Wissenschaft in der Sowjetunion

Wissenschaft in der Sowjetunion

Die Wissenschaft in der Sowjetunion war in erheblichem Maße durch die marxistisch-leninistische Weltanschauung geprägt. Einerseits erzielten die sowjetischen Ingenieure und Wissenschafter Spitzenleistungen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, andrerseits waren speziell die Geistes- und Sozialwissenschaften in der Sowjetunion rigorosen politischen Tabus unterworfen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte der sowjetischen Wissenschaft

Lomonossow-Universität in Moskau

Nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland und dem Ende des Ersten Weltkrieges, unter dem ersten UdSSR-Staatschef Lenin und den Räten (Sowjets) wurden Wissenschaft und Forschung konsequent an marxistisch-leninistischer Weltanschauung ausgerichtet. Die technischen und naturwissenschaftlichen Fächer genossen in der führenden (kommunistischen) Partei der Sowjetunion eine hohe Priorität, während geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer anfangs als „bourgeois“ abgelehnt und mit marxistischen Fächern zusammengelegt wurden.

Vorrang für Industrialisierung und Technik

Nach 1917 beschleunigte sich die wissenschaftlich-technische und wirtschaftliche Entwicklung Sowjetrusslands und verstärkten sich Industrialisierung, Technisierung und Alphabetisierung des zuvor vorwiegend bäuerlich geprägten zaristischen Landes in allen seinen Republiken. (Sowjetrepubliken)

Kommunismus gleich Sowjetmacht plus Elektrifizierung, dieser bekannte Ausspruch von Lenin brachte die Ziele der nächsten Jahre zum Ausdruck, die einhergingen mit einem Fortschritt in allen Bereichen der sowjetischen Wissenschaften und Technik, deren Leistungen und Ergebnisse am wenigsten noch durch die Elektrifizierung des 230 Millionen-Staates charakterisiert wurden.

Ungeachtet starker Hemmnisse, wie dem Bürgerkrieg, den Dürrekatastrophen und den ausländischen Militärinterventionen in den 1920er Jahren mit Millionen Opfern, und dem Stalinismus in den 1930er Jahren, unter dem viele Wissenschaftler zum Beispiel durch Aufenthalt in Sondergefängnissen leiden mussten, konnte die UdSSR nicht zuletzt aufgrund ihrer wissenschaftlich-technischen Entwicklung innerhalb weniger Jahre wirtschaftlich und militärisch zu einer mit Deutschland und den USA vergleichbaren Weltmacht werden. Auch im und nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die Sowjetunion bis zu ihrer Auflösung 1991 eine mit den USA, Frankreich, England, Deutschland und Japan vergleichbare auch wissenschaftlich-technische Großmacht; trotz des Verlustes von 20–30 Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg. Dem Krieg fielen auch viele Wissenschafter, Ingenieure und Techniker zum Opfer, sowie zigtausende Städte, Fabriken, Werke und Anlagen.

Militärtechnische Meilensteine in der Nachkriegszeit waren das Wettrüsten mit den USA, die atomare, chemische, biologische und konventionelle Aufrüstung mit der Atombombe, der Wasserstoffbombe und den Atom-U-Booten.

Besondere Erfolge in der Raumfahrt

Raumstation Mir

In der Raumfahrttechnik war die Sowjetunion zwischen 1957 und etwa 1968 weltweit führend und erbrachte zahlreiche historische Pionierleistungen:

Diese Erfolge wurden im Kalten Krieg – wesentlich intensiver als jene der USA – auch als Propagandaerfolg ausgeschlachtet und teilweise auf wichtige Staatsbesuche hin terminisiert. Häufig waren die Erfolge auch Ausdruck einer unter massiven Zeitdruck stehenden Aufholjagd, wie etwa der Bau des ersten, später als Leninski Komsomol bekannt gewordenen sowjetischen Atom-U-Bootes, das seinem amerikanischen Gegenstück nachhinkte.

Nach dem Tode Stalins (1953) durften auch bislang tabuisierte Forschungsgebiete wie die Mendel'sche Vererbungslehre, die Soziologietheorien von M. N. Petrowskij oder der sprachwissenschaftliche Strukturalismus wieder behandelt werden. Dennoch galt es für sowjetische Wissenschaftler als gefährlich, westliche Forscher offiziell zu zitieren. Auch die Geschichtsforschung wurde bis 1991 mit historischen Tabus belegt, die sowohl die frühmittelalterliche Geschichte Russlands (Waräger) als auch die jüngere Zeitgeschichte (Katyn) betrafen.

Ganze Städte mit Wissenschaftern und Technikern entstanden, wie das Kernforschungszentrum Dubna, das Sternenstädtchen und das Wissenschaftszentrum in Tschernogolowka bei Moskau mit dem Landau-Institut für Theoretische Physik. Solche Wissenschaftstädte galten teilweise als Sperrgebiet.

Entgegen der gelegentlich gehörten Meinung waren in der UdSSR und DDR weder die Kybernetik noch das Vertreten der Evolutionstheorie verboten.

Meilensteine der Wissenschaft in der UdSSR

  • 1954 Bau und Betrieb des weltweit ersten Kernkraftwerks in Obninsk bei Moskau (Leistung: 5 MW).
  • Am 5. Dezember 1957 lief der weltweit erste Atomeisbrecher vom Stapel; er trug den Namen „Lenin“ und wurde ab Dezember 1959 für zivile Zwecke eingesetzt.
  • 1958 In der Sowjetunion (RSFSR) wurde der erste Computer (Setun) entwickelt, der mit ternären Zahlen rechnete.
  • Entdeckung der Superkavitation und Bau des ersten funktionsfähigen Überschallantriebs unter Wasser nach diesem Prinzip. Als erstes einsatzfähiges System wurde 1977 der Torpedo Schkwal (russisch Шквал) nach etwa zehnjähriger Entwicklung von der Marine der Sowjetunion in Dienst gestellt; seine Maximalgeschwindigkeit beträgt 500 km/h.
  • 1970 Erste gesteuerte Kernfusion mit Tokamak-3.
  • 1971 Fertigstellung des weltweit ersten MHD-Generators „U-25“ mit circa 50 MW Leistung. Einspeisung in das Moskauer Stromnetz, sowie Verwendung in der Forschung.[1]

Weitere Besondere Leistungen

Nobelpreisträger

Zahlreichen sowjetischen Wissenschaftlern wurde neben anderen internationalen Preisen der Nobelpreis zuerkannt, wie zum Beispiel:

Entwicklung seit der Wende

Seit 1985 Gorbatschow Generalsekretär der KPdSU wurde, flossen geringere Staatsmittel in die Rüstungsindustrie. Betroffen davon war auch die Wissenschaft. Viele fast fertige Großprojekte und noch mehr Kleinprojekte wurden eingestellt oder eingeschränkt, viele Projekte nicht begonnen.

Im Raumfahrtbereich wurde die einmal unbemannt erfolgreich geflogene und gelandete, wiederverwendbare Raumfähre Buran aufgegeben; ebenso wie die stärkste je von Menschen gebaute Trägerrakete Energija. Es wurde der Ausbau der Raumstation MIR eingeschränkt, die Station später gezielt zum Absturz gebracht und durch die Arbeiten an der ISS ersetzt.

Bei der Atomtechnik strich man neue leistungsfähige Teilchenbeschleuniger und stellte die Arbeit an Kernfusionsexperimenten ein.

Bei der Armee wurde die Modernisierung und Wartung der Militärtechnik eingeschränkt. So führen amerikanische Untersuchungen den Untergang des Atom-U-Boots K-141 Kursk darauf zurück.

Viele sowjetische Wissenschaftler verließen seit etwa 1989 das Land und versuchten in Forschungseinrichtungen anderer Industriestaaten ein Auskommen zu finden.

Einzelnachweise

  1. Info zu U-25 auf Books.Nap.edu (englisch)
  2. Lizenzen aus Moskau. In: Der Spiegel. Nr. 10, 1957 (online).

Siehe auch

Weblinks


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