co Pte Ltd, 2009, ISBN 981-427-355-4 (auch online lesbar).

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Wasserstoffatom – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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