- Wettrüsten
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Unter Wettrüsten oder Rüstungswettlauf versteht man die schrittweise militärische Aufrüstung sich antagonistisch gegenüberstehender Staaten oder Bündnisse. Bekannte Rüstungswettläufe fanden zwischen westlichen und östlichen Machtblöcken im Kalten Krieg sowie zwischen dem Deutschen Reich und dem Vereinigten Königreich vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 statt.
Die Internationalen Beziehungen begreifen ein Wettrüsten als Variante des Sicherheitsdilemmas und bedienen sich bei dessen Erforschung spieltheoretischer Erkenntnisse. Dabei ähnelt ein Wettrüsten dem Gefangenendilemma, bei dem das einseitige Aufrüsten einen größeren individuellen subjektiven Vorteil gegenüber dem gemeinsamen Abrüsten nicht entspricht.
Inhaltsverzeichnis
Im „Kalten Krieg“
Bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann im Zeichen des „Kalten Kriegs“, der Systemkonfrontation zwischen West und Ost, ein Wettrüsten zwischen den USA und der 1949 gegründeten NATO auf der einen und der Sowjetunion und dem Ostblock auf der anderen Seite, das bis zur Selbstauflösung des Warschauer Pakts Anfang der 1990er Jahre anhielt.
Anfang der 1950er Jahre - der Zeit des Koreakriegs - nahm der Rüstungswettlauf zwischen Ost und West an Umfang (Zahl der beteiligten Staaten) und Tempo zu. Beteiligt waren sämtliche großen Industriestaaten der Welt. Erstmals wurde die Wissenschaft umfassend in den Dienst des Militärs gestellt. Technologische Innovationen ließen vorhandene Rüstungsgüter - zum Beispiel Flugzeuge - rasch veralten. All das führte zu einer Kostenexplosion und zur bislang größten Aufrüstungswelle der Geschichte. Bei den herkömmlichen Streitkräften waren zunächst kennzeichnend Neuerungen wie Vollmotorisierung und Verpanzerung der Truppen, die flächendeckende Einführung von Raketenwaffen und Strahlflugzeugen, bei der Marine die Einführung von atomgetriebenen Schiffen usw. Trotz der Anhäufung riesiger Bestände spektakulär neuartiger Waffenkategorien in den darauffolgenden Jahrzehnten - neben den Atomwaffen auch Chemische und Biologische Waffen - bildeten die konventionellen Armeen nach wie vor den weitaus größten Kostenfaktor der gesamten Rüstungsausgaben. Technologisch behauptete das westliche Bündnis und insbesondere die USA nahezu während des gesamten Rüstungswettlaufs im Kalten Krieg einen Vorsprung vor der Sowjetunion. Die wohl bemerkenswerteste Ausnahme hiervon war die erstmalige Entwicklung einer funktionsfähigen Interkontinentalrakete durch die Sowjetunion - der sogenannte Sputnik-Schock von 1957. Im Bereich der Massenvernichtungswaffen wurde zunächst vor allem die Zahl und die Sprengkraft der Kernwaffen erhöht. Bereits die ersten beiden im August 1945 eingesetzten US-Atombomben mit einer Sprengkraft von 20 Kilotonnen TNT genügten, um einige hunderttausend Menschen zu töten. Ab Anfang der 1960er Jahre gab es Wasserstoffbomben mit etwa 20 Megatonnen Sprengkraft. Eine von ihnen hätte genügt, eine Großstadt einzuäschern.
Während der Kubakrise 1962 unter John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow standen die USA und die Sowjetunion am Rande eines Krieges. Erstmals begann sich ein wirkliches Problembewusstsein zu bilden, dass es zu einem Atomkrieg kommen könnte. Resultat dessen war insbesondere der 1963 geschlossene Atomteststoppvertrag.
Bald konzentrierte sich das Wettrüsten auf die Vervollkommnung der Trägersysteme und deren Zielgenauigkeit. Von der bisher betriebenen, militärisch bald als unsinnig erkannten Steigerung der Sprengkraft, wie sie im Extrem in der sowjetischen sogenannten Zar-Bombe zum Ausdruck kam, ging man ab. Langstreckenbomber, die noch durch die Luftverteidigung abgefangen werden konnten, wurden durch Interkontinentalraketen ergänzt, für die es bis heute keine Abwehrmöglichkeit gibt. Dieses Wettrüsten endete darin, dass beide Seiten theoretisch nicht nur den Gegner (Mutual assured destruction), sondern die ganze Welt mehrfach vernichten konnten (siehe „Overkill“).
Angesichts der Tatsache, dass die noch kurz zuvor bestehende eindeutige nuklearstrategische Überlegenheit der USA/NATO seit Anfang der 1960er Jahre aufgrund einer massiven sowjetischen Aufrüstung dahinschwand und bald nicht mehr gegeben war, wurde vom Grundsatz abgegangen, dass jeder Angriff mit der vollständigen Zerstörung des Angreifers beantwortet werden sollte (sog. Massive Vergeltung). In der Folge entwickelte man im westlichen Bündnis das Prinzip der flexible response, das 1967 als offizielle NATO-Doktrin beschlossen wurde. Man strebte an, auf einen Angriff flexibler zu reagieren als bisher (z.B. Rückgriff auf taktische Nuklearwaffen erst dann, wenn die konventionellen Kräfte nicht mehr ausreichen) um so einen umfassenden strategischen all-out-Schlagabtausch nach Möglichkeit zu vermeiden. Auch wenn die Realitätstauglichkeit dieser Vorstellungen vielfach angezweifelt wurde, maß man der konventionellen Rüstung und traditionellen Landkriegführung seit Anfang der 1960er Jahre in West und Ost allgemein wieder eine deutlich erhöhte Bedeutung bei.
1972 bildeten die ABM- und SALT-Vertragswerke eine erste Grundlage, um zumindest den Ausbau der nuklearen Trägersysteme abzustoppen. Das weitere Anwachsen und die Perfektionierung der strategischen Arsenale konnten SALT und ABM-Vertrag (Mai 1972) allerdings nicht hindern, seit Anfang der 1970er Jahre führten beide Seiten nukleare Mehrfachsprengköpfe ein; insgesamt besaßen beide Seiten in den 1980er jeweils um die 10.000 strategische Sprengköpfe. Die „rohe Kraft“ wurde zunehmend durch immer ausgeklügeltere Technologien ersetzt. Außerdem umfasste das dazugehörige Spektrum Spionagesatelliten und Tarntechnologien. Weiterhin wurden neuartige taktische Nuklearwaffen erdacht und teilweise auch entwickelt, zum Beispiel die sogenannte Rucksackbombe (eine tragbare Atomwaffe mit relativ kleiner Sprengkraft). Ein bald nicht mehr weiterverfolgtes Projekt war die Neutronenbombe, die durch freigesetzte Neutronenstrahlung vor allem lebende Ziele (Menschen) töten und die Infrastruktur des Zielgebietes möglichst unversehrt lassen sollte. Die Vernichtungskraft konventioneller Waffensysteme wurde derart erhöht, dass sie der kleiner Atomwaffen nahekam.
Die übliche Rechtfertigung für das Wettrüsten beziehungsweise die Rüstungsspirale bestand in der Behauptung, dass die eigene Seite jeweils weiter aufrüsten müsse, da die andere Seite dies auch tue und eine Überlegenheit anstrebe. Ronald Reagan betrieb das Wettrüsten mit dem erklärten Ziel, den kommunistischen Block wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Aufsehen erregte besonders seine Ankündigung des SDI-Projektes im Jahre 1983, hinter der die Zielvorstellung einer strategischen Unverwundbarkeit der USA gegen eventuelle sowjetische Angriffe deutlich erkennbar war. In einer bereits durch Afghanistankrieg und NATO-Doppelbeschluss seit 1979 erneut verschärften Blockkonfrontation zeichnete sich damit allmählich die angestrebte Überforderung der östlichen Führungsmacht und ihrer Satellitenstaaten ab.
Wettrüsten heute
Mit dem Kalten Krieg endete auch das Wettrüsten zwischen NATO und Warschauer Pakt beziehungsweise den USA und der UdSSR. Am Ende der Systemeinandersetzung vielerorts bestehende euphorische Vorstellungen einer alsbald nuklearwaffenfreien Welt, wie sie sich etwa Michail Gorbatschow zu eigen gemacht hatte, sind längst enttäuscht. Das in Jahrzehnten aufgetürmte hohe Plafond an Nuklearsprengköpfen der beiden Supermächte stellt eine schwere Hypothek und ein enormes Risikopotential für weitere Generationen dar. Wie sich zeigt, ist der Abbau dieser Erblast nur in einem langwierigen und schleppenden, stets von Rückschlägen gefährdeten Prozess möglich, für den Vertragswerke wie START oder SORT stehen. Heute findet lediglich noch ein hochtechnologisches defensives Wettrüsten zwischen den USA und den von ihnen so benannten „Schurkenstaaten“ statt, ohne dass man den Begriff 'Wettrüsten' noch benutzt. Dabei wird postuliert, dass auch ein unterentwickeltes Land mit wenigen interkontinental einsetzbaren Massenvernichtungswaffen ein hoch entwickeltes Land wirksam bedrohen kann. Zum einen wird nun versucht, diese Bedrohung im Ansatz zu unterbinden, indem man diesen Staaten Kontrollen bzgl. der Herstellung von ABC-Waffen auferlegt. Zudem versuchen die USA, Abwehrsysteme zu entwickeln, die interkontinental einsetzbare Waffen im Anflug zerstören können.
Griechenland und die Türkei
Griechenland und die Türkei sind seit Jahrzehnten in einen kostspieligen Rüstungswettlauf verstrickt, in dem sich vor allem Griechenland immer neue Schulden aufbürdet. Die beiden Staaten standen zuletzt 1995 am Rande eines Krieges, was die Rüstungsanstrengungen der militärisch weit unterlegenen Griechen erneut anfachte. 1999 begann ein Dialog, mit dem Griechenland die Hoffnung verband, dieses Wettrüsten beenden zu können. Aus demselben Grund unterstützt Griechenland auch die EU-Kandidatur der Türkei. Eine in Europa integrierte Türkei werde (so das Kalkül) ein friedlicher Nachbar sein. Als sich diese Hoffnungen zerschlugen, begann Griechenland Verhandlungen mit Waffenlieferanten, um u.a. 6 Fregatten, 17 Hubschrauber (geschätzte Kosten einschließlich Bewaffnung: rund 3,7 Mrd. Euro) und 5 Aufklärungsflugzeuge für die Marine (250 Mio. Euro) zu kaufen. Zudem verhandelt Athen über die Lieferung von 415 Schützenpanzern mit Russland.[1][2] Griechenland gibt jährlich über 4 % seines Bruttosozialprodukts für Rüstung aus,[3] die Türkei über 5 %, zum Vergleich Deutschland 1,5 %, die Schweiz 1 %, Österreich 0,9 %.[4]
Pazifik
China liegt mit mehreren Nachbarn im Streit über Territorialansprüche und Rohstoffvorkommen in Seegebieten.[5]
China hat seine Rüstungsausgaben massiv erhöht, speziell in den Jahren 2009 und 2010. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 hat den Machtanspruch der Vereinigten Staaten erschüttert; China dagegen ist aus der Krise gestärkt hervorgegangen.
US-Verteidigungsminister Gates fürchtet nicht den direkten Kräftevergleich mit den Chinesen. »Wir sollten uns nicht so sehr sorgen, dass sie die USA symmetrisch herausfordern könnten, Flugzeug für Flugzeug, Schiff für Schiff, sondern dass sie die Fähigkeit erlangen, unsere Bewegungsfreiheit und unsere strategischen Optionen einzuschränken.«[5]
Klar scheint, dass der Ausbau und die Modernisierung von Marine und Luftwaffe ein überragendes strategisches Ziel haben, nämlich "access denial": China will in der Lage sein, den USA den Zugang zu den Seegebieten vor seiner Küste zu verwehren.[5]
China hat einen flugfähigen Tarnkappenbomber J-20 (der F-22 Raptor nachempfunden), die ballistische Anti-Schiffs-Rakete Dongfeng 21D und arbeitet an einem vielleicht schon 2011 einsatzfähigen Flugzeugträger ("Warjag").
Während des Taiwan-Konflikts 1995/1996 schickten die USA zwei Flugzeugträger-Verbände in die Straße von Taiwan, um China von einem Angriff auf Taiwan abzuhalten; viele Beobachter nehmen an, dass China eines Tages Taiwan erobern will.[5]
Inoffiziell macht China im südchinesischen Meer "nationale Kerninteressen" geltend. Nach Chinas »Jahrhundert der Demütigungen«, das bis zu den Opiumkriegen Mitte des 19. Jahrhunderts und der erzwungenen Öffnung des Landes durch den europäischen Imperialismus zurückreicht und in der kollektiven Erinnerung Chinas bis heute bewusst ist, "können sie beim geringsten Anlass die Volksseele hochkochen lassen".[5]
Bei einem Treffen der Außenminister des Asean Regional Forum (ARF) im Juli 2010 in Hanoi bot Hillary Clinton im Territorialstreit amerikanische Vermittlung an. Beim chinesischen Außenminister führte dies zu einem Wutausbruch. Er warnte die Staaten Südostasiens vor der Zusammenarbeit mit auswärtigen Mächten bei der Lösung der Territorialkonflikte. Die Südostasiaten suchen die Nähe der Vereinigten Staaten. Länder wie Thailand, Singapur, Indonesien oder die Philippinen intensivieren heute wieder ihre traditionell engen Beziehungen zu Washington. Erstaunlicherweise lehnt sich nun auch Vietnam an Amerika an und macht gemeinsame Manöver mit dem ehemaligen Kriegsgegner. Die Kriegsschiffe der Amerikaner dürfen sogar wieder den Marinestützpunkt Cam Ranh Bay anlaufen.[5]
Auch der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea heizt das Wettrüsten im Pazifik an.
Siehe auch
- Verträge und Abkommen des Kalten Krieges
- Liste der nuklearen Boden-Boden-Raketen
- Abrüstung
- Permanente Rüstungswirtschaft
- Militärisch-industrieller Komplex
- Angriffskrieg
- die Flottengesetze des Admiral von Tirpitz im Deutschen Reich unter Kaiser Wilhelm II. führten zu einem Wettrüsten mit Großbritannien und gelten als eine der Ursachen des Ersten Weltkrieges
Literatur
- Richard J. Barnet: Der amerikanische Rüstungswahn. Rowohlt, Reinbek 1984, ISBN 3-499-11450-X.
- Jürgen Bruhn: Der Kalte Krieg oder: Die Totrüstung der Sowjetunion. Focus, Gießen 1995, ISBN 3-88349-434-8.
- Dieter S. Lutz (Hg.): Die Rüstung der Sowjetunion: Rüstungsdynamik und bürokratische Strukturen. Nomos, Baden-Baden 1979, ISBN 3-7890-0482-0.
- Erwin Müller: Rüstungspolitik und Rüstungsdynamik: Fall USA. Nomos, Baden-Baden 1985, ISBN 3-7890-1076-6.
Einzelnachweise
- ↑ Griechenland rüstet auf – gegen die Türkei, Online-Artikel, Der Tagesspiegel, 28. Januar 2009
- ↑ Stabiler Euro oder teure Eurofighter, Handelsblatt, 8. März 2010, (aus dem Pressespiegel des italienischen Finanzministeriums)
- ↑ Die Heuchelei des Waffenhändlers, Online-Artikel, Die Zeit, 16. März 2010
- ↑ Militär-Ausgaben in % vom Bruttosozialprodukt (BSP), SeBaWorld, Sebastian Barzel, Berlin, abgerufen 1. März 2010 (Google Cache)
- ↑ a b c d e f zeit.de 17. August 2010: USA sind besorgt über Chinas neue Militärkraft. - Das Pentagon ist beunruhigt: China beschleunige die Modernisierung der Streitkräfte. Die Cyber-Kriegsführung werde ausgeweitet, die Vorherrschaft der USA zurückgedrängt.
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